Das folgende ist ein (leicht überarbeiteter) Auszug aus einem früheren Blog-Eintrag, der dort vielleicht eher unsichtbar bleibt, weil er weiter unten steht.
Jeder dieser Maßnahmen erscheint zunächst — in deutlichen Grenzen — sinnvoll. Alle zusammen werfen u.a. die Frage auf, wie aktuelles bzw. rezentes fachliches und fachdidaktisches, aber auch schulpädagogisches und erziehungswissenschaftliches Wissen, das “voll ausgebildeten”) Studierenden im Rahmen ihrer universitären ersten Phase begegnet und von ihnen im Rahmen von Praktika vor allem aber im Vorbereitungsdienst und in ihrer späteren Tätigkeit in die Schulen getragen worden wäre, auch diesen verkürzt und ohne intensiven Kontakt zu aktueller wissenschaftlicher Forschung und Diskussion im Unterrcht eingesetzten Lehrkräften nahe gebracht und in ihre Überlegungen einbezogen werden kann.
Zudem hat jede dieser Maßnahmen nicht nur mögliche Folgen, sondern auch Bedingungen ihrer Umsetzung. Das gilt insbesondere auch für die zuletztgenannte Maßnahme der Reaktivierung erfahrener pensionierter Lehrkräfte. Während abschreckende finanzielle Hürden (etwa mögliche Anrechnungen der Honorare auf die Pension) administrativ beseitigt werden können oder schon wurden, ist die Vorstellung der Attraktivität einer erneuten Unterrichtsträgkeit zumindest für einige erfahrene Lehrkräfte nicht ungebrochen.
Während aus meinem Bekanntenkreis einige durchaus bestätigen, dass die Vorstellung, wieder pädagogisch und unterrichtsnah tätig zu sein, durchaus attraktiv ist, schreckt viele doch die jene eines erneuten voll verantwortlichen Einsatzes ab, wozu mehrere Aspekte beitragen, nämlich neben unsicherer eigener Gesundheit und geringer Neigung, in nennenswertem Umfang unter gegenwärtigen (und zum Teil bereits als verändert wahrgenommenen Bedingungen) tägliche Verantwortung tragen zu müssen bis hin zur deutlichen Einschränkung der mit der Pensionierung gewonnenen zeitlichen Flexibilität.
Vor diesem Hintergrund gebe ich zu erwägen, ob nicht etwa die von der SWK formulierte Leitlinie, nicht-fertig ausgebildeten Lehrkräfte, wie auch Quer- und Seiteneinsteiger*innen erfahrene (aktiven) Lehrkräfte zur Seite zu stellen im Sinne eines “Mentoring” und insbesondere zur Unterstützung bei der Unterrichtsplanung, dahingehend abzuwandeln, gerade für diese Aufgabe pensionierte Lehrkräfte abzuwerben und einzusetzen, und diese Tätigkeit wiederum ein ein Untertützungssystem einzubinden. Auf diese Weise kann die Expertise der pensonierten Lehrkräfte genutzt und in Wert gesetzt werden, ohne dass sie selbst mit täglicher Verpflichtung gegenüber Schüler:innen und Eltern “in die Bütt” müssten. Sie könnten vielmehr als Experten beratend tätig werden gegenüber nicht voll und nicht fertig ausgebildeten Lehrkräften — etwa im Rahmen wöchentlicher gruppenweise “Peer-Supervision”, in welcher letztere sowohl Fragen der Unerrichtsplanung, aber auch von Unterrichtserfahrungen (bis hin zu “Fallbesprechungen”) sowohl unter- und miteinander als auch mit den erfahrenen Lehrkräften besprechen und entwickeln können.
Ergänzt werden könnte (und sollte) dieses System durch eine Art kaskadierender Betreuung auch dieser Mentor*innen und ihrer Gruppen durch Personal aus der Lehrkräftefortbildung und der Universität — etwa durch etwa 6‑wöchentliche Mentor:innen-Beratungen und zusätzliche themenspezifische Fortbildungsveranstaltungen, die gerade auch fach-didaktisch ausgerichtet werden — zu leiten unter wesentlicher Beteiligung der Universitäten und dort der Fachdidaktiken. Hierfür wäre es insbesondere sehr angebracht, wenn für jedes Fach einzelne aktive Lehrpersonen zur Beteiligung an der universitären Lehre in der Fachdidaktik (25%) und zur Betreuung fachspezifischer solcher Betreuungsgruppen (25%) abgestellt würden.
Die Konstruktion könnte also so aussehen, dass eine solche fachspezifische phasen- und institutionen-perspektiven verschränkende (PIPV) Betreuungsgruppe von einer aktiven, in die Fachdidaktik der Universität eingebundenen Lehrkraft und eine:r pensionierten Praktiker:in (ggf. wechselnd) geleitet würden und an ihnen eine Zahl bereits unterrichtender Studierender und Quer- bzw. Seiteneinsteiger:innen teilnehmen, wie auch fest angestellte Lehrkräfte in der Dritten, der Berufseingangsphase, in der sie mit 25% ihres Deputats für (unter anderem) für diese Supervisions- und Entwicklungsgruppen freigestellt würden.
Die dazu nötige Reduktion ihrer Unterrichtsverpflichtung der Lehrkräfte in der Berufseingangsphase, der Quer- und Seiteneinsteiger:innen und der Lehrbeauftragten für diese Gruppen wäre eine gute Investition in die Qualitäts-Sicherung und Entwicklung. Sie könnte durch eine Entlastung der Lehrkräfte von unterrichtsfernen (administrativen) Aufgaben zumindest teilweise kompensiert werden.
Die aktiven wie pensionierten Mentor:innen in diesem System wiederum sollten ihrerseits an (evtl. abwechselnd schulpädagisch, ‑psychologisch und fachdidaktisch) ausgerichteten Reflexions- und Fortbildungsveranstaltungen teilnehmen und zudem (etwa viertel- oder habjährlich) Fortbildungsveranstaltungen zu neuen Themen (Digitalisierung, Inklusion, kulturelle Heterogenität, fachliche Fragen) organisiert werden. Damit würde eine Kombination der Weitergabe von Erfahrungswissen und Routinen einer- und evidenzbasiertem wie aktuellen Theoriewissen und neuen Perspektiven andererseits auch unter den Bedingungen des Lehrkräftemangels gesichert.
Das Dokument hat unter anderem auch die Aufgabe, “die neuen Strukturelemente” der (ja nur überarbeiteten, nicht wirklich neuen) Bildungspläne ausführlicher, “als dies in einer Präambel möglich ist” zu erläutern (S. 4).
Obwohl zu Beginn des Texts festgestellt wird, dass sich die Kompetenzorientierung (an der auch expressis verbis festgehalten wird) “durchgesetzt” habe und “keiner Erläuterung” mehr bedürfe (S. 3), wird auch sie doch noch einmal erläutert, nämlich dahingehend, dass Kompetenzen “Kenntnisse und Haltungen” einschlössen, und “durch die Auseinandersetzung mit Inhalten und den handelnden Umgang mit Wissen und Werten erworben” werden. Diese Formulierungen sind bemerkenswert:
Sie begründen die Einführung von “Kerncurricula” als “verbindlich zu erarbeitender Inhalte”, welche die “kompetenzbezogenen Anforderungen ergänz[t]en und bereits bestehende inhaltliche Vorgaben präzisieren und konkretisieren (S. 3).
Dass Kompetenzen in der Auseinandersetzung mit Inhalten und den handelnden Umgang mit Wissen erworben würden, wie dargestellt, ist nicht zu beanstanden. Kompetenzerwerb ist weder “Trockenschwimmen”, findet nicht in abstrakter, inhaltsfreier oder auch nur ‑armer Form und ohne Bezug zu Wissen statt. Auch ist es nicht falsch, dass Kompetenzen Kenntnisse und in gewisser Weise auch “Haltungen” umfassen. Dass die letzteren beiden aber inhaltsbezogen wären, wie die Formlierung durch ihren grammatisch etwas schiefen Satzbau (alleinstehender Nebensatz: “Denn Kompetenzen schließen …”) verdeutlicht, ist problematisch und entspricht gerade nicht der gängingen Kompetenzdefinition, an die gerade auch die neuen Hamburger Bildungspläne ja explizit anschließen, indem der Absatz, in dem diese Festlegungen stehen, mit einem Belegverweis auf die “Klieme-Expertise” in der unveränderten Neuauflage 2009 der Online-Fassung von 2007 (die gedruckte erste Auflage stammt von 2003) abgeschlossen wird. Es ist also die Kompetenzdefinition nach Weinert (2001), die dort Verwendung findet, und an die auch hier angeschlossen wird. Diese aber definiert geradezu, dass Kompetenzen jene Facetten von Wissen, Können und Haltungen (“Fähigkeiten, Fertigkeiten” sowie “motivationale[n], volitionale[n] und soziale[n] Bereitschaften und Fähigkeiten”) umfasst, die gerade nicht an einen bestimmten “inhaltlichen” Kontext (besser: Gegenstand) gebunden sind, sondern die das Individuum in die Lage versetzen, in variablen Situationen Probleme zu lösen. Kompetenzen sind also gerade die transferablen Facetten, die zwar durchaus an einem Gegenstand, in einem konkreten Kontext und im Umgang mit konkretem Wissen erworben werden, sich aber gerade an anderen Problemen in neuen Kontexten, im (ggf. diese auch erst erschließenden) Umgang mit anderen (ggf. unbekannten) Wissensbeständen bewähren müssen. Dass Kompetenzen “Kenntnisse und Haltungen” einschließen, stimmt also nur in Bezug auf transferables, neue Kontexte erschließen helfendes, etwa kategorisierendes, methodisches Wissen und die “Haltung”, die darin besteht, über dieses Wissen nicht nur theoretisch und abstalt zu verfügen, sondern es dann auch anzuwenden — gerade nicht aber in jenem Wissen, das an einzelne Kontexte gebunden ist. Konzeptuelles und prozedurales Wissen also ist Bestandteil von Kompetenz(en), nicht substantives. Um ein sehr einfaches (beinahe zum trivialen hin zugespitztes) Beispiel aus meinem Fach zu nehmen: Die Fähigkeit, die Emser Depesche zu interpretieren, ist keine Kompetenz — insbesondere nicht, wenn man Quelleninterpretation an ihr oder auch nur einem sehr eng verwandten Beispiel gelernt hat. Die Fähigkeit, Fertigkeit und Bereitschaft, andere Quellen bzw. Quellen insgesamt zu interpretieren, nachdem man u.a. die Emser Depesche untersucht und interpretiert hat, beweist Kompetenz — insbesondere, wenn man in der Lage ist, das auch mit Quellen anderen Typs zu tun und dabei vom Konkreten zu abstrahieren, also die Fähigkeit flexibel in neuen Situationen einzusetzen.
Vor diesem Hintergrund erweist sich aber zudem der in Fußnote 1 auf S. 4 gegebene Verweis auf die Klieme-Expertise als mindestens unscharf. Verwiesen wird nämlich auf die dortige Seite 12. Dort ist in der Tat etwas zu finden, das auch hier Verwendung findet, nämlich die Aufzählung von “Kompetenzen, Qualifikationen, Wissensstrukturen, Einstellungen, Überzeugungen, Werthaltungen”. Im Hamburger Leitfaden lautet sie etwas anders, insofern (ohne Kennzeichnung der wörtlichen Übernahmen) von “Kompetenzentwicklung wie auch der Aneignung von Fachmethoden und dem Aufbau von Qualifikationen, Wissensstrukturen, Einstellungen, Überzeugungen und Werthaltungen” die Rede ist — hier jedoch als Zweck der “Kerninhalte, mit denen sich Schülerinnen und Schüler auseinandersetzen sollen”. Von Inhalten und inhaltsbezogenen Kenntnissen aber ist in der referenzierten Klieme-Expertise an der angegebenen Stelle gerade nicht die Rede. Es handelt sich also geradezu um ein Fehlzitat, insofern der Beleg die Hauptaussage des Absatzes, hinter dem er steht, — Kompetenzen umfassten auch Kenntnisse — gerade nicht deckt.
Die Klieme-Expertise spricht aber auch sonst kaum von Kenntnissen, In einem historischen Rückgriff auf “klassische Bildungstheorie” werden zwar vier Modi der Welterfahrung als Bestandteile von Bildung und “Kenntnissen” (in Anführungszeichen!) erwähnt, im gleichen Absatz aber nicht Kenntnisse, sondern “Wissen und Können” als zwei Komponenten von Kompetenzen aufgezählt.2 Gerade im weiteren Argumentationsgang wird dort aber ein Wissensbegriff genutzt, der dieses explizit nicht auf Kenntnisse reduziert. Im Kapitel der Expertise zum Verhältnis von Wissen und Können (S. 87f) wird vielmehr geradezu verworfen, Kompetenzrelevantes Wissen mit “den Fakten” gleichzusetzen, ” die in Lehrplänen niedergeschrieben sind. Selbst wenn es Schülerinnen und Schülern” gelinge, “dieses Wissen aufzunehmen” bliebe es “doch oft träge“, insofern es “außerhalb der Lernsituation nicht angewandt” werden können, weshalb es keine hinreichende Basis für kompetentes Handeln” darstellt. Gerade auch wo die Klieme-Expertise fordert, die Verknüpfung von Wissen und Können nicht in den Bereich jenseits der Schule zu verlagern (also in das Bewährungsfeld der Lebenswelt), sondern auch innerhalb der Schule solche Leistungssituationen zur Bewährung zu gestalten, wird gerade nicht von konkret inhaltbezogenem Wissen gesprochen, sondern von Situationen, welche die Fähigkeit zur Anwendung fachlich spezifischen Schemata in der “Behandlung von Fällen” erfordern.
Auch in Bezug auf “Inhalte” findet sich an der angegebenen Stelle gerade kein Beleg dafür, dass Kompetenzen Inhalte “umfassten”. Vielmehr empfiehlt die Klieme-Expertise 2003÷2007÷2009 zwar explizit, Bildungsstandards “Hand in Hnd” (S. 17) mit “zentralen Kerncurricula” zu entwickeln, die Hinweise zur Sequenzierung von Themen und Inhalten geben — aber das bedeutet gerade keine Integration der Inhalte oder Kenntnisse in die Kompetenzen. Vielmehr wird explizit dargelegt, der Begriff der Kompetenzen drücke aus, “dass die Bildungsstandards – anders als Lehrpläne und Rahmenrichtlinien – nicht auf Listen von Lehrstoffen und Lerninhalten zurückgreifen, um Bildungsziele zu konkretisieren.” Es gehe “vielmehr darum, Grunddimensionen der Lernentwicklung in einem Gegenstandsbereich (einer ‘Domäne’, wie Wissenspsychologen sagen, einem Lernbereich oder einem Fach) zu identifizieren”, die “vielfältig[e], flexib[el] und variab[el]” genutzt werden können müssen (S. 21f).
Mit dieser Kritik an der (zudem falsch zitierenden) Verschleifung des Kompetenzbegriffs soll somit gerade nicht gesagt werden, dass “inhaltliche” Curricula im Sinne der Vorgabe und Festschreibung von Gegenständen (und partiell auch der Thematisiereungen derselben) keinen Platz in Bildungsplänen hätten. Sie sind legitim, gerade in der Form von “Kern”-Curricula, die einige verbindliche Vorgaben machen, daneben aber wesentliche Freiräume belassen — aber sie sind etwas anderes als Kompetenzmodellierungen. Kompetenzdefinitionen und ‑modelle einerseits und (Kern-)Curricula andererseits sind vielmehr zwei nebeneinander mögliche und wohl auch nötige Formen der Konzeptualisierung zweier unterschiedlicher Dimensionen. Sie ergänzen einander (wie im vorliegenden Text an anderer Stelle ja uch durchaus richtig gesagt wird), gehen aber nicht ineinander auf. Man kann sie sich vorstellen wie Spalten und Zeilen einer Matrix oder einer Tabelle. Weder Kompetenzen (also Fähigkeiten, Fertigkeiten und Bereitschaften sowie die Verfügung über fall- und gegenstandsübergreifendes, konzeptuelles bzw. prozedurales Wissen) noch Gegenstandbezogenes (“substantives”) Wissen können getrennt von einander erworben werden. Aber sie müssen auch wieder voneinander getrennt werden. Die erworbenen Fähigkeiten müssen an anderen “Inhalten” (besser: Gegenständen) weiter elaboriert, erweitert, verfeinert, abstrahiert und konkretisiert werden, damit sie zu Kompetenzen im vollen Sinne werden, und die Kenntnisse und Wissensbestände müssen ihrerseits mittels anderer Kompetenzen miteinander zu einem zugleich in der Breite umfassenden wie hinsichtlich Konkretisierung und Abstraktion aufgespannten Weltbild vernetzt werden. Nur gemeinsam garantieren diese beiden (getrennten!) Dimensionen von Bildung, dass die Weltbilder, die Kenntnisse, Einsichten ebenso wie die Haltungen und die Fähigkeiten nicht verfestigen, sondern in in variablen Situationen und unter sich verändernden Bedingungen operabel bleiben.
Den Ausführungen zur Aufgabe der Kerncurricula selbst im zweiten Absatz kann demgegenüber deutlich besser zugestimmt werden, ja es ist positiv herauszustellen, dass zwar von durch sie vorgegebenem “Wissen” die Rede ist, aber doch in Form von Wissens“elementen”, also Bestandteilen von durch die Lernenden im Prozess der Auseinandersetzung damit mit dem, was wiederum nicht als “Fakten” oder ähnlichem einfach zur Übernahme vorgegeben wird, sondern als “Gegenstand” einer solchen eigenständigen und zumindest partiell ergebnisoffenen und pluralen “Untersuchung” entwickelt und elaboriert werden soll. Hier also ist ein deutlicher Anschluss an Konzepte eigenständigen und aktiven Lernens zu erkennen, die auch mit den gleich darauf formulierten Zielen der Selbstständigkeit und Verantwortlichkeit kompatibel ist.
Von als zu erwerben vorgegebenen Kenntnissen wird dann gleichwohl am Ende des folgenden Absatzes die Rede, in welchem die Bedeutung der Befähigung zu selbst- und nicht fremdbestimmtem Denken, Urteilen und Handeln in der gegenwärtigen (Medien-)Welt — etwa angesichts von FakeNews etc. — die Rede ist, gesprochen. Auch dieser Formulierung kann als solche gut unterschrieben werden, insofern diese Kenntnissen aufgrund des angesprochenen Zusammenhangs gerade solche meinen müssen, die Lernende in die Lage versetzen, jeweils neue Herausforderungen zu bewältigen. Das ist etwa dann der Fall, wenn es sich um prozedurale und konzeptuale Kenntnisse handelt, wie um fallübergreifende Einsichten. Auch substantives Wissen (also etwa “Einzelfallwissen”) gehört dazu, insofern es dazu beiträgt, dass Lernende mit seiner Hilfe ihnen neue Behauptungen usw. einordnen können. Auch dieses Wissen gewinnt somit eine über es selbst hinaus greifende Funktion. Es ist dann aber eben auch nicht (wie hier durchaus korrekt aufgezählt) Bestandteil der zu erwerbenden Kompetenzen, sondern gewissermaßen neben seinem Eigenwert zum Einen Substrat des Erwerbs der Kompetenzen, ebenso aber muss es auch Gegenstand ihrer Anwendung werden können. Es ruht also nicht in sich, sondern muss in der Perspektive und unter der Voraussetzung erworben (und dazu vermittelt) werden, dass es mit Hilfe der Kompetenzen durch die Lernenden geprüft, differenziert und — etwa angesichts neuer Informationen — auch zugunsten neuerer Einsichten und Kenntnisse überwunden werden können muss.
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Anmerkungen / References
Arnold, Burkhard; Haupt, Stephan; Jasper, Ilka; Lampert, Yvonne (2023): Das schulinterne Curriculum. Leitfaden zur Implementation der neuen Bildungspläne. Unter Mitarbeit von Lydia Lach, Christine Roggatz, Hendrik Stammermann und Juliane Troje. Hamburg: Behörde für Schule und Berufsbildung.[↩]
A crosstabulation of competencies and patterns/logic of sensemaking as suggested by Stéphane Lévesque2 is indeed useful for “reading” individual monuments and making sense of their “message”, also. Lévesque’s filling of the table is a bit abstract, general for this, so the following would in part be my own understanding.
It also is based on Rüsen’s notion that while the different patterns were developed sequentially over time, to “older” ones are not lost, but still available and indeed visible in modern day thinking, in fact most of the time in combinations. What characterizes modern-time historical thinking, then, is the presence and dominance of “genetic” thinking, while pre-modern thought would not have this type at its disposal at all. But then, our examples here are all “modern”, so that it may be a question of dominance and relative weight.
Take a monument for a civil war general:
A spectator today may read it as a reminder to the origin of the current state of affairs, possibly the “losing of the cause” (e.g. both the honoured general and the spectator being southeners) or to the liberation of the slaves (both northeners). In both cases, the monument would be seen as pointing to an origin of what is seen as valid today (the very definition of Rüsen’s “traditional” type). This might explain why people adhering to the northern narrative would oppose to southern monuments, and vice versa, not believeing their story in the first place — and maybe fearing that keeping the monuments would signify that their version was to be seen as valid.
In an exemplaric mode, however, both may accept the “other side’s” monuments, because what they point at would not be seen as the origin of affairs, but rather a general rule, e.g. honouring people “bravely fighting for their respective (!) cause”. The logic would be that each society would honor “their heroes”, who do not so much stand for the specific cause but for a general rule. What happens on the ground in Gettysburg, e.g., is something along this line: “Traditional” commemorating attracts most people going there, but an exemplary “cover-narrative” allows for common remembrance.
Ernst Barlach: Relief (1931; Re-Construction of 1948) on Hamburg Town Hall Square Monument . Photo from Wikimedia Commons (public domain): https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/2/2c/Hamburg_Mahnmal_01_KMJ-adj.jpg
Hans-Martin Ruwoldt (1938): Phoenix on Hamburg Town Hall Square Monument. Photo by https://www.denk-mal-gegen-krieg.de/kriegerdenkmaeler/hamburg-lo-os/
In 1938, under Nazi rule, the relief was exchanged for a „phoenix“. Did it change the narrative and commemorative evaluation of the loss of the 40000 Hamburgians? To my view, it most certainly did.
The addition of the last part “FOR YOU” to the inscription already before the initial installation of the monument was a concession to the right parties, changing (in Rüsen‘s terms) a more traditional message into a more exemplary one:
While the combination of the initial wording without the addition „FOR YOU“ and the mother-child-relief fit into a development of monument culture developed in WW1 which has been identified in retrospect, namely monuments which which do no longer provide an authoritative suggestion of the meaning of the protagonist‘s death, but rather question this meaning.5 It did so because it expressed the continuous loss, referring to the dead soldiers rather as victims of a greater context of war, to be mourned, by pointing to their their death and loss as the rather tragic origins of the common grief.
Adding „FOR YOU“ to the inscription did not fully eradicate this negative-traditional narrative pattern, but added an additional layer of different narrative and evaluative character both to the deaths, which are ascribed a purpose, and to the conceptual framing of the dead, which are no longer only victims but also (self-)sacrifices for a common good. Interestingly, both concepts, that of victim and that of sacrifice, are present in the German term „Opfer“ explicitly used, but alluded to, here.
The exchange of the mourning mother/child-relief by a „phoenix“ in 1938, then, eradicated the thin layer of questioning the purpose and meaning of the loss, the notion of „victims“ and rendered the 40,000 Fathers, Brothers and „Sons of Town“ heroes – not only self-sacrifices for the wellbeing of their respective families, but role-models to be celebrated and emulated.6 In 1948, then, the lost Barlach-relief, was restored, alas not by Barlach himself, who had meanwhile died.
I do have a hard time constructing a genetic understanding of such a monument, maybe because a modern, genetic way of thinking needs to have been informed by the “critical” mode of at least partly de-legitimizing the orientating power of traditional and exemplaric thinking.
Maybe this is the background for modern monuments being quite different, either often non-figurative — as Peter Eisenman’s Memorial to the Murdered Jews in Berlin, or many works by Jochen Gerz7 — or taking on forms of counter-memorialization8, thus setting in motion a kind of change, not just re-present-ing a past, but encouraging or even enforcing critical reflection on it.
It is easier for the Hamburg monument: Genetic thinking would question whether not only this heroifying way of commemorating heroes (even if not individual), but also the concrete form of public acknowledging of tragic loss can be timely, after we experienced another war and an inhuman dictatorship and genocide which was not least based on feelings instigated by such commemorating.9
But there is something more to reflecting about narratives — and especially on how to relate to them. As I wrote above, Memorials are narratives. Rüsen calls them “narrative abbreviations”, pointing to them standing for a specific narrative, i.e. a specific relation between a past (under memory), the present (of the authors and erectors of the monument as well as the intended public), and with regard to a specific future, constructed only partly in verbal narrative form, but also with non-verbal and sequentially narrative elements (even though in some cases it is only the verbal inscriptions which really hint to any historical meaning).
Memorials are more than only proto-narratives. Their (often) prominent (albeit also often overlooked) positioning, their (proto-)narrative structure and their own quality for lasting a long time (cf. “monumentum exegi aere perennius), they do not only constitute a narrative relation from one temporal and social position towrds the past and the future, but also are meant to prolong the sense they make and to impose it on later generations. Monuments are about obligating their audience, the spectators with a certain narrative and interpretation. That qualifies them as parts of what we call “politics of history”, not only of commemoration, and what makes them political.
It therefore is paramount to read monuments as narratives, and not only in the de-constructive sense of “what did those erectors make of that past back then”, but also in the re-conctructive sense of “in how far or how does this narrative fit into my/our relation to that past). In other words: Standing before a monument and thinking about monuments, we all need to (and in fact do) think in a combination of understanding the others’ and deliberating our own narrative meaning-making. Therefore we need to read them as narratives first, and become competent for it.
Monuments often take on the form of addressing people. Sometimes — as in the Hamburg case above — they address the spectator, reminding them of some kind of obligation to commemorate.10 But who is talking to whom? If the senate of Hamburg talkes to that to the Hamburg citizens of 1930 – 1932, can/will we accept that (a) the Hamburg Senate of today still admonishes us like that, and b) that we Hamburg citizens of today are still addressed in the same way?
In other cases, (inscriptions in) memorials might explicitly address the commemorated themselves, as e.g. in the confederate monument in Yanceyville, N.C., whose plaque reads “To the Sons of Caswell County who served in the War of 1861 – 1865 in answer to the Call of their County”, and continues in a “We-Voice”, signed by the Caswell Chapter of the United Daughters of the Confederacy”. So far so conventional. This might be rather unproblematic, since speaker-position and addressees are clearly marked. One might leave the monument even if one disagreed, not having to align with its narrative. Only if the presence of such commemorating in itself is inacceptable, action is immediately called for.
But there are other monuments which seem to talk from a neutral position, which in fact is that of the erectors, but by not being qualified, includes the spectator into the speaker position. The example I have ready at hand, is not from the US and not about war heroes, but again from Hamburg, this time from Neuengamme concentration camp memorial. In 1965, an “international monument” stele11 was erected there, together with a whole series of country-specific memorial plates. The inscription on the monument reads “Your suffering, your fighting and your death shall not be in vain” (my translation). This now clearly is interesting in at least two respects: (1) it ascribes not only suffering and death, but also fighting to those commemorated and thereby possibly does not refer to those inmates who never had a chance or did not “fight”, who were pure victims, and (2) it speaks from a neutral voice which is not marked in time and social, political or event-related position. Whoever mourns at that place possibly silently co-signs the statement.
Consider an equal honouring of confederate generals in, say NC: “Your fighting shall not have been in vain.” I would spark much more controversy and concers — and rightly so.
Still another example, the first Hamburg monument for the victims of National Socialism (from late 1945) on the Central Cemetry in Hamburg-Ohlsdorf, has an inscription “Injustice brought Us Death — Living: Recognize your Obligation”.
Erstes Hamburger Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus von 11/1945 in Hamburg Ohlsdorf. Foto von NordNordWest/Wikipedia. Lizenz: CC-BY-SA 3.0; (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/legalcode); Original: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Mahnmal_Opfer_der_NS-Verfolgung_Ohlsdorf.jpg
Again, for analyzing and understanding, we need to recognize. The speaker position here, is clearly (metaphoricall) held by the victims to be commemorated. But whom do they speak to? Literally, it is the “living”. In a very broad understanding, the monument/memorial therefore addresses all humans, quite in a way what Rüsen has addressed as the highest level of normative plausibility: broadening the perspective to the level of humanity. This is not very problematic, since the inscription does talk of “duty”, not of “guilt”, it does not conflate the addressees with those who inflicted the injustice upon the victims. But it could have done. In 1945, the message would be clearly not merely universally humanistic, but at least also addressing the Germans as the society of the perpetrators. It does not condemn, but calls for recognizing the “duty” and responsibility for commemorating and non-repeating as well as overcoming the structures of NS injustice, hinting at responsibility for not preventing them or even participating in them in the first place.
And today? In how far is the message the same for today’s society in Germany? The people living in Germany today do — apart from very few exceptions — not share any personal guilt or responsibility for what happened. In how far can or should they see themselves addressed?
Again, there is no question as to the very general, humanity-related address. This is directed at any audience. But would that mean that there is no difference between any other visitor to the memorial and Germans? Has the Nazi injustice (and similarly the Holocaust) become a matter of general, universal history only? Is there no special belonging to and message for German history? All these questions can and need to be addressed — and especially so, since a considerable part of German society consists not only of people born and raised (long) after the “Third Reich”, but also of many who immigrated from other countries, societies and cultures meanwhile. Are they simply counted into the perpetrators’ society? — no, I think; but as people living in Germany, they also are adressed in a more specific way than any other visitor — and they are expected to feel addressed, also. While there may be (and often indeed is) not specific responsibility for what these memorials and monuments refer to, there surely is a specific responsibility from or out of this history — and these monuments therefore serve not only as general markers to a set past, but also as marks which have specific messages and different (but compatible) ones for different recipients. This is what also is a part of what is needed to be reflected and discussed with regard to monuments in public history culture and what history education needs to enable learners to partake in.
In order to make up our minds on monuments we have “inherited” not only in political terms, we need to reflect their specific narrative message in a spectrum of time-relations. And we need to differentiate our terminology and enable our students to master a set of concepts related. We need, e.g., to distinguish honoring forms of commemoration from reminding and admonishing ones.
In Germany we have (not easliy) developed the notion of “Mahnmal”, admonishing, to be distinguished from a mere “Denkmal” (literally a “thinking mark”). But even this distinction is insufficient. A Mahnmal (in fact the literal translation to “monument”, from Latin “admonere”) may admonish to remember our own suffering inflicted on us by ourselves, some tragic or by others, but also may admonish to not forget what we inflicted on others. This is the specific form “negative memory” of German memorial culture.
Therefore, there’s a lot more to be reflected in commemorating:
Who “talks”? who authors the narrative — and is what capacity (e.g. in lieuf of “the people”, of a certain group, …)?
whom does the monument explicity address?
what is the relation of explicit addressees and factual spectators?
in how far is the message the same for us today as it was envisioned back then — and possibly realized? is it the same for all of us?
what kind of message is perceived?
(cf. Körber 2014)
References:
Hasberg, Wolfgang (2012): Analytische Wege zu besserem Geschichtsunterricht. Historisches Denken im Handlungszusammenhang Geschichtsunterricht. In: Meyer-Hamme, Johannes / Thünemann, Holger / Zülsdorf-Kersting, Meik (Hrsg.): Was heißt guter Geschichtsunterricht? Perspektiven im Vergleich. Schwalbach/Ts. / Wochenschau, S. 137 – 160, p. 140.
Klingel, Kerstin (2006): Eichenkranz und Dornenkrone. Kriegerdenkmäler in Hamburg. Hamburg: Landeszentrale für Politische Bildung.
Körber, Andreas (2014): De-Constructing Memory Culture. In: Teaching historical memories in an intercultural perspective. Concepts and methods : experiences and results from the TeacMem project. Hrsg. von Helle Bjerg, Andreas Körber, Claudia Lenz u. Oliver von Wrochem. Berlin 2014, 145 – 151.
Körber, Andreas (2016): Sinnbildungstypen als Graduierungen? Versuch einer Klärung am Beispiel der Historischen Fragekompetenz. In: Katja Lehmann, Michael Werner und Stefanie Zabold (Hg.): Historisches Denken jetzt und in Zukunft. Wege zu einem theoretisch fundierten und evidenzbasierten Umgang mit Geschichte. Festschrift für Waltraud Schreiber zum 60. Geburtstag. Berlin, Münster: Lit Verlag (Geschichtsdidaktik in Vergangenheit und Gegenwart, 10), S. 27 – 41.
Rüsen, Jörn (2017): Evidence and Meaning. A Theory of Historical Studies. Unter Mitarbeit von Diane Kerns und Katie Digan. New York, NY: Berghahn Books Incorporated (Making Sense of History Ser, v.28).
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Anmerkungen / References
Lévesque, Stéphane: Removing the “Past”: Debates Over Official Sites of Memory. In: Public History Weekly 6 (2018) 29, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2018 – 12570. There also is a German and a French version. [↩]
Another such crosstabulation has been suggested (in German) by Wolfgang Hasberg (Analytische Wege zu besserem Geschichtsunterricht. Historisches Denken im Handlungszusammenhang Geschichtsunterricht. In: Meyer-Hamme, Johannes / Thünemann, Holger / Zülsdorf-Kersting, Meik (Hrsg.): Was heißt guter Geschichtsunterricht? Perspektiven im Vergleich. Schwalbach/Ts. / Wochenschau, S. 137 – 160, p. 140). For my critique see Körber 2016 (in German). I also provided a table, including the different niveaus, but restricted to “Fragekompetenz” (similar to Lévesque’s “inquiry competence”). [↩]
On this type of monuments cf. Koselleck, Reinhart (1994): Einleitung. In: Reinhart Koselleck und Michael Jeismann (Hg.): Der politische Totenkult. Kriegerdenkmäler in der Moderne. München: Fink (Bild und Text), S. 9 – 20, here p. 18f. [↩]
According to Klingel, Kerstin (2006): Eichenkranz und Dornenkrone. Kriegerdenkmäler in Hamburg. Hamburg: Landeszentrale für Politische Bildung, p.71, the mourning-relief initially was to be replaced by “war symbols” but all skteches handed in by artists (including a wrath with swords by Ruwoldt) were rejected, so that he was commissioned to create an eagle, which he did, but in a way which far more resembled a dove than an eagle. In how far this can be interpreted as a subversive rejection of the new martial character and even be evaluated as an act of defiance, is highly questionable, since the symbolism of the dove as the universial symbol for peace was created by Picasso only after WorldWar II. [↩]
Cf. e.g. his “Invisible Monument” in Sarbrücken: https://en.wikipedia.org/wiki/Platz_des_Unsichtbaren_Mahnmals. [↩]
Cf. a.o. Wijsenbeek, Dinah: Denkmal und Gegendenkmal. Über den kritischen Umgang mit der Vergangenheit auf dem Gebiet der bildenden Kunst. München 2010. [↩]
There’s a lot more to be reflected in commemorating: Who talks to whom, here? What do they say and expect? Who is the “you”? Is it ” us” — still today? And if so: in how far is the message the same for all of us, those with Hamburg ancestors of the time, and those without, maybe immigrants? In how far can this aspect define our attitude? Can we force all recent immigrants into our own “national” narrative (and even more so when it is not WW1, but Holocaust related)? But then, how can we not? (cf. also Körber 2014, and see below. [↩]
My mother used to explain the German word “Denkmal”, literally referrring to a “mark(er)” for initiating thinking, as an imperative: “Denk mal!”, referring to the other meaning of the word “mal” as “for once”, resulting in “do think for once!” [↩]
“Der Erste Weltkrieg ist fester Bestandteil des Geschichtsunterrichts. Die dabei verfolgten Lernziele haben sich im Laufe der Zeit immer mehr von konkreten ereignis- und verlaufs- orientierten Inhalten hin zu dem Anliegen entwickelt, das Leiden der Menschen und den menschenverachtenden Charakter des neuartigen Krieges in den Mittelpunkt zu stellen. Eine solche Perspektive lässt vielfältige kulturgeschichtliche Fragestellungen zu, die neue Herangehensweisen bei der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und ihren historischen Akteuren erfordern.”
Mit diesen Worten eröffnet das LVR-Industriemuseum Oberhausen die Ankündigung einer Fortbildung, die sich an “Unterrichtende[.] des Faches Geschichte aller Ausbildungsphasen und Qualifikationsstufen” richtet, mit dem Ziel, ihnen “aktuelle Forschung und die Arbeit mit neuen Quellen zu ausgewählten Themen zunächst in Fachvorträgen vorzustellen” und in “anschließenden Workshops” gemeinsam mit ihnen “Umsetzungsmöglichkeiten im Unterricht” zu reflektieren, wobei “Fragestellungen, Zugänge und Methoden diskutiert und Materialien präsentiert” werden, “die geeignet sind, den Schülerinnen und Schülern neue und spannende Facetten historischer Lebenswelten zu erschließen.”
Die Formulierung weist — insofern sie nicht die didaktische Diskussion, sondern die Realität des Geschichtsunterrichts und seiner Entwicklung zutreffend beschreibt — auf einen nicht gering zu schätzenden, sondern zu unterstützenden Fortschritt im Geschichtslernen hin und ist gar noch zurückhaltend formuliert. Die “konkreten ereignis- und verlaufs-orientierten Inhalte” waren ja oftmals nicht Ausdruck einer Orientierung an wissenschaftlicher Neutralität und Objektivität, sondern — neben ebenso zu findenden manifest feindseligen Instrumentalisierungen — vielmehr Instrument einer Nationalerziehung mittels “Vermittlung” der in nationalen Kategorien als die “eigene” gesehen Auffassung im Gewande einer betont sachlichen Darstellung.
Nicht zuletzt durch die schon in der Zwischenkriegszeit einsetzenden (damals noch zeitlich wie sozial nur begrenzt wirksamen) Bemühungen um eine “Entgiftung” der Schulbuchdarstellungen (damals von Siegfried Kawerau, nach dem Zweiten Weltkrieg von Georg-Eckert in dem von ihm aufgebauten und im später nach ihm benannten Schulbuchinstitut vorangetrieben), aber auch durch die sozialhistorische Kritik am historischen Denken des deutschen Idealismus (Georg Iggers) und schließlich durch Bemühungen vieler sozial- wie alltagshistorisch orientierter Didaktiker und Lehrer.
Gleichwohl — mit den dabei zu Recht abgelehnten und hoffentlich in der Tat weitestgehend überwundenen national- ethnozentrischen Konzepten haben auch die in der Fortbildungsankündigung erwähnten und in der Veranstaltung in kulturwissenschaftlicher Richtung fortzuschreibenden didaktischen Konzepte gemeinsam, dass in ihnen eine bestimmte Deutung und Wertung den Lernenden präsentiert, mit Materialien plausibel, methodisch aufgeschlossen, in den besten Fällen auch zur Reflexion eröffnet wird. Dieser letztlich — in der Terminologie des FUER-Kompetenzmodells — “re-konstruktive” Zugriff ist — das sei noch einmal betont — richtig und wichtig. Er wird zudem gerade auch angesichts der erweiterten Möglichkeiten durch die neuen Medien nicht nur inhaltlich, sondern auch methodisch vorangetrieben werden (müssen), wie derzeit etwa unter anderem (mit Bezug auf die Europeana 1914 – 1928-Sammlung) Daniel Bernsen in seinem Blog argumentiert: (“Working with the Europeana 1914 – 18 collections in the history classroom – Part 1/3: Scarcity vs. abundance.” In: Medien im Geschichtsunterricht 1.2.2014)
Aber es reicht meines Erachtens nicht aus. Gerade die derzeit wieder lebhafte Debatte (nicht nur) in England und Deutschland um Ursache und Schuld am Ersten Weltkrieg, die ja gerade nicht mehr allein eine Auseinandersetzung zwischen einer “deutschen” und einer “englischen” Position ist und auch nicht mit den Kategorien einer “linken” vs. einer konservativen Geschichtsschreibung und ‑interpretation erschlossen werden kann, die die “nationalen” Perspektiven und Positionen überlagern würden, sondern bei welcher höchst aktuelle Vorstellungen über die Europäische Union, die Rolle Deutschlands in Europa eine Rolle spielen, verdeutlicht, dass es bei Geschichte (zumal “in der Gesellschaft”) nie allein um Aspekte der “vergangenen Lebenswelten” geht, auch wenn es innovative und solche sind, welche humanistische Kriterien anwenden.
Nötig ist vielmehr (nicht als Ersatz, aber als Ergänzung) der genannten innovativen Ansätze die (de-konstruktive) Thematisierung der öffentlichen Diskussionen um die Vergangenheit, die ihr zugewiesene Bedeutung und die Deutungen, die ihr zuteil werden. Dabei muss mehr und anderes in den Blick kommen und als Material zur deutenden und urteilenden Erschließung bereitgestellt werden als möglichst eindeutige und gut erschließbare Quellen und Darstellungen. Multiperspektivität ist dann — wie es die didaktische Theorie seit langem fordert — mehr als ein Mittel zur bestmöglichen Annäherung an die vergangene Wirklichkeit und ihre Komplexität, sondern wird als Merkmal das gesellschaftlichen Geschichtsdebatte selbst unhintergehbar.
Da gleiche gilt aber wiederum für die zeitliche, die historische Dimension: Eine gewissermaßen nur zwei Zeitebenen in den Blick (“damals” und “heute”) nehmende Aufbereitung reicht nicht aus, vielmehr müssen die heutigen Positionen und Perspektiven in Relation gesetzt werden zu solchen mehrerer Zeitebenen seit dem thematisierten Ereignis. Die Artikel der gegenwärtigen Debatte (also etwa der Beitrag von Geppert/Neitzel/Stephan/Weber mit den Antworten von Ullrich und/oder Herzinger, aber auch die von bzw. über Michael Gove, Tristram Hunt, Boris Johnson, Richard Evans) — samt ihren Bezügen aufeinander — bildeten somit nur eine “Schicht” des relevanten Materials. Dazu gehören dann — als eine weitere Schicht — auch relevante Auszüge der “Fischer-Kontroverse”, und — nicht zuletzt — explizite Reflexionen der verwendeten Konzepte und Begriffe.
Es war ja zu erwarten, dass im Vorfeld des hundertjährigen Gedenkens des Beginns des Ersten Weltkrieges die Debatten um die Ursachen und insbesondere um die “Schuld” an diesem Krieg eine erneute Konjunktur erleben würden. Nicht nur die große neue Untersuchung von Christopher Clark, welche die insbesondere von Fritz Fischer vertretene These vom deutschen Kriegswillen und insbesondere von der vornehmlich deutschen Verantwortung erneut in Frage stellt, hat dazu deutlich beigetragen.
Was aber ist daraus zu lernen? Geht es darum, die — wenn man den Kommentatoren folgt — vornehmlich in liberalen und “linken” Kreisen populäre These der deutschen “Alleinschuld” in den Köpfen der Menschen auszutauschen gegen die neue, Clark’sche Variante einer mehrseitig verteilten Verursachung? Das wäre historisches Lernen im Sinne einer recht kruden Konzeption von “Abbilddidaktik”, der zufolge die jeweils aktuellen Erkenntnisse der Historiker als beste Annäherungen an die “historische Wahrheit” zu “vermitteln”, nein, zu “übermitteln” seien. Und es wäre doch allzu wenig — nicht nur, weil es letztlich an der rezeptiven Abhängigkeit der so Belehrten von den Forschungen der Fachleute (und den publizistischen Machtverhältnissen unter ihnen) nicht ändert, sondern auch, weil damit der letztlich unproduktiven Vorstellung einer historischen “Wahrheit” Vorschub geleistet würde, die in Form einer Annäherung an die vergangene Wirklichkeit herkommt, und nicht der weitaus anschluss- und orientierungsfähigeren Konzeption, derzufolge es um die Qualität als relationaler Konzepte zwischen Gegenwart und Vergangenheit gedachter historischer Aussagen geht, die sich in ihrer Zustimmungsfähigkeit (“Triftigkeit” oder “Plausibilität” in drei oder vier Dimensionen; vgl. Rüsen 1994; Rüsen 2013) bemisst. Anders gesagt: Wer über und an historische(n) Deutungen lernen will, muss die jeweils spezifischen Orientierungsbedürfnisse, die Normvorstellungen, die Implikationen der einzelnen Interpretationen usw. mitdenken.
In diesem Zusammenhang sind — wie so oft — publizistische Interventionen von Historikern und anderen öffentlichen “Vermittlern” mitsamt den öffentlichen Reaktionen interessant, wie sie etwa in den Debatten unter Online-Zeitungsartikeln zuhauf zu finden sind. Weit davon entfernt zu glauben, dass diese “die öffentliche(n) Meinung(en)” bzw. deren Verteilung reliabel abbildeten oder auch nur die wahre Meinung der jeweiligen (oftmals anonymen) Autoren, halte ich diese Debatten doch für sehr geeignet, historisches Denken zu lernen, weil sie zum Teil prototypisch überhöht und zugespitzt Deutungen und Schlussfolgerungen, Sachverhaltsaussgaen, Sach- und Werturteile präsentieren, die als “sagbar” gelten. Es geht also in gewisser Form um Diskursanalysen in rudimentärer Form, um aus ihnen mögliche und unmögliche, zustimmungsfähige und problematische Formen historischer Sinnbildung samt ihrer Geltungsansprüche und entsprechender Appelle an die Leser erschließbar zu machen, ohne dass am Ende eine gemeinsame Sicht, eine von allen geteilte Bewertung stehen muss — hoffentlich aber doch einiges an besserem Verständnis über die Be-Deutung(en) der jeweiligen Geschichten.
Die Formen, welche die Debatte gegenwärtig anzunehmen beginnt, sind da schon sehr aufschlussreich.
In der WELT fordern heute vier namhafte deutsche Historiker(innen), nämlich Dominik Geppert, Sönke Neitzel, Cora Stephan und Thomas Weber, die Ablösung der These von der Deutschen Alleinschuld (“Warum Deutschland nicht allein Schuld ist”) — und zwar durchaus mit (bedenkenswerten) Argumenten, die nicht nur auf die Vergangenheit zielen, sondern gerade auch auf die möglichen Wirkungen im gegenwärtigen politischen Feld der europäischen Politik. In unserem Zusammenhang interessant ist dabei die oben beraits angedeutete Bewertung der These von deutscher Schuld als “linker Mythos”. Die sich anschließende Diskussion (“Kommentare”) erweist sich aber als noch interessanter. Wo die Historiker(innen) die Eignung des Ersten Weltkriegs und der Schuldfrage zur Bekämpfung von Nationalismus bezweifeln, nehmen viele Kommentatoren diese Ablehnung der Fischer-These zum Anlass, um in durchaus rein nationalem Denken wiederum die Schuld entweder direkt bei den damaligen Feinden der Deutschen zu verorten oder diese von jeglicher Schuld freizusprechen. Wie dort die Kategorien durcheinander gehen, etwa “Ursache”, “Anlass”, aber auch “Schuld” und “Verantwortung”, macht deutlich, dass der Optimismus der Historiker, mit der korrekten historischen Deutung solcherlei Nationalismen zu erschweren, reichlich unbegründet erscheint.
Noch interessanter wird es aber, wenn man gleichzeitig einen Artikel des englischen Bildungsministers Michael Gove in der englischen Daily Mail heranzieht — und den dazugehörigen Kommentar im Guardian von seinem “Schatten”-Kollegen Tristram Hunt). In ersterem (“Michael Gove blasts ‘Blackadder myths’ about the First World War spread by television sit-coms and left-wing academics”) kritisiert Grove unter anderen “linke” Geschichtsmythen, und zwar mit Hilfe einer — so Hunt — “bereinigten” Version der Thesen von Max Hastings, denen zufolge der Krieg ein “notwendiger Akt des Widerstandes gegen ein militaristisches, kriegstreiberisches und imperialistisches Deutschland” (wörtlich: “a necessary act of resistance against a militaristic Germany bent on warmongering and imperial aggression”) gewesen sei — mit einer Neuauflage von Fritz Fischers These der deutschen Kriegsschuld also. “In an article for the Daily Mail, Mr Gove says he has little time for the view of the Department for Culture and the Foreign Office that the commemorations should not lay fault at Germany’s door” ‑schreibt Mail Online. Ganz ähnlich und in der politischen Ausrichtung noch deutlicher auch Boris Johnson: “Germany started the Great War, but the Left can’t bear to say so” im “Telegraph”.
Beiderseits der Nordsee also eine Ablehnung “linker” Thesen — nur, dass einmal Thesen Fischers als solche gelten und sie einmal gegen solche in Anschlag gebracht werden. Grund genug also, gerade auch in diesem Falle nicht allein nach der “Wahrheit” zu fragen, sondern die Narrationen konkret zu prüfen — zu de-konstruieren, um in der Terminologie von FUER zu bleiben.
Natürlich sind die Kommentare auch in der Daily Mail und im Guardian ebenfalls interessant und einzubeziehen und natürlich wird noch vieles geschehen in der Debatte. Erst mit ihnen, mit Narration, Interpretation sowie Wertung und den jeweiligen vielfältigen Gegenpositionen aber wird ein Material daraus, welches es für historisches Lernen im kompetenzorientierten Sinne geeignet macht.
Eine kleine Anmerkung meinerseits sei aber noch gestattet:
Die Abwehr der Fischer-These als “links” und zu gefährlich idealistisch und die Befürwortung einer realistischeren Sicht auf die Ursachen des Ersten Weltkriegs auch als Basis für eine realistischere Politik in Europa mag ja richtig sein. Aber es darf nicht verkannt werden, dass gerade auch die Fischer-Kontroverse in einem historischen Zusammenhang steht — wie auch die deutsche Erinnerungspolitik zuvor. Dass die Fischer-These nicht zur Abwehr von Nationalismus tauge, ist also nur begrenzt richtig. In den 60er Jahren und angesichts der Fortsetzung der Entschuldigungspolitik der Zwischenkriegszeit (man Denke an “Die große Politik der europäischen Kabinette”) hatte die Herausarbeitung wenn nicht der “Alleinschuld”, so aber doch des deutlichen Kriegswillens durchaus ihre Berechtigung und Funktion — die Kommentare zum WELT-Artikel belegen das indirekt noch heute.
Und noch ein paar Anmerkungen — als Nachtrag:
Die Interventionen beider hier in aller Kürze vorgestellter Seiten gehen gegen “linke” Geschichtsbilder und führen gegen sei das Interesse an Wahrheit und Ehrlichkeit an. Das klingt zunächst einmal gut. Aber die Opposition von “Wahrheit” und “Ehrlichkeit” gegen “politische” Geschichtsbilder ist in sich selbst falsch — und zwar zunächst (!) unabhängig davon, welcher politischen Richtung die kritisierten Geschichtsbilder entstammen. Es würde schon enorm weiterhelfen, anerzuerkennen, dass jede Position, welche für sich politische Neutralität, unpolitische “Ehrlichkeit” und “Wahrheit” beansprucht, ihrerseits eminent politisch ist — und zwar nicht nur, weil die sie behauptenden Autoren jeweils selbst (hoffentlich) politische Menschen mit Überzeugungen, Positionen und Vorstellungen für gegenwart und Zukunft sind und ihre Vorstellungen von der Vergangenheit von ihnen mit geprägt werden, sondern auch weil die Vorstellung einer vorpolitischen Raums der Wahrheit und der verzerrenden Natur politischer Perspektiven irrig ist. Es wäre noch mehr gewonnen, wenn die Einsicht, welche für die Politikdidaktik in den 1960er Jahren Hermann Giesecke formuliert hat, dass die Natur der Demokratie die Uneinigkeit und die Auseinandersetzung ist und dass Kontroversen keineswegs ein zu vermeidendes Übel, sondern die Form sind, in welcher notwendigerweise unterschiedliche Interessen an, Blicke auf und verarbeitungsweisen von sozialer und politischer Realität sichtbar und ausgehandelt werden, wenn diese Einsicht nun endlich auch auf das Feld der Geschichte übertragen würde. Die Geschichtstheorie stellt das nötige Instrumentarium seit Langem bereit: Geschichte ist immer standortgebunden und somit perspektivisch, sie ist immer partiell und selektiv und sie ist immer gegenwärtig. Sie ist nämlich von der Vergangenheit zu unterscheiden. Während diese einmalig war und nur in einer Form existiert hat ist sie überkomplex und als solche nicht zu erkennen. Geschichte als die immer gegenwärtige, an einen (zeitlichen, sozialen, politischen, kulturellen, …) Standort gebundene und von diesem Standpunkt und seinen Prägungen aus geformte Erzählung über (!) Vergangenheit ist vielfältig und das zu recht. Damit ist einem Relativismus das Wort geredet, demzufolge jede Aussage über diese Vergangenheit, jede Geschichte gleich gut wäre, wohl aber der Einsicht, dass es nicht nur eine “richtige” Sicht gibt, sondern dass aufgrund ihres relationalen, Vergangenheit(en) udn gegenwarte(en) miteinander verbindenden Charakters mehrere “gültig” sein können. Und es folgt ebenso daraus, dass es noch mehr unwahre Geschichten gibt: nämlich solche, deren Relationen anerkannten Standards widersprechen.Das Resultat ist, dass in allen Gesellschaften, aber mehr noch in liberalen, pluralen und heterogenen eine ständige Auseinandersetzung über und um Geschichte Herrschen muss, bei dessen sinnvoller Ausgestaltung nicht die Überwältigung der jeweils anderen zu Anerkennung der eigenen Darstellung, Deutung und Schlussfolgerung das Ziel sein muss, sondern die Herstellung einer neuen Ebene von historischer Kulturalität, bei der die jeweiligen Geschichten so miteinander kompatibel (nicht aber identisch) gemacht werden, dass man miteinander reden, denken, Gegenwart gestalten und zukunft (aktiv) erwarten kann. Das wäre übrigens auch “Einheit in Vielfalt” und stünde etwa einem “Europäischen Geschichtsbewusstsein” gut an. Es wäre aber noch mehr — es bedeutete, das historische Denken selbst zu demokratisieren.
Garaus folgt zum einen, dass “Geschichtspolitik” nichts negatives ist — sofern der Begriff nicht ein die Geschichte zum vordergründigen Zweck missbrauchendes Handeln bezeichnet, sondern das Politikfeld, in dem solche sowie demokratische Formen des Ringens um historische Orientierung stattfinden. Eine Entgegensetzung von “Politik” und “Geschichte” ist unfruchtbar. Besser wäre es, anzuerkennen, dass demokratische Gesellschaften sich auch über die Geltungsansprüche öffentlicher Geschichtsaussagen, über ihre Verbindlichkeit (Geschichtspolitik) wie über die aus ihnen zu ziehenden Schlussfolgerungen im politischen Handeln (“Vergangenheitspolitik” in einem Sinne, der nicht nur auf die Verarbeitung von Diktaturerfahrungen beschränkt bleiben darf) immer neu auseinandersetzen müssen.Daraus folgte aber auch, dass die Klassifikation eines Geschichtsbildes als “links” oder “rechts” noch kein Argument sein dürfte, es zu disqualifizieren. Politische Geschichtsbilder sind normal und sie müssen als solche ernst genommen werden. Man muss sich mit ihnen auseinandersetzen, und sie in ihrer narrativen Erklärungs- und Orientierungskraft diskutieren — das meint die jüngst von Bodo von Borries eingeforderte “Narrationsprüfung” oder “De-Konstruktion”. Dass einige linke wie auch einige “rechte” Geschichtsbilder diese Prüfung kaum überstehen werden, dürfte klar sein — wobei ich selbst noch immer denke, dass viele explizit “rechte” Geschichtsbilder aufgrund in sie eingehender Normen und Vorstellungen problematischer sind als viele “linke”, wobei aber natürlich auch hier vieles problematisch ist.
Es wäre also viel gewonnen, den Verweis auf “links” (und “rechts”) nicht als Argument anzuführen, sondern vielmehr die Geschichtsdarstellungen aller Provenienz einer prüfung zu unterziehen, die wesentlich, aber nicht nur auf den Quellen, beruht, sondern auch die eingehenden Normen, Menschenbilder, Gesellschaftstheorien, aber auch die Erklärungsmuster undsomit die Implikationen für das heutige Zusammenleben in den Blick nimmt. Nichts anderes meinte übrigens Jörn Rüsen mit seinen schon zitierten drei “Triftigkeiten” bzw. neuerdings “vier Plausibilitäten”
Es ist aber noch etwas anderes anzumerken: Eine Schlussfolgerung hieraus lautet, dass die Mitglieder mindestens der modernen, pluralen und heterogenen Gesellschaften im Geschichtsunterricht und der politischen Bildung in die Lage versetzt werden müssen, eigenständig und verantwortlich an dieser gesellschaftlichen Auseinandersetzung um Geschichte teilzunehmen. Das meint “Kompetenzorientierung”. Sie dürfen nicht in einer Lage belassen oder gerade erst in sie versetzt werden, dass sie nur rezeptiv aufnehmen, was “die Fachleute” ihnen erzählen, und mit dem Verweis auf ihren Fachleute-Status legitimieren. Andererseits: die Vorstellung, dass jede® befähigt werden soll, sich seine eigene “Meinung” (oder besser: “Auffassung”) zu bilden, kann auch übertrieben oder diesbezüglich missverstanden werden. Es geht zwar schon darum, dass “Everyman his own historian” sein können muss — aber die Vorstellung einer Abschaffung der historsichen Zunft der Fachleute zugunsten einer völligen “Demokratisierung” der historischen Forschung wäre nicht nur überzogen idealistisch — sie wäre auch töricht. Es ist zwar das Ziel des kompetenzorientierten Geschichtsunterrichts, dass prinzipiell jedes Mitglied der modernen Gesellschaft über die grundlegenden Fähigkeiten des historischen Denkens selbst verfügt, also — etwa nach Jeismann — selbst Sachverhaltsfeststellungen (um den Begriff einmal abzuwandeln) treffen, Sach- und Werturteile historischer Art fällen kann — aber es kann und soll nicht gemeint sein, dass jeder in jedem Falle zum Experten werden soll und muss. Aber dann gehört es zur historischen Bildung und Kompetenz, Aussagen von Historikern wie von Akteuren der öffentlichen historischen Debatten nicht nur verstehen und sich zwischen ihnen entscheiden zu können, sondern sie in dem Sinne kritisch zu rezipieren, dass sie kritisch befragt (“hinterfragt” heißt das modern) und bedacht werden können — und zwar nicht nur auf ihre Quellen hin (“Prüfung der empirischen Triftigkeit”), sondern auch auf die Prämissen, Normen, Modelle — und auf die Implikationen für die Gesellschaft und jeden einzelnen in Gegenwart und Zukunft. Das aber umfasst auch, den Status solcher Aussagen als Teile einer (nicht zwingend partei‑, aber doch) politischen Auseinandersetzung um zeitliche Orientierung zu erkennen und zu akzeptieren. Einzelne Positionen als “ehrlich”, weil unpolitisch und andere als falsch WEIL politisch zu klassifizieren, hilft dabei nicht.
Historisches Lernen gerade auch im Geschichtsunterricht sollte somit nicht gedacht werden als die Bevorratung der Lernenden mit einer bestimmten Orientierung, sondern vornehmlich um die Befähigung der Lernenden zur Selbstorientierung und zur Teilhabe an der gesellschaftlichen Orientierung.
Gestern (2.1.2014) bzw. heute (3.1.2014) finden sich sich in der Hamburger Presse zwei Meldungen über erinnerungspolitische Intitativen und beginnende Kontroversen darum:
Die taz nord berichtet gestern unter der Überschrift “Der Geist der Kaiserzeit” über eine erneute Initiative des Leiters des Altonaer Stadtteilarchivs, ein 1970 zugeschüttetes Mosaik mit Kornblumen unter dem Kaiser-Wilhelm-Denkmal vor dem Altonaer Rathaus wieder freilegen und restaurieren zu lassen. In dem Bericht wird hervorgehoben, dass diese Blumen die Lieblingsblumen des Kaisers gewesen seien, und dass diese Blume — aus der Tradition der “blauen Blume ” der deutschen Romantik kommend — später gar Kennzeichen einer (allerdings nicht mit Hamburg verbundenen) SS-Division wurde.
Noch liegen mir zu beiden Fällen keine konkreten weiteren Informationen vor. Beide Fälle sind aber durchaus geeignet, im Rahmen einer Didaktik der Erinnerungskultur und ‑politik thematisiert zu werden. In der Doppelung von Wiederherstellung / Vernichtung werfen diese Fälle nämlich gerade in ihrer Kombination interessante Fragen und Thesen auf:
Die Wiederherstellung oder auch nur Pflege eines Denkmals wirft die berechtigte Frage danach auf, ob damit der “Geist” und die Deutung der ursprünglichen Denkmalsetzer erneut bekräftigt werden soll oder auch nur die Gefahr besteht, dass es so verstanden wird und wirkt.
Kann/soll/muss demnach in der Demokratie und unter Bedingungen sich gewandelten und sich weiter (hoffentlich in zustimmungsfähiger Richtung) wandelnden politischen und moralischen Werten der Denkmalsbestand ständig kritisch durchforstet und überarbeitet werden?
Ist dafür das Verstecken und/oder die Vernichtung solch unliebsamer, unbequemer Denkmäler geeignet — oder bzw. inwieweit ist sie Ausdruck einer Erinnerungskultur und ‑politik, die mehr das Unliebsame verdrängt statt durcharbeitet?
Inwiefern bedeutet dieses Vernichten und Verdrängen somit auch ein Unterdrücken unliebsamer Anfragen an die Traditionen des eigenen Denkens und Handelns?
Welche Alternative gibt es zu den beiden Polen “Renovieren” und “Vernichten”?
Wie kann eine Erinnerungskultur aussehen, welche weder in der einfachen Bekräftigung vergangener, überkommender oder gar überholter und eigentlich überwundener politischer Aussagen noch in ihrer einfachen Verdrängung noch zum Mittel der damnatio memoriae greift?
Sind Gegendenkmale, wie sie zumindest für viele Kriegerdenkmäler ja inzwischen durchaus nicht selten sind, dafür geeignet?
Gibt es weitere Formen, welche weniger in der Überprägung eines bestehenden Denkmals mit einer neuen Aussage bestehen als in der Förderung einer reflexiven und kontroversen Diskussion?
Bei alledem sollte jedoch klar sein, dass die Vernichtung solche reflexiven Formen erinnerungspolitischer Aktivitäten und zugehöriger Lernformen verhindern würde. Sie scheiden somit aus meiner Sicht aus. Insofern ist den Protesten gegen etwaige solche Pläne zuzustimmen.
Auch die einfache Wiederherstellung des Altonaer Mosaiks würde aber wohl ebenso mehr Probleme aufwerfen. Ihre Verhinderung löst das Problems ebenfalls nicht. Hier wären also andere Lösungen zu suchen.
Vom 20. bis 24. September 2012 fand in Hamburg die vom Arbeitsbereich Geschichtsdidaktik der Universität Hamburg gemeinsame mit dem Studienzentrum der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und der Missionsakademie an der Universität Hamburg veranstaltete internationale Konferenz “Structures and Processes of Commemorating Cruelties in Academe and History Teaching: The commemoration of the Transatlantic Slave Trade and of the National Socialist Crimes in Comparison” statt.
Die Konferenz hatte zum Ziel, Strukturen und Formen des öffentlichen Erinnerns in Deutschland an die nationalsozialistischen Verbrechen in Deutschland und Europa und diejenigen der öffentlichen Präsentation der Geschichte des Transatlantischen Sklavenhandels (wie auch der einheimischen Sklaverei) in Ghana sowie die gegenwärtige Rolle dieser Themen in schulischem und universitärem Geschichtslernen zu vergleichen und auf die didaktischen Potentiale gerade auch des Vergleichs hin auszuloten. Dabei wurde auch die Bedeutung von Religion und religiösem Denken sowohl für die Sklaverei, den Sklavenhandel und ihre Überwindung als auch für historisches Denken und Erinnern sowie Lernen an diesem Gegenstand thematisiert.
Die Thematik der Tagung entsprach einer gemeinsamen Idee von Prof. Dr. Kofi Darkwah von der University od Education in Winneba/Ghana und Prof. Dr. Andreas Körber. Sie wurde in enger Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen mehrerer Universitäten in Ghana von Jan Breitenstein, Doktorand der Geschichtsdidaktik an der Universität Hamburg, vorbereitet und organisiert.
Referenten der Tagung waren:
Dr. Kofi Baku (University of Ghana, Legon; Head of History Department): “Memory and Memorialising Slavery and Slave Trade in Ghana: Whose memory, Which memorials and for What Purpose?”
Prof. Dr. Andreas Körber (Hamburg University): “Historical Remembering and Learning at Memorials in Germany” and a Campus-Tour on “Decentralized Remembering of the Crimes of National Socialism”
Prof. Dr. Werner Kahl (Academy of Mission, Hamburg): “Theology after Auschwitz: Where is god? — Experiences and reflections of African migrant pastors in Neuengamme.”
Ulrike Jensen and Marco Kühnert (Neuengamme Concentration Camp Memorial): Guided Tour
Dr. Oliver von Wrochem (Neuengamme Concentration Camp Memorial Strudy centre): “Neuengamme as a Memorial and Place for Historical Learning”
Nicholas Ivor (Head of the Ghana Museums and Monuments Boards (GMMB) for the Central and Western Regions): “Cape Coast Castle as a Memorial and Place for Historical Learning”
HMJokinen (Hamburg): “Wandsbek World White Revisited” (commemorative performance)
Prof. Dr. Klaus Weber (Europa-Universität Viadrina, Frankfurt/Oder): “There were many Schimmelmanns: Hamburg’s and Central Europe’s Links with the Atlantic Slave Trade and Plantation Economies, 16th to the 19th Centuries”
Jan Breitenstein (Hamburg University): “Performative Commemorating and FluidRemembering of the Transatlantic Slave Trade: Impulse or Framework for (process-oriented) Historical Learning?”
Dr. Yaw Ofusu-Kusi (University of Education, Winneba/Ghana): “Violations of Childhood through Enslavement of Children in West Africa: Past, Present and the Future.”
Prof. Dr. (em.) Bodo von Borries (Universität Hamburg): „Transatlantic Slave Trade“ and „German/ European Holocaust“ as Master Narratives – Education in between Commemoration of Genocides and Necessity of Human Rights.”
Joke van der Leeuw-Roord (Euroclio, The Hague): “Changing Historical Learning in Schools and its implications for Teaching about Slavery and National Socialism”
Emmanuel Koomson (African Christian Mission A.C.M. Junior High School, Winneba/Ghana): “Slave Trade and its Commemoration as a Topic for Historical Learning in Ghana.”
Hildegard Wacker (Gymnasium Corveystraße, Hamburg and Hamburg University): “National Socialism and its Commemoration as a Topic for Historical Learning in Germany.”
In der Online Zeitschrift “Deutschland Archiv Online”, die von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegeben wird, ist jüngst ein Beitrag von Dr. Johannes Meyer-Hamme zur Erinnerung an die DDR-Deschichte und die Erinnerungspolitik sowie didaktische Überlegungen dazu aus dem Blickwinkel der Bildungsgangdidaktik erschienen:
Geschichts- und Erinnerungspolitik sind nichts Anrüchiges — zumindest nicht, wenn die Begriffe die Tatsache bezeichnen, dass in Gesellschaften immer und notwendig um historische Deutungen und ihre Relevanz im öffentlichen Gedenken gerungen wird, um ihre Einheitlichkeit und Verbindlichkeit bzw. ihre Offenheit und Pluralität (Multiperspektivität, Kontroversität) wie die diesen Orientierungs- und Verständigungsprozessen zu Grunde liegenden Strukturen, die dabei genutzten Verfahren, Instrumente usw.
Diese Einsicht in die Legitimität und Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung um Vergangenheit und ihre (Be-)Deutung(en) ist das eine. Sie darf aber nicht dazu verführen, das, was auf diesem Politikfeld (Geschichtspolitik als polity) geschieht, immer nur distanziert zu betrachten — im Gegenteil: gerade die Einsicht in diese Notwendigkeit und Legitimität ruft dazu auf, sich aktiv an dieser Auseinandersetzung zu beteiligen mit eigenen Geschichtspolitiken (policies), und andere zu kritisieren und (natürlich im Rahmen der pluralen Orientierung) zu bekämpfen.
Dass um Geschichte gerungen und gestritten wird, ist also ein gutes Zeichen. Einzelne (oder auch viele) dabei vertretenen Deutungen und Interpretationen sind oftmals hoch problematisch — und zwar nicht nur in dem Sinne, dass sie “falsche” Darstellungen der eigentlich richtig erkennbaren Vergangenheit wären, sondern gerade weil ihnen politische Interessen ebenso zu Grunde liegen wie Erkenntnismöglichkeiten und perspektiven. Geschichtspolitik ist so dasjenige Feld, in dem historische Denutungen sowohl in ihrer Bindung an die Möglichkeiten der Erkenntnis, an die normativen Qualitätskriterien historischer Re-Konstruktion und Interpretation und an die heterogenen sozialen, kulturellen, politischen und weitere Perspektiven und Interessenlagen thematisch werden. Sie können und müssen selbst zum Gegenstand von Untersuchung und Analyse (“De-Konstruktion”) werden — wie zum gegenstand politischer Auseinandersetzung. Dass die Geschichtspolitik wie die Disziplin der Zeitgeschichte geprägt wird von der unauflösbaren Verbindung von geforderter wissenschaftlicher Distanz der Analyse einer- und der je eigenen politischen Perspektive andererseits, muss immer mit bedacht werden, sollte aber kein Grund sein, dieses Feld nur Experten zu überlassen. — im Gegenteil: Geschichtsunterricht muss diese Komplexe explizit einbeziehen, will er Lernende dazu befähigen, an der heitigen Gesellschaft aktiv und passiv teilzuhaben.
In diesem Sinne ist die aktuelle Kontroverse um “Flucht und Vertreibung”, um das geplante Denkmal und Zentrum für/gegen Vertreibungen und ganz aktuell um den aktuellen Beschluss des Deutschen Bundestages, den 5. August als “Vertriebenen-Gedenktag” einzurichten, zu begrüßen — macht sie doch die verschiedenen Sichtweisen und Interessen an der Geschichte in unserer Gesellschaft erst sichtbar (wie übrigens all die gleichzeitig und versetzt ablaufenden Debatten und Kontroversen um die Erinnerung an die Bombenangriffe auf Dresden, usw.).
Aus didaktischer Perspektive ist diese Debatte also zu begrüßen und zu thematisieren. Unbeschadet davon ist es natürlich notwendig, in dieser Frage selbst Stellung zu beziehen. In diesem Sinne haben gemäß heutigen Presseberichten eine Reihe namhafter deutscher Historiker zusammen mit einigen Kolleginnen und Kollegen aus anderen Ländern den Bundestagsbeschluss kritisiert. Dieser Kritik ist m.E. in vollem Umfange zuzustimmen. Dem anzuerkennenden Bedürfnis von Vertriebenen und Angehörigen nach Gedenken und Erinnerungen kann und muss auf andere Art und Weise Rechnung getragen werden als mit einer Symbolik, die einer Gleichsetzung von “Flucht und Vertreibung” mit dem Holocaust gleichkommt.