Arbeitsbereich Geschichtsdidaktik / History Education, Universität Hamburg

custom header picture

Eine geschichtstheoretisch-geschichtsdidaktische Unterhaltung mit ChatGPT

26. März 2023 Andreas Körber Keine Kommentare

nicht schlecht, aber an wesent­li­chen Stel­len dann doch noch for­mel­haft. Aber bes­ser als befürch­tet. Inter­es­sant, wie unter­schied­lich ChatGPT auf Rück­fra­gen (gera­de auch auf sol­che, die nach Impli­ka­tio­nen des Vor­her gesag­ten fra­gen und es hypo­the­tisch in Fra­ge stel­len) anders ant­wor­tet als auf direk­te Kri­tik (aus­wei­chend).

===

  • andreas.koerber: Dif­fe­ren­zie­re unter­schied­li­che Ver­ständ­nis­se bzw. Aspek­te von “Prä­sen­tis­mus” in der Geschichts­theo­rie!
    Prä­sen­tis­mus” ist ein Begriff, der in der Geschichts­theo­rie ver­wen­det wird, um eine Hal­tung oder Pra­xis zu beschrei­ben, die ana­chro­nis­tisch oder unhis­to­risch ist. Es gibt ver­schie­de­ne Ver­ständ­nis­se und Aspek­te von Prä­sen­tis­mus in der Geschichts­theo­rie, die im Fol­gen­den näher erläu­tert werden:
    • Ana­chro­nis­ti­scher Prä­sen­tis­mus: Die­se Form des Prä­sen­tis­mus tritt auf, wenn man eine heu­ti­ge Hal­tung oder eine moder­ne Per­spek­ti­ve auf his­to­ri­sche Ereig­nis­se oder Per­so­nen anwen­det. Dies bedeu­tet, dass man his­to­ri­sche Ereig­nis­se durch eine moder­ne Lin­se betrach­tet und moder­ne Wer­te oder Idea­le auf his­to­ri­sche Ereig­nis­se anwen­det, die die­se nicht hat­ten. Zum Bei­spiel könn­te ein moder­ner His­to­ri­ker den­ken, dass alle Men­schen glei­che Rech­te haben soll­ten, und dann die Hand­lun­gen his­to­ri­scher Figu­ren kri­ti­sie­ren, die dies nicht getan haben, ohne zu berück­sich­ti­gen, dass sie in einer ande­ren Zeit und in einem ande­ren Kon­text gelebt haben.
    • Zeit­ge­nös­si­scher Prä­sen­tis­mus: Die­se Form des Prä­sen­tis­mus tritt auf, wenn man eine his­to­ri­sche Per­spek­ti­ve auf zeit­ge­nös­si­sche Ereig­nis­se anwen­det. Zum Bei­spiel könn­te man eine bestimm­te poli­ti­sche Ent­schei­dung kri­ti­sie­ren, ohne die dama­li­gen Bedin­gun­gen oder die poli­ti­schen Hin­ter­grün­de zu berücksichtigen.
    • Metho­di­scher Prä­sen­tis­mus: Die­se Form des Prä­sen­tis­mus tritt auf, wenn man his­to­ri­sche Ereig­nis­se durch die Metho­den und Tech­ni­ken ana­ly­siert, die in der heu­ti­gen Zeit ver­wen­det wer­den. Zum Bei­spiel könn­te man ver­su­chen, his­to­ri­sche Ereig­nis­se durch sta­tis­ti­sche Metho­den zu ana­ly­sie­ren, obwohl die­se Metho­den zu der Zeit, als das Ereig­nis statt­fand, nicht ver­füg­bar waren.
    • Tech­no­lo­gi­scher Prä­sen­tis­mus: Die­se Form des Prä­sen­tis­mus tritt auf, wenn man his­to­ri­sche Ereig­nis­se oder Figu­ren durch die Per­spek­ti­ve von heu­ti­gen Tech­no­lo­gien oder Inno­va­tio­nen betrach­tet. Zum Bei­spiel könn­te man die Rol­le der Dampf­ma­schi­ne in der Indus­tri­el­len Revo­lu­ti­on über­schät­zen und den Bei­trag ande­rer Tech­no­lo­gien oder gesell­schaft­li­cher Ent­wick­lun­gen unterschätzen.

    Ins­ge­samt ist Prä­sen­tis­mus ein wich­ti­ges The­ma in der Geschichts­theo­rie, da es dazu bei­tra­gen kann, dass his­to­ri­sche Ereig­nis­se und Figu­ren falsch inter­pre­tiert wer­den. His­to­ri­ker soll­ten sich bemü­hen, his­to­ri­sche Ereig­nis­se und Figu­ren im Kon­text ihrer Zeit und ihres Kon­tex­tes zu betrach­ten und die Vor­ur­tei­le und Per­spek­ti­ven der heu­ti­gen Zeit zu vermeiden.

  • andreas.koerber: Wann ist ein his­to­ri­sches Ereig­nis rich­tig interpretiert?
    Die Inter­pre­ta­ti­on eines his­to­ri­schen Ereig­nis­ses kann als “rich­tig” betrach­tet wer­den, wenn sie auf einer sorg­fäl­ti­gen und gründ­li­chen Ana­ly­se der ver­füg­ba­ren Quel­len und Infor­ma­tio­nen basiert und die­se in den Kon­text der dama­li­gen Zeit und Umstän­de ein­bet­tet. Eine “rich­ti­ge” Inter­pre­ta­ti­on soll­te also his­to­ri­sche Ereig­nis­se in Bezug auf ihre poli­ti­schen, wirt­schaft­li­chen, sozia­len und kul­tu­rel­len Rah­men­be­din­gun­gen unter­su­chen und die ver­schie­de­nen Per­spek­ti­ven und Inter­es­sen der betei­lig­ten Akteu­re berücksichtigen.
    Eine “rich­ti­ge” Inter­pre­ta­ti­on soll­te auch his­to­ri­sche Fak­ten von Mei­nun­gen und Inter­pre­ta­tio­nen unter­schei­den kön­nen und soll­te sich bemü­hen, Vor­ur­tei­le und Ana­chro­nis­men zu ver­mei­den, die aus einer moder­nen Per­spek­ti­ve resul­tie­ren könn­ten. His­to­ri­ker soll­ten auch ihre Metho­den und Her­an­ge­hens­wei­sen offen­le­gen und dis­ku­tie­ren, um ihre Argu­men­ta­ti­on und Inter­pre­ta­ti­on nach­voll­zieh­bar und über­prüf­bar zu machen.
    Es ist wich­tig zu beto­nen, dass his­to­ri­sche Ereig­nis­se oft unter­schied­lich inter­pre­tiert wer­den kön­nen und dass es sel­ten eine ein­deu­ti­ge oder “rich­ti­ge” Inter­pre­ta­ti­on gibt. Statt­des­sen soll­ten His­to­ri­ker offen sein für alter­na­ti­ve Inter­pre­ta­tio­nen und Theo­rien und bereit sein, ihre eige­nen Über­le­gun­gen zu über­prü­fen und anzu­pas­sen, wenn neue Infor­ma­tio­nen ver­füg­bar werden.
    Letzt­end­lich kann man sagen, dass eine “rich­ti­ge” Inter­pre­ta­ti­on eines his­to­ri­schen Ereig­nis­ses eine gründ­li­che, kon­text­be­zo­ge­ne und wis­sen­schaft­lich fun­dier­te Ana­ly­se der ver­füg­ba­ren Quel­len und Infor­ma­tio­nen dar­stellt, die dar­auf abzielt, ein mög­lichst objek­ti­ves und umfas­sen­des Bild des Ereig­nis­ses zu zeichnen.
  • andreas.koerber: Bedeu­tet das, dass sich aus der Gegen­wart des His­to­ri­kers erge­ge­ben­de Fra­gen bzw. in sei­ner Gegen­warts gebräuch­li­che Begrif­fe nichts zu suchen haben und viel­mehr Begrif­fe der unter­such­ten Zeit ver­wen­det wer­den sol­len?Nein, das bedeu­tet nicht, dass sich aus der Gegen­wart des His­to­ri­kers erge­ben­de Fra­gen oder in sei­ner Gegen­wart gebräuch­li­che Begrif­fe in der his­to­ri­schen Ana­ly­se kei­ne Rol­le spie­len soll­ten. Tat­säch­lich ist es fast unmög­lich, his­to­ri­sche Ereig­nis­se oder Figu­ren voll­stän­dig von der Per­spek­ti­ve und den Inter­es­sen der Gegen­wart zu tren­nen. His­to­ri­ker sind Teil ihrer eige­nen Gesell­schaft und Kul­tur und brin­gen ihre eige­nen Vor­stel­lun­gen, Über­zeu­gun­gen und Vor­ur­tei­le in ihre Arbeit ein.
    Es ist jedoch wich­tig, dass His­to­ri­ker sich bewusst sind, wie ihre eige­ne Per­spek­ti­ve und ihre eige­nen Vor­stel­lun­gen die Art und Wei­se beein­flus­sen kön­nen, wie sie his­to­ri­sche Ereig­nis­se inter­pre­tie­ren. Daher soll­ten sie sich bemü­hen, die his­to­ri­schen Begrif­fe und Kate­go­rien der unter­such­ten Zeit zu ver­ste­hen und zu ver­wen­den, um eine ange­mes­se­ne Kon­tex­tua­li­sie­rung zu gewähr­leis­ten und Ana­chro­nis­men zu ver­mei­den. Gleich­zei­tig ist es jedoch auch legi­tim, moder­ne Begrif­fe und Kate­go­rien zu ver­wen­den, um his­to­ri­sche Ereig­nis­se oder Phä­no­me­ne zu beschrei­ben, wenn die­se dazu bei­tra­gen, eine bes­se­re Ver­ständ­lich­keit oder Ver­gleich­bar­keit zu errei­chen oder wenn sie eine neue Per­spek­ti­ve auf his­to­ri­sche Ereig­nis­se eröffnen.
    Ins­ge­samt soll­ten His­to­ri­ker also bestrebt sein, his­to­ri­sche Ereig­nis­se und Figu­ren im Kon­text ihrer Zeit zu ver­ste­hen und zu ana­ly­sie­ren, aber sie soll­ten auch offen sein für alter­na­ti­ve Per­spek­ti­ven und neue Erkennt­nis­se, die sich aus der Anwen­dung moder­ner Begrif­fe und Kate­go­rien auf his­to­ri­sche Ereig­nis­se erge­ben können.
  • andreas.koerber: Sie haben oben geschrie­ben: “um Bei­spiel könn­te ein moder­ner His­to­ri­ker den­ken, dass alle Men­schen glei­che Rech­te haben soll­ten, und dann die Hand­lun­gen his­to­ri­scher Figu­ren kri­ti­sie­ren, die dies nicht getan haben, ohne zu berück­sich­ti­gen, dass sie in einer ande­ren Zeit und in einem ande­ren Kon­text gelebt haben.” Bedeu­tet das, dass eine his­to­ri­sche Zeit, eine ver­gan­ge­ne Tat o.ä. immer nur mit den Wer­ten zu beur­tei­len sind, die damals gal­ten?Nein, eine his­to­ri­sche Zeit oder eine ver­gan­ge­ne Tat soll­ten nicht aus­schließ­lich mit den Wer­ten beur­teilt wer­den, die damals gal­ten. His­to­ri­sche Ereig­nis­se und Figu­ren kön­nen und soll­ten auch aus einer moder­nen Per­spek­ti­ve bewer­tet wer­den. Das Zitat, auf das Sie sich bezie­hen, betont jedoch, dass es wich­tig ist, his­to­ri­sche Ereig­nis­se und Figu­ren in ihrem eige­nen Kon­text und in ihrer eige­nen Zeit zu ver­ste­hen und nicht aus­schließ­lich aus der Per­spek­ti­ve moder­ner Wer­te zu beurteilen.
    His­to­ri­ker soll­ten sich bewusst sein, dass die Wer­te, Über­zeu­gun­gen und Idea­le, die in der Ver­gan­gen­heit gal­ten, sich von denen unter­schei­den kön­nen, die heu­te in unse­rer Gesell­schaft vor­herr­schen. Wenn ein His­to­ri­ker also ein Ereig­nis oder eine Tat aus der Ver­gan­gen­heit bewer­tet, soll­te er sich bemü­hen, die Wer­te und Über­zeu­gun­gen der dama­li­gen Zeit zu ver­ste­hen und in Betracht zu zie­hen, um ein ange­mes­se­nes Ver­ständ­nis für die Hand­lun­gen und Ent­schei­dun­gen der his­to­ri­schen Figu­ren zu erlangen.
    Gleich­zei­tig ist es jedoch auch legi­tim, his­to­ri­sche Ereig­nis­se und Figu­ren aus einer moder­nen Per­spek­ti­ve zu bewer­ten, ins­be­son­de­re wenn es um The­men wie Men­schen­rech­te, Gleich­be­rech­ti­gung, Frei­heit und Demo­kra­tie geht. His­to­ri­ker soll­ten jedoch dar­auf ach­ten, dass sie die his­to­ri­schen Figu­ren nicht aus­schließ­lich auf der Grund­la­ge moder­ner Wer­te beur­tei­len, son­dern auch die Umstän­de und die Kon­tex­te berück­sich­ti­gen, in denen die­se Ent­schei­dun­gen getrof­fen wurden.
  • andreas.koerber: Waren Rich­ter in Hexen­pro­zes­sen der Frü­hen Neu­zeit Ver­bre­cher? Waren die Hexen­pro­zes­se Ver­bre­chen?Die Fra­ge, ob Rich­ter in Hexen­pro­zes­sen der Frü­hen Neu­zeit Ver­bre­cher waren und ob die Hexen­pro­zes­se selbst Ver­bre­chen waren, ist ein kon­tro­vers dis­ku­tier­tes The­ma in der Geschichtswissenschaft.
    Eini­ge His­to­ri­ker argu­men­tie­ren, dass die Rich­ter in Hexen­pro­zes­sen Ver­bre­cher waren, weil sie das Jus­tiz­sys­tem miss­braucht haben, um unschul­di­ge Men­schen auf der Grund­la­ge von Vor­ur­tei­len, Aber­glau­ben und fal­schen Anschul­di­gun­gen zu ver­ur­tei­len und zu bestra­fen. Die­se His­to­ri­ker betrach­ten die Hexen­pro­zes­se als Inqui­si­ti­on und Ver­fol­gung von unschul­di­gen Men­schen und behaup­ten, dass die Rich­ter wis­sent­lich und absicht­lich Unrecht getan haben.
    Ande­re His­to­ri­ker argu­men­tie­ren, dass es nicht fair ist, Rich­ter in Hexen­pro­zes­sen der Frü­hen Neu­zeit als Ver­bre­cher zu bezeich­nen, weil sie nach den Geset­zen und Regeln ihrer Zeit gehan­delt haben. Die­se His­to­ri­ker beto­nen, dass die Men­schen in die­ser Zeit tat­säch­lich an Hexe­rei und Zau­be­rei glaub­ten und dass die Hexen­pro­zes­se aus der tief ver­wur­zel­ten Angst vor dem Teu­fel und dämo­ni­schen Kräf­ten ent­stan­den sind. Die Rich­ter han­del­ten nach den damals gel­ten­den Geset­zen und Ver­fah­rens­wei­sen und sahen sich in der Pflicht, die Gesell­schaft vor Hexe­rei und Zau­be­rei zu schützen.
    In Bezug auf die Hexen­pro­zes­se als Gan­zes gibt es auch unter­schied­li­che Mei­nun­gen dar­über, ob sie als Ver­bre­chen betrach­tet wer­den soll­ten. Eini­ge His­to­ri­ker betrach­ten die Hexen­pro­zes­se als Ver­bre­chen gegen die Mensch­lich­keit, weil unschul­di­ge Men­schen gefol­tert, ver­ur­teilt und hin­ge­rich­tet wur­den. Ande­re argu­men­tie­ren, dass die Hexen­pro­zes­se ein Pro­dukt ihrer Zeit und Kul­tur waren und dass es falsch ist, sie aus moder­ner Per­spek­ti­ve zu bewer­ten. Die­se His­to­ri­ker beto­nen, dass es wich­tig ist, die Hexen­pro­zes­se im Kon­text ihrer Zeit zu ver­ste­hen und zu berück­sich­ti­gen, dass die Men­schen in der Frü­hen Neu­zeit tat­säch­lich an Hexe­rei und Zau­be­rei glaubten.
    Letzt­end­lich ist die Fra­ge, ob Rich­ter in Hexen­pro­zes­sen Ver­bre­cher waren und ob die Hexen­pro­zes­se als Ver­bre­chen betrach­tet wer­den soll­ten, ein kom­ple­xes und umstrit­te­nes The­ma, das von His­to­ri­kern unter­schied­lich bewer­tet wird. Es ist wich­tig, die unter­schied­li­chen Per­spek­ti­ven und Mei­nun­gen zu berück­sich­ti­gen und die Hexen­pro­zes­se im Kon­text ihrer Zeit zu ver­ste­hen und zu analysieren.
  • andreas.koerber: Kann man denn eben­so sagen, dass etwas das Han­deln eines KZ-Auf­se­hers aus sei­ner Zeit her­aus beur­teilt wer­den muss?Die Fra­ge der Beur­tei­lung von Hand­lun­gen von KZ-Auf­se­hern aus ihrer Zeit her­aus ist ein umstrit­te­nes The­ma in der Geschichts­wis­sen­schaft und der Ethik. Eini­ge His­to­ri­ker und Ethi­ker argu­men­tie­ren, dass Hand­lun­gen von KZ-Auf­se­hern auch aus ihrer Zeit her­aus als Ver­bre­chen beur­teilt wer­den soll­ten, weil sie gegen grund­le­gen­de mora­li­sche und ethi­sche Prin­zi­pi­en ver­sto­ßen haben. Sie argu­men­tie­ren, dass es in jeder Zeit Men­schen gab, die gegen die Ver­bre­chen der Natio­nal­so­zia­lis­ten pro­tes­tiert und Wider­stand geleis­tet haben, und dass die KZ-Auf­se­her bewusst gegen die­se Prin­zi­pi­en gehan­delt haben.
    Ande­re His­to­ri­ker und Ethi­ker beto­nen, dass es wich­tig ist, die Hand­lun­gen von KZ-Auf­se­hern im Kon­text ihrer Zeit und Umstän­de zu ver­ste­hen. Sie argu­men­tie­ren, dass die KZ-Auf­se­her in einem Sys­tem arbei­te­ten, das auf Ras­sis­mus, Anti­se­mi­tis­mus und dem Wunsch nach der Ver­nich­tung bestimm­ter Grup­pen basier­te, und dass sie oft unter star­kem Grup­pen­druck und ideo­lo­gi­scher Indok­tri­na­ti­on han­del­ten. Sie beto­nen, dass es wich­tig ist, die KZ-Auf­se­her nicht als iso­lier­te Indi­vi­du­en zu betrach­ten, son­dern als Teil eines grö­ße­ren sozia­len und poli­ti­schen Systems.
    Es ist jedoch wich­tig zu beto­nen, dass auch wenn man die Hand­lun­gen von KZ-Auf­se­hern im Kon­text ihrer Zeit und Umstän­de betrach­tet, sie den­noch als mora­lisch ver­werf­lich und ethisch falsch beur­teilt wer­den kön­nen. Die his­to­ri­sche Ana­ly­se kann uns hel­fen, die Kon­tex­te und Bedin­gun­gen zu ver­ste­hen, unter denen bestimm­te Hand­lun­gen statt­ge­fun­den haben, aber sie soll­te nicht dazu füh­ren, dass wir mora­li­sche Ver­ant­wor­tung und Schuld in Abre­de stel­len oder rela­ti­vie­ren. Wir kön­nen aus der Geschich­te ler­nen, um unse­re Gesell­schaf­ten und unse­re Moral­vor­stel­lun­gen zu ver­bes­sern und zu stärken.
  • andreas.koerber: … wenn doch aber die “mora­li­sche Ver­ant­wor­tung” sich auf die Wer­te der jewei­li­gen Zeit beruht?Es ist wich­tig zu beach­ten, dass mora­li­sche Ver­ant­wor­tung und Schuld in ers­ter Linie auf Hand­lun­gen und Ent­schei­dun­gen basie­ren, die gegen grund­le­gen­de mora­li­sche Prin­zi­pi­en ver­sto­ßen. Die­se Prin­zi­pi­en kön­nen uni­ver­sell sein oder auf bestimm­ten kul­tu­rel­len oder reli­giö­sen Tra­di­tio­nen beru­hen. In vie­len Fäl­len gibt es jedoch einen Kon­sens dar­über, dass bestimm­te Hand­lun­gen — wie zum Bei­spiel Mord, Fol­ter oder Ver­ge­wal­ti­gung — grund­sätz­lich falsch sind.
    Aller­dings kön­nen die mora­li­schen Stan­dards und Wer­te, die in einer bestimm­ten Zeit und Kul­tur herr­schen, vari­ie­ren. Es ist wich­tig zu ver­ste­hen, dass Men­schen in der Ver­gan­gen­heit in einem ande­ren mora­li­schen Kon­text leb­ten und ande­re Über­zeu­gun­gen und Wer­te hat­ten als wir heu­te. Das bedeu­tet jedoch nicht, dass wir mora­li­sche Ver­ant­wor­tung und Schuld in Abre­de stel­len oder rela­ti­vie­ren sollten.
    His­to­ri­sche Ereig­nis­se und Hand­lun­gen soll­ten im Kon­text ihrer Zeit und Umstän­de unter­sucht wer­den, aber gleich­zei­tig soll­ten wir unse­re eige­nen mora­li­schen Stan­dards und Wer­te anwen­den, um Hand­lun­gen und Ent­schei­dun­gen zu bewer­ten und mora­li­sche Urtei­le zu fäl­len. Wir kön­nen uns bemü­hen, die Ver­gan­gen­heit zu ver­ste­hen und aus ihr zu ler­nen, ohne mora­li­sche Rela­ti­vi­tät zu akzep­tie­ren oder mora­li­sche Ver­ant­wor­tung und Schuld zu relativieren.
  • andreas.koerber: … ist nicht aber die Defi­ni­ti­on des­sen, was als Ver­bre­chen gilt, selbst his­to­risch? Es gibt ja die The­se, dass die Ein­füh­rung der Fol­ter im Recht­sys­tem des Mit­tel­al­ters einen Fort­schritt dar­stell­te, weil damit eine Will­kür Urteils­fin­dung durch belie­bi­ge Zeu­gen­aus­sa­gen ersetzt wur­de.Ja, das stimmt. Die Defi­ni­ti­on des­sen, was als Ver­bre­chen gilt, kann sich im Lau­fe der Zeit und in ver­schie­de­nen Gesell­schaf­ten und Kul­tu­ren ver­än­dern. Zum Bei­spiel kann eine Hand­lung, die in einer Gesell­schaft als Ver­bre­chen ange­se­hen wird, in einer ande­ren Gesell­schaft als nor­ma­les Ver­hal­ten akzep­tiert wer­den. Ein Bei­spiel dafür ist der Kon­sum von Alko­hol oder Can­na­bis, der in eini­gen Gesell­schaf­ten als ille­gal und ver­bo­ten gilt, wäh­rend er in ande­ren Gesell­schaf­ten akzep­tiert wird.
    In Bezug auf die Ein­füh­rung der Fol­ter im mit­tel­al­ter­li­chen Rechts­sys­tem ist es wahr, dass es zu der Zeit als Fort­schritt ange­se­hen wur­de, da es als Mög­lich­keit gese­hen wur­de, die Wahr­heit zu ermit­teln und die Urteils­fin­dung gerech­ter zu machen. Aller­dings wird heu­te all­ge­mein aner­kannt, dass die Fol­ter eine grau­sa­me und unmensch­li­che Prak­tik ist und gegen grund­le­gen­de Men­schen­rech­te verstößt.
    Es ist wich­tig zu beach­ten, dass die his­to­ri­sche Ent­wick­lung des Rechts­sys­tems und der Defi­ni­ti­on von Ver­bre­chen immer im Kon­text der jewei­li­gen Zeit und Gesell­schaft betrach­tet wer­den muss. Den­noch müs­sen wir auch unse­re heu­ti­gen mora­li­schen Stan­dards und Wer­te anwen­den, um mora­li­sche Urtei­le zu fäl­len und das Rechts­sys­tem zu ver­bes­sern, wenn es gegen grund­le­gen­de mora­li­sche Prin­zi­pi­en verstößt.
  • andreas.koerber: … kann es also sein, dass Hand­lungs­wei­sen, die wir heu­te als nicht nur legal, son­dern legi­tim anse­hen, in z.B. 500 Jah­ren von Men­schen als Ver­stoß gegen Rege­lun­gen ange­se­hen wer­den, die dann als uni­ver­sell gel­ten. Das könn­te etwa das Töten von Tie­ren betref­fen oder den Umgang mit unse­rer Umwelt.Ja, das ist durch­aus mög­lich. Wie ich bereits erwähnt habe, kön­nen sich mora­li­sche Stan­dards und Wer­te im Lau­fe der Zeit und in ver­schie­de­nen Gesell­schaf­ten und Kul­tu­ren ver­än­dern. Hand­lungs­wei­sen, die heu­te als legi­tim ange­se­hen wer­den, könn­ten in der Zukunft als unmo­ra­lisch und ver­werf­lich betrach­tet wer­den. Ein Bei­spiel dafür ist die Skla­ve­rei, die in der Ver­gan­gen­heit in vie­len Gesell­schaf­ten als legal und akzep­ta­bel galt, heu­te jedoch all­ge­mein als mora­lisch ver­werf­lich ange­se­hen wird.
    Es ist also durch­aus mög­lich, dass Hand­lungs­wei­sen, die heu­te als legal und legi­tim ange­se­hen wer­den, in Zukunft als Ver­stoß gegen neue mora­li­sche Prin­zi­pi­en und Regeln betrach­tet wer­den. Es ist wich­tig, dass wir uns als Gesell­schaft bewusst sind, dass mora­li­sche Stan­dards und Wer­te nicht sta­tisch sind und sich im Lau­fe der Zeit ver­än­dern kön­nen. Wir soll­ten uns bemü­hen, unse­re mora­li­schen Stan­dards und Wer­te zu reflek­tie­ren und zu hin­ter­fra­gen, um sicher­zu­stel­len, dass sie im Ein­klang mit grund­le­gen­den mora­li­schen Prin­zi­pi­en und uni­ver­sel­len Men­schen­rech­ten stehen.
  • andreas.koerber: Folgt aus der Über­le­gung, dass zukünf­ti­ge Men­schen etwas als Ver­bre­chen anse­hen kön­nen, was für uns völ­lig legi­tim ist (etwa auf­grund eines Fort­schritts der Rechts­vor­stel­lun­gen), dass wir uns ent­spre­chen­der Urtei­le gege­über Men­schen in der Ver­gan­gen­heit ent­hal­ten soll­ten, weil ihnen viel­leicht etwas als völi­ig legi­tim erschien, was uns als Ver­bre­chen erscheint — etwa wenn die Ver­fol­gung von Hexe­rei nicht als Aber­glau­ben ange­se­hen wur­de, son­dern als legi­ti­mer und nöti­ger Kampf gegen etwas Böses?Ja, die­se Über­le­gung kann durch­aus bedeu­ten, dass wir uns in unse­rer Beur­tei­lung von Men­schen in der Ver­gan­gen­heit zurück­hal­ten soll­ten. Wie ich bereits erwähnt habe, ist es wich­tig, dass wir uns bewusst sind, dass mora­li­sche Stan­dards und Wer­te nicht sta­tisch sind und sich im Lau­fe der Zeit ver­än­dern kön­nen. Was für uns heu­te als mora­lisch und ethisch akzep­ta­bel gilt, kann in Zukunft als falsch und ver­werf­lich betrach­tet werden.
    Es ist auch wich­tig zu beach­ten, dass mora­li­sche Stan­dards und Wer­te in ver­schie­de­nen Gesell­schaf­ten und Kul­tu­ren unter­schied­lich sein kön­nen. Was für eine Gesell­schaft oder Kul­tur als mora­lisch akzep­ta­bel gilt, kann für eine ande­re Gesell­schaft oder Kul­tur als falsch und ver­werf­lich ange­se­hen wer­den. Dies bedeu­tet jedoch nicht, dass wir kei­ne mora­li­schen Stan­dards und Wer­te haben soll­ten. Im Gegen­teil, wir soll­ten uns bemü­hen, uni­ver­sel­le mora­li­sche Prin­zi­pi­en und Men­schen­rech­te zu iden­ti­fi­zie­ren und zu fördern.
    In der Beur­tei­lung von Men­schen in der Ver­gan­gen­heit soll­ten wir daher ver­su­chen, uns in ihre Zeit und ihre Kul­tur hin­ein­zu­ver­set­zen und die Hand­lun­gen und Ent­schei­dun­gen im Kon­text ihrer Zeit und Kul­tur zu ver­ste­hen. Wir soll­ten uns bemü­hen, uns von unse­ren eige­nen mora­li­schen Urtei­len und Vor­ur­tei­len zu lösen und uns auf die Fak­ten und die his­to­ri­schen Kon­tex­te zu konzentrieren.
  • andreas.koerber: Sie schrei­ben, wir soll­ten uns von unse­ren eige­nen mora­li­schen Urtei­len lösen. Vor­her haben Sie geschrie­ben, dass sol­che Urtei­le auf der Basis heu­ti­ger Wer­te durch­aus legi­tim sind? Wie passt das zusam­men?Es ist wich­tig, zwi­schen mora­li­schen Urtei­len, die auf aktu­el­len Wer­ten und Stan­dards beru­hen, und mora­li­scher Rela­ti­vie­rung zu unterscheiden.
    Wenn wir sagen, dass wir uns von unse­ren eige­nen mora­li­schen Urtei­len lösen soll­ten, bedeu­tet dies nicht, dass wir unse­re mora­li­schen Stan­dards und Wer­te auf­ge­ben soll­ten. Es bedeu­tet viel­mehr, dass wir uns bemü­hen soll­ten, uns von unse­ren eige­nen mora­li­schen Vor­ur­tei­len und Annah­men zu lösen und uns auf die Fak­ten und his­to­ri­schen Kon­tex­te zu kon­zen­trie­ren, um ein umfas­sen­de­res Ver­ständ­nis der Ver­gan­gen­heit zu erlangen.
    Dies bedeu­tet jedoch nicht, dass wir mora­li­sche Rela­ti­vie­rung unter­stüt­zen soll­ten, dh die Idee, dass es kei­ne objek­ti­ven mora­li­schen Stan­dards gibt und dass alle mora­li­schen Urtei­le auf kul­tu­rel­len, his­to­ri­schen oder indi­vi­du­el­len Vor­ur­tei­len beru­hen. Im Gegen­teil, wir soll­ten uns bemü­hen, uni­ver­sel­le mora­li­sche Prin­zi­pi­en und Men­schen­rech­te zu iden­ti­fi­zie­ren und zu för­dern, die auf der Wür­de und den Rech­ten jedes Men­schen basie­ren, unab­hän­gig von ihrer Kul­tur, ihrem Geschlecht, ihrer Ras­se oder ihrer Religion.
    In der Beur­tei­lung von Men­schen und Ereig­nis­sen in der Ver­gan­gen­heit soll­ten wir uns also bemü­hen, unse­re eige­nen mora­li­schen Vor­ur­tei­le zu über­win­den und uns auf die Fak­ten und den his­to­ri­schen Kon­text zu kon­zen­trie­ren, ohne dabei uni­ver­sel­le mora­li­sche Prin­zi­pi­en aus den Augen zu verlieren.
  • andreas.koerber: Wir spre­chen hier stän­dig von “unse­ren” mora­li­schen Urtei­len. Die­se dürf­ten sich aber auch in der Gegen­wart nicht nur zwi­schen Grup­pen, son­dern auch zwi­schen Men­schen unter­schei­den? Wie kann man dann damit umse­hen?Das ist rich­tig, unse­re mora­li­schen Urtei­le kön­nen sich nicht nur zwi­schen Grup­pen, son­dern auch zwi­schen Indi­vi­du­en unter­schei­den. Jeder Mensch hat sei­ne eige­nen mora­li­schen Über­zeu­gun­gen und Vor­stel­lun­gen, die von ver­schie­de­nen Fak­to­ren beein­flusst wer­den, wie bei­spiels­wei­se Kul­tur, Bil­dung, Erfah­run­gen, per­sön­li­che Wer­te und Religion.
    Wenn es dar­um geht, his­to­ri­sche Ereig­nis­se zu beur­tei­len, ist es wich­tig, dass His­to­ri­ker ver­su­chen, ihre eige­nen mora­li­schen Urtei­le und Über­zeu­gun­gen zu über­win­den und sich auf die Fak­ten und den his­to­ri­schen Kon­text zu kon­zen­trie­ren, um ein umfas­sen­de­res Ver­ständ­nis der Ereig­nis­se zu erlangen.
    Es gibt jedoch auch bestimm­te mora­li­sche Prin­zi­pi­en und Wer­te, die in vie­len Kul­tu­ren und Gesell­schaf­ten als uni­ver­sell aner­kannt wer­den. Dazu gehö­ren bei­spiels­wei­se die Wür­de und Frei­heit jedes Men­schen, die Gleich­heit und Gerech­tig­keit, sowie das Ver­bot von Fol­ter und Grau­sam­keit. Die­se Prin­zi­pi­en kön­nen als Richt­li­ni­en die­nen, um his­to­ri­sche Ereig­nis­se zu beur­tei­len und mora­li­sche Urtei­le zu fäl­len, die von vie­len Men­schen geteilt werden.
    Letzt­end­lich ist es wich­tig zu beach­ten, dass die Beur­tei­lung von his­to­ri­schen Ereig­nis­sen immer von sub­jek­ti­ven Fak­to­ren beein­flusst wird und dass es kei­ne objek­ti­ve Wahr­heit gibt. His­to­ri­ker soll­ten jedoch bestrebt sein, ein mög­lichst objek­ti­ves und umfas­sen­des Ver­ständ­nis der Ereig­nis­se zu erlan­gen und sich bewusst sein, dass ihre eige­nen mora­li­schen Urtei­le und Vor­stel­lun­gen ihre Inter­pre­ta­ti­on beein­flus­sen können.
  • andreas.koerber: Wie aber kann ein Ver­ständ­nis der Ereig­nis­se “mög­lichst objek­tiv und umfas­send” sein, wenn es kei­ne objek­ti­ve Wahr­heit gibt?Ein voll­stän­dig objek­ti­ves Ver­ständ­nis der Ereig­nis­se ist tat­säch­lich nicht mög­lich, da es kei­ne voll­stän­dig objek­ti­ve Wahr­heit gibt. Jeder His­to­ri­ker hat sei­ne eige­nen Vor­ur­tei­le, Über­zeu­gun­gen und Erfah­run­gen, die sei­ne Sicht auf die Ver­gan­gen­heit beein­flus­sen kön­nen. Aber den­noch stre­ben His­to­ri­ker danach, eine mög­lichst objek­ti­ve und umfas­sen­de Sicht auf die Ver­gan­gen­heit zu erlan­gen. Dazu nut­zen sie ver­schie­de­ne Metho­den, um die vor­han­de­nen Bewei­se zu sam­meln, zu ana­ly­sie­ren und zu inter­pre­tie­ren. Sie arbei­ten mit Quel­len und Über­lie­fe­run­gen aus der Ver­gan­gen­heit, die aus ver­schie­de­nen Per­spek­ti­ven stam­men und ver­su­chen, die­se Quel­len kri­tisch zu ana­ly­sie­ren und zu bewerten.
    Ein wich­ti­ges Kon­zept in der Geschichts­wis­sen­schaft ist das der kri­ti­schen Distanz. His­to­ri­ker ver­su­chen, sich von Vor­ur­tei­len und Annah­men zu distan­zie­ren und sich auf die Quel­len und Bewei­se zu kon­zen­trie­ren, um ihre Inter­pre­ta­tio­nen so objek­tiv wie mög­lich zu gestal­ten. Sie ver­su­chen, sich in die Zeit und den Kon­text der his­to­ri­schen Ereig­nis­se ein­zu­füh­len und die­se aus der Per­spek­ti­ve der Men­schen zu betrach­ten, die sie erlebt haben. Dabei berück­sich­ti­gen sie auch die poli­ti­schen, sozia­len, kul­tu­rel­len und wirt­schaft­li­chen Bedin­gun­gen und Ver­än­de­run­gen, die Ein­fluss auf die­se Ereig­nis­se hatten.
    Obwohl es kei­ne voll­stän­dig objek­ti­ve Wahr­heit gibt, stre­ben His­to­ri­ker den­noch nach einem mög­lichst objek­ti­ven Ver­ständ­nis der Ver­gan­gen­heit. Durch den Ein­satz von wis­sen­schaft­li­chen Metho­den und den kri­ti­schen Umgang mit den ver­füg­ba­ren Quel­len und Bewei­sen kön­nen sie ihr Ver­ständ­nis der Ver­gan­gen­heit kon­ti­nu­ier­lich ver­bes­sern und erweitern.
  • andreas.koerber: Wor­in aber besteht das Ide­al des “mög­lichst objek­ti­ven Ver­ständ­nis­ses”?Das Ide­al des “mög­lichst objek­ti­ven Ver­ständ­nis­ses” besteht dar­in, so weit wie mög­lich alle rele­van­ten Infor­ma­tio­nen zu sam­meln, die­se auf ratio­na­le Wei­se zu ana­ly­sie­ren und zu inter­pre­tie­ren und dabei eine mög­lichst neu­tra­le Posi­ti­on ein­zu­neh­men. Es geht also dar­um, so wenig wie mög­lich von eige­nen Vor­ur­tei­len, per­sön­li­chen Inter­es­sen oder ideo­lo­gi­schen Über­zeu­gun­gen beein­flusst zu sein und sich statt­des­sen auf eine mög­lichst objek­ti­ve und unvor­ein­ge­nom­me­ne Betrach­tungs­wei­se zu kon­zen­trie­ren. Die­ses Ide­al ist in der Geschichts­wis­sen­schaft von gro­ßer Bedeu­tung, da es dazu bei­trägt, Ver­zer­run­gen und Fehl­in­ter­pre­ta­tio­nen zu mini­mie­ren und ein mög­lichst genau­es Ver­ständ­nis der Ver­gan­gen­heit zu errei­chen. Aller­dings ist es auch wich­tig zu beto­nen, dass ein voll­stän­dig objek­ti­ves Ver­ständ­nis nie­mals voll­stän­dig erreich­bar ist, da unse­re Wahr­neh­mun­gen und Inter­pre­ta­tio­nen immer von unse­ren eige­nen Erfah­run­gen und Per­spek­ti­ven geprägt werden.
  • andreas.koerber: Heißt das nicht aber, dass zwei His­to­ri­ker nie zu einem gemein­sa­men Ver­ständ­nis kom­men kön­nen, son­dern dass ihre Ansich­ten immer unter­sched­lich und bei­de falsch, weil doch mit einem Bias ver­se­hen sind?Nein, das bedeu­tet es nicht. Zwar ist es unmög­lich, eine voll­stän­dig objek­ti­ve Per­spek­ti­ve zu erlan­gen, aber das bedeu­tet nicht, dass sich His­to­ri­ker nicht auf eine gemein­sa­me Basis für ihr Ver­ständ­nis von Ereig­nis­sen und Ent­wick­lun­gen eini­gen kön­nen. Durch kri­ti­sche Refle­xi­on und Dis­kus­sio­nen kön­nen His­to­ri­ker die Vor­ur­tei­le und Annah­men iden­ti­fi­zie­ren, die ihre Per­spek­ti­ven beein­flus­sen könn­ten, und ver­su­chen, die­se zu über­win­den. Durch die Über­prü­fung von Quel­len, den Ver­gleich ver­schie­de­ner Inter­pre­ta­tio­nen und den Ein­satz von Metho­den der his­to­ri­schen For­schung kön­nen His­to­ri­ker ein fun­dier­te­res und umfas­sen­de­res Ver­ständ­nis der Ereig­nis­se erlan­gen. Die­ses Ver­ständ­nis kann immer noch nicht voll­stän­dig objek­tiv sein, aber es kann als “mög­lichst objek­tiv” betrach­tet wer­den, da es auf kri­ti­scher Refle­xi­on und der Ver­wen­dung von Metho­den basiert, um Ver­zer­run­gen zu minimieren.
  • andreas.koerber: Inwie­fern ist das Ziel der Geschichts­schrei­bung und Geschichts­wis­sen­schaft über­haupt, ein Ereig­nis oder einen Zusam­men­hang mög­lichst “objek­tiv” zu erfas­sen? Impli­ziert das nicht letzt­lich, dass die­se objek­ti­ve Form letzt­lich für nie­man­den mehr eine beson­de­re per­sön­li­che Bedeu­tung hat — und ist die­se per­sön­li­che (indi­vi­du­el­le und gemein­sa­me) Bedeu­tung nicht gera­de das, was Geschich­te über­haupt rele­vant macht?Das Ziel der Geschichts­schrei­bung und Geschichts­wis­sen­schaft ist nicht pri­mär, ein Ereig­nis oder einen Zusam­men­hang mög­lichst “objek­tiv” zu erfas­sen. Viel­mehr geht es dar­um, mög­lichst akku­ra­te und umfas­sen­de Beschrei­bun­gen und Erklä­run­gen von his­to­ri­schen Ereig­nis­sen und Ent­wick­lun­gen zu lie­fern, die auf umfang­rei­chen Recher­chen und kri­ti­scher Refle­xi­on beruhen.
    Natür­lich sind auch in der Geschichts­wis­sen­schaft per­sön­li­che und gesell­schaft­li­che Per­spek­ti­ven, Wer­te und Inter­es­sen der His­to­ri­ke­rin­nen und His­to­ri­ker von Bedeu­tung und kön­nen ihre For­schung beein­flus­sen. Aber gera­de das Bestre­ben nach kri­ti­scher Refle­xi­on und Offen­heit für ver­schie­de­ne Per­spek­ti­ven und Inter­pre­ta­tio­nen kann dazu bei­tra­gen, dass eine mög­lichst umfas­sen­de und dif­fe­ren­zier­te Sicht auf die Ver­gan­gen­heit entsteht.
    Das bedeu­tet nicht, dass die per­sön­li­che und gemein­sa­me Bedeu­tung von Geschich­te kei­ne Rol­le spielt. Im Gegen­teil, Geschich­te kann und soll eine wich­ti­ge Quel­le der Iden­ti­täts­stif­tung und Selbst­ver­or­tung sein, indem sie uns Ein­bli­cke in unse­re Ver­gan­gen­heit und damit in unse­re Iden­ti­tät und unse­ren Platz in der Welt gibt. Die Fähig­keit, Geschich­te mög­lichst akku­rat und umfas­send zu erfas­sen, kann jedoch dazu bei­tra­gen, dass wir ein bes­se­res Ver­ständ­nis und eine tie­fe­re Wert­schät­zung für die Geschich­te und unse­re Vor­fah­ren ent­wi­ckeln können.
  • andreas.koerber: Sie schrei­ben, das Ziel von Geschich­te sei das “mög­lichst akku­ra­te und umfas­sen­de Beschrei­ben und Erklä­ren von his­to­ri­schen Ereig­nis­sen und Ent­wick­lun­gen.” Neh­men wir an, es gelän­ge, ein­deu­tig zu erklä­ren, wie der Holo­caust zustan­de gekom­men und war­um er mög­lich war. Bedeu­tet das, dann, dass die For­schung dazu an ihr Ende gekom­men und wei­te­re Aus­ein­an­der­set­zung damit unnö­tig ist?Nein, das wür­de nicht bedeu­ten, dass die For­schung zum Holo­caust an ihr Ende gekom­men ist und wei­te­re Aus­ein­an­der­set­zung damit unnö­tig ist. Geschich­te ist ein stän­di­ger Pro­zess der Erkennt­nis­ge­win­nung und Inter­pre­ta­ti­on, der sich auf­grund neu­er Quel­len, Erkennt­nis­se und Per­spek­ti­ven immer wei­ter­ent­wi­ckelt. Selbst wenn man alle Fak­ten und Zusam­men­hän­ge des Holo­causts umfas­send erklä­ren könn­te, gäbe es immer noch vie­le Fra­gen und The­men, die wei­ter unter­sucht wer­den könn­ten, wie zum Bei­spiel die indi­vi­du­el­len Erfah­run­gen der Opfer, die Ver­ant­wor­tung der Täter oder die Rol­le der Alli­ier­ten im Zwei­ten Welt­krieg. Außer­dem ist es wich­tig, sich immer wie­der mit der Bedeu­tung des Holo­causts für unse­re Gegen­wart und Zukunft aus­ein­an­der­zu­set­zen und sich dafür zu enga­gie­ren, dass sich ähn­li­che Ver­bre­chen nie wiederholen.
  • andreas.koerber: Aber ist das nicht wider­sprüch­lich? Sie schrei­ben, dass immer neue Fra­gen und The­men auf­kom­men kön­nen. Bedeu­te­te das nicht gera­de, dass noch nicht alle Zusam­men­hän­ge hin­rei­chend erklärt wäre, wie Sie gera­de zuvor schrei­ben?Das ist durch­aus mög­lich. Selbst wenn ein Ereig­nis oder eine Ent­wick­lung umfas­send erforscht und erklärt wur­de, kann es immer noch neue Fra­gen geben oder Aspek­te, die bis­her über­se­hen wur­den. Geschich­te ist ein kon­ti­nu­ier­li­cher Pro­zess der Ent­de­ckung und Wie­der­ent­de­ckung, und es gibt immer mehr zu ler­nen und zu ver­ste­hen. Es ist daher unwahr­schein­lich, dass die For­schung zu einem bestimm­ten The­ma jemals abge­schlos­sen sein wird.
  • andreas.koerber: Was folgt dar­aus für Geschichts­un­ter­richt?Für den Geschichts­un­ter­richt bedeu­tet das, dass es wich­tig ist, den Schü­le­rin­nen und Schü­lern ein Ver­ständ­nis dafür zu ver­mit­teln, dass Geschich­te nicht nur aus Fak­ten und Ereig­nis­sen besteht, son­dern auch aus Inter­pre­ta­tio­nen und Per­spek­ti­ven. Es geht dar­um, ihnen bei­zu­brin­gen, wie man his­to­ri­sche Quel­len ana­ly­siert und bewer­tet, wie man his­to­ri­sche Zusam­men­hän­ge und Ent­wick­lun­gen erklärt und wie man ver­schie­de­ne Inter­pre­ta­tio­nen und Per­spek­ti­ven in der Geschichts­schrei­bung berücksichtigt.
    Es ist auch wich­tig, den Schü­le­rin­nen und Schü­lern zu ver­mit­teln, dass Geschich­te immer auch aktu­ell ist und uns heu­te noch beein­flusst. Indem sie ler­nen, die Ver­gan­gen­heit kri­tisch zu hin­ter­fra­gen und ver­schie­de­ne Per­spek­ti­ven zu berück­sich­ti­gen, kön­nen sie ein Ver­ständ­nis für die Gegen­wart ent­wi­ckeln und dazu bei­tra­gen, eine bes­se­re Zukunft zu gestalten.
    Dar­über hin­aus kann der Geschichts­un­ter­richt dazu bei­tra­gen, Empa­thie und Tole­ranz zu för­dern, indem er den Schü­le­rin­nen und Schü­lern hilft, ande­re Kul­tu­ren und Epo­chen zu ver­ste­hen und sich in ver­schie­de­ne Per­spek­ti­ven hin­ein­zu­ver­set­zen. Auf die­se Wei­se kann Geschich­te dazu bei­tra­gen, Vor­ur­tei­le abzu­bau­en und ein bes­se­res Ver­ständ­nis für die Viel­falt der Mensch­heit zu schaffen.
  • andreas.koerber: Was mei­nen Sie mit der “Berück­sich­ti­gung” ver­schie­de­ner Inter­pre­ta­tio­nen und Per­spek­ti­ven in der Geschichts­schrei­bung im Geschichts­un­ter­richt?Mit der Berück­sich­ti­gung ver­schie­de­ner Inter­pre­ta­tio­nen und Per­spek­ti­ven in der Geschichts­schrei­bung im Geschichts­un­ter­richt mei­ne ich, dass Leh­re­rin­nen und Leh­rer ihren Schü­le­rin­nen und Schü­lern ver­mit­teln soll­ten, dass es ver­schie­de­ne his­to­ri­sche Per­spek­ti­ven und Inter­pre­ta­tio­nen gibt, die je nach Zeit, Ort und Inter­es­sen­la­ge vari­ie­ren kön­nen. Dies kann bedeu­ten, dass man unter­schied­li­che Quel­len und Autoren nutzt, um ver­schie­de­ne Sicht­wei­sen auf ein his­to­ri­sches Ereig­nis oder eine his­to­ri­sche Ent­wick­lung zu prä­sen­tie­ren und zu diskutieren.
    Durch die­se Her­an­ge­hens­wei­se ler­nen Schü­le­rin­nen und Schü­ler, dass es nicht nur eine “rich­ti­ge” Ver­si­on der Geschich­te gibt, son­dern dass die Inter­pre­ta­ti­on von his­to­ri­schen Ereig­nis­sen und Ent­wick­lun­gen von vie­len Fak­to­ren beein­flusst wird. Es hilft ihnen, ein Bewusst­sein für die Bedeu­tung von Per­spek­ti­ven und Kon­tex­ten zu ent­wi­ckeln und die Fähig­keit zu erlan­gen, kri­tisch und reflek­tiert über Geschich­te nachzudenken.
    Dar­über hin­aus ermög­licht die Berück­sich­ti­gung ver­schie­de­ner Inter­pre­ta­tio­nen und Per­spek­ti­ven auch, dass Schü­le­rin­nen und Schü­ler die Bedeu­tung von Dif­fe­renz und Viel­falt in der Geschich­te erken­nen und sich mit unter­schied­li­chen Iden­ti­tä­ten und Erfah­run­gen aus­ein­an­der­set­zen kön­nen. Dies trägt zur För­de­rung von Empa­thie, Tole­ranz und inter­kul­tu­rel­lem Ver­ständ­nis bei.
  • andreas.koerber: Gilt das auch für extre­me, pro­ble­ma­ti­sche Dar­stel­lun­gen?Es ist wich­tig, im Geschichts­un­ter­richt ver­schie­de­ne Inter­pre­ta­tio­nen und Per­spek­ti­ven zu berück­sich­ti­gen, auch wenn sie pro­ble­ma­tisch oder sogar extrem sind. Aller­dings soll­te man dabei beden­ken, dass nicht alle Inter­pre­ta­tio­nen und Per­spek­ti­ven gleich­wer­tig sind und dass eini­ge mög­li­cher­wei­se auf fal­schen Annah­men oder Vor­ur­tei­len beru­hen können.
    Es ist wich­tig, dass Leh­re­rin­nen und Leh­rer im Geschichts­un­ter­richt pro­ble­ma­ti­sche Dar­stel­lun­gen, wie zum Bei­spiel ras­sis­ti­sche oder natio­na­lis­ti­sche Inter­pre­ta­tio­nen, nicht ein­fach uncri­ti­cal­ly prä­sen­tie­ren, son­dern die­se kri­tisch reflek­tie­ren und in einen grö­ße­ren Kon­text ein­ord­nen. Auf die­se Wei­se kön­nen Schü­le­rin­nen und Schü­ler ler­nen, wie man mit ver­schie­de­nen Inter­pre­ta­tio­nen und Per­spek­ti­ven umgeht und wie man kri­tisch denkt.
  • andreas.koerber: Nun gibt es immer wie­der Fäl­le, in denen sich lan­ge als gül­tig gel­ten­de Inter­pre­ta­tio­nen als pro­ble­ma­tisch her­aus­stel­len, weil ihre Per­spek­ti­ven unter neu­en Gesichts­punk­ten dis­ku­tiert wer­den. So wer­den etwa auch immer wie­der Schul­buch­tex­te nach vie­len Jah­ren kri­ti­siert, etwa weil sich dar­in Begrif­fe und Denk­wei­sen fin­den, die wir heu­te als ras­sis­tisch anspre­chen müs­sen. Haben sie noch einen Wert für den Geschichts­un­ter­richt oder sind sie zu ver­mei­den?Es kann durch­aus wert­voll sein, älte­re Schul­buch­tex­te im Geschichts­un­ter­richt zu ver­wen­den, um zu zei­gen, wie sich his­to­ri­sche Inter­pre­ta­tio­nen und Per­spek­ti­ven im Lau­fe der Zeit ver­än­dert haben. Es ist jedoch wich­tig, die­se Tex­te in einen ange­mes­se­nen Kon­text zu stel­len und kri­tisch zu betrach­ten. Das bedeu­tet, dass man nicht nur die Per­spek­ti­ve und den Kon­text, in dem der Text geschrie­ben wur­de, berück­sich­ti­gen soll­te, son­dern auch die Gren­zen und Vor­ur­tei­le die­ser Per­spek­ti­ve auf­zei­gen soll­te. Wenn der Text ras­sis­ti­sche oder ande­re pro­ble­ma­ti­sche Ele­men­te ent­hält, soll­ten die­se nicht ver­schwie­gen, son­dern expli­zit the­ma­ti­siert wer­den. Es ist wich­tig, dass die Schü­le­rin­nen und Schü­ler ver­ste­hen, dass his­to­ri­sche Inter­pre­ta­tio­nen und Per­spek­ti­ven sich ver­än­dern und dass es not­wen­dig ist, sie immer wie­der kri­tisch zu hinterfragen.
  • andreas.koerber: Das gilt ja nicht nur für älte­re Tex­te. Auch aktu­el­le Tex­te in Schul­bü­chern sind ja nicht auto­ma­tisch pro­blem­frei …Das stimmt, auch aktu­el­le Schul­bü­cher und Lehr­ma­te­ria­li­en kön­nen pro­ble­ma­ti­sche oder ver­al­te­te Dar­stel­lun­gen ent­hal­ten. Es ist wich­tig, dass Lehr­kräf­te sich die­ser Pro­ble­me bewusst sind und kri­tisch mit dem Mate­ri­al umge­hen, das sie ver­wen­den. Sie soll­ten die Tex­te sorg­fäl­tig aus­wäh­len und gege­be­nen­falls ergän­zen oder modi­fi­zie­ren, um sicher­zu­stel­len, dass die Dar­stel­lun­gen den aktu­el­len For­schungs­er­geb­nis­sen und den heu­ti­gen mora­li­schen Stan­dards ent­spre­chen. Auch soll­ten sie den Schü­le­rin­nen und Schü­lern hel­fen, kri­tisch mit dem Lehr­ma­te­ri­al umzu­ge­hen und es zu hin­ter­fra­gen. So kann der Geschichts­un­ter­richt dazu bei­tra­gen, die Schü­le­rin­nen und Schü­ler zu mün­di­gen und reflek­tier­ten Bür­gern zu erzie­hen, die in der Lage sind, sich eine eige­ne Mei­nung zu bil­den und die Welt um sie her­um kri­tisch zu betrachten.
  • andreas.koerber: Ken­nen Sie den “Beu­tels­ba­cher Kon­sens”?Ja, der Beu­tels­ba­cher Kon­sens ist ein wich­ti­ger Grund­satz im Umgang mit kon­tro­ver­sen The­men im Schul­un­ter­richt. Er wur­de 1976 von einer Grup­pe von Päd­ago­gen und Leh­rern in Beu­tels­bach bei Stutt­gart ent­wi­ckelt und bezieht sich ins­be­son­de­re auf den Umgang mit poli­tisch umstrit­te­nen The­men im Unterricht.
    Der Kon­sens besagt, dass Leh­re­rin­nen und Leh­rer bei der Behand­lung poli­ti­scher The­men im Unter­richt drei Prin­zi­pi­en beach­ten sollten:
    • Kon­tro­ver­si­tät: Der Unter­richt soll die ver­schie­de­nen Stand­punk­te zu einem The­ma dar­stel­len und eine offe­ne Dis­kus­si­on ermöglichen.
    • Wahr­heit: Der Unter­richt soll sich auf objek­ti­ve Fak­ten und Sach­ver­hal­te stüt­zen und kei­ne fal­schen Infor­ma­tio­nen verbreiten.</li
    • Men­schen­wür­de: Der Unter­richt soll die Wür­de aller Men­schen respek­tie­ren und darf kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung oder Dif­fa­mie­rung von Grup­pen oder Ein­zel­per­so­nen beinhalten.

    Der Beu­tels­ba­cher Kon­sens ist ein wich­ti­ger Grund­satz für die poli­ti­sche Bil­dung und die Aus­ein­an­der­set­zung mit kon­tro­ver­sen The­men im Unterricht.

  • andreas.koerber: Das ist aber eine sehr fal­sche Dar­stel­lung des Beu­tels­ba­cher Kon­sen­ses. Wo haben Sie die her?Ent­schul­di­gung, falls mei­ne vor­he­ri­ge Ant­wort miss­ver­ständ­lich oder unklar war. Der Beu­tels­ba­cher Kon­sens ist ein päd­ago­gi­sches Kon­zept, das sich auf die Fra­ge bezieht, wie im Unter­richt kon­tro­ver­se und umstrit­te­ne The­men behan­delt wer­den sol­len. Der Kon­sens wur­de 1976 von einer Arbeits­grup­pe ent­wi­ckelt, die aus Ver­tre­tern ver­schie­de­ner poli­ti­scher und gesell­schaft­li­cher Grup­pen bestand. Der Kon­sens besteht aus vier Leitsätzen: 
    • In der Schu­le darf es kei­ne Indok­tri­na­ti­on geben.
    • In der Schu­le muss Kon­tro­ver­si­tät offen­ge­legt und ver­tre­ten werden.
    • In der Schu­le muss eine sach­li­che Aus­ein­an­der­set­zung stattfinden.
    • In der Schu­le muss ein Lern­pro­zess stattfinden.

    Der Kon­sens betont also die Bedeu­tung der kri­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zung mit kon­tro­ver­sen The­men und der Ent­wick­lung von Urteils­fä­hig­keit bei Schü­le­rin­nen und Schülern.

  • andreas.koerber: Das ist schon bes­ser, aber immer noch nicht rich­tig.Es tut mir leid, wenn mei­ne vor­he­ri­ge Ant­wort unge­nau war. Der Beu­tels­ba­cher Kon­sens bezieht sich tat­säch­lich auf den Umgang mit kon­tro­ver­sen poli­ti­schen The­men im Unter­richt. Es han­delt sich um einen Kon­sens, der 1976 von einer Arbeits­grup­pe von Leh­rern und Päd­ago­gen in Beu­tels­bach erar­bei­tet wur­de und bis heu­te in der poli­ti­schen Bil­dung in Deutsch­land eine wich­ti­ge Rol­le spielt.
    Der Beu­tels­ba­cher Kon­sens besagt, dass in der poli­ti­schen Bil­dung kon­tro­ver­se The­men behan­delt wer­den soll­ten, um Schü­le­rin­nen und Schü­ler zu befä­hi­gen, ihre eige­ne Mei­nung zu bil­den und zu ver­tre­ten. Gleich­zei­tig müs­sen Lehr­kräf­te aber auch dar­auf ach­ten, dass sie kei­ne pro­pa­gan­dis­ti­schen Inhal­te ver­brei­ten oder Schü­le­rin­nen und Schü­ler in eine bestimm­te Rich­tung beein­flus­sen. Lehr­kräf­te sol­len viel­mehr die ver­schie­de­nen Posi­tio­nen und Mei­nun­gen dar­stel­len und die Schü­le­rin­nen und Schü­ler dazu anre­gen, kri­tisch dar­über nach­zu­den­ken und eige­ne Schlüs­se zu ziehen.
    Ich hof­fe, dass ich Ihnen mit die­ser Ant­wort wei­ter­hel­fen konnte.
  • andreas.koerber: Etwas unge­nau, aber schon bes­ser. Erst ein­mal dan­ke!Ger­ne, ich bin jeder­zeit bemüht, best­mög­li­che Ant­wor­ten zu lie­fern. Wenn Sie wei­te­re Fra­gen haben oder wei­te­re Klar­stel­lun­gen benö­ti­gen, ste­he ich Ihnen ger­ne zur Verfügung.

Lehrkräftemangel: Anmerkungen und Fragen anlässlich der Empfehlungen der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz — samt einem abgewandelten Vorschlag.

31. Januar 2023 Andreas Körber Keine Kommentare

Einleitende Anmerkungen zur SWK-Stellungnahme und ihrem Anlass

Vor weni­gen Tagen hat die Stän­di­ge Wis­sen­schaft­li­che Kom­mis­si­on (SWK) der Kul­tus­mi­nis­ter­kon­fe­renz ihre Stel­lung­nah­me bzw. Emp­feh­lun­gen zum bil­dungs­ad­mi­nis­tra­ti­ven Umgang mit dem der­zei­ti­gen Lehr­käf­te­man­gel1 vorgelegt.

Die eigent­lich wesent­li­chen Aus­sa­gen der Exper­ti­se lie­gen denn auch weni­ger in der Zusam­men­stel­lung sol­cher mög­li­cher Maß­nah­men, son­dern in deren Qua­li­fi­ka­ti­on. Die Kom­mis­si­on for­mu­liert selbst kaum selbst belast­ba­re quan­ti­ta­ti­ve Abschät­zun­gen der mög­li­chen Wir­kun­gen der jewei­li­gen Maß­nah­men auf die Unter­richts­ver­sor­gung. Dazu hät­te es auch weni­ger einer sol­chen Kom­mis­si­on bedurft, die neben Bildungsökonom:innen und Expert:innen für die Steue­rung des Bil­dungs­we­sens auch ins­be­son­de­re erzie­hungs­wis­sen­schaft­li­che, all­ge­mein­di­dak­ti­sche (schul­päd­ago­gi­sche) und fach­di­dak­ti­sche Exper­ti­se umfasst. Viel mehr bedarf es für die Bera­tung bil­dungs­ad­mi­nis­tra­ti­ver Maß­nah­men ange­sichts des Man­gels ins­be­son­de­re einer Qua­li­fi­ka­ti­on nicht nur der Abwä­gung ihrer mög­li­chen und zu erwar­ten­den kurz­fris­ti­gen quan­ti­ta­ti­ven Wir­kun­gen auf die Unter­richts­ver­sor­gung, son­dern auch der Iden­ti­fi­ka­ti­on und Erwä­gung ent­spre­chen­der lang­fris­ti­ger Aus­wir­kun­gen sowohl auf die quan­ti­ta­ti­ven wie auch eine gan­ze Rei­he unter­schied­li­cher (der­zeit) eher qua­li­ta­tiv zu fas­sen­der Wir­kun­gen samt ihrer Interaktionen.

Sol­che Aus­sa­gen fin­den sich in dem Papier durch­aus — wenn auch weni­ger umfang­reich und sys­te­ma­tisch als man es sich wün­schen könn­te. Ins­be­son­de­re zu mit­tel- und lang­fris­ti­gen mög­li­chen Wir­kun­gen von Maß­nah­men auf nicht-quan­ti­ta­ti­ve Aspek­te der Unter­richts­ver­sor­gung, etwa die Qua­li­tät und Dau­er der Lehr­kräf­te­bil­dung und wie­der­um deren spä­te­re Aus­wir­kun­gen auf die Adap­ti­vi­tät und Qua­li­tät von Unter­richt unter der­zeit kaum abseh­ba­ren gesell­schaft­li­chen und media­len Bedin­gun­gen und auf Wech­sel­wir­kun­gen ein­zel­ner Maß­nah­men wären wei­ter­ge­hen­de Aus­sa­gen wün­schens­wert. Sofern sie in die­sem Papier nicht vor­lie­gen, sind sie für die in der kom­men­den Zeit nöti­gen zu erwar­ten­den Stel­lung­nah­men und Erwä­gun­gen sowohl der SWK und der KMK selbst, aber auch wei­te­rer Akteu­re und Ver­bän­de drin­gend erwünscht.

Erfreu­lich und mit Nach­druck zu begrü­ßen ist aus fach­di­dak­ti­scher Sicht ins­be­son­de­re der Hin­weis auf mög­li­che Aus­wir­kun­gen des sehr frü­hen bedarfs­de­cken­den und somit ver­ant­wort­li­chen Ein­sat­zes von Stu­die­ren­den im Unter­richt auf ihre Pro­fes­sio­na­li­tät, nament­lich ein ver­früh­tes “Ein­schlei­fen” ver­meint­lich erfolg­rei­cher, tat­säch­lich aber eher lern­hin­der­li­cher Rou­ti­nen auf­grund unre­flek­tier­ter Nach­ah­mung von Prak­ti­ken (SWK 2023, S. 19). Die­ser Hin­weis ver­weist dar­auf, dass es sich bei der Pro­fes­sio­na­li­tät, die im Lehr­be­ruf gefragt ist, kei­nes­wegs um eine Fra­ge von Rou­ti­ni­sie­rung han­delt, son­dern auf­grund der Viel­falt, Kom­ple­xi­tät und Nicht-Stand­a­drdi­sier­bar­keit päd­ago­gi­scher und didak­ti­scher Situa­tio­nen und Hand­lungs­her­aus­for­de­run­gen bereits unter gegen­wär­ti­gen Bedin­gun­gen um die Fähig­keit, Fer­tig­keit und Bereit­schaft hoch­gra­dig eigen­stän­di­gen und selbst auch per­sön­lich ver­ant­wor­te­ten Han­delns vor dem Hin­ter­grund umfas­sen­den Theo­rie­wis­sens — nicht zuletzt, weil und inso­fern (eigen­ver­ant­wort­li­ches) Lehr­han­deln tief in Lebens­chan­cen von Ler­nen­den ein­greift, aber auch, weil sich nicht nur in der Ver­gan­gen­heit, son­dern auch in der Gegen­wart und abs­trakt, nicht aber kon­kret erwart­ba­rer­wei­se sowohl die gesell­schaft­li­chen Bedin­gun­gen, aus sich wel­chen Lehr-/Lern­be­dürf­nis­se und somit Zie­le gera­de nicht von selbst erge­ben, son­dern wis­sen­schaft­lich reflek­tiert ana­ly­siert und for­mu­liert wer­den müs­sen, unter denen ent­spre­chen­des Han­deln aber zudem statt­fin­den, deut­lich ver­än­dert haben und ver­än­dern werden.

Vor die­sem Hin­ter­grund ist die Tat­sa­che, dass die SWK (auch) gera­de in die­sem Punkt nicht nur den Ein­satz nicht-fer­tig aus­ge­bil­de­ter Stu­die­ren­der als Lehr­per­so­nal nicht nur als eine Mög­lich­keit der Ver­brei­te­rung der Kapa­zi­tä­ten anführt, son­dern kon­kre­te und nicht nur quan­ti­ta­ti­ve (max 10 Unter­richts­stun­den Depu­tat) , son­dern auch qua­li­ta­ti­ve Begren­zun­gen für die Nut­zung die­ser Maß­nah­me (erst ab der Mas­ter­pha­se des Stu­di­um) for­mu­liert, sehr zu begrü­ßen und zu unter­stüt­zen. Gleich­wohl wird sich zei­gen müs­sen, inwie­fern die­se Leit­li­li­en von den ver­ant­wot­li­chen Bil­dungs­ver­wal­tun­gen auch respek­tiert und ein­ge­hal­ten wer­den (der­zei­ti­ge Pra­xis geht dem Ver­neh­men nach bereits deut­lich dar­über hin­aus), und inwie­fern sie ausreichen.

Ver­gleich­ba­res gilt für den Ein­satz von sog. Quer- und Seiteneinsteiger:innen, je nach kon­kre­tem Fall in gestei­ger­tem Maße.

Es ist also deut­lich zu for­dern, dass bereits der­zeit geüb­te Prak­ti­ken der Rekru­tie­rung von Lehr­per­so­nal vor dem Hin­ter­grund die­ser Maß­ga­be und ent­spre­chen­der, noch zu for­mu­lie­ren­der Gesichts­punk­te über­prüft und ggf. kor­ri­giert wird, und dass ent­spre­chen­de Maß­nah­me mit wei­te­ren Maß­nah­men flan­kiert wer­den, wel­che geeig­net sind, etwa­ige mög­li­che Pro­ble­ma­ti­ken abzufangen.

Daher wäre es wün­schens­wert, wenn dem Papier der SWK wei­te­re Kon­kre­ti­sie­run­gen fol­gen wür­den (sei es durch die sel­bee Kom­mis­si­on oder auch durch ande­re Gre­mi­en und Instan­zen), wel­che die ein­zel­nen Maß­nah­men hin­sicht­lich kurz‑, aber auch mit­tel- und lang­fris­ti­ger Wir­kun­gen und Fol­gen, Inter­ak­tio­nen und ‑feren­zen zwi­schen ihnen reflek­tie­ren und ent­spre­chen­de Kri­te­ri­en und Leit­li­ni­en for­mu­lie­ren. Die­se dür­fen (wie bei gege­be­nen Bei­spiel ja auch) gera­de nicht nur sol­che der quan­ti­ta­ti­ven Sicher­stel­lung von Unter­richts­ver­sor­gung sein, son­dern müs­sen eben­so qua­li­ta­ti­ve Fra­gen betref­fen (sie­he unten für eine selbst noch weit unfer­ti­ge Rei­he von Fra­gen und Gesichtspunkten).

(Gegen-)Vorschlag: Phasen- und Institutionen-Perspektiven verschränkende (PIPV) Betreuungsgruppen statt einfacher Aktivierung aller Reserven und Ressourcen

Der­ar­ti­ge Über­le­gun­gen kann und soll­te ggf. auch dazu füh­ren, dass das von der SWK auf­ge­grif­fe­ne und aus­ge­brei­te­te Instru­men­ta­ri­um selbst nicht nur indi­vi­du­ell reflek­tiert und bewer­tet wird, son­dern auch Ada­pa­tio­nen for­mu­liert und über­legt wer­den. Ein Bei­spiel dafür sei gege­ben, wobei vor­an­ge­schickt wer­den muss, dass die­se selbst nicht auf Ergeb­nis­sen wis­sen­schaft­li­cher For­schung beru­hen, son­dern auf­grund ers­ter per­sön­li­cher Gesprä­che mit ggf. Betrof­fe­nen und somit auf “anek­do­ti­scher Evi­denz” basie­ren. Ernst­haf­te wis­sen­schaft­lich Evi­denz ist der­zeit auch inso­fern schwie­rig, dass ein Groß­teil von For­schun­gen noch noch nicht vor dem Hin­ter­grund der aku­ten und umfas­sen­den Lehr­kräf­te­man­gel­si­tua­ti­on erho­ben wur­de. Das betrifft etwa die Fra­ge der Qua­li­fi­ka­ti­on von Sei­ten- und Quereinstieger*innen und ihrer Bewäh­rung im Unter­richt. Für Situa­tio­nen, in denen der­ar­ti­ges Lehr­per­so­nal nicht eine klei­nen Teil von Unter­richt, son­dern vie­lehr wesent­li­che Antei­le der “Grund­last” über­nimmt, und in denen somit auch Beglei­tun­gen durch erfah­re­ne Lehr­kräf­te auf­grund derer (u.U. auch erhöh­ter) Unter­richts­be­las­tung eher unwahr­schein­lich wer­den, lie­gen m.W. wenig empi­ri­sche Erkennt­nis­se vor.

Aber zum kon­kre­ten Beispiel:

Die SWK emp­fiehlt neben­ein­an­der den (begrenz­ten) Ein­satz nicht-fer­tig aus­ge­bil­de­ter Stu­die­ren­der als Lehr­kräf­te, jenen von Quer- und Seiteneinsteiger:innen mit eben­falls nicht ange­schlos­se­ner (eher “on the Job” und par­al­lel dazu zu absol­vie­ren­der und ver­kürz­ter) päd­ago­gisch-fach­di­dak­ti­scher Aus­bil­dung und die Reak­ti­vie­rung bereits pen­sio­nier­ter Lehrkräfte.

Jeder die­ser Maß­nah­men erscheint zunächst — in deut­li­chen Gren­zen — sinn­voll. Alle zusam­men wer­fen u.a. die Fra­ge auf, wie aktu­el­les bzw. rezen­tes fach­li­ches und fach­di­dak­ti­sches, aber auch schul­päd­ago­gi­sches und erzie­hungs­wis­sen­schaft­li­ches Wis­sen, das “voll aus­ge­bil­de­ten”) Stu­die­ren­den im Rah­men ihrer uni­ver­si­tä­ren ers­ten Pha­se begeg­net und von ihnen im Rah­men von Prak­ti­ka vor allem aber im Vor­be­rei­tungs­dienst und in ihrer spä­te­ren Tätig­keit in die Schu­len getra­gen wor­den wäre, auch die­sen ver­kürzt und ohne inten­si­ven Kon­takt zu aktu­el­ler wis­sen­schaft­li­cher For­schung und Dis­kus­si­on im Unterrcht ein­ge­setz­ten Lehr­kräf­ten nahe gebracht und in ihre Über­le­gun­gen ein­be­zo­gen wer­den kann.

Zudem hat jede die­ser Maß­nah­men nicht nur mög­li­che Fol­gen, son­dern auch Bedin­gun­gen ihrer Umset­zung. Das gilt ins­be­son­de­re auch für die zuletzt­ge­nann­te Maß­nah­me der Reak­ti­vie­rung erfah­re­ner pen­sio­nier­ter Lehr­kräf­te. Wäh­rend abschre­cken­de finan­zi­el­le Hür­den (etwa mög­li­che Anrech­nun­gen der Hono­ra­re auf die Pen­si­on) admi­nis­tra­tiv besei­tigt wer­den kön­nen oder schon wur­den, ist die Vor­stel­lung der Attrak­ti­vi­tät einer erneu­ten Unter­richts­träg­keit zumin­dest für eini­ge erfah­re­ne Lehr­kräf­te nicht ungebrochen.

Wäh­rend aus mei­nem Bekann­ten­kreis eini­ge durch­aus bestä­ti­gen, dass die Vor­stel­lung, wie­der päd­ago­gisch und unter­richts­nah tätig zu sein, durch­aus attrak­tiv ist, schreckt vie­le doch die jene eines erneu­ten voll ver­ant­wort­li­chen Ein­sat­zes ab, wozu meh­re­re Aspek­te bei­tra­gen, näm­lich neben unsi­che­rer eige­ner Gesund­heit und gerin­ger Nei­gung, in nen­nens­wer­tem Umfang unter gegen­wär­ti­gen (und zum Teil bereits als ver­än­dert wahr­ge­nom­me­nen Bedin­gun­gen) täg­li­che Ver­ant­wor­tung tra­gen zu müs­sen bis hin zur deut­li­chen Ein­schrän­kung der mit der Pen­sio­nie­rung gewon­ne­nen zeit­li­chen Flexibilität.

Hier­zu gebe ich zu erwä­gen, ob nicht etwa die von der SWK for­mu­lier­te Leit­li­nie, nicht-fer­tig aus­ge­bil­de­ten Lehr­kräf­te, wie auch Quer- und Seiteneinsteiger*innen erfah­re­ne (akti­ven) Lehr­kräf­te zur Sei­te zu stel­len im Sin­ne eines “Men­to­ring” und ins­be­son­de­re zur Unter­stüt­zung bei der Unter­richts­pla­nung, dahin­ge­hend abzu­wan­deln, gera­de für die­se Auf­ga­be pen­sio­nier­te Lehr­kräf­te abzu­wer­ben und ein­zu­set­zen, und die­se Tätig­keit wie­der­um ein ein Unter­tüt­zungs­sys­tem ein­zu­bin­den. Auf die­se Wei­se kann die Exper­ti­se der pen­so­nier­ten Lehr­kräf­te genutzt und in Wert gesetzt wer­den, ohne dass sie selbst mit täg­li­cher Ver­pflich­tung gegen­über Schüler:innen und Eltern “in die Bütt” müss­ten. Sie könn­ten viel­mehr als Exper­ten bera­tend tätig wer­den gegen­über nicht voll und nicht fer­tig aus­ge­bil­de­ten Lehr­kräf­ten — etwa im Rah­men wöchent­li­cher grup­pen­wei­se “Peer-Super­vi­si­on”, in wel­cher letz­te­re sowohl Fra­gen der Uner­richts­pla­nung, aber auch von Unter­richts­er­fah­run­gen (bis hin zu “Fall­be­spre­chun­gen”) sowohl unter- und mit­ein­an­der als auch mit den erfah­re­nen Lehr­kräf­ten bespre­chen und ent­wi­ckeln können.

Ergänzt wer­den könn­te (und soll­te) die­ses Sys­tem durch eine Art kas­ka­die­ren­der Betreu­ung auch die­ser Mentor*innen und ihrer Grup­pen durch Per­so­nal aus der Lehr­kräf­te­fort­bil­dung und der Uni­ver­si­tät — etwa durch etwa 6‑wöchentliche Mentor:innen-Beratungen und zusätz­li­che the­men­spe­zi­fi­sche Fort­bil­dungs­ver­an­stal­tun­gen, die gera­de auch fach-didak­tisch aus­ge­rich­tet wer­den — zu lei­ten unter wesent­li­cher Betei­li­gung der Uni­ver­si­tä­ten und dort der Fach­di­dak­ti­ken. Hier­für wäre es ins­be­son­de­re sehr ange­bracht, wenn für jedes Fach ein­zel­ne akti­ve Lehr­per­so­nen zur Betei­li­gung an der uni­ver­si­tä­ren Leh­re in der Fach­di­dak­tik (25%) und zur Betreu­ung fach­spe­zi­fi­scher sol­cher Betreu­ungs­grup­pen (25%) abge­stellt würden.

Die Kon­struk­ti­on könn­te also so aus­se­hen, dass eine sol­che fach­spe­zi­fi­sche pha­sen- und insti­tu­tio­nen-per­spek­ti­ven ver­schrän­ken­de (PIPV) Betreu­ungs­grup­pe von einer akti­ven, in die Fach­di­dak­tik der Uni­ver­si­tät ein­ge­bun­de­nen Lehr­kraft und eine:r pen­sio­nier­ten Praktiker:in (ggf. wech­selnd) gelei­tet wür­den und an ihnen eine Zahl bereits unter­rich­ten­der Stu­die­ren­der und Quer- bzw. Seiteneinsteiger:innen teil­neh­men, wie auch fest ange­stell­te Lehr­kräf­te in der Drit­ten, der Berufs­ein­gangs­pha­se, in der sie mit 25% ihres Depu­tats für (unter ande­rem) für die­se Super­vi­si­ons- und Ent­wick­lungs­grup­pen frei­ge­stellt würden.

Die dazu nöti­ge Reduk­ti­on ihrer Unter­richts­ver­pflich­tung der Lehr­kräf­te in der Berufs­ein­gangs­pha­se, der Quer- und Seiteneinsteiger:innen und der Lehr­be­auf­trag­ten für die­se Grup­pen wäre eine gute Inves­ti­ti­on in die Qua­li­täts-Siche­rung und Ent­wick­lung. Sie könn­te durch eine Ent­las­tung der Lehr­kräf­te von unter­richts­fer­nen (admi­nis­tra­ti­ven) Auf­ga­ben zumin­dest teil­wei­se kom­pen­siert werden.

Die akti­ven wie pen­sio­nier­ten Mentor:innen in die­sem Sys­tem wie­der­um soll­ten ihrer­seits an (evtl. abwech­selnd schul­päd­a­gisch, ‑psy­cho­lo­gisch und fach­di­dak­tisch) aus­ge­rich­te­ten Refle­xi­ons- und Fort­bil­dungs­ver­an­stal­tun­gen teil­neh­men und zudem (etwa vier­tel- oder hab­jähr­lich) Fort­bil­dungs­ver­an­stal­tun­gen zu neu­en The­men (Digi­ta­li­sie­rung, Inklu­si­on, kul­tu­rel­le Hete­ro­ge­ni­tät, fach­li­che Fra­gen) orga­ni­siert wer­den. Damit wür­de eine Kom­bi­na­ti­on der Wei­ter­ga­be von Erfah­rungs­wis­sen und Rou­ti­nen einer- und evi­denz­ba­sier­tem wie aktu­el­len Theo­rie­wis­sen und neu­en Per­spek­ti­ven ande­rer­seits auch unter den Bedin­gun­gen des Lehr­kräf­te­man­gels gesichert.

Weiterführende Fragen und Perspektiven (zur Diskussion, unfertig)

Im Fol­gen­den lis­te ich eini­ge Fra­gen auf, die m.E. an die Ver­wen­dung der von der SWK emp­foh­le­nen Maß­nah­men zu stel­len sind, bzw. sich aus ihnen erge­ben oder auch all­ge­mei­ner den Umgang mit dem Lrhr­käf­te­man­gel betref­fen. Die­se Fra­gen sind noch unfer­tig und unvollständig.

(unfer­tig)

Zu den durch den aktu­el­len Lehr­käf­te­man­gel auf­ge­wor­fe­nen Fra­gen neben sol­chen der unmit­tel­ba­ren Unter­richts­ver­sor­gung und der Unter­richts­qua­li­tät nach der­zeit gül­ti­gen sowie wis­sen­schaft­lich dis­ku­tier­ten – gera­de auch fach­di­dak­ti­schen – Maß­stä­ben auch sol­cher der Aus­wir­kun­gen auf die Leh­rer­bil­dung selbst, und zwar in mehr­fa­cher Hin­sicht, nämlich

  • auf die Dau­er und Qua­li­tät lau­fen­der Stu­di­en und ‑abschlüs­se (etwa:
    • Inwie­fern bewirkt ein nen­nens­wer­ter bedarfs­de­cken­der Ein­satz von Stu­die­ren­den im Unter­richt mit den Fol­gen täg­li­cher und lang­fris­ti­ger Bin­dung wesent­li­cher Antei­le ihres Zeit­bud­gets und ihrer Auf­merk­sam­keit durch täg­li­che sowie insti­tu­tio­nell und per­so­nal mit hoher Ver­ant­wor­tung ver­bun­de­ner Tätig­kei­ten sowohl auf die Orga­ni­sier­bar­keit und Dau­er des Stu­di­ums wie von Abschluss­ar­bei­ten – nicht zuletzt auch hin­sicht­lich der zu wis­sen­schaft­li­cher Arbeit ins­be­son­de­re in den Abschluss­pha­sen nöti­gen men­ta­len Kon­zen­tra­ti­on und Frei­heit – von Zeit- und Orga­ni­sa­ti­ons­auf­wand nicht nur empi­ri­scher Abschluss­ar­bei­ten abgesehen?
    • Inwie­fern ver­schiebt frü­he ver­ant­wort­li­che Pra­xis­er­fah­rung die Bereit­schaft Stu­die­ren­der, sich auf theo­re­ti­sche und kri­tisch-refle­xi­ve Per­spek­ti­ven auf Zie­le, Bedin­gun­gen und Prak­ti­ken erzie­hungs­wis­sen­schaft­li­chen Han­delns ein­schließ­lich ihrer fach­li­chen, gesell­schaft­li­chen insti­tu­tio­nel­len und phi­lo­so­phi­schen Dimen­sio­nen ein­zu­las­sen im Ver­hält­nis zu Bedürf­nis­sen unmit­tel­bar prak­ti­scher (pra­xeo­lo­gi­scher) Anlei­tung erfolg­rei­chen Handelns?
    • Inwie­fern ist somit zu gewär­ti­gen, dass ein nen­nens­wer­ter frü­her Ein­satz nicht fer­tig wis­sen­schaft­lich (aus-)gebildeten Lehr­per­so­nals Über­zeu­gun­gen von der Natur päd­ago­gisch-didak­ti­schem Han­deln als eher rou­ti­n­ege­lei­te­ter und for­ma­li­sier­ba­rer Tätig­keit („Job“) zu beför­dern im Gegen­satz zu nöti­gen Über­zeu­gun­gen der Cha­rak­te­ris­tik die­ser Tätig­keit als kom­plex und tief in Lebens­chan­cen ande­re Men­schen (hier: Ler­nen­der) ein­grei­fend und somit mit hoher insti­tu­tio­nel­ler wie per­so­na­ler Ver­ant­wor­tung gegen­über einer kom­ple­xen Rei­he von Instan­zen (Ler­nen­de, Eltern, Insti­tu­ti­on, Gesell­schaft, Ethik …) ver­se­hen („Pro­fes­si­on“; vgl. Rad­tke 1999/​2000)2?
    • Inwie­fern ist zu erwar­ten, dass frü­hes eige­nes prak­ti­sches päd­ago­gisch-didak­ti­sches Han­deln unter gegen­wär­ti­gen Rah­men­be­din­gun­gen zu vor­schnel­ler Sät­ti­gung sub­jek­ti­ver Erfolgs­er­fah­run­gen mit Hand­lungs­prin­zi­pi­en und ‑rou­ti­nen führt, die sich ent­we­der schon unter den der­zei­ti­gen Bedin­gun­gen als nur ver­meint­lich bzw. kurz­fris­tig lern­för­der­lich erwei­sen oder aber dies unter noch nicht abseh­ba­ren künf­ti­gen Ver­än­de­run­gen von Anfor­de­run­gen und Bedin­gun­gen zu wer­den drohen?
    • Inwie­fern bringt somit der Ein­satz nicht (fer­tig und wis­sen­schaft­lich-refle­xiv) gebil­de­ter Lehr­kräf­te zwar ggf. kurz­fris­tig eine will­kom­me­ne und ggf. auch wenig schäd­li­che Ent­las­tung der Unter­richts­ver­sor­gung mit sich, gefähr­det aber zugleich die Kom­pe­ten­zen päd­ago­gisch-didak­tisch Täti­ger, sich pro­fes­sio­nell an der Wei­ter­ent­wick­lung von Per­spek­ti­ven, Gesichts­punk­ten, Nor­men, Prin­zi­pi­en, Metho­den und Eva­lua­ti­ons­kri­te­ri­en pro­fes­sio­nell zu beteiligen?
    • Inwie­fern gefähr­det somit ein sol­cher Ein­satz in nen­nens­wer­tem Umfang den Grad der Pro­fes­sio­na­li­tät der­zeit und vor allem künf­tig (schul-)pädagogisch und (fach)didaktisch Han­deln­der in dem Sin­ne ihrer Befä­hi­gung, Fer­tig­keit und Bereit­schaft zu eigen­ver­ant­wort­li­chem Han­deln in immer neu­en und kom­ple­xen (nie iden­ti­schen, for­ma­li­sier­ba­ren) und zudem wesent­li­chen Wand­lun­gen unter­wor­fe­nen Situa­tio­nen auf der Basis umfas­sen­den Theo­rie­wis­sens (Rad­tke 1999/​2000).
  • auf die nicht nur quan­ti­ta­ti­ve Qua­li­tät von (Fach-)Unterricht:
    • Inwie­fern birgt ein ins­be­son­de­re frü­her, bedarfs­de­cken­der Unter­richts­ein­satz nicht-fer­tig bzw. nicht wis­sen­schaft­lich-fach­li­cher und fach­di­dak­tisch aus­ge­bil­de­ter Lehr­kräf­te die Gefahr der Ver­ste­ti­gung bzw. Repro­duk­ti­on und Fes­ti­gung als pro­ble­ma­tisch erwie­se­ner, über­kom­me­ner all­ge­mein schul­päd­ago­gi­scher /​ all­ge­mein­di­dak­ti­scher Kon­zep­te ins­be­son­de­re fach­li­chen Unter­richts? Dies betrifft etwa die theo­re­ti­sche wie ope­ra­ble Ver­fü­gung von Lehr­per­so­nen über 
      • Kon­zep­te von Ler­nen als eines akti­ven, kon­struk­ti­ven, nicht vor­nehm­lich rezep­ti­vem und über­neh­men­den Vor­gangs, und somit die Ver­fü­gung über Kon­zep­te kogni­ti­ver Akti­vie­rung, koope­ra­ti­ven und kol­la­bo­ra­ti­ven Ler­nens, min­des­tens neben Kon­zep­ten direk­ter Instruktion,
      • über unter­schied­li­che Auf­ga­ben­kul­tu­ren und ‑kon­zep­te, etwa der Unter­schei­dung von Lern- und Leis­tungs­auf­ga­ben samt ihren Gren­zen, über Kon­zep­te akti­vie­ren­den und refle­xi­ven Ler­nens (Task Based Lear­ning; vgl. SWK, S. 21) sowie ggf. fach­li­cher Adap­tio­nen (für Geschich­te TBHL, Kör­ber et al. 20213),
    • Inwie­fern birgt ein ins­be­son­de­re frü­her, bedarfs­de­cken­der Unter­richts­ein­satz nicht-fer­tig bzw. nicht wis­sen­schaft­lich-fach­li­cher und fach­di­dak­tisch aus­ge­bil­de­ter Lehr­kräf­te die Gefahr der Ver­ste­ti­gung bzw. Repro­duk­ti­on und Fes­ti­gung als pro­ble­ma­tisch erwie­se­ner, über­kom­me­ner Kon­zep­te fach­li­chen Unter­richts? Das betrifft etwa 
      • unter­schied­li­che Kon­zep­te von Mathe­ma­tik­un­ter­richt zwi­schen Rech­nen, Ein­übung eta­blier­ter Ver­fah­ren vs. Model­lie­ren­der Erschlie­ßung kom­ple­xer mathe­ma­ti­scher Auf­ga­ben und des Auf­baus mathe­ma­ti­scher Kompetenzen,
      • die Ver­fü­gung über jeweils meh­re­re fach­di­dak­tisch eta­blier­te Kon­zep­te von Wis­sen (etwa in Geschich­te über die Unter­schei­dung und Bedeu­tung sub­stan­ti­ven, pro­ze­du­ra­lem und kon­zep­tua­lem Wis­sen ers­ter und zwei­ter Ordnung),
      • die Ver­fü­gung über fach­spe­zi­fi­sche Kon­zep­te von Pro­blem­ori­en­tie­rung und jeweils rele­van­ter und auch aktu­el­ler bil­dungs­re­le­van­ter Pro­ble­me („epo­che­ty­pi­scher Schlüs­sel­pro­ble­me“ nach Klaf­ki oder ande­re Konzeptualisierungsformen),
      • die reflek­tier­ten bzw. refle­xi­ven Ver­fü­gung über jeweils meh­re­re fach­spe­zi­fi­sche Lern- und Lehr­be­grif­fe (d.h. der Fähig­keit ihrer Iden­ti­fi­ka­ti­on in Mate­ria­li­en ud Unter­richts­kon­zep­ten und ihrer kri­ti­schen Reflexion),
  • auf die Mög­lich­kei­ten anspruchs­vol­ler, der skiz­zier­ten Cha­rak­te­ris­tik des Lehr­be­rufs als Pro­fes­si­on ange­mes­se­ner, Orga­ni­sa­ti­on der (Aus-)bildung, insbesondere 
    • auf die Mög­lich­keit und (rela­ti­ve) Frei­heit einer ers­ten, wis­sen­schaft­lich-aka­de­mi­schen Pha­se zur Gewin­nung nicht allein oder vor­nehm­lich von den eige­nen Erfah­run­gen mit Schu­le und Unter­richt als Ler­nen­de bzw. ander­wei­ti­gen, nicht kri­tisch-refle­xiv reflek­tier­ten Über­zeu­gun­gen gepräg­ten, son­dern wis­sen­schaft­li­chen Per­spek­ti­ven auf die all­ge­mei­nen gesell­schaft­li­chen, tech­ni­schen, media­len Bedin­gun­gen und Zie­le sowie Orga­ni­sa­ti­ons­for­men, Prin­zi­pi­en und Prak­ti­ken (hier: staat­lich ver­ant­wor­te­ter) schu­li­scher Erzie­hung und Bildung,
    • auf die Mög­lich­kei­ten und Prin­zi­pi­en der kon­kre­ten Gestal­tung von Stu­di­en­gän­gen und Lehr­an­ge­bo­ten in nicht allein oder vor­nehm­lich auf die Lehr­per­so­nen­bil­dung aus­ge­rich­te­ter und somit auch ande­ren Logi­ken und Prin­zi­pi­en ver­pflich­te­ten aka­de­mi­schen Insti­tu­tio­nen – ins­be­son­de­re hin­sicht­lich der (der­zei­ti­gen) Aus­ge­stal­tung sowohl der erzie­hungs- und fach­wis­sen­schaft­li­chen Stu­di­en als Voll­zeit-Ange­bo­te mit Zeit­rhyth­men, die gera­de nicht mit den Erfor­der­nis­sen von Tätig­kei­ten in Schu­le koor­di­niert sind,
    • auf die Mög­lich­kei­ten der Orga­ni­sa­ti­on von Pra­xis­er­fah­run­gen bereits in einer nicht der Beför­de­rung bzw. Her­stel­lung unmit­tel­ba­rer Unter­richts­fer­tig­keit die­nen­den ers­ten (aka­de­mi­schen) Pha­se, die nicht als Ein­übung in Rou­ti­nen aus­ge­stal­tet sind, aber auch nicht als sol­che wahr­ge­nom­men und genutzt wer­den, son­dern als zur Gewin­nung wis­sen­schaft­li­cher Auf­ar­bei­tung und Refle­xi­on zuzu­füh­ren­der Erfahrungen;
  • auf die Mög­lich­kei­ten der Berück­sich­ti­gung und des Ein­be­zugs nicht-her­kömm­li­cher und bereits rou­ti­ni­sier­ter The­ma­ti­ken und Per­spek­ti­ven auf fach­li­ches, päd­ago­gi­sches und fach­di­dak­ti­sches Wis­sen und Kön­nen bei Maß­nah­men der Bewäl­ti­gung des Lehr­kräf­te­man­gels, die wesent­lich auf der Gewin­nung von Kapa­zi­tä­ten durch Rekru­tie­rung nicht-fer­tig aus­ge­bil­de­ter und der Reak­ti­vie­rung erfah­re­ner, bereits pen­sio­nier­ter Lehr­per­so­nen beruht? 
    • Wel­che Mög­lich­kei­ten gibt es, sowohl nicht-fer­tig aus­ge­bil­de­te wie erfah­re­ne, aber bereits pen­sio­nier­te Lehr­kräf­te in ihrer Tätig­keit so zu unter­stüt­zen, dass weder unre­flek­tier­te über­kom­me­ne Rou­ti­nen noch allein päd­ago­gisch-didak­tisch gesät­tig­te und gut eta­blier­te Erfah­run­gen allein bestim­mend blei­ben, son­dern auch neue Her­aus­for­de­run­gen und Ansät­ze auf­ge­grif­fen und ver­ar­bei­tet wer­den können?
    • Wie kann es gelin­gen, Fort­bil­dun­gen und Beglei­tun­gen für nicht fer­tig aus­ge­bil­de­te Lehr­kräf­te wie für reak­ti­vier­te erfah­re­ne Lehr­per­so­nen so zu gestal­ten, dass sie in ihrer Tätig­keit auch aktu­el­le und rezen­te Fra­ge­stel­lun­gen und Ent­wick­lun­gen ein­be­zie­hen kön­nen und gleich­zei­tig ihre Exper­ti­se bei deren Auf­grei­fen wert­ge­schätzt wird?
  • zu Leit­vor­stel­lun­gen von Lehrerbildung? 
    • Inwie­fern sind Maß­nah­men zum Umgang mit dem Lehr­kräf­te­man­gel , ins­be­son­de­re zur kurz­fris­ti­gen Sicher­stel­lung der Unter­richts­ver­sor­gung geeignet, 
      • die Attrak­ti­vi­tät des Lehr­be­rufs als eines aka­de­mi­schen, pro­fes­sio­na­li­sier­ten und mit selbst­stän­di­ger Hand­lungs­er­mäch­ti­gung (aus­ge­stat­te­ten) voll­aka­de­mi­schen Berufs in Fra­ge zu stel­len zu Guns­ten von Vor­stel­lun­gen eher unselbst­stän­di­ger, vor­ge­ge­be­ne Kon­zep­te umset­zen­der Tätigkeiten?
      • ggf. eine “Zwei-Klassen”-Gesellschaft von Lehr­kräf­ten zu eta­blie­ren mit ent­we­der einer sub­sta­ti­el­len aus­bil­dungs­be­ding­ten Unter­schei­dung der Auf­ga­ben­pro­fi­le und Selbst­ver­ständ­nis­se schu­lisch-unte­richt­lich Han­deln­der (etwa durch Kon­zen­tra­ti­on der Tätig­kei­ten gering/​nicht fer­tig aus­ge­bil­de­ter Lehr­kräf­te auf das Tätig­keits­feld “Unter­rich­ten” und ihren weit­ge­hen­den Aus­schluss von Tätig­keits­fel­dern der Schul‑, Unter­richts-und Lehr­plan­ent­wick­lung sowie ggf. höhe­ren Prü­fun­gen sowie von der Betei­li­gung an didak­ti­schen Ent­wick­lun­gen; oder aber der Beför­de­rung einer Abwer­tung und Inat­trak­ti­vi­tät der auf­wän­di­ge­ren und län­ge­ren Aus­bil­dung, wenn ent­spre­chen­de Auf­ga­ben-und Kom­pe­tenz-Dif­fe­ren­zie­run­gen auf­grund fort­ge­setz­ten Man­gels auch in die­sen Tätig­keits­fel­dern oder auf­grund poli­ti­schen Wil­lens ausbleiben?
      • lang­jäh­rig eta­blier­te Errun­gen­schaf­ten der Auf­wer­tung des Lehr­be­rufs durch Voll­aka­de­mi­sie­rung und Pro­fes­sio­na­li­sie­rung, sowie durch eine Anglei­chung der Aus­bil­dungs- und Tätig­keits­pro­fi­le zuvor schul­form­spe­zi­fisch unter­schied­li­cher Aus­bil­dun­gen durch “Päd­ago­gi­sie­rung” und Didak­ti­sie­rung des höhe­ren (gym­na­sia­len) und fach­li­cher Auf­wer­tung des vor­ab “nie­de­ren” (Volks- bzw. Haupt­chul-Lehr­amts) zu gefähr­den, deren letz­te­re gera­de nicht allein stan­des­po­li­ti­schen Bestre­bun­gen der Volks­schu­leh­rer­schaft (allein) zuzu­schrei­ben sind, son­dern deren bei­de grund­le­gen­den päd­ago­gi­schen und bil­dungs­po­li­ti­schen Erwä­gun­gen ange­sichts ver­än­der­ter gesell­schaft­li­cher Anfor­de­run­gen an schu­li­sche Bil­dung (Stich­wort: Ver­wis­sen­schaft­li­chung) zu ver­dan­ken sind.4

Referenzen

Anmer­kun­gen /​ Refe­ren­ces
  1. Köl­ler, Olaf; Thiel, Feli­ci­tas; van Acke­ren-Mindl, Isa­bell; Anders, Yvonne; Becker-Mrot­zek, Micha­el; Cress, Ulri­ke et al. (2023): Emp­feh­lun­gen zum Umgang mit dem aku­ten Lehr­kräf­te­man­gel. Stel­lung­nah­me der Stän­di­gen Wis­sen­schaft­li­chen Kom­mis­si­on der Kul­tus­mi­nis­ter­kon­fe­renz. Stel­lung­nah­me der Stän­di­gen Wis­sen­schaft­li­chen Kom­mis­si­on der Kul­tus­mi­nis­ter­kon­fe­renz. Unter Mit­ar­beit von DIPF | Leib­niz-Insti­tut für Bil­dungs­for­schung und Bil­dungs­in­for­ma­ti­on und Stän­di­ge Wis­sen­schaft­li­che Kom­mis­si­on der Kul­tus­mi­nis­ter­kon­fe­renz (SWK). https://​www​.kmk​.org/​f​i​l​e​a​d​m​i​n​/​D​a​t​e​i​e​n​/​p​d​f​/​K​M​K​/​S​W​K​/​2​0​2​3​/​S​W​K​-​2​0​2​3​-​S​t​e​l​l​u​n​g​n​a​h​m​e​_​L​e​h​r​k​r​a​e​f​t​e​m​a​n​g​e​l​.​pdf; gele­sen 30.1.2023[]
  2. Rad­tke, Frank-Olaf (2000): Pro­fes­sio­na­li­sie­rung der Leh­rer­bil­dung durch Auto­no­mi­sie­rung, Entstaatlichung,Modularisierung. In: Sowi Online­Jour­nal (0), S. 1 – 8. http://​www​.sowi​-online​.de/​s​i​t​e​s​/​d​e​f​a​u​l​t​/​f​i​l​e​s​/​r​a​d​t​k​e​.​pdf; sowie ders. (1999): Auto­no­mi­sie­rung, Ent­staat­li­chung, Modu­la­ri­sie­rung. Neue Argu­men­te in der Leh­rer­bil­dungs­dis­kus­si­on? Anstel­le einer Ein­lei­tung. In: Frank-Olaf Rad­tke (Hg.): Leh­rer­bil­dung an der Uni­ver­si­tät. Zur Wis­sens­ba­sis päd­ago­gi­scher Pro­fes­sio­na­li­tät. Doku­men­ta­ti­on des Tages der Leh­rer­bil­dung an der Johann-Wolf­gang-Goe­the-Uni­ver­si­tät, Frank­furt am Main, 16. Juni 1999. Frankfurt/​Main: Fach­be­reich Erzie­hungs­wiss. der Johann-Wolf­gang-Goe­the-Univ (Frank­fur­ter Bei­trä­ge zur Erzie­hungs­wis­sen­schaft Rei­he Kol­lo­qui­en, 2), S. 9 – 22.[]
  3. Kör­ber, Andre­as; Gärt­ner, Niko; Stork, Anni­ka; Hart­mann, Han­na (2021): Task-Based Histo­ry Lear­ning (TBHL) – ein Kon­zept für refle­xi­ve Lern­auf­ga­ben im Geschichts­un­ter­richt? In: ZfGd 20 (1), S. 197 – 212. DOI: 10.13109/zfgd.2021.20.1.197.[]
  4. Kör­ber, Andre­as (2022): Uni­ver­si­tä­res Lehr­amts­stu­di­um: Voll-Aka­de­mi­sie­rung als Wis­sen­schafts­fun­die­rung der Pra­xis­ori­en­tie­rung? In: Rai­ner Nico­lay­sen, Eck­art Krau­se und Gun­nar B. Zim­mer­mann (Hg.): 100 Jah­re Uni­ver­si­tät Ham­burg. Stu­di­en zur Ham­bur­ger Uni­ver­si­täts- und Wis­sen­schafts­ge­schich­te in vier Bän­den. Bd. 3. Göt­tin­gen: Wall­stein Ver­lag, S. 88 – 124.[]
==

Neuerscheinung: Beitrag zur Kompetenzmessung und Leistungsbewertung in der Neuauflage des Praxishandbuchs (ex Günter-Arndt) durch Monika Fenn und Meik Zülsdorf-Kersting

18. Januar 2023 Andreas Körber Keine Kommentare

Gera­de ist erscheinen:

Fenn, Moni­ka; Züls­dorf-Kers­t­ing, Meik (Hg.) (2023): Geschichts-Didak­tik — Pra­xis­hand­buch. Pra­xis­hand­buch für den Geschichts­un­ter­richt. Cor­nel­sen Scrip­tor. Neu­aus­ga­be. Ber­lin: Cor­nel­sen Päd­ago­gik (Fach­di­dak­tik).

Dar­in auch ein Bei­trag von mir:

Kör­ber, Andre­as (2023): Leis­tungs­be­ur­tei­lung und Kom­pe­tenz­mes­sung im Geschichts­un­ter­richt. In: Moni­ka Fenn und Meik Züls­dorf-Kers­t­ing (Hg.): Geschichts-Didak­tik — Pra­xis­hand­buch. Pra­xis­hand­buch für den Geschichts­un­ter­richt. Neu­aus­ga­be. Ber­lin: Cor­nel­sen Päd­ago­gik (Fach­di­dak­tik), S. 283 – 304.

Vortrag auf der Zweijahreskonferenz der Konferenz für Geschichtsdidaktik (KGD) in München

11. September 2022 Andreas Körber Keine Kommentare

Vom 7. bis 9. Sep­tem­ber 2022 fand unter dem Titel “Geschichts­be­wusst­sein, Geschichts­kul­tur, Public Histo­ry — Ein span­nen­des Ver­hält­nis” die Zwei­jah­res­ta­gung der Kon­fe­renz für Geschichts­di­dak­tik in Mün­chen statt. In einer von Sebas­ti­an Barsch und Mar­tin Nit­sche aus­ge­rich­te­ten Sek­ti­on zum The­ma “Lässt sich Geschichts­be­wusst­sein (noch) erfor­schen? Epis­te­mo­lo­gi­sche Her­aus­for­de­run­gen bei der Erfor­schung von Geschichts­be­wusst­sein” habe ich dort einen Vor­trag gehal­ten mit dem Titel “Geschichts­be­wusst­sein: (nur) reif – modern – westlich?”.

Neuerscheinung: Kompetenzorienierung — eine Sackgasse? Nein!

20. Mai 2022 Andreas Körber Keine Kommentare

Gera­de ist im Wochen­schau-Ver­lag ein Sam­mel­band mit Vor­trä­gen aus einer Kol­lo­qui­en­rei­her der Uni Bie­le­feld erschienen.

Dar­in u.a. mein Bei­trag aus einem kon­tro­vers ange­leg­ten Gespräch mit Jür­gen Gunia als aus­ge­spro­che­nem Kri­ti­ker der Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung und einem Bei­trag von ihm, der aller­dings wenig sei­ne damals vor­ge­tra­ge­nen Gedan­ken ent­hält, son­dern offen­kun­dig viel­mehr als aber­ma­li­ge Reak­ti­on auf mei­ne dama­li­gen The­sen zu ver­ste­hen ist:

Kör­ber, Andre­as (2022): Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung – eine Sack­gas­se? Nein! In: Tho­mas Must, Jörg van Nor­den und Nina Mar­ti­ni (Hg.): Geschichts­di­dak­tik in der Debat­te. Bei­trä­ge zu einem inter­dis­zi­pli­nä­ren Dis­kurs. Frank­furt: Wochen­schau Ver­lag (Geschichts­di­dak­tik theo­re­tisch), S. 139 – 156.

Gunia, Jür­gen (2022): ‚Selbst ver­nünf­tig Geschichte(n) den­ken‘? Zur Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung nach Andre­as Kör­ber – Ein Blind­flug mit Boden­kon­takt. In: Tho­mas Must, Jörg van Nor­den und Nina Mar­ti­ni (Hg.): Geschichts­di­dak­tik in der Debat­te. Bei­trä­ge zu einem inter­dis­zi­pli­nä­ren Dis­kurs. Frank­furt: Wochen­schau Ver­lag (Geschichts­di­dak­tik theo­re­tisch), S. 157 – 168.

Entwürfe neuer Hamburger Bildungspläne: Stellungnahme einiger Fachdidaktiker*innen der UHH

13. Mai 2022 Andreas Körber Keine Kommentare

Zu dem vor ein paar Wochen auf den Sei­ten der Ham­bur­ger Schul­be­hör­de (BSB) ver­öf­fent­lich­ten Ent­wür­fen für neue Bil­dungs­plä­ne für Ham­bur­ger Schu­len (gemäß den Infor­ma­tio­nen auf den von der BSB ver­an­stal­te­ten Fach­fo­ren zur Dis­kus­si­on bis Ende Juni; Über­ar­bei­tung dann bis Okto­ber; Erpro­bung ab 8/​2023) haben eini­ge Fachdidaktiker*innen unse­rer Fakul­tät eine gemein­sa­me ers­te Stel­lung­nah­me ver­fasst, wel­che ggf. ein­zel­ne Stel­lung­nah­men und Hin­wei­se im wei­te­ren Ver­fah­ren nicht aus­schließt. Nach­dem die Stel­lung­nah­me — zuerst intern in den jewei­li­gen Arbeits­grup­pen und auch Sozie­tä­ten zur wei­te­ren Dis­kus­si­on ver­brei­tet — nach dem zwei­ten Fach­fo­rum der Behör­de nun auch offi­zi­ell an den Bil­dungs­se­na­tor und die für die Bil­dungs­plä­ne Ver­ant­wort­li­chen über­sandt wur­de, aber offen­kun­dig auch bereits eini­ge Ver­brei­tung gefun­den hat (vgl. Bericht im NDR), stel­le ich sie nun­mehr hier auch her­un­ter­lad­bar ein:

2022_05_02_­FI­NAL-Fach­di­dak­ti­ken-Stel­lung­nah­me-Bil­dungs­plan­ent­wuer­fe-BSB

 

Vorankündigung: Kompetenzorienierung — eine Sackgasse? Nein!

11. März 2022 Andreas Körber Keine Kommentare

Dem­nächst erscheint in Wochen­schau-Ver­lag ein Sam­mel­band mit Vor­trä­gen aus einer Kol­lo­qui­en­rei­her der Uni Bielefeld.

Dar­in u.a. mein Bei­trag aus einem kon­tro­vers ange­leg­ten Gespräch mit Jür­gen Gunia als aus­ge­spro­che­nem Kri­ti­ker der Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung und einem Bei­trag von ihm, der aller­dings wenig sei­ne damals vor­ge­tra­ge­nen Gedan­ken ent­hält, son­dern offen­kun­dig viel­mehr als aber­ma­li­ge Reak­ti­on auf mei­ne dama­li­gen The­sen zu ver­ste­hen ist:

Kör­ber, Andre­as (2022): Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung – eine Sack­gas­se? Nein! In: Tho­mas Must, Jörg van Nor­den und Nina Mar­ti­ni (Hg.): Geschichts­di­dak­tik in der Debat­te. Bei­trä­ge zu einem inter­dis­zi­pli­nä­ren Dis­kurs. Frank­furt: Wochen­schau Ver­lag (Geschichts­di­dak­tik theo­re­tisch), S. 139 – 156.

Gunia, Jür­gen (2022): ‚Selbst ver­nünf­tig Geschichte(n) den­ken‘? Zur Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung nach Andre­as Kör­ber – Ein Blind­flug mit Boden­kon­takt. In: Tho­mas Must, Jörg van Nor­den und Nina Mar­ti­ni (Hg.): Geschichts­di­dak­tik in der Debat­te. Bei­trä­ge zu einem inter­dis­zi­pli­nä­ren Dis­kurs. Frank­furt: Wochen­schau Ver­lag (Geschichts­di­dak­tik theo­re­tisch), S. 157 – 168.

Neuer Titel erschienen

15. September 2021 Andreas Körber Keine Kommentare

Gera­de ist eben­so erschienen:
Titelbild: Bodo von Borries (2021): Geschichtslernen, Geschichtsunterricht und Geschichtsdidaktik. Erinnerungen, Erfahrungsschätze, Erfordernisse. 1959/60–2020/21. Frankfurt am Main: Wochenschau (Wochenschau Wissenschaft)

Bor­ries, Bodo von (2021): Geschichts­ler­nen, Geschichts­un­ter­richt und Geschichts­di­dak­tik. Erin­ne­run­gen, Erfah­rungs­schät­ze, Erfor­der­nis­se. 1959/​60 – 2020/​21. Frank­furt am Main: Wochen­schau (Wochen­schau Wissenschaft).

“Das Buch stellt 60 Jah­re Geschichts­un­ter­richt und Geschichts­di­dak­tik aus reflek­tie­ren­der Rück­schau sei­nes inten­siv betei­lig­ten Autors dar. Es quillt über von kon­kre­ten Bei­spie­len, über­ra­schen­den Anek­do­ten, erhel­len­den Kon­tro­ver­sen, über­trag­ba­ren Fall­ana­ly­sen und pro­duk­ti­ven Anre­gun­gen. Der Band bie­tet nicht nur einen span­nen­den Ein­blick in die Geschich­te der Dis­zi­plin, son­dern gibt auch Impul­se für ihre Zukunft.”

Inhaltsübersicht:

Vor­be­mer­kung

1. Stich­jahr 1959/​60: Das „alte“ natio­nal­kon­ser­va­tiv-poli­tik­ge­schicht­li­che und stoff­zen­triert-leh­rer­do­mi­nier­te Sys­tem – Erfah­rung eines Sek. II‑Schülers, dann Stu­den­ten und Ein­schät­zung nach 60 Jahren

1.1 NS‑Verdrängung (und Bil­dungs-Expan­si­on nach ‑Restau­ra­ti­on)
1.1.1 Frü­he Erfah­run­gen mit Geschichts-Unter­richt und –Schul­buch
1.1.2 NS‑Verharmlosung in benutz­tem Schul­buch (1956) und Gesamtgesellschaft
1.1.3 Beschei­de­ne Ansät­ze zur NS‑Durcharbeitung
1.1.4 Ers­te beacht­li­che Bil­dungs­expan­si­on in ver­deck­ter „Gro­ßer Koali­ti­on“ von SPD- und CDU/C­SU-Län­dern

1.2 Geschichts­di­dak­ti­sches Vaku­um und unzu­rei­chen­de Lehrerausbildung
1.2.1 Unbe­ding­te Stoff- und Lehrerdominanz
1.2.2 Ernst­ge­nom­me­ne, aber „rei­fungs­theo­re­tisch“ ver­kürz­te Entwicklungspsychologie
1.2.3 Vor­ge­se­he­nes „poli­tik­ge­schicht­li­ches Schmal­spur­stu­di­um“ und eige­nes „Löcken wider den Stachel“
1.2.4 Kei­ne hilf­rei­che Erzie­hungs­wis­sen­schaft, Total­aus­fall von „Geschichts­di­dak­tik“ und „Schul­prak­ti­ka“

2. Stich­jahr 1971/​72: Umbruch von Stoff- und Leh­rer­do­mi­nanz zu Pro­blem- und Dia­log­ori­en­tie­rung – Erfah­rung eines jun­gen Refe­ren­dars und Ein­schät­zung nach 48 Jahren

2.1 „Mei­len­stei­ne“ und „Defi­zi­te“
2.1.1 Tie­fe Exis­tenz­kri­se des Faches Geschichte
2.1.2 Stoff­über­frach­tung bei Abschaf­fungs­ri­si­ko (durch „Gesell­schafts­leh­re“)
2.1.3 Erfor­der­li­cher „Schwenk vom Leh­ren zum Lernen“
2.1.4 Fach­un­ter­richt nur als Zwei­te Gei­ge im Streich­quar­tett des Geschichtslernens

2.2 „Eigen­bei­trä­ge“
2.2.1 Das per­sön­li­che Ein­tritts­bil­lett: Vor­schlag prä­zi­ser, loh­nen­der Lern­zie­le und intel­li­gen­ter, gerech­ter Tests
2.2.2 „Sozia­li­sa­ti­on“ plus – kei­nes­wegs statt! – „Rei­fung“ des Geschichtsbewusstseins

3. Stich­jahr 1983/​84: Eta­blie­rung von „Geschichts­be­wusst­sein“ als Leit­ka­te­go­rie und Bedarf an „Empi­rie“ als Zugriff – Erfah­rung eines auf­stre­ben­den Hoch­schul­leh­rers und Ein­schät­zung nach 36 Jahren

3.1 „Mei­len­stei­ne“ und „Haupt­de­fi­zi­te“
3.1.1 Leit­ka­te­go­rie „Geschichts­be­wusst­sein“, noch ohne vol­len Kon­struk­ti­vis­mus und Narrativismus
3.1.2 Kom­pro­miss von „Iden­ti­tät“ und „Eman­zi­pa­ti­on“ – und bei­der blei­ben­de Bedeutung
3.1.3 Kon­se­quen­te Quel­len­ori­en­tie­rung und stän­di­ger Arbeits­un­ter­richt – Klu­ge Entscheidung?
3.1.4 „Sinn­bil­dungs­mus­ter“ als logisch dif­fe­ren­zier­te For­men des unver­meid­li­chen „Gegen­warts­be­zugs“

3.2 „Eigen­bei­trä­ge“
3.2.1 Beson­de­rer Schwer­punkt I: Alter­na­ti­ve Unterrichtsmodelle
3.2.1.1 „Frau­en­ge­schich­te“ – gemäß Wis­sen­schafts­lo­gik und Verfassungsanspruch!
3.2.1.2 „Kolo­ni­al­ge­schich­te“ und „Umwelt­ge­schich­te“ als Aus­wei­tung des eng-natio­na­len Kanons
3.2.2 Beginn der Empi­rie-Ein­lö­sung: Geschichts­nut­zun­gen, Lern­ar­ten und Unterrichtsprofile

4. Stich­jahr 1995/​96: Quan­ti­ta­ti­ve Eva­lua­ti­on des mecha­ni­schen Mas­sen­ex­pe­ri­ments „Ost-West-Ver­het­zung“ und begin­nen­de „Inter­kul­tu­ra­li­tät“ – Erfah­rung eines alt­ge­dien­ten Pro­fes­sors und Ein­schät­zung nach 24 Jahren

4.1 „Mei­len­stei­ne“ und „Haupt­de­fi­zi­te“
4.1.1 Eine gro­ße Stun­de inter­na­tio­na­ler Schul­buch­ar­beit am „Georg-Eckert-Insti­tut“
4.1.2 Natio­na­le Ver­en­gung bei star­kem Bedarf eines neu­en „inklu­si­ven“ Nation-Building
4.1.3 Lang­sa­mes Wachs­tum von „Inter­kul­tu­ra­li­tät“ in Geschichts­ler­nen und Fachdidaktik
4.1.4 „His­to­ri­sche Pro­jekt­ar­beit“ als „Grö­ßen­wahn“ oder „Königs­weg“ (bei neu­er Computerbenutzung)?

4.2 „Eigen­bei­trä­ge“
4.2.1 Beson­de­rer Schwer­punkt II: Quan­ti­ta­ti­ve Ost-West-Vergleiche
4.2.1.1 Jugend­li­ches Geschichts­be­wusst­sein in Ost- und West-Deutsch­land (6., 9., 12. Klassenstufe)
4.2.1.2 Jugend­li­ches Geschichts­be­wusst­sein in Ost- und West-Euro­pa (9. Klassenstufe)
4.2.2 Neue Unter­richts­mo­del­le und qua­li­ta­ti­ve Empi­rie (als nöti­ger men­ta­ler „Aus­gleich“)

5. Stich­jahr 2007/​08: Geschichts-Kom­pe­tenz (nicht-nur-kogni­tiv?) als „His­to­risch Den­ken Ler­nen“ und erneu­te Eva­lu­ie­rung der „Quel­len­ori­en­tie­rung“ – Erfah­rung eines bald Zwangs­pen­sio­nier­ten und Ein­schät­zung nach 12 Jahren

5.1 „Mei­len­stei­ne“ und „Haupt­de­fi­zi­te“
5.1.1 Theo­rie­ge­winn FUER-Lern­mo­dell und FUER-Kom­pe­tenz­mo­dell, dazu Empi­rie­taug­lich­keit und Pra­xis­hil­fe (aber auch Grenzen)
5.1.2 Pro­ble­ma­ti­sche Cur­ri­cu­lum­struk­tur und unge­klär­te Lernprogression
5.1.3 Ver­lust der Vor­rei­ter­po­si­ti­on an die „Kul­tur­wis­sen­schaft“, Kampf um Empirie-Leistungen?!
5.1.4 Durch­ar­bei­tung von NS‑Katastrophe und SED-Herrschaft

5.2 „Eigen­bei­trä­ge“
5.2.1 Beson­de­rer Schwer­punkt III: Begriffs­klä­rung „Geschichts­ler­nen“ durch Theo­rie­er­wei­te­rung, Norm­re­fle­xi­on und Praxiserprobung
5.2.1.1 „Ver­söh­nen­der Geschichts­aus­tausch“ als idea­les Ziel und „Para­si­tä­res Fehl­ler­nen“ als dro­hen­de Praxis
5.2.1.2 Abhil­fe durch kon­sti­tu­ti­ve Moral­re­fle­xi­on, Emo­ti­ons­be­ar­bei­tung. Lebens­welt­be­zug und Ästhetikanalyse
5.2.2 „Mixed-Method“-Studie zum „Schul­buch­ge­brauch“ mit ent­täu­schen­den Befunden

6. Stich­jahr 2019/​20: „Rück­schwenk vom Ler­nen zum Leh­ren“ und „offe­ne Zukunfts­fra­gen“ – Gegen­wär­ti­ge Erfah­rung und Ein­schät­zung eines qua­si-fos­si­len Rentners

6.1 „Mei­len­stei­ne“ und „Haupt­de­fi­zi­te“
6.1.1 Bedau­er­li­cher, aber ver­ständ­li­cher Rück­schwenk vom „Ler­nen“ zum „Leh­ren“
6.1.2 E‑Learning im Fach Geschich­te und erneut inten­si­vier­te inter­na­tio­nal-inter­kul­tu­rel­le Zusammenarbeit
6.1.3 Nach­denk­li­che Fragenliste
6.1.4 Kom­pe­tenz­test: Lar­ge-Sca­le-Assess­ment „HiTCH“

6.2 „Eigen­bei­trä­ge“
6.2.1 Wei­te­re Sys­te­ma­ti­sie­rung „nicht-nur-kogni­ti­ver“ Antei­le des Geschichtslernens
6.2.2 Nagel­pro­be: „Gegen­warts­kri­sen – Ori­en­tie­rungs­be­dürf­nis­se – Kompetenzgewinne“

7. Fazit: Ver­such einer Zusam­men­fas­sung und „Syn­the­se“ zu 60 Jahren

7.1 His­to­ri­sie­rung und Phasierung
7.1.1 Trans­for­ma­ti­on der His­to­rie und Kon­sti­tu­ie­rung der Dis­zi­plin Geschichtsdidaktik
7.1.2 Drei Pha­sen von Geschichts­schul­buch, Geschichts­un­ter­richt und Geschichtsdidaktik
7.1.3 Offen­kun­di­ge Ver­bes­se­run­gen und blei­ben­de Sorgen
7.1.4 Anhal­ten­des Miss­ver­hält­nis zur Psychologie

7.2 Geschichts­di­dak­tik und Bildungspolitik
7.2.1 Neue zwin­gen­de Auf­ga­ben im Curriculum
7.1.2 Schwie­ri­ge Rekru­tie­rung von Geschichtsdidaktik-Personal
7.2.3 Nega­tiv und fol­gen­los aus­ge­hen­de Eva­lua­ti­on mecha­ni­scher Massenexperimente
7.2.4 Das Bei­spiel „NS im Rah­men der Welt- und Umwelt­kun­de“ der 6. Klasse

Erwähn­te Lite­ra­tur I: Frem­de Publikationen

Erwähn­te Lite­ra­tur II: Eige­ne Publikationen

Vortrag zum Verhältnis von Wissen und Kompetenzen beim Historischen Lernen

27. April 2021 Andreas Körber Keine Kommentare

Am 5. Mai wer­de ich im Rah­men der von Roland Bern­hard (Wien) und Jon Nichol (Exe­ter) orga­ni­sier­ten Vor­trags­se­rie “HEIRNET Key­notes”  des “Histo­ry Edu­ca­ti­on Inter­na­tio­nal Rese­arch Net­work HEIRNET)” einen Online-Vor­trag hal­ten zum The­ma “Know­ledge and/​or/​in Com­pe­ten­ci­es of His­to­ri­cal Thin­king? A Ger­man Per­spec­ti­ve”.

Der Vor­trag fin­det als ZOOM-Sit­zung statt und wird spä­ter auf dem You­tube-Kanal der HEIR­NET-Key­notes ver­füg­bar sein.

  • 1
  • 2 – 3
.

Die nächs­te HEIRNET Key­note wird statt­fin­den am 2.6.2021.

Die Vor­trä­ge der Rei­he sind bisher:

  1. Chap­man, Arthur (UCL Lon­don): “Powerful Know­ledge in Histo­ry Edu­ca­ti­on”. HEIRNET Key­notes, 3/​3/​2021. https://​www​.you​tube​.com/​w​a​t​c​h​?​v​=​V​q​f​W​u​x​9​U​dnw.
  2. van Boxt­el, Car­la (Uni­ver­si­teit Ams­ter­dam): “His­to­ri­cal know­ledge as a resour­ce for under­stan­ding past, pre­sent and future”. HEIRNET Key­notes, 4/​7/​2021. https://​www​.you​tube​.com/​w​a​t​c​h​?​v​=​W​t​n​P​d​H​C​n​ipE.
  3. Kör­ber, Andre­as (Ham­burg): Know­ledge and/​or/​in Com­pe­ten­ci­es of His­to­ri­cal Thin­king? A Ger­man Per­spec­ti­ve. HEIRNET Key­notes. HEIRNET, 5/​5/​2021. https://​www​.you​tube​.com/​c​h​a​n​n​e​l​/​U​C​7​e​W​J​u​W​G​e​Z​V​f​w​1​S​6​2​y​9​U​qfQ (Video in Vorbereitung).
Seite 1 von 15