Arbeitsbereich Geschichtsdidaktik / History Education, Universität Hamburg

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Vortrag auf Werkstatt: “Formen der Vermittlung der NS-Zwangsarbeit und ihrer Folgen” der Kurt-und-Herma-Römer-Stiftung

22. Mai 2022 Andreas Körber Keine Kommentare

Am 19. und 20. Mai 2022 fand im Stu­di­en­zen­trum der KZ-Gedenk­stät­te Neu­en­gam­me eine “Werk­statt: For­men der Ver­mitt­lung der NS-Zwangs­ar­beit und ihrer Fol­gen” der Kurt-und-Her­ma-Römer-Stif­tung statt — u.a. mit einem Vor­trag von Andre­as Kör­ber mit dem Titel “Neue Per­spek­ti­ven auf und Dis­kus­sio­nen über das Ler­nen zu den natio­nal­so­zialis­ti­schen Mas­sen­ver­bre­chen” und anschlie­ßen­der Diskussion.

Fußsoldaten in grauer Konföderierten-Uniform knien im Vordergrund vor einer Gruppe blau uniformierter Unionssoldaten

Reenactment: Nostalgische Sinnbildung per symbolisch-enaktiver “Wiedereinsetzung in den vorigen Stand”. Zur Logik und Typologie historischer Sinnbildung und ihrer (partiellen) Suspendierung im Reenactment.

17. August 2020 Andreas Körber Keine Kommentare

Einleitung

Über Ree­nact­ments als Geschichts­sor­te 1 wer­den in letz­ter Zeit vie­le ana­ly­ti­sche Unter­su­chun­gen publi­ziert. Dazu gehört auch das (sehr emp­feh­lens­wer­te) neue Buch von Ulri­ke Jureit, in wel­chem sie anhand unter­schied­li­cher Ree­nact­ments jeweils einen sys­te­ma­ti­schen Aspekt der per­for­ma­ti­ven Ver­ge­gen­wär­ti­gung von Ver­gan­gen­heit erör­tert. 2 An einer For­mu­lie­rung dar­aus möch­te ich kurz einen Aspekt zum Cha­rak­ter his­to­ri­scher Sinn­bil­dung in Ree­nact­ments aufzeigen.

Narrative Begriffe

In Jureits Kapi­tel über Ree­nact­ments des Ame­ri­ka­ni­schen Bür­ger­kriegs heißt es:

“In der geschichts­kul­tu­rel­len Debat­te über Ursa­chen und Zie­le des Ame­ri­ka­ni­schen Bür­ger­kriegs ver­engt sich die Kon­tro­ver­se gegen­wär­tig dar­auf, wel­che Rol­le die Skla­ve­rei und ihre Abschaf­fung bezie­hungs­wei­se ihre von der Kon­fö­de­ra­ti­on ange­streb­te Bei­be­hal­tung für den War bet­ween the Sta­tes spiel­te. Die inter­na­tio­na­le For­schung hat dazu bereits zahl­rei­che Stu­di­en vor­ge­legt, die den Civil War in ers­ter Linie als einen für das 19. Jahr­hun­dert typi­chen Staats- und Nati­ons­bil­dungs­krieg kenn­zeich­nen.” 3

An der hier zitier­ten Cha­rak­te­ri­sie­rung des Krie­ges lässt sich gut eine Spe­zi­fik his­to­ri­scher Sinn­bil­dung auf­zei­gen: Begrif­fe die­ser Art, wel­che Ereig­nis­se bzw. Ereig­nis­kom­ple­xe einer bestimm­ten Aus­prä­gung einer Typo­lo­gie zuord­nen, sind alles ande­re als rein typo­lo­gisch. Sie sind selbst nar­ra­tiv, inso­fern sie in der Dich­te eines ein­zel­nen Ter­mi­nus einen Ver­lauf ver­dich­ten, der über das Ereig­nis hin­aus­reicht. Sol­che Begriffs­zu­wei­sun­gen sind nur retro­spek­tiv mög­lich, in hind­sight. Zum einen lässt sich erst in die­sem Rück­blick das Ereig­nis “Ame­ri­ka­ni­scher Bür­ger­krieg” über­haupt gänz­lich fassen.

Selbst wenn bereits zeit­ge­nös­sisch eine Bezeich­nung als ein Bür­ger­krieg benutzt wor­den sein soll­te, muss­te sie in der kon­kre­ten Abgren­zung wenig sicher und unklar blei­ben. Zeit­ge­nös­sisch sind denn — wie Jureit auch ver­merkt — 4 ganz ande­re Bezeich­nun­gen ver­wen­det wor­den, so “War bet­ween the Sta­tes” aus kon­fö­de­rier­ter Per­spek­ti­ve (die Sezes­si­on vor­aus­set­zend und die Nor­ma­li­tät und Legi­ti­mi­tät des Kon­flikts als zwi­schen­staat­lich beto­nend) bzw. “Rebel­li­on” — nicht nur die Unrecht­mä­ßig­keit, son­dern auch die Inner­staat­lich­keit, d.h. die eigent­lich wei­ter­be­stehen­de Zusam­men­ge­hö­rig­keit hervorkehrend.

Jeder die­ser Begrif­fe erzählt somit eine ande­re Geschich­te. “War bet­ween the Sta­tes” setzt zunächst eine tat­säch­li­che Abspal­tung an den Beginn, “Rebel­li­on” leug­net ihre Tat­säch­lich­keit. Aber der wis­sen­schaft­li­che Begriff des “(typi­schen) Staats- und Nati­ons­bil­dungs­kriegs” rekur­riert neben der abschlie­ßen­den Abgren­zung des Ereig­nis­kom­ple­xes noch auf min­des­tens zwei wei­te­re Ele­men­te: Zum einen eine Regel­haf­tig­keit sol­cher Pro­zes­se, wenn nicht über alle Zei­ten, so doch inner­halb einer Zeit­span­ne (hier 19. Jh.), zum ande­ren aber auf die Kennt­nis der Wir­kung und des Nach­le­bens des Abge­schlos­se­nen Kon­flikts. “Nati­ons­bil­dungs­krieg” kann nur sein, was der Nati­ons­bil­dung gehol­fen hat. Dem tun auch bereits im Krieg erkenn­ba­re Bestre­bun­gen kei­nen Abbruch, genau eine sol­che Nati­ons­bil­dung expli­zit anzu­stre­ben — wie etwa schon in Lin­colns Get­tysburg Address vom 19. Novem­ber 1863 erkenn­bar. 5

Im vol­len Sin­ne aber setzt die Qua­li­fi­ka­ti­on des Krie­ges als “Staats- und Nati­ons­werkungs­krieg” nicht nur die erkenn­ba­re Absicht, son­dern die ent­spre­chen­de Wir­kung vor­aus. Für die Zeitgenoss:innen der Aus­ein­an­der­set­zung — sei es als Poli­ti­ker, Sol­da­ten, Ange­hö­ri­ge — aber kann der Kon­flikt die­se Qua­li­tät nicht gehabt haben. Für sie war es ein Kon­flikt nicht nur mit offe­nem Aus­gang, son­dern auch mit erhoff­ten und befürch­te­ten, nicht aber mit garan­tier­ten oder ein­ge­tre­te­nen Wirkungen.

Bei den Ree­nact­ments von Schlach­ten die­ses Bür­ger­kriegs nun mischen — nein: kom­bi­nie­ren und durch­drin­gen — sich nun die unter­schied­li­chen Per­spek­ti­ven und ihre Nar­ra­ti­ve — und sie tun es gewis­ser­ma­ßen “schief”: Auf klei­nem Maß­stab — also mit hohem Abs­trak­ti­ons­grad — über­wie­gen Beto­nun­gen von Gemein­sam­keit und Ver­söh­nung. Sie impli­zie­ren zudem die Aner­ken­nung des tat­säch­li­chen Ergeb­nis­ses, wes­halb sie auf grö­ße­rem Maß­stab (also bei Betrach­tung ein­zel­ner Gebie­te, Schick­sa­le, in ein­zel­nen klei­ne­ren Erin­ne­rungs­for­men) aus Uni­ons­per­spek­ti­ve auch über­wie­gen dürf­te, woge­gen auf die­ser sel­ben Ebe­ne Nar­ra­ti­ve des “Lost Cau­se”, der Ver­ur­sa­chung des Krie­ges durch die Nega­ti­on der “Sta­tes’ Rights” etc. eher bei Anhän­gern kon­fö­de­rier­ter Sicht­wei­sen ver­tre­ten sein dürften.

Reenactments: Spannung zwischen narrativer Retrospektive und ihrer Suspendierung

Glei­ches fin­det sich im Ree­nact­ment. Es gibt Bei­spie­le dafür, dass Darsteller*innen ihre zu spie­len­den Trup­pen nicht nach ihrer eige­nen Inter­pre­ta­ti­on des Krie­ges aus­wäh­len, son­dern aus deut­lich prag­ma­ti­sche­ren Grün­den — etwa Wohn­ort­nä­he. Das stützt die Inter­pre­ta­ti­on, dass es um das Erin­nern an die von Nord- und Südstaaten(soldaten und ‑bewohner:innen) gemein­sam durch­lit­te­ne Prü­fung geht. Es kommt der Inter­pre­ta­ti­on des “Second Birth” und der retro­spek­tiv attes­tier­ten Nati­ons­bil­dungs­wir­kung am nächsten.

Gleich­zei­tig aber hat Ree­nact­ment auch eine zumin­dest par­ti­el­le Facet­te der Auf­he­bung des retro­spek­ti­ven Wis­sens und somit der aus hind­sight erstell­ten oder bestä­tig­ten Cha­rak­te­ri­sie­rung des Krie­ges. Im Erle­ben des wie­der­ver­ge­gen­wär­tig­ten Kamp­fes — ins­be­son­de­re bei den Tac­ti­cals, wel­che nicht einen rea­len Ablauf abbil­den, son­dern qua­si ergeb­nis­of­fen ‘aus­ge­foch­ten’ wer­den, fin­det sich so etwas wie eine sym­bo­li­sche und psy­chi­sche “Wie­der­ein­set­zung in den vori­gen Stand” (um eine juris­ti­sche For­mu­lie­rung zu entlehnen).

Einige in Uniformen des US-Bürgerkriegs gekleidete Männer stehen im Zeltlager vor einer Reihe Dixi-Toiletten. Gettysburg 7/2017. (c)A.Körber

“Nach­er­le­ben, wie es wirk­lich war (?). Eini­ge in Uni­for­men des US-Bür­ger­kriegs geklei­de­te Män­ner ste­hen im Zelt­la­ger vor einer Rei­he Dixi-Toi­let­ten. Get­tysburg 7/​2017. © A. Körber”

In die­sem Sin­ne ist in Ree­nact­ment zumin­dest par­ti­ell als eine sym­bo­li­sche Sus­pen­die­rung der Retro­spek­ti­ve und retro­spek­ti­ver Sinn­bil­dung zuguns­ten einer sug­ges­tiv-immersi­ven Wie­der­in­kraft­set­zung der Offen­heit zu erken­nen. Dies erzeugt natür­lich eine unauf­lös­ba­re Span­nung, denn aus der Retro­spek­ti­ve kön­nen Akti­ve natür­lich nicht wirk­lich aus­tre­ten. Zudem kann kei­nes­wegs vor­aus­ge­setzt wer­den, dass die ima­gi­nier­ten Ver­gan­gen­hei­ten zwi­schen den ein­zel­nen Akti­ven wirk­lich kom­pa­ti­bel wären. Das eine gemein­sa­me Agie­ren hat dabei eine beson­de­re Bedeu­tung der Authentifizierung.

Der Gleich­zei­tig­keit unter­schied­li­cher indi­vi­du­el­ler sowie (teil-)gesellschaftlicher und poli­ti­scher Bedürf­nis­se und Moti­ve ent­pre­chend dürf­ten bei Ree­nact­ment-Ereig­nis­sen ganz unter­schied­li­che Kom­bi­na­tio­nen nar­ra­ti­ver For­men his­to­ri­scher Sinn­bil­dung neben­ein­an­der und inein­an­der ver­schränkt im Spiel sein — und zwar sowohl zwi­schen Betei­lig­ten (Organisator:innen, Akteur:innen, Zuschauer:innen und Außen­ste­hen­den) als auch im Den­ken und Han­deln (aller?) ein­zel­ner. Letz­te­res deu­tet kei­nes­wegs auf eine Art his­to­rio­gra­phi­scher bzw. his­to­risch den­ken­der Inkon­se­quenz oder ‘Schi­zo­phre­nie’ hin, son­dern ist durch­aus ein Merk­mal allen his­to­ri­schen Denkens.

Konsequenzen für die Sinnbildungstypologie?

His­to­ri­sche Dar­stel­lun­gen und Aus­sa­gen, fol­gen sel­ten einem ein­zi­gen Sinn­bil­dungs­mus­ter, son­dern kom­bi­nie­ren zumeist meh­re­re, wie schon bei der Ent­wick­lung der Typo­lo­gie Jörn Rüsen fest­ge­stellt hat. 6 Es kommt daher sowohl für eine Cha­rak­te­ri­sie­rung und Inter­pre­ta­ti­on weni­ger auf eine “Rein­heit” der Erzähl- und Sinn­bil­dungs­mus­ter an als auf die nar­ra­ti­ve Trif­tig­keit gera­de auch der Kom­bi­na­tio­nen. Die­se kön­nen etwa sequen­ti­ell mit­ein­an­der ver­knüpft wer­den. 7

Eben­so ist aber auch eine Par­al­le­li­sie­rung denk­bar. Gera­de in den eher nach innen gerich­te­ten Facet­ten der nach­er­le­ben­den Qua­li­tät von Ree­nact­ments ist zuwei­len eine sol­che Ver­schrän­kung zwei­er Sinn­bil­dungs­mus­ter zu einer cha­rak­te­ris­ti­schen Kom­bi­na­ti­on zu erken­nen. Zusam­men­ge­fasst kann man sie auch als “nost­al­gi­sche Sinn­bil­dung” bezeich­nen: Dem ‘immersi­ven’ Nach­er­le­ben einer ver­gan­ge­nen Situa­ti­on oder Lebens­wei­se wird die Qua­li­tät eines Aus­stiegs aus einer als belas­tend emp­fun­de­nen Gegen­wart zuge­schrie­ben. Die Ver­gan­gen­heit wird die­ser Gegen­wart posi­tiv gegen­über­ge­stellt. So ver­bin­det sich im Wunsch der Fort­gel­tung dama­li­ger Lebens­ver­hält­nis­se eine ins nor­ma­tiv-opt­a­tiv ver­scho­be­ne tra­di­tio­na­le Sinn­bil­dung mit einer desk­tip­tiv-gene­ti­schen in der Aner­ken­nung ihrer seit­he­ri­gen (nega­ti­ven) Veränderung.

Ob hin­sicht­lich der ers­te­ren von einer ‘Ver­schie­bung’ der Sinn­bil­dung gespro­chen wer­den soll­te, muss wei­ter dis­ku­tiert wer­den. Man kann auch  grund­sätz­lich pos­tu­lie­ren, dass alle Sinn­bil­dun­gen nicht nur in posi­tiv-affir­ma­ti­ver Form und zwei kri­ti­schen Vari­an­ten vor­kom­men  8, son­dern auch jeweils in deskrip­ti­vem und nor­ma­ti­vem bzw. opt­a­ti­vem Modus. Eine sol­che Erwei­te­rung des Sinn­bil­dungs­mo­dells passt inso­fern zur theo­re­ti­schen Begrün­dung his­to­ri­schen Den­kens als Ori­en­tie­rungs­leis­tung, als der deskrip­ti­ve Modus zur Domä­ne der ‘Natur­zeit’ und der normative/​optative/​hypothetische Modus hin­ge­gen zu der­je­ni­gen der ‘Human­zeit’ gehört. 9

His­to­ri­sches Den­ken und Erzäh­len cha­rak­te­ri­siert sich dann kei­nes­wegs allein durch die Kom­bi­na­ti­on und Ver­schrän­kung von Erzähl­mus­tern unter­schied­li­chen Typs im rein des­krp­ti­vem Modus, nicht nur als eine Sinn­bil­dung über mani­fes­te und geahn­te Zeit­er­fah­rung, son­dern ins­be­son­de­re aus als ein Modus der sinn­bil­den­den Ver­bin­dung zeit­be­zo­ge­nen Erken­nens und Ver­ar­bei­tens mit ent­spre­chen­dem Wün­schen, Phan­ta­sie­ren etc. Dies scheint sich gera­de an sol­chen Geschichts­sor­ten (also geschichts­kul­tu­rel­ler Ver­ar­bei­tungs­for­men) zu zei­gen, die ein hypo­the­ti­sches Agie­ren in einer sym­bo­lisch ‘wie­der­ein­ge­setz­ten’ Ver­gan­gen­heit ermöglicht.

Enaktivität als handelnde Suspendierung der narrativen Retrospektive

Das aller­dings legt es nahe, die nicht nur kogni­ti­ve, son­dern kör­per­lich-räum­li­che Facet­te die­ser Geschichts­sor­ten eher als ‘enak­tiv’ denn als ‘per­for­ma­tiv’ zu bezeich­nen. Das ist durch­aus kon­sis­tent mit Mat­thi­as Mei­lers lin­gu­is­ti­scher Her­lei­tung des Wort­par­ti­kels “enact” im Begriff “Ree­nact­ment” aus der angel­säch­si­schen Ver­wal­tungs­spra­che. 10 Dem­nach geht die Bezeich­nung “to enact” auf die Bezeich­nung für einen Rechts­akt zurück, in dem ein Beschluss, ein Gesetz o.ä. “in Kraft gesetzt” wur­de. “Re-enact-ing” ist dem­nach das Wie­der­in­kraft­set­zen der Offen­heit der Situa­ti­on — und im Fall von Schlach­ten-Ree­nact­ments viel­leicht auch mit der Hoff­nung auf die Mög­lich­keit einer (eben­so sym­bo­li­schen) Neu­schaf­fung von Tat­sa­chen. 11.

Damit wäre zudem der Tat­sa­che Rech­nung getra­gen, dass sich die­se Qua­li­tät ja gar nicht so sehr auf eine nach außen — auf ein wie auch immer gear­te­tes oder vor­ge­stell­tes Publi­kum — rich­tet, son­dern als wesent­li­che Facet­te der Qua­li­fi­zie­rung der Situa­ti­on und ihres Sinns auf die Agie­ren­den selbst. Kom­ple­men­tär zur oben zitier­ten lin­gu­is­ti­schen Her­lei­tung aus der eng­li­schen Ver­wal­tungs­spra­che wäre damit die Bedeu­tung des Agie­rens für die Kon­struk­ti­on his­to­ri­schen Sinns ange­spro­chen, wie etwa im Kon­zept des “Enak­ti­vis­mus” der kon­struk­ti­vis­ti­schen Kogni­ti­ons­wis­sen­schaft (etwa nach Fran­cis­co Vare­la) die spie­le­ri­sche „Koin­sze­nie­rung von Wahr­neh­men­den und Wahr­ge­nom­me­nem“ begrif­fen wird, die gera­de nicht eine rei­ne auto­poie­ti­sche Erzeu­gung einer Vor­stel­lung ohne jeg­li­chen Bezug auf eine Wirk­lich­keit meint, son­dern den krea­ti­ve Ent­wurf der­sel­ben als Bild. 12

Das ist durch­aus kom­pa­ti­bel mit his­to­ri­schem Den­ken als Re-Kon­struk­ti­on einer zwar als gege­ben vor­aus­ge­setz­ten, nie aber beob­ach­ter­un­ab­hän­gig erkenn­ba­ren Ver­gan­gen­heit. Inso­fern ist Re-Enact­ment eine Form re-kon­struk­ti­ven his­to­ri­schen Den­kens. Das unter­schei­det sie etwa von äußer­lich und hin­sicht­lich eini­ger Orga­ni­sa­ti­ons­for­men ver­gleich­ba­ren Events und Sub­kul­tu­ren wie LARP und auch Sci­ence-Fic­tion-LARP 13, aber auch von “lite­ra­ri­schem Ree­nact­ment”. 14 Bei­den kommt nur indi­rekt auch his­to­ri­sche Qua­li­tät zu, inso­fern in ihnen a) an fik­tio­na­len Bei­spie­len auch außer­halb der Fik­ti­on gül­ti­ge Lebens­ver­hält­nis­se und Denk­wei­sen prä­sen­tiert wer­den (bei Insze­nie­run­gen von Roman­sze­nen geht es dann nicht um die kon­kre­ten Figu­ren und ihre Geschich­ten, wohl aber ste­hen sie für bestimm­te Zeit­ty­pi­ken) und b) mit ihnen Welt- und Gesell­schafts­bil­der (inklu­si­ve Zukunfts­vor­stel­lun­gen) ver­gan­ge­ner Autor:innen wie­der­be­lebt wer­den. Wer “Star Trek” spielt, spielt ja nicht ein­fach Zukunft, son­dern ggf. die Zukunfts­vor­stel­lun­gen der 1960er Jah­re (aller­dings ggf. mit den Aktua­li­sie­run­gen gem. der ja fort­ge­setz­ten Reihe).

Anmer­kun­gen /​ Refe­ren­ces
  1. Vgl. Log­ge, Thors­ten: “Histo­ry Types” and Public Histo­ry. In: Public Histo­ry Weekly 2018 (2018). []
  2. Jureit, Ulri­ke: Magie des Authen­ti­schen. Das Nach­le­ben von Krieg und Gewalt im Ree­nact­ment. Göt­tin­gen 2020 (Wert der Ver­gan­gen­heit). []
  3. Jureit 2020, S. 57, mit Ver­wei­sen auf McPher­son, Saut­ter und Kee­gan. []
  4. Jureit 2020, S. 58, FN 57. []
  5. Auch dies reflek­tiert Jureit in eini­ger Aus­führ­lich­keit wegen der dort erkenn­ba­ren Stif­tung eines ver­söh­nen­den Sinns des Krie­ges als gemein­sam erlit­te­ne Her­aus­for­de­rung;  Jureit 2020, S. 53 u. 61ff). []
  6. Rüsen, Jörn: Leben­di­ge Geschich­te. Grund­zü­ge einer His­to­rik III: For­men und Funk­tio­nen des his­to­ri­schen Wis­sens. Göt­tin­gen 1989 (Klei­ne Van­den­hoeck-Rei­he 1489), S. 42, 57. []
  7. Ein Bei­spiel: Erzäh­lun­gen eines gesell­schaft­li­chen Fort­schritts in tech­ni­scher, wirt­schaft­li­cher oder gesell­schaft­li­cher Hin­sicht sind oft­mals kei­nes­wegs allein dem Typ gene­ti­scher Sinn­bil­dung zuzu­ord­nen. Sie kom­bi­nie­ren die­sen viel­mehr mit tra­di­tio­na­ler Sinn­bil­dung inso­fern, als der gerich­te­ten Ent­wick­lung ein Ursprung zuge­schrie­ben wird, — etwa in den Ent­de­ckun­gen der Renais­sance und der Über­win­dung eines rein reli­giö­sen Welt­bil­des im Huma­nis­mus oder einer Erfin­dung als eher punk­tu­el­le Ursprün­ge für eine nach­fol­gen­de gerich­te­te Ent­wick­lung. []
  8. Vgl. Kör­ber, Andre­as: His­to­ri­sche Sinn­bil­dungs­ty­pen. Wei­te­re Dif­fe­ren­zie­rung. http://​www.pedocs.de​/​volltexte/​2013/​7264/​., näm­lich einer auf Erset­zung der kon­kre­ten Erzäh­lung durch eine glei­chen Typs zie­len­de ‘inne­re’ Kri­tik und eine, wel­che die nar­ra­ti­ve Logik der Sinn­bil­dung selbst kri­ti­siert. []
  9. Vgl. Rüsen, Jörn: His­to­ri­sche Ver­nunft. Grund­zü­ge einer His­to­rik I: Die Grund­la­gen der Geschichts­wis­sen­schaft. Göt­tin­gen 1983 (Klei­ne Van­den­hoeck-Rei­he 1489), S. 51. []
  10. Mei­ler, Mat­thi­as: Über das ‑en- in Ree­nact­ment. In: Ree­nact­ments. Medi­en­prak­ti­ken zwi­schen Wie­der­ho­lung und krea­ti­ver Aneig­nung. Hrsg. von Anja Dresch­ke, Ilham Huynh, Rapha­e­la Knipp u. David Sitt­ler. Bie­le­feld 2016 (Loca­ting media 8). S. 25 – 42. []
  11. Dass zuwei­len sol­che Ree­nact­ments auch mit dem Begriff des “Remat­ches” ver­bun­den und ange­kün­digt wer­den, deu­tet dar­auf hin. Vgl. z.B. zur Schlacht von Has­tings: Ungoed-Tho­mas, Jon (15.10.2006): “1066, the rematch: Harold loses again.” In: The Times (15.10.2006). []
  12. Vgl. Weber, Andre­as: Die wie­der­ge­fun­de­ne Welt. In: Schlüs­sel­wer­ke des Kon­struk­ti­vis­mus. Hrsg. von Bern­hard Pörk­sen. Wies­ba­den 2011. S. 300 – 318, S. 206. []
  13. Vgl. z.B. Engel­hardt, Micha­el: To bold­ly go … – Star Trek-LARP in unend­li­chen Wei­ten. In: Teil­zeit­Hel­den. Maga­zin für gespiel­te und erleb­te Phan­tas­tik (27.11.2015).[]
  14. vgl. Knipp, Rapha­e­la: Nach­er­leb­te Fik­ti­on. Lite­ra­ri­sche Orts­be­ge­hun­gen als Ree­nact­ments tex­tu­el­ler Ver­fah­ren. In: Ree­nact­ments. Medi­en­prak­ti­ken zwi­schen Wie­der­ho­lung und krea­ti­ver Aneig­nung. Hrsg. von Anja Dresch­ke, Ilham Huynh, Rapha­e­la Knipp u. David Sitt­ler. Bie­le­feld 2016 (Loca­ting media 8). S. 213 – 236. []
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Gedenkstättenkonferenz: Aufruf zur Verteidigung der Demokratie

15. Dezember 2018 Andreas Körber Keine Kommentare

Die 7. bun­des­wei­te Gedenk­stät­ten­kon­fe­renz hat vor­ges­tern einen Auf­ruf zur Ver­tei­di­gung der Demo­kra­tie beschlossen.Zu fin­den u.a. auf der Web-Sei­te der KZ-Gedenk­stät­te Neu­en­gam­me, von der ich ihn wiedergebe:

“Gedenk­stät­ten zur Erin­ne­rung an die NS-Ver­bre­chen in Deutsch­land rufen auf zur Ver­tei­di­gung der Demokratie

Gedenk­stät­ten zur Erin­ne­rung an die Opfer natio­nal­so­zia­lis­ti­scher Gewalt neh­men als Orte der gesell­schaft­li­chen Aus­ein­an­der­set­zung mit einer ver­bre­che­ri­schen Ver­gan­gen­heit eine wich­ti­ge Bil­dungs­auf­ga­be für die Gegen­wart wahr. Ihre Arbeit folgt der aus den Erfah­run­gen des Natio­nal­so­zia­lis­mus gewon­ne­nen Ver­pflich­tung unse­rer Ver­fas­sung: „Die Wür­de des Men­schen ist unan­tast­bar. Sie zu ach­ten und zu schüt­zen ist Ver­pflich­tung aller staat­li­chen Gewalt“ (Art.1GG).

Ler­nen aus der Geschich­te der NS-Ver­bre­chen heißt auch Warn­zei­chen recht­zei­tig zu erken­nen, wenn eine nach­hal­ti­ge Schwä­chung unse­rer offe­nen Gesell­schaft droht. Wir wis­sen aus der euro­päi­schen Geschich­te des 20. Jahr­hun­derts, dass Demo­kra­tien mit Stan­dards wie dem Grund­ge­setz, den euro­pä­isch und inter­na­tio­nal ver­an­ker­ten Men­schen­rech­ten, Min­der­hei­ten­schutz, Gleich­heit aller Men­schen vor dem Recht, Rechts­staat­lich­keit und Gewal­ten­tei­lung müh­sam erkämpft wur­den und fort­dau­ernd geschützt und aus­ge­stal­tet wer­den müssen.

Immer offe­ner eta­blie­ren sich in der Gesell­schaft Hal­tun­gen, Mei­nun­gen und Sprech­ge­wohn­hei­ten, die eine Abkehr von den grund­le­gen­den Leh­ren aus der NS-Ver­gan­gen­heit befürch­ten las­sen. Wir stel­len mit Sor­ge fest:

ein Erstar­ken rechts­po­pu­lis­ti­scher und auto­ri­tär-natio­na­lis­ti­scher Bewe­gun­gen und Parteien,
eine ver­brei­te­te Abwehr gegen­über Men­schen in Not sowie die Infra­ge­stel­lung und Auf­wei­chung des Rechts auf Asyl,
Angrif­fe auf Grund- und Menschenrechte,
die Zunah­me von Ras­sis­mus, Anti­se­mi­tis­mus und ande­ren For­men grup­pen­be­zo­ge­ner Menschenfeindlichkeit,
eine damit ein­her­ge­hen­de Abwer­tung von Demo­kra­tie und Vielfalt.

Hin­zu kommt ein öffent­lich arti­ku­lier­ter Geschichts­re­vi­sio­nis­mus, der die Bedeu­tung des Erin­nerns an die Ver­bre­chen des Natio­nal­so­zia­lis­mus als grund­le­gen­de Ori­en­tie­rung der deut­schen Gesell­schaft in der Gegen­wart angreift und durch ein natio­na­lis­ti­sches Selbst­bild erset­zen möchte.

Die­sen aktu­el­len Ent­wick­lun­gen tre­ten wir mit unse­rer täg­li­chen Arbeit in der his­to­risch-poli­ti­schen Bil­dung ent­ge­gen. Aber sie erfor­dern dar­über hin­aus poli­ti­sches und bür­ger­schaft­li­ches Han­deln. Wir appel­lie­ren daher an die Akteu­re in Poli­tik und Gesell­schaft, das Wis­sen um die his­to­ri­schen Erfah­run­gen mit aus­gren­zen­den Gesell­schaf­ten wie dem Natio­nal­so­zia­lis­mus für die Gegen­wart zu bewah­ren und sich für die Ver­tei­di­gung der uni­ver­sel­len Gel­tung von Grund- und Men­schen­rech­ten einzusetzen.

Ver­ab­schie­det von der 7. Bun­des­wei­ten Gedenk­stät­ten­kon­fe­renz am 13.12.2018”

https://www.kz-gedenkstaette-neuengamme.de/fileadmin/user_upload/aktuelles/2018/2018.12.13_Erkl%C3%A4rung_der_Bundesweiten_Gedenkst%C3%A4ttenkonferenz.pdf

 

 

Neuer Beitrag zu erinnerungskulturellen Sinnbildungsleistungen in Gesprächen

10. November 2018 Andreas Körber Keine Kommentare

Clau­dia Lenz, Pro­fes­so­rin an der Nor­we­gi­an School of Theo­lo­gy, Reli­gi­on and Socie­ty, und 2009 – 2012 Co-Lei­te­rin the TEAC­MEM-Pro­jekts, hat gera­de zusam­men mit Peter Schrö­der einen neu­en Arti­kel zu gesprächs­wei­sen Sinn­bil­dun­gen zu Erin­ne­rungs­kul­tur veröffentlicht: 

Lenz, Clau­dia; Schrö­der, Peter (2018): “Orte, an denen man wach­sen kann” – Empi­ri­sche Rekon­struk­tio­nen von Sinn­zu­schrei­bun­gen im Zusam­men­hang mit der Eröff­nung zwei­er nor­we­gi­scher Gedenk­stät­ten. In: Forum Qua­li­ta­ti­ve Sozi­al­for­schung 19 (3), S. 1 – 54. DOI: 10.17169/fqs-19.3.2778.


Analyzing Monuments using crosstabulations of Historical Thinking Competencies and Types of Narrating

16. Oktober 2018 Andreas Körber Keine Kommentare

This artic­le is a fol­low-up to the dis­cus­sion on Sté­pha­ne Léves­ques model of his­to­ri­cal com­pe­ten­ci­es as pre­sen­ted in Public Histo­ry Weekly, a few days ago, titled “Remo­ving the ‘Past’: Deba­tes Over Offi­ci­al Sites of Memo­ry“1 and my first exten­ded com­ment on this published here on this blog.

A cros­s­ta­bu­la­ti­on of com­pe­ten­ci­es and patterns/​logic of sen­se­ma­king as sug­gested by Sté­pha­ne Léves­que2 is inde­ed useful for “rea­ding” indi­vi­du­al monu­ments and making sen­se of their “mes­sa­ge”, also. Lévesque’s fil­ling of the table is a bit abs­tract, gene­ral for this, so the fol­lo­wing would in part be my own understanding.

It also is based on Rüsen’s noti­on that while the dif­fe­rent pat­terns were deve­lo­ped sequen­ti­al­ly over time, to “older” ones are not lost, but still available and inde­ed visi­ble in modern day thin­king, in fact most of the time in com­bi­na­ti­ons. What cha­rac­te­ri­zes modern-time his­to­ri­cal thin­king, then, is the pre­sence and domi­nan­ce of “gene­tic” thin­king, while pre-modern thought would not have this type at its dis­po­sal at all. But then, our examp­les here are all “modern”, so that it may be a ques­ti­on of domi­nan­ce and rela­ti­ve weight.

Take a monu­ment for a civil war general:

  • A spec­ta­tor today may read it as a remin­der to the ori­gin of the cur­rent sta­te of affairs, pos­si­bly the “losing of the cau­se” (e.g. both the hono­u­red gene­ral and the spec­ta­tor being sou­the­ners) or to the libe­ra­ti­on of the slaves (both nor­the­ners). In both cases, the monu­ment would be seen as poin­ting to an ori­gin of what is seen as valid today (the very defi­ni­ti­on of Rüsen’s “tra­di­tio­nal” type). This might explain why peo­p­le adhe­ring to the nor­t­hern nar­ra­ti­ve would oppo­se to sou­thern monu­ments, and vice ver­sa, not believ­e­ing their sto­ry in the first place — and may­be fea­ring that kee­ping the monu­ments would signi­fy that their ver­si­on was to be seen as valid.
  • In an exem­pla­ric mode, howe­ver, both may accept the “other side’s” monu­ments, becau­se what they point at would not be seen as the ori­gin of affairs, but rather a gene­ral rule, e.g. hono­u­ring peo­p­le “bra­ve­ly fight­ing for their respec­ti­ve (!) cau­se”. The logic would be that each socie­ty would honor “their heroes”, who do not so much stand for the spe­ci­fic cau­se but for a gene­ral rule. What hap­pens on the ground in Get­tysburg, e.g., is some­thing along this line: “Tra­di­tio­nal” com­me­mo­ra­ting attracts most peo­p­le going the­re, but an exem­pla­ry “cover-nar­ra­ti­ve” allows for com­mon remembrance.

Con­sider an exam­p­le from Ham­burg, whe­re I work3: On our “Rat­haus­markt”, the­re is a monu­ment, hono­u­ring Hamburg’s dead from WW1. When it was erec­ted in 1932, it loo­ked as it does today. The inscrip­ti­on on one side reads “FOURTY THOUSAND SONS OF TOWN LEFT/​LOST THEIR LIVES FOR YOU” (in Ger­man: “Vier­zig Tau­send Söh­ne der Stadt lie­ßen ihr Leben für Euch”) while the other side shows reli­ef by Ernst Bar­lach depic­ting a woman (mother) and child (daugh­ter) appar­ent­ly com­fort­ing each other in mour­ning (and the­r­e­fo­re some­what remi­nis­cent of a pie­tà).

Ernst Barlach: Relief (1931; Re-construction) auf dem Mahnmal auf dem Hamburger Rathausmarkt. Foto von Wikimedia Commons (gemeinfrei): https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/2/2c/Hamburg_Mahnmal_01_KMJ-adj.jpg

Ernst Bar­lach: Reli­ef (1931; Re-Con­s­truc­tion of 1948) on Ham­burg Town Hall Squa­re Monu­ment . Pho­to from Wiki­me­dia Com­mons (public domain): https://​upload​.wiki​me​dia​.org/​w​i​k​i​p​e​d​i​a​/​c​o​m​m​o​n​s​/​2​/​2​c​/​H​a​m​b​u​r​g​_​M​a​h​n​m​a​l​_​0​1​_​K​M​J​-​a​d​j​.​jpg

In 1938, the reli­ef was exch­an­ged for a “phoe­nix” fly­ing up.4 

Hans-Mar­tin Ruwoldt (1938): Phoe­nix on Ham­burg Town Hall Squa­re Monu­ment. Pho­to by https://​www​.denk​-mal​-gegen​-krieg​.de/​k​r​i​e​g​e​r​d​e​n​k​m​a​e​l​e​r​/​h​a​m​b​u​r​g​-​l​o​-​os/

In 1938, under Nazi rule, the reli­ef was exch­an­ged for a „phoe­nix“. Did it chan­ge the nar­ra­ti­ve and com­me­mo­ra­ti­ve eva­lua­ti­on of the loss of the 40000 Ham­bur­gi­ans? To my view, it most cer­tain­ly did.

The addi­ti­on of the last part “FOR YOU” to the inscrip­ti­on alre­a­dy befo­re the initi­al instal­la­ti­on of the monu­ment was a con­ces­si­on to the right par­ties, chan­ging (in Rüsen‘s terms) a more tra­di­tio­nal mes­sa­ge into a more exem­pla­ry one:

While the com­bi­na­ti­on of the initi­al wor­ding wit­hout the addi­ti­on „FOR YOU“ and the mother-child-reli­ef fit into a deve­lo­p­ment of monu­ment cul­tu­re deve­lo­ped in WW1 which has been iden­ti­fied in retro­s­pect, name­ly monu­ments which which do no lon­ger pro­vi­de an aut­ho­ri­ta­ti­ve sug­ges­ti­on of the mea­ning of the protagonist‘s death, but rather ques­ti­on this mea­ning.5 It did so becau­se it expres­sed the con­ti­nuous loss, refer­ring to the dead sol­diers rather as vic­tims of a grea­ter con­text of war, to be mour­ned, by poin­ting to their their death and loss as the rather tra­gic ori­g­ins of the com­mon grief.

Adding „FOR YOU“ to the inscrip­ti­on did not ful­ly era­di­ca­te this nega­ti­ve-tra­di­tio­nal nar­ra­ti­ve pat­tern, but added an addi­tio­nal lay­er of dif­fe­rent nar­ra­ti­ve and eva­lua­ti­ve cha­rac­ter both to the deaths, which are ascri­bed a pur­po­se, and to the con­cep­tu­al framing of the dead, which are no lon­ger only vic­tims but also (self-)sacrifices for a com­mon good. Inte­res­t­ingly, both con­cepts, that of vic­tim and that of sacri­fice, are pre­sent in the Ger­man term „Opfer“ expli­cit­ly used, but allu­ded to, here.

The exch­an­ge of the mour­ning mother/child-reli­ef by a „phoe­nix“ in 1938, then, era­di­ca­ted the thin lay­er of ques­tio­ning the pur­po­se and mea­ning of the loss, the noti­on of „vic­tims“ and ren­de­red the 40,000 Fathers, Brot­hers and „Sons of Town“ heroes – not only self-sacri­fices for the well­be­ing of their respec­ti­ve fami­lies, but role-models to be cele­bra­ted and emu­la­ted.6 In 1948, then, the lost Bar­lach-reli­ef, was res­to­red, alas not by Bar­lach hims­elf, who had mean­while died.

I do have a hard time con­s­truc­ting a gene­tic under­stan­ding of such a monu­ment, may­be becau­se a modern, gene­tic way of thin­king needs to have been infor­med by the “cri­ti­cal” mode of at least part­ly de-legi­ti­mi­zing the ori­en­ta­ting power of tra­di­tio­nal and exem­pla­ric thinking.

May­be this is the back­ground for modern monu­ments being quite dif­fe­rent, eit­her often non-figu­ra­ti­ve — as Peter Eisenman’s Memo­ri­al to the Mur­de­red Jews in Ber­lin, or many works by Jochen Gerz7 — or taking on forms of coun­ter-memo­ri­a­liza­ti­on8, thus set­ting in moti­on a kind of chan­ge, not just re-pre­sent-ing a past, but encou­ra­ging or even enfor­cing cri­ti­cal reflec­tion on it.

It is easier for the Ham­burg monu­ment: Gene­tic thin­king would ques­ti­on whe­ther not only this heroi­fy­ing way of com­me­mo­ra­ting heroes (even if not indi­vi­du­al), but also the con­cre­te form of public ack­now­led­ging of tra­gic loss can be time­ly, after we expe­ri­en­ced ano­ther war and an inhu­man dic­ta­tor­ship and geno­ci­de which was not least based on fee­lings ins­ti­ga­ted by such com­me­mo­ra­ting.9

But the­re is some­thing more to reflec­ting about nar­ra­ti­ves — and espe­ci­al­ly on how to rela­te to them. As I wro­te abo­ve, Memo­ri­als are nar­ra­ti­ves. Rüsen calls them “nar­ra­ti­ve abbre­via­ti­ons”, poin­ting to them stan­ding for a spe­ci­fic nar­ra­ti­ve, i.e. a spe­ci­fic rela­ti­on bet­ween a past (under memo­ry), the pre­sent (of the aut­hors and erec­tors of the monu­ment as well as the inten­ded public), and with regard to a spe­ci­fic future, con­s­truc­ted only part­ly in ver­bal nar­ra­ti­ve form, but also with non-ver­bal and sequen­ti­al­ly nar­ra­ti­ve ele­ments (even though in some cases it is only the ver­bal inscrip­ti­ons which real­ly hint to any his­to­ri­cal meaning).

Memo­ri­als are more than only pro­to-nar­ra­ti­ves. Their (often) pro­mi­nent (albeit also often over­loo­ked) posi­tio­ning, their (proto-)narrative struc­tu­re and their own qua­li­ty for las­ting a long time (cf. “monu­men­tum exegi aere per­en­ni­us), they do not only con­sti­tu­te a nar­ra­ti­ve rela­ti­on from one tem­po­ral and social posi­ti­on towrds the past and the future, but also are meant to pro­long the sen­se they make and to impo­se it on later gene­ra­ti­ons. Monu­ments are about obli­ga­ting their audi­ence, the spec­ta­tors with a cer­tain nar­ra­ti­ve and inter­pre­ta­ti­on. That qua­li­fies them as parts of what we call “poli­tics of histo­ry”, not only of com­me­mo­ra­ti­on, and what makes them political.

It the­r­e­fo­re is para­mount to read monu­ments as nar­ra­ti­ves, and not only in the de-con­s­truc­ti­ve sen­se of “what did tho­se erec­tors make of that past back then”, but also in the re-con­c­truc­ti­ve sen­se of “in how far or how does this nar­ra­ti­ve fit into my/​our rela­ti­on to that past). In other words: Stan­ding befo­re a monu­ment and thin­king about monu­ments, we all need to (and in fact do) think in a com­bi­na­ti­on of under­stan­ding the others’ and deli­be­ra­ting our own nar­ra­ti­ve mea­ning-making.
The­r­e­fo­re we need to read them as nar­ra­ti­ves first, and beco­me com­pe­tent for it.

Monu­ments often take on the form of addres­sing peo­p­le. Some­ti­mes — as in the Ham­burg case abo­ve — they address the spec­ta­tor, remin­ding them of some kind of obli­ga­ti­on to com­me­mo­ra­te.10 But who is tal­king to whom? If the sena­te of Ham­burg tal­kes to that to the Ham­burg citi­zens of 1930 – 1932, can/​will we accept that (a) the Ham­burg Sena­te of today still admo­nis­hes us like that, and b) that we Ham­burg citi­zens of today are still addres­sed in the same way?

In other cases, (inscrip­ti­ons in) memo­ri­als might expli­cit­ly address the com­me­mo­ra­ted them­sel­ves, as e.g. in the con­fe­de­ra­te monu­ment in Yan­cey­ville, N.C., who­se plaque reads “To the Sons of Cas­well Coun­ty who ser­ved in the War of 1861 – 1865 in ans­wer to the Call of their Coun­ty”, and con­ti­nues in a “We-Voice”, signed by the Cas­well Chap­ter of the United Daugh­ters of the Con­fe­dera­cy”. So far so con­ven­tio­nal. This might be rather unpro­ble­ma­tic, sin­ce spea­k­er-posi­ti­on and addres­sees are cle­ar­ly mark­ed. One might lea­ve the monu­ment even if one dis­agreed, not having to ali­gn with its nar­ra­ti­ve. Only if the pre­sence of such com­me­mo­ra­ting in its­elf is inac­cep­ta­ble, action is imme­dia­te­ly cal­led for.

But the­re are other monu­ments which seem to talk from a neu­tral posi­ti­on, which in fact is that of the erec­tors, but by not being qua­li­fied, includes the spec­ta­tor into the spea­k­er posi­ti­on. The exam­p­le I have rea­dy at hand, is not from the US and not about war heroes, but again from Ham­burg, this time from Neu­en­gam­me con­cen­tra­ti­on camp memo­ri­al. In 1965, an “inter­na­tio­nal monu­ment” ste­le11 was erec­ted the­re, tog­e­ther with a who­le series of coun­try-spe­ci­fic memo­ri­al pla­tes. The inscrip­ti­on on the monu­ment reads “Your suf­fe­ring, your fight­ing and your death shall not be in vain” (my trans­la­ti­on).
This now cle­ar­ly is inte­res­t­ing in at least two respects: (1) it ascri­bes not only suf­fe­ring and death, but also fight­ing to tho­se com­me­mo­ra­ted and ther­eby pos­si­bly does not refer to tho­se inma­tes who never had a chan­ce or did not “fight”, who were pure vic­tims, and (2) it speaks from a neu­tral voice which is not mark­ed in time and social, poli­ti­cal or event-rela­ted posi­ti­on. Whoe­ver mourns at that place pos­si­bly sil­ent­ly co-signs the statement.

International Monument (1965) at Neuengamme Concentration Camp Memorial (partial photo; (c) 2006 Andreas Körber)

Inter­na­tio­nal Monu­ment (1965) at Neu­en­gam­me Con­cen­tra­ti­on Camp Memo­ri­al (par­ti­al pho­to; © 2006 Andre­as Körber)

Con­sider an equal hono­u­ring of con­fe­de­ra­te gene­rals in, say NC: “Your fight­ing shall not have been in vain.” I would spark much more con­tro­ver­sy and con­cers — and right­ly so.

Still ano­ther exam­p­le, the first Ham­burg monu­ment for the vic­tims of Natio­nal Socia­lism (from late 1945) on the Cen­tral Ceme­try in Ham­burg-Ohls­dorf, has an inscrip­ti­on “Inju­s­ti­ce brought Us Death — Living: Reco­gni­ze your Obligation”.

Erstes Hamburger Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus von 11/1945 in Hamburg Ohlsdorf. Foto von NordNordWest/Wikipedia. Lizenz: CC-BY-SA 3.0; (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/legalcode); Original: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Mahnmal_Opfer_der_NS-Verfolgung_Ohlsdorf.jpg

Ers­tes Ham­bur­ger Mahn­mal für die Opfer des Natio­nal­so­zia­lis­mus von 11/​1945 in Ham­burg Ohls­dorf. Foto von NordNordWest/​Wikipedia. Lizenz: CC-BY-SA 3.0; (https://​crea​tive​com​mons​.org/​l​i​c​e​n​s​e​s​/​b​y​-​s​a​/​3​.​0​/​d​e​/​l​e​g​a​l​c​ode); Ori­gi­nal: http://​com​mons​.wiki​me​dia​.org/​w​i​k​i​/​F​i​l​e​:​M​a​h​n​m​a​l​_​O​p​f​e​r​_​d​e​r​_​N​S​-​V​e​r​f​o​l​g​u​n​g​_​O​h​l​s​d​o​r​f​.​jpg

 

Erstes Hamburger Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus von 11/1945 in Hamburg Ohlsdorf; Detail. Zustand 25.3.2010; Foto (c) Andreas Körber

Ers­tes Ham­bur­ger Mahn­mal für die Opfer des Natio­nal­so­zia­lis­mus von 11/​1945 in Ham­burg Ohls­dorf; Detail. Zustand 25.3.2010; Foto © Andre­as Körber

 

Again, for ana­ly­zing and under­stan­ding, we need to reco­gni­ze. The spea­k­er posi­ti­on here, is cle­ar­ly (meta­pho­ri­call) held by the vic­tims to be com­me­mo­ra­ted. But whom do they speak to? Lite­ral­ly, it is the “living”. In a very broad under­stan­ding, the monument/​memorial the­r­e­fo­re addres­ses all humans, quite in a way what Rüsen has addres­sed as the hig­hest level of nor­ma­ti­ve plau­si­bi­li­ty: broa­de­ning the per­spec­ti­ve to the level of huma­ni­ty.
This is not very pro­ble­ma­tic, sin­ce the inscrip­ti­on does talk of “duty”, not of “guilt”, it does not con­f­la­te the addres­sees with tho­se who inflic­ted the inju­s­ti­ce upon the vic­tims. But it could have done. In 1945, the mes­sa­ge would be cle­ar­ly not mere­ly uni­ver­sal­ly huma­ni­stic, but at least also addres­sing the Ger­mans as the socie­ty of the per­pe­tra­tors. It does not con­demn, but calls for reco­gni­zing the “duty” and respon­si­bi­li­ty for com­me­mo­ra­ting and non-repea­ting as well as over­co­ming the struc­tures of NS inju­s­ti­ce, hin­ting at respon­si­bi­li­ty for not pre­ven­ting them or even par­ti­ci­pa­ting in them in the first place.

And today? In how far is the mes­sa­ge the same for today’s socie­ty in Ger­ma­ny? The peo­p­le living in Ger­ma­ny today do — apart from very few excep­ti­ons — not share any per­so­nal guilt or respon­si­bi­li­ty for what hap­pen­ed. In how far can or should they see them­sel­ves addressed?

Again, the­re is no ques­ti­on as to the very gene­ral, huma­ni­ty-rela­ted address. This is direc­ted at any audi­ence. But would that mean that the­re is no dif­fe­rence bet­ween any other visi­tor to the memo­ri­al and Ger­mans? Has the Nazi inju­s­ti­ce (and simi­lar­ly the Holo­caust) beco­me a mat­ter of gene­ral, uni­ver­sal histo­ry only? Is the­re no spe­cial belon­ging to and mes­sa­ge for Ger­man histo­ry? All the­se ques­ti­ons can and need to be addres­sed — and espe­ci­al­ly so, sin­ce a con­sidera­ble part of Ger­man socie­ty con­sists not only of peo­p­le born and rai­sed (long) after the “Third Reich”, but also of many who immi­gra­ted from other count­ries, socie­ties and cul­tures mean­while. Are they sim­ply coun­ted into the per­pe­tra­tors’ socie­ty? — no, I think; but as peo­p­le living in Ger­ma­ny, they also are adres­sed in a more spe­ci­fic way than any other visi­tor — and they are expec­ted to feel addres­sed, also. While the­re may be (and often inde­ed is) not spe­ci­fic respon­si­bi­li­ty for what the­se memo­ri­als and monu­ments refer to, the­re sure­ly is a spe­ci­fic respon­si­bi­li­ty from or out of this histo­ry — and the­se monu­ments the­r­e­fo­re ser­ve not only as gene­ral mar­kers to a set past, but also as marks which have spe­ci­fic mes­sa­ges and dif­fe­rent (but com­pa­ti­ble) ones for dif­fe­rent reci­pi­ents. This is what also is a part of what is nee­ded to be reflec­ted and dis­cus­sed with regard to monu­ments in public histo­ry cul­tu­re and what histo­ry edu­ca­ti­on needs to enable lear­ners to par­ta­ke in.

In order to make up our minds on monu­ments we have “inhe­ri­ted” not only in poli­ti­cal terms, we need to reflect their spe­ci­fic nar­ra­ti­ve mes­sa­ge in a spec­trum of time-rela­ti­ons. And we need to dif­fe­ren­tia­te our ter­mi­no­lo­gy and enable our stu­dents to mas­ter a set of con­cepts rela­ted. We need, e.g., to distin­gu­ish hono­ring forms of com­me­mo­ra­ti­on from remin­ding and admo­nis­hing ones.

In Ger­ma­ny we have (not eas­liy) deve­lo­ped the noti­on of “Mahn­mal”, admo­nis­hing, to be distin­gu­is­hed from a mere “Denk­mal” (lite­ral­ly a “thin­king mark”). But even this distinc­tion is insuf­fi­ci­ent. A Mahn­mal (in fact the lite­ral trans­la­ti­on to “monu­ment”, from Latin “admon­e­re”) may admo­nish to remem­ber our own suf­fe­ring inflic­ted on us by our­sel­ves, some tra­gic or by others, but also may admo­nish to not for­get what we inflic­ted on others. This is the spe­ci­fic form “nega­ti­ve memo­ry” of Ger­man memo­ri­al culture.

 

The­r­e­fo­re, there’s a lot more to be reflec­ted in commemorating:

  • Who “talks”? who aut­hors the nar­ra­ti­ve — and is what capa­ci­ty (e.g. in lieuf of “the peo­p­le”, of a cer­tain group, …)?
  • whom does the monu­ment expli­ci­ty address?
  • what is the rela­ti­on of expli­cit addres­sees and fac­tu­al spectators?
  • in how far is the mes­sa­ge the same for us today as it was envi­sio­ned back then — and pos­si­bly rea­li­zed? is it the same for all of us?
  • what kind of mes­sa­ge is perceived?

(cf. Kör­ber 2014)

 

Refe­ren­ces:

  • Has­berg, Wolf­gang (2012): Ana­ly­ti­sche Wege zu bes­se­rem Geschichts­un­ter­richt. His­to­ri­sches Den­ken im Hand­lungs­zu­sam­men­hang Geschichts­un­ter­richt. In: Mey­er-Ham­me, Johan­nes /​ Thü­ne­mann, Hol­ger /​ Züls­dorf-Kers­t­ing, Meik (Hrsg.): Was heißt guter Geschichts­un­ter­richt? Per­spek­ti­ven im Ver­gleich. Schwalbach/​Ts. /​ Wochen­schau, S. 137 – 160, p. 140.
  • Klin­gel, Kers­tin (2006): Eichen­kranz und Dor­nen­kro­ne. Krie­ger­denk­mä­ler in Ham­burg. Ham­burg: Lan­des­zen­tra­le für Poli­ti­sche Bildung.
  • Kör­ber, Andre­as (2014): De-Con­s­truc­ting Memo­ry Cul­tu­re. In: Tea­ching his­to­ri­cal memo­ries in an inter­cul­tu­ral per­spec­ti­ve. Con­cepts and methods : expe­ri­en­ces and results from the Teac­Mem pro­ject. Hrsg. von Hel­le Bjerg, Andre­as Kör­ber, Clau­dia Lenz u. Oli­ver von Wro­chem. Ber­lin 2014, 145 – 151.
  • Kör­ber, Andre­as (2016): Sinn­bil­dungs­ty­pen als Gra­du­ie­run­gen? Ver­such einer Klä­rung am Bei­spiel der His­to­ri­schen Fra­ge­kom­pe­tenz. In: Kat­ja Leh­mann, Micha­el Wer­ner und Ste­fa­nie Zabold (Hg.): His­to­ri­sches Den­ken jetzt und in Zukunft. Wege zu einem theo­re­tisch fun­dier­ten und evi­denz­ba­sier­ten Umgang mit Geschich­te. Fest­schrift für Wal­traud Schrei­ber zum 60. Geburts­tag. Ber­lin, Müns­ter: Lit Ver­lag (Geschichts­di­dak­tik in Ver­gan­gen­heit und Gegen­wart, 10), S. 27 – 41.
  • Rüsen, Jörn (2017): Evi­dence and Mea­ning. A Theo­ry of His­to­ri­cal Stu­dies. Unter Mit­ar­beit von Dia­ne Kerns und Katie Digan. New York, NY: Berg­hahn Books Incor­po­ra­ted (Making Sen­se of Histo­ry Ser, v.28).
Anmer­kun­gen /​ Refe­ren­ces
  1.   Léves­que, Sté­pha­ne: Remo­ving the “Past”: Deba­tes Over Offi­ci­al Sites of Memo­ry. In: Public Histo­ry Weekly 6 (2018) 29, DOI: dx​.doi​.org/​1​0​.​1​5​1​5​/​p​h​w​-​2​018 – 12570. The­re also is a Ger­man and a French ver­si­on. []
  2. Ano­ther such cros­s­ta­bu­la­ti­on has been sug­gested (in Ger­man) by Wolf­gang Has­berg (Ana­ly­ti­sche Wege zu bes­se­rem Geschichts­un­ter­richt. His­to­ri­sches Den­ken im Hand­lungs­zu­sam­men­hang Geschichts­un­ter­richt. In: Mey­er-Ham­me, Johan­nes /​ Thü­ne­mann, Hol­ger /​ Züls­dorf-Kers­t­ing, Meik (Hrsg.): Was heißt guter Geschichts­un­ter­richt? Per­spek­ti­ven im Ver­gleich. Schwalbach/​Ts. /​ Wochen­schau, S. 137 – 160, p. 140). For my cri­tique see Kör­ber 2016 (in Ger­man). I also pro­vi­ded a table, inclu­ding the dif­fe­rent niveaus, but rest­ric­ted to “Fra­ge­kom­pe­tenz” (simi­lar to Lévesque’s “inquiry com­pe­tence”). []
  3. I used this also in a twit­ter-dis­cus­sion with Kim Wag­ner (@KimAtiWagner) recent­ly. []
  4. For more pic­tures and infor­ma­ti­on see also https://​www​.denk​-mal​-gegen​-krieg​.de/​k​r​i​e​g​e​r​d​e​n​k​m​a​e​l​e​r​/​h​a​m​b​u​r​g​-​l​o​-​os/. []
  5. On this type of monu­ments cf. Koselleck, Rein­hart (1994): Ein­lei­tung. In: Rein­hart Koselleck und Micha­el Jeis­mann (Hg.): Der poli­ti­sche Toten­kult. Krie­ger­denk­mä­ler in der Moder­ne. Mün­chen: Fink (Bild und Text), S. 9 – 20, here p. 18f. []
  6. Accor­ding to Klin­gel, Kers­tin (2006): Eichen­kranz und Dor­nen­kro­ne. Krie­ger­denk­mä­ler in Ham­burg. Ham­burg: Lan­des­zen­tra­le für Poli­ti­sche Bil­dung, p.71, the mour­ning-reli­ef initi­al­ly was to be repla­ced by “war sym­bols” but all skte­ches han­ded in by artists (inclu­ding a wrath with swords by Ruwoldt) were rejec­ted, so that he was com­mis­sio­ned to crea­te an eagle, which he did, but in a way which far more resem­bled a dove than an eagle. In how far this can be inter­pre­ted as a sub­ver­si­ve rejec­tion of the new mar­ti­al cha­rac­ter and even be eva­lua­ted as an act of defi­ance, is high­ly ques­tionable, sin­ce the sym­bo­lism of the dove as the uni­ver­si­al sym­bol for peace was crea­ted by Picas­so only after World­War II. []
  7. Cf. e.g. his “Invi­si­ble Monu­ment” in Sar­brü­cken: https://​en​.wiki​pe​dia​.org/​w​i​k​i​/​P​l​a​t​z​_​d​e​s​_​U​n​s​i​c​h​t​b​a​r​e​n​_​M​a​h​n​m​als. []
  8. Cf. a.o. Wij­sen­beek, Dinah: Denk­mal und Gegen­denk­mal. Über den kri­ti­schen Umgang mit der Ver­gan­gen­heit auf dem Gebiet der bil­den­den Kunst. Mün­chen 2010. []
  9. There’s a lot more to be reflec­ted in com­me­mo­ra­ting: Who talks to whom, here? What do they say and expect? Who is the “you”? Is it ” us” — still today? And if so: in how far is the mes­sa­ge the same for all of us, tho­se with Ham­burg ances­tors of the time, and tho­se wit­hout, may­be immi­grants? In how far can this aspect defi­ne our atti­tu­de? Can we force all recent immi­grants into our own “natio­nal” nar­ra­ti­ve (and even more so when it is not WW1, but Holo­caust rela­ted)? But then, how can we not? (cf. also Kör­ber 2014, and see below. []
  10. My mother used to explain the Ger­man word “Denk­mal”, lite­ral­ly referrring to a “mark(er)” for initia­ting thin­king, as an impe­ra­ti­ve: “Denk mal!”, refer­ring to the other mea­ning of the word “mal” as “for once”, resul­ting in “do think for once!” []
  11. Cf. https://​upload​.wiki​me​dia​.org/​w​i​k​i​p​e​d​i​a​/​c​o​m​m​o​n​s​/​t​h​u​m​b​/​1​/​1​5​/​N​e​u​e​n​g​a​m​m​e​_​m​e​m​o​r​i​a​l​.​j​p​g​/​8​0​0​p​x​-​N​e​u​e​n​g​a​m​m​e​_​m​e​m​o​r​i​a​l​.​jpg, (pho­to by Hao Liu in the public domain) []
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Projektbericht

05. Dezember 2017 Andreas Körber Keine Kommentare

Kör­ber, Andre­as (2017): „Erin­ne­rungs­kul­tu­ren in Dar es Salaam und Ham­burg“. Ein inter­kul­tu­rel­les und post­ko­lo­nia­les Leh­rer­bil­dungs­pro­jekt mit Schul­pra­xis und inter­kul­tu­rel­ler Begeg­nung zum Gegen­stand Kolo­ni­al­erin­ne­run­gen. In Rei­ner Leh­ber­ger (Ed.): Koope­ra­tio­nen in der Leh­rer­bil­dung. Ein Pro­jekt im Rah­men der “Leh­rer-Initia­ti­ve” des Stif­ter­ver­bands und der Heinz Nix­dorf Stif­tung an der Uni­ver­si­tät Ham­burg. 1. Auf­la­ge. Nor­der­stedt: Books on Demand, pp. 136 – 146.

ANMELDUNG VERLÄNGERT BIS 28.2.2017: Zusätzliches Lehrangebot im SoSe 2017: Seminar mit Exkursion nach USA/​Polen

08. Februar 2017 Andreas Körber Keine Kommentare

Lie­be Kommiliton(inn)en,
nach der ers­ten Anmel­de­run­de sind noch Plät­ze frei — ins­be­son­de­re für den Teil zu Grundwald/​Tannenberg mit der Exkur­si­on nach Polen!
Neue Anmel­de­frist: 28. Febru­ar 2017!
Anmel­dun­gen bit­te zur Sicher­heit per Mail AUCH AN MICH: andreas.​koerber@​uni-​hamburg.​de
Gruß

 

Das Semi­nar ist für Lehr­amts­stu­die­ren­de ein Fach­di­dak­tik M.Ed.-Seminar “Wei­ter­füh­rung der Fach­di­dak­tik Geschich­te” (Modul 001k). Es ist für Stu­die­ren­de im B.A./B.Sc.-Lehramt Geschich­te mit abge­schlos­se­ner Modul­prü­fung zugäng­lich und kann spä­ter im M.Ed.-Studium ange­rech­net werden

(2009) Zur Erinnerungskultur im Web 2.0

03. Mai 2016 Andreas Körber Keine Kommentare

[Vor­be­mer­kung: Nach dem Umzug des Blogs auf den neu­en Ser­ver wur­de ich vom Sys­tem auf einen seit Jah­ren unfer­ti­gen Ent­wurf auf­merk­sam gemacht, der danach mei­ner Auf­merk­sam­keit ent­gan­gen war. Ich ver­öf­fent­li­che ihn hier unver­än­dert, zum einen, weil ich das damals geschrie­be­ne immer noch für nicht ganz unsin­nig hal­te, zum ande­ren, weil auch das eine Form der Erin­ne­rung ist. AK 3.5.2016]

Lisa Rosa macht(e mich damals) auf ein erin­ne­rungs­kul­tu­rel­les Phä­no­men aufmerksam:

Ein Pro­jekt in Lub­lin “rekon­stru­iert” im Netz Holo­caust-Opfer und gibt ihnen eine “vir­tu­el­le Iden­ti­tät”, d.h. es ent­steht eine Sei­te, auf wel­cher nicht nur Lebens­da­ten und Infor­ma­tio­nen über die his­to­ri­sche Per­son ver­sam­melt wer­den, son­dern die­se Per­son auch eine vir­tu­el­le “eige­ne” Stim­me bekommt.

Ein Bericht dar­über fin­det sich bei der Deut­schen Welle.

Die­ses Pro­jekt wirft aus der Per­spek­ti­ve der Geschichts­di­dak­tik wie der Erin­ne­rungs­kul­tur, der Gedenk­stät­ten­päd­ago­gik meh­re­re Fra­gen auf. Ich will hier gar nicht selbst unmit­tel­bar nach der “Ange­mes­sen­heit” und/​oder Sinn­haf­tig­keit fra­gen oder dar­über urtei­len. Zunächst geht es mir dar­um zu fra­gen, wel­cher Kate­go­rien, Begrif­fe und Ein­sich­ten es bedarf, um dar­über zu vali­den Urtei­len zu kommen:

  1. Kann die­ses Pro­jekt als neu-media­le, Inter­net-gerech­te Wei­ter­ent­wick­lung bio­gra­phi­schen Arbei­tens in der Erin­ne­rungs­kul­tur ange­se­hen werden?
  2. In dem oben ange­spro­che­nen Bericht über die­ses Pro­jekt wird der Begriff der “Rekon­struk­ti­on” erwähnt. Was genau wird damit bezeich­net? Was umfasst er — und was kann er sinn­vol­ler­wei­se umfassen? 
    1. Ist mit der Rekon­struk­ti­on die Erar­bei­tung von Infor­ma­tio­nen über die Lebens­um­stän­de und das Leben des Jun­gen “Henio” gemeint — oder umfasst der Begriff auch die “Wie­der­her­stel­lung” sei­ner Perspektive?
    2. Re-Kon­struk­ti­on im geschichts­wis­sen­schaft­li­chen Sin­ne besteht immer in einer retro­spek­ti­ven Tätig­keit. Dabei gilt inzwi­schen als gesi­cher­te Erkennt­nis, dass zwar ver­sucht wird, “die Ver­gan­gen­heit” zu rekon­stru­ie­ren, dass das Ergeb­nis aber nie in der Wie­der­her­stel­lung der Ver­gan­gen­heit bestehen kann, son­dern immer die Form einer “Geschich­te” annimmt, näm­lich nar­ra­tiv struk­tu­riert ist.
    3. Re-Kon­struk­ti­on ver­bin­det somit immer min­des­tens zwei Zeit­punk­te, von denen einer der­je­ni­ge der Re-Kon­struk­ti­on ist. Im Sin­ne von Trans­pa­renz und in Aner­ken­nung der unhin­ter­geh­ba­ren Per­spek­ti­vi­tät (sowie Selek­ti­vi­tät, Par­tia­li­tät etc.) aller nar­ra­ti­ven Aus­sa­gen, ist zu for­dern, dass die Tat­sa­che der per­spek­ti­vi­schen Re-Kon­struk­ti­on und die Per­spek­ti­ve, von der sie vor­ge­nom­men wird, mög­lichst offen gelegt wird.
    4. Auch die Anstren­gung und Leis­tung, mög­li­che Gedan­ken und Wün­sche, Äuße­run­gen und Taten frü­he­rer Men­schen zu for­mu­lie­ren, ist dem­nach for­mal Re-Kon­struk­ti­on. Die Nut­zung wört­li­cher Rede und der Ich-Form, d.h. Dra­ma­ti­sie­rung und Kon­tex­tua­li­sie­rung, Loka­li­sie­rung usw. sind Ele­men­te his­to­ri­scher Re-Kon­struk­ti­on. In die­sem Sin­ne ist auch die Kon­struk­ti­on des “vir­tu­el­len Henio” eine Rekonstruktion.
    5. Ein sol­ches Pro­jekt kann also nicht ein­fach mit dem Hin­weis abge­lehnt wer­den, dass es ille­gi­tim sei, nicht mehr leben­de Per­so­nen “zum Spre­chen zu brin­gen” — nichts ande­res tun his­to­ri­sche Dra­men und Epen — aber auch ein Gut­teil der erzäh­le­nen Geschichtsschreibung.
    6. Nicht die Tat­sa­che fik­tio­na­ler Gestal­tung von ver­gan­ge­nen Per­spek­ti­ven und Hand­lun­gen in die­sen Per­spek­ti­ven kann also ein Grund sein, ein sol­ches Pro­jekt abzu­leh­nen oder pro­ble­ma­tisch zu fin­den, son­dern höchs­tens die Art und Wei­se, wie Fik­tio­na­li­tät (oder neu­tra­ler: Gestal­tung) und “Fak­ti­zi­tät” mit­ein­an­der in Bezie­hung gesetzt wer­den. Auch “Fak­ten” sind ja nicht ein­fach gege­ben, son­dern ent­ste­hend durch Inter­pre­ta­ti­on, durch Re-Konstruktion.
  3. Dass mich (und wohl auch Lisa Rosa) bei der Infor­ma­ti­on über die­se Form der Erin­ne­rungs­kul­tur ein ungu­tes Gefühl beschleicht, der Ver­dacht, hier könn­te etwas unan­ge­mes­se­nes, pro­ble­ma­ti­sches statt fin­den, muss also an ande­rem lie­gen. Es braucht wohl auch ande­re Kri­te­ri­en zu des­sen Beurteilung: 
    1. Ist es die Kom­bi­na­ti­on von fik­tio­na­ler Gestal­tung und der Opfer­per­spek­ti­ve, wel­che dem so Gestal­te­ten eine Deu­tungs­macht ver­leiht, die uns — bei aller Berech­ti­gung und Not­wen­dig­keit der Reprä­sen­ta­ti­on die­ser Per­spek­ti­ve — pro­ble­ma­tisch erscheint?
    2. Ist der Begriff “vir­tu­el­ler Zeit­zeu­ge”, der bei der Deut­schen Wel­le ver­wen­det wird, ange­mes­sen? Er ver­weist auf die beson­de­re Qua­li­tät der Zeit­zeu­gen­schaft, die die­se in der deut­schen Geschichts­wis­sen­schaft und Erin­ne­rungs­kul­tur besitzt — näm­lich eine auf einer Authen­ti­zi­täts­an­nah­me beru­hen­de Autorität.
    3. Hier ist zu fra­gen, ob unser (bzw. der Autoren des Pro­jekts und/​oder der Bericht­erstat­ter) Begriff des “Zeit­zeu­gen” scharf genug ist. Lässt sich “Zeu­gen­schaft” virtualisieren?
    4. Viel­leicht hilft es ja wei­ter, die Auto­ri­tät, die dem Kon­zept des “Zeu­gen” und der “Quel­le” im deut­schen his­to­ri­schen Den­ken zukommt, zurück­zu­neh­men, und viel­mehr (ent­spre­chend der eng­lisch­spra­chi­gen Geschichts­päd­ago­gik) das Kon­zept der “Evi­denz” zu nut­zen. Nicht die Tat­sa­che von Zeu­gen­schaft iste s dann, die Auto­ri­tät ver­bürgt — viel­mehr kommt den Berich­ten von “Zeit­zeu­gen” Evi­denz nicht auto­ma­tisch zu, son­dern muss in ihnen gesicht werden.
    5. Mit Hil­fe der Kate­go­rie von “Evi­denz” lie­ßen sich auch Vor­stel­lung sekun­dä­rer und eben vir­tu­el­ler Zeu­gen­schaft kri­tisch analysieren.
  4. Zu reflek­tie­ren ist auch die Erin­ne­rungs­qua­li­tät sol­cher Projekte 
    1. zunächst unter­schei­det sich der Vor­gang der “Re-Kon­struk­ti­on” ver­gan­ge­ner Per­spek­ti­ven (“was kann der Jun­ge Henio plau­si­bler­wei­se zu die­sem Zeit­punkt gedacht haben, was kön­nen sei­ne Wün­sche, Erfah­run­gen, Erleb­nis­se etc. gewe­sen sein?”) und ihre dra­ma­ti­sie­ren­de, loka­li­sie­ren­de, kon­tex­tua­li­sie­ren­de Gestal­tung nicht wesent­lich von dem, was ernst­haft arbei­ten­de Autoren von Jugend­bü­chern oft tun.
    2. In den aller­meis­ten Fäl­len han­delt es sich bei den Per­so­nen sol­cher Pro­duk­te um expli­zit fik­tio­na­le Gestal­ten, die an Hand his­to­ri­scher For­schung als mög­lich und plau­si­bel erkann­te Per­spek­ti­ven etc. zu einer Indi­vi­dua­li­tät gestal­ten, die als mög­lich, aber eben nicht wirk­lich dar­ge­stellt wird: 
      1. Zuwei­len wer­den ver­bürg­te und über­lie­fer­te Ein­zel­erfah­run­gen meh­re­rer Per­so­nen zu einer fik­tio­na­len Figur verdichtet.
      2. zuwei­len wird neu­es (aber eben mög­li­ches) “hin­zu­er­fun­den”, so auch “Typi­sches” “indi­vi­dua­li­siert”.
    3. Aber es gibt natür­lich auch Bei­spie­le, wo in fik­tio­na­len Gestal­tun­gen “rea­le” Per­so­nen mit eige­nem Den­ken und Reden, Füh­len und Wol­len vor­ge­stellt und gestal­tet werden. 
      1. Das ist zunächst immer dort der Fall, wo bekann­te Ein­zel­per­so­nen, deren Han­deln die Situa­ti­on geprägt hat, unver­zicht­bar sind — etwa beim Holo­caust Hit­ler, Höss usw.
      2. es kön­nen aber auch ver­bürg­te, dann “fik­tio­nal” über­form­te Erfah­run­gen rea­ler Men­schen sein — wie etwa die Erin­ne­run­gen von Art Spie­gel­manns Vater in “Maus”.
    4. In den aller­meis­ten Fäl­len, die pro­blem­los aner­kannt wer­den, zeich­net jedoch das Set­ting die Gestal­tung als zumin­dest teil-fik­tio­nal bzw. als “lite­ra­risch” gestal­tet aus: Der Hit­ler in “Maus” ist eben­so­we­nig der rea­le Hit­ler wie der Cae­sar in Aste­rix — er ist erkenn­bar eine lite­ra­ri­sche Gestal­tung der rea­len Per­son Hit­ler — ein Ver­weis auf die Rea­li­tät, nicht aber die Rea­li­tät selbst.

Ansprache auf der Mahnwache anlässlich des 77. Jahrestags der Reichspogromnacht am 9. November 1938

09. November 2015 Andreas Körber Keine Kommentare

Ein­la­dung Mahn­wa­che 2015 – 3

 

Andre­as Körber

Anspra­che zur Gedenk­fei­er am 9. Novem­ber 2015 auf dem Joseph-Car­le­bach-Platz in Hamburg

Lie­be Anwesende,

Im Jahr 1940 schrieb ein füh­ren­des Mit­glied des Cen­tral­ver­eins deut­scher Staats­bür­ger jüdi­schen Glau­bens, Hans Reich­mann, im Exil in Eng­land fol­gen­de Sät­ze, nach­dem er in Fol­ge der No­vem­ber­progrome 1938 im Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger Sach­sen­hau­sen inhaf­tiert und nur gegen die Auf­la­ge, zu emi­grie­ren, ent­las­sen wor­den war, fol­gen­de Sätze:

Wir, die wir aus­ge­trie­ben wur­den, die ein neues

Leben begin­nen sol­len, wie man zu sagen

pflegt, sind ruhe­los gewor­den. An die Zukunft

zu den­ken, wagen wir nicht mehr; woll­ten wir

sie mit gewohn­tem Maß­stab abtas­ten, wir

müß­ten ban­ge wer­den. Was unfaß­bar schien,

ist Wirk­lich­keit: wir sind Luft­men­schen geworden,

wir haben den Boden unter uns verloren,

wir sind aus der Sicher­heit bürgerlichen

lebens ver­jagt – ohne Arbeit, ohne Heim, ohne

Hei­mat. […] Die­se sechs Jah­re haben ungezählte 

jüdi­sche Men­schen gebro­chen, mich nicht.“

Hans Reich­mann war kein Ham­bur­ger, er hat die Pogro­me in Ber­lin erlebt. Sei­ne Wor­te kön­nen aber auf­schluss­reich sein.

Wir sind heu­te hier näm­lich zusam­men­ge­kom­men, um der Opfer des dama­li­gen Gesche­hens zu geden­ken, nicht nur, aber gera­de auch hier in Ham­burg. Wir tun dies als Bür­ge­rin­nen und Bür­ger die­ser Stadt, als Ange­hö­ri­ge die­ser Gesell­schaft mit ganz unter­schied­li­chen Bezü­gen zum dama­li­gen Geschehen.

Ich spre­che heu­te zwar nicht im for­mel­len Sin­ne für die Uni­ver­si­tät, aber doch als ihr Mit­glied. Für uns – für mich zumin­dest – bedeu­tet die­ses Geden­ken zum einen das Andenken an die Opfer, die es auch aus den Rei­hen der Uni­ver­si­tät in jenem Novem­ber 1938 gab. Dane­ben und viel­leicht bedeu­ten­der ist aber auch die Fra­ge nach der Hal­tung der Uni­ver­si­tät zu und ihre Rol­le im dama­li­gen Gesche­hen – und nicht zuletzt danach, was für heu­te dar­aus folgt.

Der heu­ti­ge Anlass ist für Vor­le­sun­gen gelehr­ter Art nicht geeig­net. Es möge daher rei­chen zu benen­nen, dass mei­ne Insti­tu­ti­on in ihrer Gesamt­heit damals schon kei­ne Hüte­rin huma­nen wis­sen­schaft­li­chen Geis­tes mehr war. Sicher waren nicht alle Pro­fes­so­rin­nen und Pro­fes­so­ren von der Macht kor­rum­piert – aber doch genü­gend, und so hat­te die Uni­ver­si­tät Ham­burg schon weit vor dem Datum, des­sen wir hier geden­ken, jeg­li­chen Wider­stand gegen den Ungeist auf­ge­ge­ben – sofern man über­haupt von einem sol­chen Wider­stand der Insti­tu­ti­on spre­chen kann – es gab ihn wohl ver­ein­zelt in der Uni­ver­si­tät, nicht aber als einen der Universität.

Nach­dem jüdi­sche und aus ande­ren Grün­den ver­folg­te Pro­fes­so­rin­nen, Pro­fes­so­ren und ande­re Leh­ren­de ent­las­sen und ins Exil oder gar in den Selbst­mord getrie­ben wor­den waren (die Benen­nung unse­rer Biblio­thek nach Mar­tha Muchow dort hin­ten zeugt von spä­ter Scham auch hier­über), war die Uni­ver­si­tät zu gro­ßen Tei­len selbst schon Teil des Ungeis­tes, der sich nun auch hier, in ihrer Nach­bar­schaft, sicht­bar manifestierte.

Da aber Insti­tu­tio­nen selbst nicht ent­schei­den, gilt die Empö­rung und die Scham dem Tun und Nichts­tun kon­kre­ter Per­so­nen. Per­so­nen, die auch nach 1933 und beson­ders 1938 noch sich hät­ten ument­schei­den kön­nen gegen das, was nicht nur hier, aber auch und gera­de hier in ihrer unmit­tel­ba­ren Nach­bar­schaft ver­an­stal­tet, wur­de. Sie haben es nicht getan.

Was aber ist die­ses unser Geden­ken? Wem gilt es? Wem gegen­über geschieht es und mit wel­chem Anlie­gen? Ich möch­te dar­auf eine Ant­wort nicht nur, aber auch für die Uni­ver­si­tät skiz­zie­ren, die mich bewo­gen hat, der Bit­te, die­se Anspra­che zu über­neh­men, zu entsprechen.

Zunächst ein­mal geden­ken wir hier der Män­ner, Frau­en und Kin­der, die im Zuge der von Natio­nal­so­zia­lis­ten orga­ni­sier­ten, zugleich aber auch von vie­len ande­ren Ham­bur­gern gedul­de­ten und unter­stütz­ten Gewalt­ta­ten heu­te vor nun­mehr 77 Jah­ren ver­folgt, ent­rech­tet, an Gut und Leib beschä­digt, der Frei­heit beraubt, an jenem Tage oder in der Fol­ge sogar getö­tet, und das bedeu­tet: ermor­det, wur­den, wie auch derer, die ange­sichts der Ver­fol­gung kei­nen ande­ren Aus­weg sahen, als sich selbst das Leben zu neh­men – auch dies eine Form des Mordes.

Wir geden­ken aber auch der Erfah­run­gen der­je­ni­gen Men­schen, die nicht phy­sisch betrof­fen waren, denen aber über­aus dras­tisch ver­deut­licht wur­de, dass und auch wie man sie nicht – nicht mehr – dazu­ge­hö­ren las­sen woll­te: zu Ham­burg, zu Deutsch­land, und – wie sich spä­ter her­aus­stell­te: zur Menschheit.

Wem gilt die­ses Geden­ken: Den dama­li­gen Opfern gegen­über ist es eine Ges­te der Wie­der-Aner­ken­nung ihrer so beschä­dig­ten Zuge­hö­rig­keit. Im Fal­le der damals Umge­kom­me­nen kann er nicht anders sein als sym­bo­lisch und somit unvoll­stän­dig – der Sta­chel bleibt. Den Über­le­ben­den gegen­über, ob zurück­ge­kehrt oder nicht, ist der­ar­ti­ges Geden­ken ein Ver­spre­chen gewe­sen, die­se Aus­gren­zung nicht fort­füh­ren zu wol­len, sie wie­der als Mit­glie­der unse­rer Gemein­schaft anzu­er­ken­nen – nicht, als ob nichts gewe­sen wäre, son­dern in vol­lem Bewusst­sein und in expli­zi­ter Benen­nung des gesche­he­nen Unrechts. Ihnen gegen­über auch ist es beson­ders nötig, die­ses immer wie­der zu bekun­den: Wer einen sol­chen Rechts- und Ver­trau­ens­bruch erfah­ren muss­te, der bedarf nicht einer ein­ma­li­gen, abschlie­ßen­den Soli­da­ri­täts­be­kun­dung, son­dern wie­der­hol­ter. Spät genug hat unse­re Gesell­schaft, haben wir damit begon­nen, sol­ches zu tun.

Sodann ist unser Geden­ken aber auch eine Trau­er um das, was die­se so hin­aus­ge­trie­be­nen Men­schen für uns, für die Gesell­schaft, der wir uns im Rück­blick doch ange­hö­rig füh­len, bedeu­tet haben und wei­ter hät­ten bedeu­ten kön­nen. Nicht nur dort, wo Fami­li­en, Freund- und Nach­bar­schaf­ten zer­ris­sen wur­den, ist er spür­bar – er betrifft uns alle, heu­te noch. Ihr Ver­lust an men­schen­wür­di­ger Sicher­heit ist auch unser aller Ver­lust gewe­sen – an Bezie­hun­gen, Erfah­run­gen, und nicht zuletzt an gegen­sei­ti­ger Mensch­lich­keit und Solidarität.

Auch hier gilt: Unser Erin­nern und Geden­ken macht den Ver­lust nicht rück­gän­gig, ist aber nötig, um das Ver­lo­re­ne ange­sichts und in ste­ti­ger Kennt­nis des Gesche­hens wie­der zu gewin­nen und zu bewahren.

Letzt­lich ver­ge­wis­sern wir uns im Geden­ken näm­lich auch unse­rer selbst: Wer sind wir und wer wol­len wir sein ange­sichts und gegen­über die­sem Geschehen?

Im Den­ken an die Opfer der dama­li­gen Gewalt, aber auch des sie beglei­ten­den Schwei­gens und Dul­dens, im Den­ken an den Ver­lust durch die Gesell­schaft, die es nicht ver­hin­dern konn­te, es als Gan­ze aber auch nicht woll­te, im Den­ken an den Ver­lust, den eben dies auch für uns als Gesell­schaft bedeu­te­te und noch bedeu­tet, beken­nen wir uns zur his­to­ri­schen Ver­ant­wor­tung, uns selbst gegen­über, ein­an­der und vor allen ande­ren. Nicht nur den Opfern und ein­an­der, die wir hier ste­hen, auch allen ande­ren gegen­über sagt die­ses Geden­ken etwas.

Damit bin ich beim drit­ten Punkt: Was folgt aus sol­chem Gedenken?

So sehr es stimmt, was Hans Reich­mann schrieb, dass das Gesche­hen über vie­le der ein­zel­nen Opfer in „unfass­ba­rer“, weil für sie außer­halb des Erwart­ba­ren lie­gen­der Wei­se her­ein­brach, so sehr gilt auch, dass es dem erin­nern­den Rück­blick kei­nes­wegs als unvor­be­rei­tet erscheint. Wir wis­sen, wie die Jah­re zuvor, nicht nur seit 1933, als Schrit­te zu die­ser Bar­ba­rei inter­pre­tiert wer­den kön­nen. Wir wis­sen aber auch, dass es kei­nes­wegs zwangs­läu­fig war, unvermeidlich.

Und so muss auch gel­ten, dass ein Geden­ken, das zunächst und zuvör­derst Trau­er ist und den Opfern gilt, leer bleibt, wenn es nicht den Blick auch auf das Heu­te rich­tet. Gera­de weil wir es für sinn­voll und nötig befin­den, die­ses Geden­ken immer wie­der, deut­lich und öffent­lich zu bekun­den, müs­sen wir auch fra­gen, inwie­fern es aktu­ell Ent­wick­lun­gen gibt, die früh­zei­tig zu erken­nen und zu benen­nen sind und denen ent­ge­gen­ge­tre­ten wer­den muss, damit nicht wie­der Men­schen unschul­dig zu Opfern von Taten wer­den, derer man in fer­ne­rer Zukunft in glei­cher Wei­se soll­te geden­ken müsste.

Ja, es gibt sie: Heu­te sind es nicht lang­jäh­ri­ge Ange­hö­ri­ge der Gesell­schaft, die in der­art „unfass­ba­rer“ Wei­se, wie ein­gangs zitiert, „aus der Sicher­heit bür­ger­li­chen Lebens ver­jagt“ wer­den „– ohne Arbeit, ohne Heim, ohne Hei­mat“, und die so zu „Luft­men­schen“ gemacht wur­den, son­dern Men­schen, die zu uns kom­men, weil sie ande­res, aber ver­gleich­bar Ein­schnei­den­des erlebt haben – Men­schen, denen hier bei uns neben gro­ßer Hilfs­be­reit­schaft auch immer wie­der Aus­gren­zung und Ableh­nung ent­ge­gen­schlägt – bis hin dazu, dass wie­der Gebäu­de bren­nen und Män­ner, Frau­en und Kin­der ange­grif­fen wer­den. Das darf nicht sein.

Gewiss: Eigent­lich muss man nicht geden­ken und erin­nern, und his­to­risch den­ken, um zu wis­sen, dass der­ar­ti­ges unver­zeih­lich und unmensch­lich ist. Aber weil die Geschich­te zeigt, dass sol­che Moral und Ethik brü­chig ist, kann Geden­ken und Erin­nern nicht stumm blei­ben gegen­über dem Gegenwärtigen.

Sei­en wir daher als eine viel­fäl­ti­ge Gesell­schaft und als Uni­ver­si­tät einer sol­chen viel­fäl­ti­gen bereit, nicht nur sein zu las­sen, was zu sol­chem Geis­te führt, son­dern auch uns zu betei­li­gen an der Gestal­tung unse­rer Gesell­schaft in einer Wei­se, die es ver­hin­dern möge, dass in eini­gen Jahr­zehn­ten wie­der um Men­schen und um ver­lo­re­ne, auf­ge­ge­be­ne, nicht bewahr­te Mensch­lich­keit getrau­ert und erin­nert wer­den muss.

Wis­sen­schaft und aka­de­mi­sche Bil­dung als sol­che sind, das zeigt die Erfah­rung, nicht gefeit vor frem­den­feind­li­chen Denk­wei­sen und auch ein wis­sen­schaft­li­ches Stu­di­um der Geschichts­wis­sen­schaft allein hält – wie zwei aktu­el­le Fäl­le zei­gen – nicht ein­mal Leh­rer davon ab, pau­scha­lie­ren­de, frem­den­feind­li­che und Men­schen wegen ihrer Zuge­hö­rig­keit zu einer Reli­gi­on, Kul­tur zu dif­fa­mie­ren – von einer Hal­tung und Pra­xis also, die das heu­te erin­nernd zu Bekla­gen­de mit ermög­licht hat. Wis­sen­schaft und his­to­ri­sche Bil­dung kann hel­fen, muss sich aber ihrer huma­nen Grund­la­gen versichern.

Indem wir uns heu­te in Trau­er und rück­bli­cken­dem Ent­set­zen vor die­sen Men­schen ver­nei­gen und ihre ihnen damals ver­nein­te Zuge­hö­rig­keit zu unse­rer Gemein­schaft wie­der aner­ken­nen, beken­nen wir uns auch zu einem Geist, einer Hal­tung, glei­ches nicht wie­der zuzulassen.

Noch einmal Sinnbildungsmuster: “traditional” vs. *“traditionell”

16. Februar 2015 Andreas Körber Ein Kommentar

Die Sinn­bil­dungs­mus­ter bzw. Erzähl­ty­pen von Rüsen und (mit etwas ande­rer theo­re­ti­scher Logik) Pan­del erschei­nen mir wei­ter­hin als ein wich­ti­ges Instru­ment, den Kon­strukt­cha­rak­ter und die Ori­en­tie­rungs­leis­tung von Geschich­ten (“Nar­ra­tio­nen”) zu ver­deut­li­chen und ihn trans­pa­rent zu machen.

In den Klau­su­ren zu mei­nem Ein­füh­rungs­mo­dul in die “Fach­di­dak­tik Geschich­te” (bes­ser: “Geschichts­di­dak­tik”) sind daher öfters auch Tex­te auf die in ihnen ent­hal­te­nen Sinn­bil­dungs­mus­ter zu unter­su­chen. Dabei müs­sen die Stu­die­ren­den ihre Ana­ly­sen natür­lich auch begrün­den, d.h. zumin­dest ansatz­wei­se para­phra­sie­ren, wie sie die ver­schie­de­nen Text­stel­len des Mate­ri­als gele­sen und ver­stan­den haben, und wel­che ori­en­tie­rungs­funk­ti­on, wel­che “Kon­ti­nui­täts­vor­stel­lung” sie erkannt haben.

Dabei kommt es (einer­seits “natür­lich”, ande­rer­seits “lei­der”) immer wie­der vor, dass Stu­die­ren­de einen der Sinn­bil­dungs­ty­pen als  “tra­di­tio­nell” anspre­chen, nicht — wie es kor­rekt wäre — als “tra­di­tio­nal”. Das mag zuwei­len auf eine noch nicht abge­schlos­se­ne Ein­übung in die Fein­hei­ten der deut­schen Bil­dungs­spra­che und ihrer Dif­fe­ren­zie­run­gen in der Adap­ti­on und Nut­zung latei­ni­scher Ter­mi­ni sein — kei­nes­wegs nur bei migran­ti­schen Jugendlichen.

Man kann die­se Dif­fe­ren­zie­rung durch­aus oft­mals als über­zo­gen kri­ti­sie­ren. Schon beim Über­set­zen ins Eng­li­sche ist sie gar nicht mehr voll­stän­dig durch­zu­hal­ten. Aller­dings hat sie oft­mals durch­aus ihre Berech­ti­gung und Relevanz:

An einem Bei­spiel möch­te ich kurz die Bedeu­tung der oben genann­ten Unter­schei­dung besprechen.

Ein(e) Stu­die­ren­de schrieb in einer jüngst bear­bei­te­ten Klau­sur, in wel­cher die Rede von Bun­des­prä­si­dent Joa­chim Gauck zum 70. Jah­res­tag der Befrei­ung des Kon­zen­tra­ti­ons­la­gers Ausch­witz zu ana­ly­sie­ren war:

“Tra­di­tio­nal ist aller­dings auch der Juden­hass” [Z. XX], “den jedoch nur die Deut­schen so weit geführt haben.”

Hier ist es ein­mal nicht die nur fal­sche Benen­nung eines an sich kor­rekt erkann­ten tra­di­tio­na­len Mus­ters als “tra­di­tio­nell”, son­dern umge­kehrt die fälsch­li­che Iden­ti­fi­zie­rung eines von Gauck ange­führ­ten Sach­ver­halts als “tra­di­tio­nal”. Gauck sagte:

“Der deutsch-jüdi­sche Schrift­stel­ler Jakob Was­ser­mann […] hat­te bereits Ende des Ers­ten Welt­kriegs des­il­lu­sio­niert geschrie­ben: Es sei ver­geb­lich, unter das Volk der Dich­ter und Den­ker zu gehen und ihnen die Hand zu bie­ten: ‘Sie sagen’, schrieb er, ‘was nimmt er sich her­aus mit sei­ner jüdi­schen Auf­dring­lich­keit? es ist ver­geb­lich, für sie zu leben und für sie zu ster­ben. Sie sagen: Er ist Jude.’

Der Jude der Anti­se­mi­ten war kein Wesen aus Fleisch und Blut. Er galt als Böse schlecht­hin und dien­te als Pro­jek­ti­ons­flä­che für jede Art von Ängs­ten, Ste­reo­ty­pen und Feind­bil­dern, sogar sol­chen, die ein­an­der aus­schlie­ßen. Aller­dings ist nie­mand in sei­nem Juden­hass so weit gegan­gen wie die Natio­nal­so­zia­lis­ten. Mit ihrem Ras­sen­wahn mach­ten sie sich zu Her­ren über Leben und Tod”. (1)

Somit war der Juden­hass des Natio­nal­so­zia­lis­ten bei Gauck zwar tra­di­tio­nell, d.h. nicht von den Natio­nal­so­zia­lis­ten selbst neu erfun­den, son­dern auf einer älte­ren Geschich­te auf­bau­end, kei­nes­wegs aber tra­di­tio­nal, d.h. seit einem iden­ti­fi­zier­ten Ursprung unver­än­der­lich wei­ter gül­tig, denn das hie­ße: auch über die Zeit von Gaucks Anspra­che hin­aus gül­tig und letzt­lich nicht ver­än­der­bar. Mit einer Deu­tung des Juden­has­ses als “tra­di­tio­nal” wäre der gan­ze Sinn der Rede Gaucks, näm­lich der Hoff­nung Aus­druck zu geben, dass durch ein nicht-ritua­li­sier­tes, son­dern jeweils zeit­ge­mä­ßes und ehr­li­ches Erin­nern gera­de die­se Gel­tung zu durch­bre­chen und dem Juden­hass und ande­ren, ver­wand­ten For­men von Unmensch­lich­keit ent­ge­gen­zu­tre­ten, ver­geb­lich gewesen.

Tra­di­tio­nal sind für Gauck viel­mehr zum einen das Erschre­cken über die Fähig­keit des eige­nen Vol­kes zur Unmensch­lich­keit, der unhin­ter­geh­ba­re, nicht mehr auf­geb­ba­re Bezug deut­scher Iden­ti­tät zu die­sem Ver­bre­chen und dem Erschre­cken und der Refle­xi­on dar­über sowie die Pra­xis des Erin­nerns in Gedenk­fei­ern selbst. Bei allem Bewusst­sein der Gefahr ihres Erstar­rens in lee­ren Ritua­len sei dar­an festzuhalten.

“Tra­di­tio­nal” und “tra­di­tio­nell” bezeich­nen somit fun­da­men­tal unter­schied­li­che Kon­zep­te von Gel­tung in Zeit: Was frü­her “tra­di­tio­nal” war, kann von heu­te aus nicht mehr ohne wei­te­res als tra­di­tio­nal erin­nert und erzählt wer­den — es sei denn, sei­ne Wei­ter­gel­tung sol­le aus­ge­drückt wer­den. War der Anti­se­mi­tis­mus für die Nazis durch­aus “tra­di­tio­nal” in dem Sin­ne, dass er für sie eine Gel­tung in die Zukunft hin­ein auf­wies, kann er von einer auf­ge­klärt-huma­nen (d.h. nor­ma­tiv trif­ti­gen) Per­spek­ti­ve aus allen­falls als “tra­di­tio­nell” erklärt wer­den — nicht aber mehr als tra­di­tio­nal gültig.

===

(1) Gauck, Joa­chim (27.1.2015): Rede des Bun­des­prä­si­den­ten zum 70. Jah­res­tag der Befrei­ung des Kon­zen­tra­ti­ons­la­gers Ausch­witz. http://​www​.bun​des​prae​si​dent​.de/​S​h​a​r​e​d​D​o​c​s​/​R​e​d​e​n​/​D​E​/​J​o​a​c​h​i​m​-​G​a​u​c​k​/​R​e​d​e​n​/​2​0​1​5​/​0​1​/​1​5​0​1​2​7​-​B​u​n​d​e​s​t​a​g​-​G​e​d​e​n​k​e​n​.​h​tml (gele­sen 27.1.2015).

 

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