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Es war ja zu erwar­ten, dass im Vor­feld des hun­dert­jäh­ri­gen Geden­kens des Beginns des Ers­ten Welt­krie­ges die Debat­ten um die Ursa­chen und ins­be­son­de­re um die “Schuld” an die­sem Krieg eine erneu­te Kon­junk­tur erle­ben wür­den. Nicht nur die gro­ße neue Unter­su­chung von Chris­to­pher Clark, wel­che die ins­be­son­de­re von Fritz Fischer ver­tre­te­ne The­se vom deut­schen Kriegs­wil­len und ins­be­son­de­re von der vor­nehm­lich deut­schen Ver­ant­wor­tung erneut in Fra­ge stellt, hat dazu deut­lich beigetragen.

Was aber ist dar­aus zu ler­nen? Geht es dar­um, die — wenn man den Kom­men­ta­to­ren folgt — vor­nehm­lich in libe­ra­len und “lin­ken” Krei­sen popu­lä­re The­se der deut­schen “Allein­schuld” in den Köp­fen der Men­schen aus­zu­tau­schen gegen die neue, Clark’sche Vari­an­te einer mehr­sei­tig ver­teil­ten Ver­ur­sa­chung? Das wäre his­to­ri­sches Ler­nen im Sin­ne einer recht kru­den Kon­zep­ti­on von “Abbild­di­dak­tik”, der zufol­ge die jeweils aktu­el­len Erkennt­nis­se der His­to­ri­ker als bes­te Annä­he­run­gen an die “his­to­ri­sche Wahr­heit” zu “ver­mit­teln”, nein, zu “über­mit­teln” sei­en. Und es wäre doch all­zu wenig — nicht nur, weil es letzt­lich an der rezep­ti­ven Abhän­gig­keit der so Belehr­ten von den For­schun­gen der Fach­leu­te (und den publi­zis­ti­schen Macht­ver­hält­nis­sen unter ihnen) nicht ändert, son­dern auch, weil damit der letzt­lich unpro­duk­ti­ven Vor­stel­lung einer his­to­ri­schen “Wahr­heit” Vor­schub geleis­tet wür­de, die in Form einer Annä­he­rung an die ver­gan­ge­ne Wirk­lich­keit her­kommt, und nicht der weit­aus anschluss- und ori­en­tie­rungs­fä­hi­ge­ren Kon­zep­ti­on, der­zu­fol­ge es um die Qua­li­tät als rela­tio­na­ler Kon­zep­te zwi­schen Gegen­wart und Ver­gan­gen­heit gedach­ter his­to­ri­scher Aus­sa­gen geht, die sich in ihrer Zustim­mungs­fä­hig­keit (“Trif­tig­keit” oder “Plau­si­bi­li­tät” in drei oder vier Dimen­sio­nen; vgl. Rüsen 1994; Rüsen 2013) bemisst. Anders gesagt: Wer über und an historische(n) Deu­tun­gen ler­nen will, muss die jeweils spe­zi­fi­schen Ori­en­tie­rungs­be­dürf­nis­se, die Norm­vor­stel­lun­gen, die Impli­ka­tio­nen der ein­zel­nen Inter­pre­ta­tio­nen usw. mitdenken.

In die­sem Zusam­men­hang sind — wie so oft — publi­zis­ti­sche Inter­ven­tio­nen von His­to­ri­kern und ande­ren öffent­li­chen “Ver­mitt­lern” mit­samt den öffent­li­chen Reak­tio­nen inter­es­sant, wie sie etwa in den Debat­ten unter Online-Zei­tungs­ar­ti­keln zuhauf zu fin­den sind. Weit davon ent­fernt zu glau­ben, dass die­se “die öffentliche(n) Meinung(en)” bzw. deren Ver­tei­lung relia­bel abbil­de­ten oder auch nur die wah­re Mei­nung der jewei­li­gen (oft­mals anony­men) Autoren, hal­te ich die­se Debat­ten doch für sehr geeig­net, his­to­ri­sches Den­ken zu ler­nen, weil sie zum Teil pro­to­ty­pisch über­höht und zuge­spitzt Deu­tun­gen und Schluss­fol­ge­run­gen, Sach­ver­halts­auss­gaen, Sach- und Wert­ur­tei­le prä­sen­tie­ren, die als “sag­bar” gel­ten. Es geht also in gewis­ser Form um Dis­kurs­ana­ly­sen in rudi­men­tä­rer Form, um aus ihnen mög­li­che und unmög­li­che, zustim­mungs­fä­hi­ge und pro­ble­ma­ti­sche For­men his­to­ri­scher Sinn­bil­dung samt ihrer Gel­tungs­an­sprü­che und ent­spre­chen­der Appel­le an die Leser erschließ­bar zu machen, ohne dass am Ende eine gemein­sa­me Sicht, eine von allen geteil­te Bewer­tung ste­hen muss — hof­fent­lich aber doch eini­ges an bes­se­rem Ver­ständ­nis über die Be-Deutung(en) der jewei­li­gen Geschichten.

Die For­men, wel­che die Debat­te gegen­wär­tig anzu­neh­men beginnt, sind da schon sehr aufschlussreich.

In der WELT for­dern heu­te vier nam­haf­te deut­sche Historiker(innen), näm­lich Domi­nik Geppert, Sön­ke Neit­zel, Cora Ste­phan und Tho­mas Weber, die Ablö­sung der The­se von der Deut­schen Allein­schuld (“War­um Deutsch­land nicht allein Schuld ist”) — und zwar durch­aus mit (beden­kens­wer­ten) Argu­men­ten, die nicht nur auf die Ver­gan­gen­heit zie­len, son­dern gera­de auch auf die mög­li­chen Wir­kun­gen im gegen­wär­ti­gen poli­ti­schen Feld der euro­päi­schen Poli­tik. In unse­rem Zusam­men­hang inter­es­sant ist dabei die oben beraits ange­deu­te­te Bewer­tung der The­se von deut­scher Schuld als “lin­ker Mythos”. Die sich anschlie­ßen­de Dis­kus­si­on (“Kom­men­ta­re”) erweist sich aber als noch inter­es­san­ter. Wo die Historiker(innen) die Eig­nung des Ers­ten Welt­kriegs und der Schuld­fra­ge zur Bekämp­fung von Natio­na­lis­mus bezwei­feln, neh­men vie­le Kom­men­ta­to­ren die­se Ableh­nung der Fischer-The­se zum Anlass, um in durch­aus rein natio­na­lem Den­ken wie­der­um die Schuld ent­we­der direkt bei den dama­li­gen Fein­den der Deut­schen zu ver­or­ten oder die­se von jeg­li­cher Schuld frei­zu­spre­chen. Wie dort die Kate­go­rien durch­ein­an­der gehen, etwa “Ursa­che”, “Anlass”, aber auch “Schuld” und “Ver­ant­wor­tung”, macht deut­lich, dass der Opti­mis­mus der His­to­ri­ker, mit der kor­rek­ten his­to­ri­schen Deu­tung sol­cher­lei Natio­na­lis­men zu erschwe­ren, reich­lich unbe­grün­det erscheint.

Noch inter­es­san­ter wird es aber, wenn man gleich­zei­tig einen Arti­kel des eng­li­schen Bil­dungs­mi­nis­ters Micha­el Gove in der eng­li­schen Dai­ly Mail her­an­zieht — und den dazu­ge­hö­ri­gen Kom­men­tar im Guar­di­an von sei­nem “Schatten”-Kollegen Tri­st­ram Hunt). In ers­te­rem (“Micha­el Gove blasts ‘Black­ad­der myths’ about the First World War spread by tele­vi­si­on sit-coms and left-wing aca­de­mics”) kri­ti­siert Gro­ve unter ande­ren “lin­ke” Geschichts­my­then, und zwar mit Hil­fe einer — so Hunt — “berei­nig­ten” Ver­si­on der The­sen von Max Has­tings, denen zufol­ge der Krieg ein “not­wen­di­ger Akt des Wider­stan­des gegen ein mili­ta­ris­ti­sches, kriegs­trei­be­ri­sches und impe­ria­lis­ti­sches Deutsch­land” (wört­lich: “a neces­sa­ry act of resis­tance against a mili­ta­ristic Ger­ma­ny bent on war­mon­ge­ring and impe­ri­al aggres­si­on”) gewe­sen sei — mit einer Neu­auf­la­ge von Fritz Fischers The­se der deut­schen Kriegs­schuld also. “In an artic­le for the Dai­ly Mail, Mr Gove says he has litt­le time for the view of the Depart­ment for Cul­tu­re and the For­eign Office that the com­me­mo­ra­ti­ons should not lay fault at Germany’s door” ‑schreibt Mail Online. Ganz ähn­lich und in der poli­ti­schen Aus­rich­tung noch deut­li­cher auch Boris John­son: “Ger­ma­ny star­ted the Gre­at War, but the Left can’t bear to say so” im “Tele­graph”.

Bei­der­seits der Nord­see also eine Ableh­nung “lin­ker” The­sen — nur, dass ein­mal The­sen Fischers als sol­che gel­ten und sie ein­mal gegen sol­che in Anschlag gebracht wer­den. Grund genug also, gera­de auch in die­sem Fal­le nicht allein nach der “Wahr­heit” zu fra­gen, son­dern die Nar­ra­tio­nen kon­kret zu prü­fen — zu de-kon­stru­ie­ren, um in der Ter­mi­no­lo­gie von FUER zu bleiben.

Natür­lich sind die Kom­men­ta­re auch in der Dai­ly Mail und im Guar­di­an eben­falls inter­es­sant und ein­zu­be­zie­hen und natür­lich wird noch vie­les gesche­hen in der Debat­te. Erst mit ihnen, mit Nar­ra­ti­on, Inter­pre­ta­ti­on sowie Wer­tung und den jewei­li­gen viel­fäl­ti­gen Gegen­po­si­tio­nen aber wird ein Mate­ri­al dar­aus, wel­ches es für his­to­ri­sches Ler­nen im kom­pe­tenz­ori­en­tier­ten Sin­ne geeig­net macht.

Eine klei­ne Anmer­kung mei­ner­seits sei aber noch gestattet:
Die Abwehr der Fischer-The­se als “links” und zu gefähr­lich idea­lis­tisch und die Befür­wor­tung einer rea­lis­ti­sche­ren Sicht auf die Ursa­chen des Ers­ten Welt­kriegs auch als Basis für eine rea­lis­ti­sche­re Poli­tik in Euro­pa mag ja rich­tig sein. Aber es darf nicht ver­kannt wer­den, dass gera­de auch die Fischer-Kon­tro­ver­se in einem his­to­ri­schen Zusam­men­hang steht — wie auch die deut­sche Erin­ne­rungs­po­li­tik zuvor. Dass die Fischer-The­se nicht zur Abwehr von Natio­na­lis­mus tau­ge, ist also nur begrenzt rich­tig. In den 60er Jah­ren und ange­sichts der Fort­set­zung der Ent­schul­di­gungs­po­li­tik der Zwi­schen­kriegs­zeit (man Den­ke an “Die gro­ße Poli­tik der euro­päi­schen Kabi­net­te”) hat­te die Her­aus­ar­bei­tung wenn nicht der “Allein­schuld”, so aber doch des deut­li­chen Kriegs­wil­lens durch­aus ihre Berech­ti­gung und Funk­ti­on — die Kom­men­ta­re zum WELT-Arti­kel bele­gen das indi­rekt noch heute.

Und noch ein paar Anmer­kun­gen — als Nachtrag:

  • Die Inter­ven­tio­nen bei­der hier in aller Kür­ze vor­ge­stell­ter Sei­ten gehen gegen “lin­ke” Geschichts­bil­der und füh­ren gegen sei das Inter­es­se an Wahr­heit und Ehr­lich­keit an. Das klingt zunächst ein­mal gut. Aber die Oppo­si­ti­on von “Wahr­heit” und “Ehr­lich­keit” gegen “poli­ti­sche” Geschichts­bil­der ist in sich selbst falsch — und zwar zunächst (!) unab­hän­gig davon, wel­cher poli­ti­schen Rich­tung die kri­ti­sier­ten Geschichts­bil­der ent­stam­men. Es wür­de schon enorm wei­ter­hel­fen, aner­zu­er­ken­nen, dass jede Posi­ti­on, wel­che für sich poli­ti­sche Neu­tra­li­tät, unpo­li­ti­sche “Ehr­lich­keit” und “Wahr­heit” bean­sprucht, ihrer­seits emi­nent poli­tisch ist — und zwar nicht nur, weil die sie behaup­ten­den Autoren jeweils selbst (hof­fent­lich) poli­ti­sche Men­schen mit Über­zeu­gun­gen, Posi­tio­nen und Vor­stel­lun­gen für gegen­wart und Zukunft sind und ihre Vor­stel­lun­gen von der Ver­gan­gen­heit von ihnen mit geprägt wer­den, son­dern auch weil die Vor­stel­lung einer vor­po­li­ti­schen Raums der Wahr­heit und der ver­zer­ren­den Natur poli­ti­scher Per­spek­ti­ven irrig ist. Es wäre noch mehr gewon­nen, wenn die Ein­sicht, wel­che für die Poli­tik­di­dak­tik in den 1960er Jah­ren Her­mann Gies­ecke for­mu­liert hat, dass die Natur der Demo­kra­tie die Unei­nig­keit und die Aus­ein­an­der­set­zung ist und dass Kon­tro­ver­sen kei­nes­wegs ein zu ver­mei­den­des Übel, son­dern die Form sind, in wel­cher not­wen­di­ger­wei­se unter­schied­li­che Inter­es­sen an, Bli­cke auf und ver­ar­bei­tungs­wei­sen von sozia­ler und poli­ti­scher Rea­li­tät sicht­bar und aus­ge­han­delt wer­den, wenn die­se Ein­sicht nun end­lich auch auf das Feld der Geschich­te über­tra­gen wür­de. Die Geschichts­theo­rie stellt das nöti­ge Instru­men­ta­ri­um seit Lan­gem bereit: Geschich­te ist immer stand­ort­ge­bun­den und somit per­spek­ti­visch, sie ist immer par­ti­ell und selek­tiv und sie ist immer gegen­wär­tig. Sie ist näm­lich von der Ver­gan­gen­heit zu unter­schei­den. Wäh­rend die­se ein­ma­lig war und nur in einer Form exis­tiert hat ist sie über­kom­plex und als sol­che nicht zu erken­nen. Geschich­te als die immer gegen­wär­ti­ge, an einen (zeit­li­chen, sozia­len, poli­ti­schen, kul­tu­rel­len, …) Stand­ort gebun­de­ne und von die­sem Stand­punkt und sei­nen Prä­gun­gen aus geform­te Erzäh­lung über (!) Ver­gan­gen­heit ist viel­fäl­tig und das zu recht. Damit ist einem Rela­ti­vis­mus das Wort gere­det, dem­zu­fol­ge jede Aus­sa­ge über die­se Ver­gan­gen­heit, jede Geschich­te gleich gut wäre, wohl aber der Ein­sicht, dass es nicht nur eine “rich­ti­ge” Sicht gibt, son­dern dass auf­grund ihres rela­tio­na­len, Vergangenheit(en) udn gegenwarte(en) mit­ein­an­der ver­bin­den­den Cha­rak­ters meh­re­re “gül­tig” sein kön­nen. Und es folgt eben­so dar­aus, dass es noch mehr unwah­re Geschich­ten gibt: näm­lich sol­che, deren Rela­tio­nen aner­kann­ten Stan­dards widersprechen.Das Resul­tat ist, dass in allen Gesell­schaf­ten, aber mehr noch in libe­ra­len, plu­ra­len und hete­ro­ge­nen eine stän­di­ge Aus­ein­an­der­set­zung über und um Geschich­te Herr­schen muss, bei des­sen sinn­vol­ler Aus­ge­stal­tung nicht die Über­wäl­ti­gung der jeweils ande­ren zu Aner­ken­nung der eige­nen Dar­stel­lung, Deu­tung und Schluss­fol­ge­rung das Ziel sein muss, son­dern die Her­stel­lung einer neu­en Ebe­ne von his­to­ri­scher Kul­tu­ra­li­tät, bei der die jewei­li­gen Geschich­ten so mit­ein­an­der kom­pa­ti­bel (nicht aber iden­tisch) gemacht wer­den, dass man mit­ein­an­der reden, den­ken, Gegen­wart gestal­ten und zukunft (aktiv) erwar­ten kann. Das wäre übri­gens auch “Ein­heit in Viel­falt” und stün­de etwa einem “Euro­päi­schen Geschichts­be­wusst­sein” gut an. Es wäre aber noch mehr — es bedeu­te­te, das his­to­ri­sche Den­ken selbst zu demokratisieren.
    Gar­aus folgt zum einen, dass “Geschichts­po­li­tik” nichts nega­ti­ves ist — sofern der Begriff nicht ein die Geschich­te zum vor­der­grün­di­gen Zweck miss­brau­chen­des Han­deln bezeich­net, son­dern das Poli­tik­feld, in dem sol­che sowie demo­kra­ti­sche For­men des Rin­gens um his­to­ri­sche Ori­en­tie­rung statt­fin­den. Eine Ent­ge­gen­set­zung von “Poli­tik” und “Geschich­te” ist unfrucht­bar. Bes­ser wäre es, anzu­er­ken­nen, dass demo­kra­ti­sche Gesell­schaf­ten sich auch über die Gel­tungs­an­sprü­che öffent­li­cher Geschichts­aus­sa­gen, über ihre Ver­bind­lich­keit (Geschichts­po­li­tik) wie über die aus ihnen zu zie­hen­den Schluss­fol­ge­run­gen im poli­ti­schen Han­deln (“Ver­gan­gen­heits­po­li­tik” in einem Sin­ne, der nicht nur auf die Ver­ar­bei­tung von Dik­ta­tur­er­fah­run­gen beschränkt blei­ben darf) immer neu aus­ein­an­der­set­zen müssen.Daraus folg­te aber auch, dass die Klas­si­fi­ka­ti­on eines Geschichts­bil­des als “links” oder “rechts” noch kein Argu­ment sein dürf­te, es zu dis­qua­li­fi­zie­ren. Poli­ti­sche Geschichts­bil­der sind nor­mal und sie müs­sen als sol­che ernst genom­men wer­den. Man muss sich mit ihnen aus­ein­an­der­set­zen, und sie in ihrer nar­ra­ti­ven Erklä­rungs- und Ori­en­tie­rungs­kraft dis­ku­tie­ren — das meint die jüngst von Bodo von Bor­ries ein­ge­for­der­te “Nar­ra­ti­ons­prü­fung” oder “De-Kon­struk­ti­on”. Dass eini­ge lin­ke wie auch eini­ge “rech­te” Geschichts­bil­der die­se Prü­fung kaum über­ste­hen wer­den, dürf­te klar sein — wobei ich selbst noch immer den­ke, dass vie­le expli­zit “rech­te” Geschichts­bil­der auf­grund in sie ein­ge­hen­der Nor­men und Vor­stel­lun­gen pro­ble­ma­ti­scher sind als vie­le “lin­ke”, wobei aber natür­lich auch hier vie­les pro­ble­ma­tisch ist.
    Es wäre also viel gewon­nen, den Ver­weis auf “links” (und “rechts”) nicht als Argu­ment anzu­füh­ren, son­dern viel­mehr die Geschichts­dar­stel­lun­gen aller Pro­ve­ni­enz einer prü­fung zu unter­zie­hen, die wesent­lich, aber nicht nur auf den Quel­len, beruht, son­dern auch die ein­ge­hen­den Nor­men, Men­schen­bil­der, Gesell­schafts­theo­rien, aber auch die Erklä­rungs­mus­ter und­so­mit die Impli­ka­tio­nen für das heu­ti­ge Zusam­men­le­ben in den Blick nimmt. Nichts ande­res mein­te übri­gens Jörn Rüsen mit sei­nen schon zitier­ten drei “Trif­tig­kei­ten” bzw. neu­er­dings “vier Plausibilitäten”
  • Es ist aber noch etwas ande­res anzu­mer­ken: Eine Schluss­fol­ge­rung hier­aus lau­tet, dass die Mit­glie­der min­des­tens der moder­nen, plu­ra­len und hete­ro­ge­nen Gesell­schaf­ten im Geschichts­un­ter­richt und der poli­ti­schen Bil­dung in die Lage ver­setzt wer­den müs­sen, eigen­stän­dig und ver­ant­wort­lich an die­ser gesell­schaft­li­chen Aus­ein­an­der­set­zung um Geschich­te teil­zu­neh­men. Das meint “Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung”. Sie dür­fen nicht in einer Lage belas­sen oder gera­de erst in sie ver­setzt wer­den, dass sie nur rezep­tiv auf­neh­men, was “die Fach­leu­te” ihnen erzäh­len, und mit dem Ver­weis auf ihren Fach­leu­te-Sta­tus legi­ti­mie­ren. Ande­rer­seits: die Vor­stel­lung, dass jede® befä­higt wer­den soll, sich sei­ne eige­ne “Mei­nung” (oder bes­ser: “Auf­fas­sung”) zu bil­den, kann auch über­trie­ben oder dies­be­züg­lich miss­ver­stan­den wer­den. Es geht zwar schon dar­um, dass “Ever­y­man his own his­to­ri­an” sein kön­nen muss — aber die Vor­stel­lung einer Abschaf­fung der his­tor­si­chen Zunft der Fach­leu­te zuguns­ten einer völ­li­gen “Demo­kra­ti­sie­rung” der his­to­ri­schen For­schung wäre nicht nur über­zo­gen idea­lis­tisch — sie wäre auch töricht. Es ist zwar das Ziel des kom­pe­tenz­ori­en­tier­ten Geschichts­un­ter­richts, dass prin­zi­pi­ell jedes Mit­glied der moder­nen Gesell­schaft über die grund­le­gen­den Fähig­kei­ten des his­to­ri­schen Den­kens selbst ver­fügt, also — etwa nach Jeis­mann — selbst Sach­ver­halts­fest­stel­lun­gen (um den Begriff ein­mal abzu­wan­deln) tref­fen, Sach- und Wert­ur­tei­le his­to­ri­scher Art fäl­len kann — aber es kann und soll nicht gemeint sein, dass jeder in jedem Fal­le zum Exper­ten wer­den soll und muss. Aber dann gehört es zur his­to­ri­schen Bil­dung und Kom­pe­tenz, Aus­sa­gen von His­to­ri­kern wie von Akteu­ren der öffent­li­chen his­to­ri­schen Debat­ten nicht nur ver­ste­hen und sich zwi­schen ihnen ent­schei­den zu kön­nen, son­dern sie in dem Sin­ne kri­tisch zu rezi­pie­ren, dass sie kri­tisch befragt (“hin­ter­fragt” heißt das modern) und bedacht wer­den kön­nen — und zwar nicht nur auf ihre Quel­len hin (“Prü­fung der empi­ri­schen Trif­tig­keit”), son­dern auch auf die Prä­mis­sen, Nor­men, Model­le — und auf die Impli­ka­tio­nen für die Gesell­schaft und jeden ein­zel­nen in Gegen­wart und Zukunft. Das aber umfasst auch, den Sta­tus sol­cher Aus­sa­gen als Tei­le einer (nicht zwin­gend partei‑, aber doch) poli­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zung um zeit­li­che Ori­en­tie­rung zu erken­nen und zu akzep­tie­ren. Ein­zel­ne Posi­tio­nen als “ehr­lich”, weil unpo­li­tisch und ande­re als falsch WEIL poli­tisch zu klas­si­fi­zie­ren, hilft dabei nicht.
  • His­to­ri­sches Ler­nen gera­de auch im Geschichts­un­ter­richt soll­te somit nicht gedacht wer­den als die Bevor­ra­tung der Ler­nen­den mit einer bestimm­ten Ori­en­tie­rung, son­dern vor­nehm­lich um die Befä­hi­gung der Ler­nen­den zur Selbst­ori­en­tie­rung und zur Teil­ha­be an der gesell­schaft­li­chen Orientierung.

Ergän­zun­gen 7.1.2014/23.1.2014: