Arbeitsbereich Geschichtsdidaktik / History Education, Universität Hamburg

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Neuer Titel erschienen

15. September 2021 Andreas Körber Keine Kommentare

Gera­de ist eben­so erschienen:
Titelbild: Bodo von Borries (2021): Geschichtslernen, Geschichtsunterricht und Geschichtsdidaktik. Erinnerungen, Erfahrungsschätze, Erfordernisse. 1959/60–2020/21. Frankfurt am Main: Wochenschau (Wochenschau Wissenschaft)

Bor­ries, Bodo von (2021): Geschichts­ler­nen, Geschichts­un­ter­richt und Geschichts­di­dak­tik. Erin­ne­run­gen, Erfah­rungs­schät­ze, Erfor­der­nis­se. 1959/​60 – 2020/​21. Frank­furt am Main: Wochen­schau (Wochen­schau Wissenschaft).

“Das Buch stellt 60 Jah­re Geschichts­un­ter­richt und Geschichts­di­dak­tik aus reflek­tie­ren­der Rück­schau sei­nes inten­siv betei­lig­ten Autors dar. Es quillt über von kon­kre­ten Bei­spie­len, über­ra­schen­den Anek­do­ten, erhel­len­den Kon­tro­ver­sen, über­trag­ba­ren Fall­ana­ly­sen und pro­duk­ti­ven Anre­gun­gen. Der Band bie­tet nicht nur einen span­nen­den Ein­blick in die Geschich­te der Dis­zi­plin, son­dern gibt auch Impul­se für ihre Zukunft.”

Inhaltsübersicht:

Vor­be­mer­kung

1. Stich­jahr 1959/​60: Das „alte“ natio­nal­kon­ser­va­tiv-poli­tik­ge­schicht­li­che und stoff­zen­triert-leh­rer­do­mi­nier­te Sys­tem – Erfah­rung eines Sek. II‑Schülers, dann Stu­den­ten und Ein­schät­zung nach 60 Jahren

1.1 NS‑Verdrängung (und Bil­dungs-Expan­si­on nach ‑Restau­ra­ti­on)
1.1.1 Frü­he Erfah­run­gen mit Geschichts-Unter­richt und –Schul­buch
1.1.2 NS‑Verharmlosung in benutz­tem Schul­buch (1956) und Gesamtgesellschaft
1.1.3 Beschei­de­ne Ansät­ze zur NS‑Durcharbeitung
1.1.4 Ers­te beacht­li­che Bil­dungs­expan­si­on in ver­deck­ter „Gro­ßer Koali­ti­on“ von SPD- und CDU/C­SU-Län­dern

1.2 Geschichts­di­dak­ti­sches Vaku­um und unzu­rei­chen­de Lehrerausbildung
1.2.1 Unbe­ding­te Stoff- und Lehrerdominanz
1.2.2 Ernst­ge­nom­me­ne, aber „rei­fungs­theo­re­tisch“ ver­kürz­te Entwicklungspsychologie
1.2.3 Vor­ge­se­he­nes „poli­tik­ge­schicht­li­ches Schmal­spur­stu­di­um“ und eige­nes „Löcken wider den Stachel“
1.2.4 Kei­ne hilf­rei­che Erzie­hungs­wis­sen­schaft, Total­aus­fall von „Geschichts­di­dak­tik“ und „Schul­prak­ti­ka“

2. Stich­jahr 1971/​72: Umbruch von Stoff- und Leh­rer­do­mi­nanz zu Pro­blem- und Dia­log­ori­en­tie­rung – Erfah­rung eines jun­gen Refe­ren­dars und Ein­schät­zung nach 48 Jahren

2.1 „Mei­len­stei­ne“ und „Defi­zi­te“
2.1.1 Tie­fe Exis­tenz­kri­se des Faches Geschichte
2.1.2 Stoff­über­frach­tung bei Abschaf­fungs­ri­si­ko (durch „Gesell­schafts­leh­re“)
2.1.3 Erfor­der­li­cher „Schwenk vom Leh­ren zum Lernen“
2.1.4 Fach­un­ter­richt nur als Zwei­te Gei­ge im Streich­quar­tett des Geschichtslernens

2.2 „Eigen­bei­trä­ge“
2.2.1 Das per­sön­li­che Ein­tritts­bil­lett: Vor­schlag prä­zi­ser, loh­nen­der Lern­zie­le und intel­li­gen­ter, gerech­ter Tests
2.2.2 „Sozia­li­sa­ti­on“ plus – kei­nes­wegs statt! – „Rei­fung“ des Geschichtsbewusstseins

3. Stich­jahr 1983/​84: Eta­blie­rung von „Geschichts­be­wusst­sein“ als Leit­ka­te­go­rie und Bedarf an „Empi­rie“ als Zugriff – Erfah­rung eines auf­stre­ben­den Hoch­schul­leh­rers und Ein­schät­zung nach 36 Jahren

3.1 „Mei­len­stei­ne“ und „Haupt­de­fi­zi­te“
3.1.1 Leit­ka­te­go­rie „Geschichts­be­wusst­sein“, noch ohne vol­len Kon­struk­ti­vis­mus und Narrativismus
3.1.2 Kom­pro­miss von „Iden­ti­tät“ und „Eman­zi­pa­ti­on“ – und bei­der blei­ben­de Bedeutung
3.1.3 Kon­se­quen­te Quel­len­ori­en­tie­rung und stän­di­ger Arbeits­un­ter­richt – Klu­ge Entscheidung?
3.1.4 „Sinn­bil­dungs­mus­ter“ als logisch dif­fe­ren­zier­te For­men des unver­meid­li­chen „Gegen­warts­be­zugs“

3.2 „Eigen­bei­trä­ge“
3.2.1 Beson­de­rer Schwer­punkt I: Alter­na­ti­ve Unterrichtsmodelle
3.2.1.1 „Frau­en­ge­schich­te“ – gemäß Wis­sen­schafts­lo­gik und Verfassungsanspruch!
3.2.1.2 „Kolo­ni­al­ge­schich­te“ und „Umwelt­ge­schich­te“ als Aus­wei­tung des eng-natio­na­len Kanons
3.2.2 Beginn der Empi­rie-Ein­lö­sung: Geschichts­nut­zun­gen, Lern­ar­ten und Unterrichtsprofile

4. Stich­jahr 1995/​96: Quan­ti­ta­ti­ve Eva­lua­ti­on des mecha­ni­schen Mas­sen­ex­pe­ri­ments „Ost-West-Ver­het­zung“ und begin­nen­de „Inter­kul­tu­ra­li­tät“ – Erfah­rung eines alt­ge­dien­ten Pro­fes­sors und Ein­schät­zung nach 24 Jahren

4.1 „Mei­len­stei­ne“ und „Haupt­de­fi­zi­te“
4.1.1 Eine gro­ße Stun­de inter­na­tio­na­ler Schul­buch­ar­beit am „Georg-Eckert-Insti­tut“
4.1.2 Natio­na­le Ver­en­gung bei star­kem Bedarf eines neu­en „inklu­si­ven“ Nation-Building
4.1.3 Lang­sa­mes Wachs­tum von „Inter­kul­tu­ra­li­tät“ in Geschichts­ler­nen und Fachdidaktik
4.1.4 „His­to­ri­sche Pro­jekt­ar­beit“ als „Grö­ßen­wahn“ oder „Königs­weg“ (bei neu­er Computerbenutzung)?

4.2 „Eigen­bei­trä­ge“
4.2.1 Beson­de­rer Schwer­punkt II: Quan­ti­ta­ti­ve Ost-West-Vergleiche
4.2.1.1 Jugend­li­ches Geschichts­be­wusst­sein in Ost- und West-Deutsch­land (6., 9., 12. Klassenstufe)
4.2.1.2 Jugend­li­ches Geschichts­be­wusst­sein in Ost- und West-Euro­pa (9. Klassenstufe)
4.2.2 Neue Unter­richts­mo­del­le und qua­li­ta­ti­ve Empi­rie (als nöti­ger men­ta­ler „Aus­gleich“)

5. Stich­jahr 2007/​08: Geschichts-Kom­pe­tenz (nicht-nur-kogni­tiv?) als „His­to­risch Den­ken Ler­nen“ und erneu­te Eva­lu­ie­rung der „Quel­len­ori­en­tie­rung“ – Erfah­rung eines bald Zwangs­pen­sio­nier­ten und Ein­schät­zung nach 12 Jahren

5.1 „Mei­len­stei­ne“ und „Haupt­de­fi­zi­te“
5.1.1 Theo­rie­ge­winn FUER-Lern­mo­dell und FUER-Kom­pe­tenz­mo­dell, dazu Empi­rie­taug­lich­keit und Pra­xis­hil­fe (aber auch Grenzen)
5.1.2 Pro­ble­ma­ti­sche Cur­ri­cu­lum­struk­tur und unge­klär­te Lernprogression
5.1.3 Ver­lust der Vor­rei­ter­po­si­ti­on an die „Kul­tur­wis­sen­schaft“, Kampf um Empirie-Leistungen?!
5.1.4 Durch­ar­bei­tung von NS‑Katastrophe und SED-Herrschaft

5.2 „Eigen­bei­trä­ge“
5.2.1 Beson­de­rer Schwer­punkt III: Begriffs­klä­rung „Geschichts­ler­nen“ durch Theo­rie­er­wei­te­rung, Norm­re­fle­xi­on und Praxiserprobung
5.2.1.1 „Ver­söh­nen­der Geschichts­aus­tausch“ als idea­les Ziel und „Para­si­tä­res Fehl­ler­nen“ als dro­hen­de Praxis
5.2.1.2 Abhil­fe durch kon­sti­tu­ti­ve Moral­re­fle­xi­on, Emo­ti­ons­be­ar­bei­tung. Lebens­welt­be­zug und Ästhetikanalyse
5.2.2 „Mixed-Method“-Studie zum „Schul­buch­ge­brauch“ mit ent­täu­schen­den Befunden

6. Stich­jahr 2019/​20: „Rück­schwenk vom Ler­nen zum Leh­ren“ und „offe­ne Zukunfts­fra­gen“ – Gegen­wär­ti­ge Erfah­rung und Ein­schät­zung eines qua­si-fos­si­len Rentners

6.1 „Mei­len­stei­ne“ und „Haupt­de­fi­zi­te“
6.1.1 Bedau­er­li­cher, aber ver­ständ­li­cher Rück­schwenk vom „Ler­nen“ zum „Leh­ren“
6.1.2 E‑Learning im Fach Geschich­te und erneut inten­si­vier­te inter­na­tio­nal-inter­kul­tu­rel­le Zusammenarbeit
6.1.3 Nach­denk­li­che Fragenliste
6.1.4 Kom­pe­tenz­test: Lar­ge-Sca­le-Assess­ment „HiTCH“

6.2 „Eigen­bei­trä­ge“
6.2.1 Wei­te­re Sys­te­ma­ti­sie­rung „nicht-nur-kogni­ti­ver“ Antei­le des Geschichtslernens
6.2.2 Nagel­pro­be: „Gegen­warts­kri­sen – Ori­en­tie­rungs­be­dürf­nis­se – Kompetenzgewinne“

7. Fazit: Ver­such einer Zusam­men­fas­sung und „Syn­the­se“ zu 60 Jahren

7.1 His­to­ri­sie­rung und Phasierung
7.1.1 Trans­for­ma­ti­on der His­to­rie und Kon­sti­tu­ie­rung der Dis­zi­plin Geschichtsdidaktik
7.1.2 Drei Pha­sen von Geschichts­schul­buch, Geschichts­un­ter­richt und Geschichtsdidaktik
7.1.3 Offen­kun­di­ge Ver­bes­se­run­gen und blei­ben­de Sorgen
7.1.4 Anhal­ten­des Miss­ver­hält­nis zur Psychologie

7.2 Geschichts­di­dak­tik und Bildungspolitik
7.2.1 Neue zwin­gen­de Auf­ga­ben im Curriculum
7.1.2 Schwie­ri­ge Rekru­tie­rung von Geschichtsdidaktik-Personal
7.2.3 Nega­tiv und fol­gen­los aus­ge­hen­de Eva­lua­ti­on mecha­ni­scher Massenexperimente
7.2.4 Das Bei­spiel „NS im Rah­men der Welt- und Umwelt­kun­de“ der 6. Klasse

Erwähn­te Lite­ra­tur I: Frem­de Publikationen

Erwähn­te Lite­ra­tur II: Eige­ne Publikationen

Successful Perspective-Taking? On the Problem and Potential of “Empathy” (or simulative) Tasks in Historical Education (2nd, enhanced version)

18. Februar 2020 Andreas Körber Keine Kommentare

In text­books as well as in the class­room, the­re are always tasks that requi­re the lear­ners to put them­sel­ves in the shoes of a his­to­ri­cal per­so­na­li­ty and to per­form a cer­tain men­tal effort “from their per­spec­ti­ve” — for exam­p­le, to wri­te a let­ter or the like.

The aim of such tasks is usual­ly to deter­mi­ne the ext­ent to which stu­dents are able to take this step of “taking” or “adop­ting” a per­spec­ti­ve, i.e. to “put them­sel­ves in the shoes” (or posi­ti­on) of a tem­po­ral­ly and/​or cul­tu­ral­ly “for­eign” per­son and to judge past situa­tions not only from their pre­sent per­spec­ti­ve, with modern con­cepts and values etc. In the back­ground of such tasks the­re is thus a fun­da­men­tal con­cept of fun­da­men­tal (not only mar­gi­nal) chan­ge exten­ding over time, which requi­res us to judge each past epoch “from within”, in the hori­zon of con­tem­po­ra­ry thin­king. Accor­ding to Rüsen, this con­cept under­lies gene­tic his­to­ri­cal con­scious­ness. 1 In this respect it is (pro­ba­b­ly right­ly) con­side­red spe­ci­fi­cal­ly modern (wher­eby the sequence of the types of mea­ning as forms of thought in deal­ing with the past that have emer­ged in the cour­se of his­to­rio­gra­phi­cal histo­ry is in turn based on the gene­tic con­cept. The typo­lo­gy its­elf is thus spe­ci­fi­cal­ly modern). It is this way of thin­king that makes the uncon­di­tio­nal per­cep­ti­on, thin­king through and jud­ging of a situa­ti­on that is ali­en in time with the help of cate­go­ries that are not con­tem­po­ra­ry but pre­sent, suspect under the con­cept of “pre­sen­te­eism”. Accor­ding to Sam Wine­burg, this form of thin­king is the natu­ral, but un-his­to­ri­cal one, its over­co­ming in favour of a per­cep­ti­on and reco­gni­ti­on of the fun­da­men­tal other­ness of the past that is the labo­rious core of his­to­ri­cal lear­ning against the pre­sen­tist default. 2

Even if his­to­ri­cal thin­king and lear­ning is hard­ly absor­bed in this over­co­ming of a qua­si-natu­ral pre­sen­te­eism, but rather cap­tures much more com­plex set­ups and ope­ra­ti­ons, espe­ci­al­ly if one empha­si­zes the ori­en­ta­ti­on func­tion of histo­ry in the pre­sent (as Jörn Rüsen’s theo­ry does and with it most of the con­cepts of Ger­man histo­ry didac­tics), the aspect empha­si­zed by Wine­burg cer­tain­ly belongs to the core of the business.

But to what ext­ent are tasks of the type men­tio­ned sui­ta­ble for this? Some doubts are in order. But this does not mean that the­se tasks are fun­da­men­tal­ly use­l­ess. What is nee­ded, howe­ver, is an inten­si­ve reflec­tion on their logic, the per­for­man­ces and achie­ve­ments deman­ded by them of the lear­ners, as well as on the work requi­red of the cor­re­spon­ding tasks (vul­go: stu­dent achie­ve­ments — to what ext­ent they are real­ly “achie­ve­ments” remains to be reflec­ted) and their signi­fi­can­ce in the lear­ning process.

One aspect of this is that (like so many in histo­ry tea­ching) the­se tasks — at least in tra­di­tio­nal tea­ching con­texts — often mix up cha­rac­te­ristics of lear­ning and achie­ve­ment tasks. Stu­dents must — at least wit­hout fur­ther cla­ri­fi­ca­ti­on of the tea­ching func­tion — gain the impres­si­on that the requi­red adop­ti­on of per­spec­ti­ves is valid­ly pos­si­ble and can be asses­sed by the tea­cher. This makes the task a per­for­mance task. Even if it is not inten­ded to ques­ti­on and check some­thing that has alre­a­dy been prac­ti­sed befo­re, but to pre­sent the stu­dents with a new chall­enge, such tasks do not in any way indi­ca­te what is to hap­pen to the work done by the stu­dents other than that it is to be dis­c­lo­sed to the ple­num or the tea­cher and asses­sed by them — but on the basis of which criteria?
Which tea­cher, which rese­ar­cher of today could ever say when the adop­ti­on of a per­spec­ti­ve has “suc­cee­ded”? None of us can think or assess a situa­ti­on like a 10th cen­tu­ry monk or a Japa­ne­se samu­rai. No one will have a “ful­ly valid” ans­wer to a cor­re­spon­ding task — and no tea­cher can deci­de which achie­ve­ment is “right”.

Nevert­hel­ess, such tasks are not non­sen­si­cal. After all, they are not at all con­cer­ned with (unf­air­ly) deman­ding some­thing more or less spon­ta­neous­ly from the stu­dents (name­ly the tem­po­ra­ry under­stan­ding of past actions), which is still the sub­ject and task of exten­si­ve rese­arch today. Rather, such tasks actual­ly aim to make plau­si­ble the requi­re­ment of abs­trac­tion from the pre­sent per­spec­ti­ve and the other­ness of per­cep­ti­on, inter­pre­ta­ti­on and decis­i­on resul­ting from such attempts. The cri­ter­ion for the suc­cess of such tasks the­r­e­fo­re lies neither in actual­ly having come clo­se to the past per­son mime­ti­cal­ly, nor in strip­ping off one’s own pre­sent posi­tio­na­li­ty and per­spec­ti­ve as com­ple­te­ly as pos­si­ble, so that one sim­ply argues “as stran­ge­ly as pos­si­ble” and then pas­ses this off as pro­of of a suc­cessful adop­ti­on of perspective.
Rather, the aim of such tasks is that stu­dents should reco­gni­ze from the attempt to adopt such a per­spec­ti­ve that they have to aban­don pre­sent self-under­stan­dings in order to somehow “do jus­ti­ce” to a past per­spec­ti­ve. Thus, it is not the cohe­rence of the indi­vi­du­al result that is important, but rather the reco­gni­ti­on and signi­fi­can­ce of the cla­im of his­to­ri­cal thin­king: someone who jud­ges and eva­lua­tes the (suf­fi­ci­ent­ly com­plex) cogni­tively pre­sen­ted past situa­ti­on as he/​she would do from today’s pre­sent wit­hout any cir­cum­s­tances, shows just as litt­le his­to­ri­cal under­stan­ding as someone who pres­ents and eva­lua­tes ever­y­thing as dif­fer­ent­ly as pos­si­ble, but can­not say at all to what ext­ent this should be appro­pria­te to the con­cre­te situation.

Only when tal­king and dis­cus­sing about the respec­ti­ve (and pre­fer­a­b­ly dif­fe­rent) “solu­ti­ons” (bet­ter: tre­at­ments) it beco­mes clear what the indi­vi­du­al stu­dents have alre­a­dy unders­tood, but the poten­ti­al for the actu­al lear­ning pro­cess is actual­ly only there.
The ori­gi­nal pro­ces­sing of the task is the­r­e­fo­re wron­gly used as pro­of of the ful­film­ent of a requi­re­ment for a suc­cessful chan­ge of per­spec­ti­ve for theo­re­ti­cal and didac­tic reasons. Such tasks must not be unders­tood as achie­ve­ment tasks, but must be lear­ning tasks in so far as they gene­ra­te the mate­ri­al for the actu­al pro­cess of his­to­ri­cal thin­king and learning.

In this way, howe­ver, they achie­ve a lear­ning poten­ti­al that is only slight­ly chan­ged on the ter­mi­no­lo­gi­cal level, but cle­ar­ly chan­ged in theo­re­ti­cal terms. From the ulti­m­ate­ly unful­fillable and mea­sura­ble or iden­ti­fia­ble cla­im to a suc­cessful (or post fes­tum: suc­cessful chan­ge of per­spec­ti­ve), the pos­si­bi­li­ty of not aban­do­ning one’s own per­spec­ti­ve, but rather expan­ding it by means of the requi­red jus­ti­fied, i.e. cogni­ti­ve con­side­ra­ti­on of fac­tors that make up ano­ther per­spec­ti­ve, would beco­me pos­si­ble. Broa­de­ning and reflec­tion of per­spec­ti­ve ins­tead of a chan­ge of perspective.

In this respect, one could (also) bor­row metho­di­cal­ly from the for­eign lan­guage didac­tic prin­ci­ple of “task-based lear­ning” in that the pro­ces­sing of a task by stu­dents is sub­ject to reflec­tion in a focus on (here:) histo­ry pha­se, in which his­to­ri­cal thin­king (and lan­guage) is made expli­cit, and pre­cis­e­ly in this pro­cess new­ly acqui­red or dif­fe­ren­tia­ted con­cepts, terms, methods, etc., which are more abs­tract and pro­vi­ded with a refle­xi­ve index, are also made expli­cit. is the­ma­ti­zed and pro­gres­si­on is expli­cit­ly encouraged.

This in turn can be metho­do­lo­gi­cal­ly imple­men­ted by using coope­ra­ti­ve lear­ning methods 3, for exam­p­le by using the “Think-Pair-Share” (or “Think — Exch­an­ge — Dis­cuss”) sche­me is imple­men­ted in such a way that the results of such a task, which were initi­al­ly pre­pared in indi­vi­du­al work (“Think” pha­se), are neither direct­ly given to the tea­cher nor pre­sen­ted and dis­cus­sed in the ple­na­ry ses­si­on, but rather in part­ner work or also in small groups (“Pair” pha­se) of lear­ners them­sel­ves, who first compa­re and ana­ly­se seve­ral such workings of the task from other points of view than only how “good” or “suc­cessful” they are.
As usu­al, such “Pair”-pha­ses should not only be about pre­sen­ting the indi­vi­du­al results to the other stu­dents so that they all know them. Rather, such pha­ses need their own work assign­ments. In the pre­sent case, the­se can con­sist of com­pa­ring the indi­vi­du­al work assign­ments in a descrip­ti­ve way: What have the aut­hors done simi­lar­ly, what dif­fer­ent­ly? What effect do the­se decis­i­ons have on the pro­ces­sing of the task? Do insights and ques­ti­ons ari­se regar­ding the mea­ning and pur­po­se of the task — now that dif­fe­rent solu­ti­ons are known?
Such a com­pa­ra­ti­ve ana­ly­sis, which does not imme­dia­te­ly con­sider the pre­sent works from the point of view of suc­cess, and even puts them in a one-dimen­sio­nal series, but rather works out, on the basis of the­se adapt­a­ti­ons, what could some­ti­mes make ever­y­thing dif­fe­rent, con­tri­bu­tes to the fact that the thought pro­cess, the requi­re­ment of his­to­ri­cal thought, which the task addres­sed, comes into view as such. It may even be advi­sa­ble that the small group car­ry­ing out the com­pa­ra­ti­ve work only looks at other pupils’ texts, not at their own, and that they recei­ve the­se anony­mously (e.g. through com­pu­ter wri­ting). It may even be useful for the tea­cher hers­elf to include one or two dif­fe­rent works “anony­mously”, which are to be dis­co­ver­ed, com­pared with the others and asses­sed in terms of their poten­ti­al and limitations.
The “Share” pha­se of the dis­cus­sion in the ple­num then recei­ves its own task, name­ly the dis­cus­sion and nego­tia­ti­on of the insights gai­ned in the groups (was this the case in all small groups? Do the insights com­ple­ment each other or are they rather in ten­si­on with each other?) and ques­ti­ons not so much about indi­vi­du­al tre­at­ments, but about the con­trasts per­cei­ved bet­ween them.
It could be that…

  • … Stu­dents have used very dif­fe­rent words when wri­ting their indi­vi­du­al assign­ments and now rea­li­ze that they can­not sim­ply assu­me that their cur­rent terms can be used “in the situa­ti­on” wit­hout fur­ther ado.
  • … some pupils* dis­co­ver the ques­ti­on to what ext­ent it can be assu­med that the per­son they are sup­po­sed to put them­sel­ves in the shoes of is not neces­s­a­ri­ly able to wri­te. (Even a refu­sal of the task for such a reason can then be pro­duc­tively included as the result of a his­to­ri­cal thought process). 
  • … a com­pa­ri­son bet­ween two edits in the small group shows that the aut­hors quite natu­ral­ly (= wit­hout having given it much thought) star­ted out from very dif­fe­rent levels of infor­ma­ti­on about “their” per­son, so that the ques­ti­on ari­ses: what could one know about … back then?
  • the com­pa­ri­son shows that some stu­dents may have included hind­sight infor­ma­ti­on in the pro­cess, while others did not.”

The lat­ter case in par­ti­cu­lar shows that such an approach makes it pos­si­ble not to let such “errors” in his­to­ri­cal thin­king beco­me imme­dia­te­ly (or even at all) effec­ti­ve as “errors” (and demo­ti­vat­ing their the­ma­tiza­ti­on), but to use them (qua anony­mous com­pa­ri­son) pro­duc­tively to gain insight.

Such pro­ce­du­res of coope­ra­ti­ve lear­ning with its pos­si­bi­li­ties to let pupils think about their own pro­ducts in a form that does not imme­dia­te­ly hier­ar­chise and eva­lua­te them, can also be sup­port­ed by digi­tal instru­ments, name­ly tho­se that make it pos­si­ble to make the results of pupils’ work visi­ble (anony­mously) next to each other on a lar­ge smart board or simi­lar and to work on them in ple­na­ry, such as with “Ether­pads” (cf. https://​de​.wiki​pe​dia​.org/​w​i​k​i​/​E​t​h​e​r​pad). 4

Final­ly, such a pro­ces­sing and eva­lua­ti­on of such a task also enables non-sepa­ra­ting dif­fe­ren­tia­ti­ons by means of scaf­fol­ding. It is pos­si­ble, for exam­p­le, that in the indi­vi­du­al pro­ces­sing pha­se stu­dents with dif­fi­cul­ties in wri­ting and for­mu­la­ting, with abs­trac­tion etc. are not requi­red to wri­te their own texts, but that they are enab­led to deci­de on the basis of a series of pre­pared “text modu­les” what would be con­ceiva­ble and con­sis­tent in a solu­ti­on. The given text modu­les must then of cour­se in turn have quite dif­fe­rent solu­ti­ons and designs — up to and inclu­ding incom­pa­ti­ble and even con­tra­dic­to­ry parts. In this way, the con­s­truc­ti­ve task would be tur­ned into an assign­ment of given sym­bol buil­ding blocks to each other by “task rever­sal”. A task that is quite dif­fe­rent on the “sur­face” can thus — for the pur­po­se of dif­fe­ren­tia­ti­on and scaf­fol­ding — address and requi­re simi­lar and com­pa­ra­ble ope­ra­ti­ons of his­to­ri­cal thought and — in reflec­tion — pro­mo­te them. (Of cour­se, such dif­fe­ren­tia­ti­on and under­pin­ning by means of scaf­folds also means that the anony­mi­ty that may have been cho­sen for fur­ther eva­lua­tions can no lon­ger be ful­ly main­tai­ned. But this can also be dealt with productively).

Anmer­kun­gen /​ Refe­ren­ces
  1. Rüsen, Jörn (1983): His­to­ri­sche Ver­nunft. Grund­zü­ge einer His­to­rik I: Die Grund­la­gen der Geschichts­wis­sen­schaft. Göt­tin­gen: Van­den­hoeck & Ruprecht (Klei­ne Van­den­hoeck-Rei­he, 1489); Rüsen, Jörn (2013): His­to­rik. Theo­rie der Geschichts­wis­sen­schaft. Köln: Böhlau.[]
  2. See Wine­burg, Sam (1999): His­to­ri­cal Thin­king and Other Unna­tu­ral Acts. In: The Phi Del­ta Kap­pan 80 (7), S. 488 – 499; Wine­burg, Sam (2001): His­to­ri­cal Thin­king and Other Unna­tu­ral Acts. Char­ting the Future of Tea­ching the Past. Phil­adel­phia: Temp­le Uni­ver­si­ty Press (Cri­ti­cal per­spec­ti­ves on the past). []
  3. e.g. accor­ding to Green, Norm; Green, Kathy (2007): Koope­ra­ti­ves Ler­nen im Klas­sen­raum und im Kol­le­gi­um. Seel­ze-Vel­ber: Klett; Kall­mey­er.[]
  4. In con­trast to some other instru­ments prai­sed in the con­text of digi­tiza­ti­on, which ulti­m­ate­ly do not­hing else but imple­ment con­ven­tio­nal, small-step methods of a know­ledge check with imme­dia­te right-wrong feed­back elec­tro­ni­cal­ly and often even wor­sen in so far that due to the elec­tro­nic com­pa­ri­son of the stu­dents with a sam­ple solu­ti­on cor­rect, but dif­fer­ent­ly for­mu­la­ted ans­wers are repor­ted back as ‘wrong’, just as half cor­rect ans­wers can­not be app­re­cia­ted, ether­pads enable the orga­niza­ti­on of a com­mon con­side­ra­ti­on of a num­ber of indi­vi­du­al solu­ti­ons. Due to the often typed-in and the­r­e­fo­re given inde­pen­dence from hand­wri­ting, a cer­tain anony­miza­ti­on can be achie­ved, which allows the focus to be on the text, not the aut­hor. Regar­ding the available space, font size etc. the­re are still limits, howe­ver, which may make it advi­sa­ble to use “ana­log­ous” methods with cards, pos­ters etc. []
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Gelingender Perspektiven-Wechsel? Zur Problematik “simulativer” Perspektivenübernahme-Aufgaben im Historischen Lernen — und zu ihrem Potential für einen kompetenz‑, reflexions- und differenzierenden Geschichtsunterricht (2., erg. Fassung)

26. September 2019 Andreas Körber 1 Kommentar

In Schul­bü­chern wie im Unter­richt begeg­nen immer wie­der Auf­ga­ben, wel­che von den Ler­nen­den abver­lan­gen, sich in eine his­to­ri­sche Per­sön­lich­keit hin­ein­zu­ver­set­zen und “aus ihrer Per­spek­ti­ve” eine bestimm­te Denk­leis­tung zu erbrin­gen — etwa einen Brief o.ä. zu verfassen.

Ziel sol­cher Auf­ga­ben­stel­lun­gen ist es zumeist, zu ermit­teln, inwie­fern Schüler*innen in der Lage sind, die­sen Schritt der “Per­spek­ti­ven­über­nah­me” zu voll­zie­hen, sich also in die Schu­he (bzw. Posi­ti­on) einer zeit­lich und/​oder kul­tu­rell “frem­den” Per­son zu bege­ben und Situa­tio­nen der Ver­gan­gen­heit nicht nur aus ihrer gegen­wär­ti­gen Per­spek­ti­ve, mit moder­nen Kon­zep­ten und Wert­vor­stel­lun­gen etc. zu beur­tei­len. Im Hin­ter­grund sol­cher Auf­ga­ben steht also ein grund­le­gen­des Kon­zept sich über Zeit erstre­cken­der grund­sätz­li­cher (nicht nur mar­gi­na­ler) Ver­än­de­rung, die es erfor­de­re, jede ver­gan­ge­ne Epo­che “aus sich her­aus”, im Hori­zont des zeit­ge­nös­si­schen Den­kens, zu beur­tei­len. Die­ses Kon­zept liegt dem gene­ti­schen Geschichts­be­wusst­sein nach Rüsen zugrun­de. 1 Inso­fern gilt es (wohl zu Recht) als spe­zi­fisch modern, neu­zeit­lich (wobei der Rei­hung der Sinn­bil­dungs­ty­pen als im Lau­fe der His­to­rio­gra­phi­ge­schich­te ent­stan­de­ner Denk­for­men im Umgang mit Ver­gan­gen­heit ihrer­seits das gene­ti­sche Kon­zept zugrun­de liegt. Die Typo­lo­gie selbst ist somit spe­zi­fisch modern). Die­se Denk­form ist es, wel­che das umstands­lo­se Wahr­neh­men, Durch­den­ken und Beur­tei­len einer zeit­lich frem­den Situa­ti­on mit Hil­fe nicht zeit­ge­nös­si­scher, son­dern gegen­wär­ti­ger Kate­go­rien, unter dem Kon­zept “Prä­sen­tis­mus” ver­däch­tig macht. Sam Wine­burg zufol­ge ist die­se Denk­form die natür­lich, aber un-his­to­ri­sche, ihre Über­win­dung zuguns­ten einer Wahr­neh­mung und Aner­ken­nung der grund­le­gen­den Anders­ar­tig­keit der Ver­gan­gen­heit das gegen die prä­sen­tis­ti­sche Vor­ein­stel­lung der müh­sa­me Kern his­to­ri­schen Ler­nens. 2

Auch wenn his­to­ri­sches Den­ken und Ler­nen kaum in die­ser Über­win­dung eines qua­si-natür­li­chen Prä­sen­tis­mus auf­geht, son­dern deut­lich kom­ple­xe­re Einich­ten und Ope­ra­tio­nen erfasst, ins­be­son­de­re, wenn man die Ori­en­tie­rungs­funk­tiuon von Geschich­te in der Gegen­wart betont (wie es die Theo­rie Jörn Rüsens tut und mit ihr die meis­ten Kon­zep­te deut­scher Geschichts­di­dak­tik), gehört der von Wine­burg beton­te Aspekt durch­aus zum Kern des Geschäfts.

Inwie­fern aber sind Auf­ga­ben des genann­ten Typs dafür geeig­net? Eini­ge Zwei­fel dar­an sind ange­bracht. Das bedeu­tet aber nicht, dass die­se Auf­ga­ben grund­sätz­lich unbrauch­bar sind. Es bedarf jedoch einer inten­si­ven Refle­xi­on ihrer Logik, der mit ihnen den Ler­nen­den abver­lang­ten Leis­tun­gen und Anfor­de­run­gen (ihres Anfor­de­rungs­ge­halts) sowie der an die ent­spre­chen­den Bear­bei­tun­gen (vul­go: Schü­ler­leis­tun­gen — inwie­fern es wirk­lich “Leis­tun­gen” sind, bleibt zu reflek­tie­ren) und ihre Bedeu­tung im Lernprozess.

Ein Aspekt dar­in ist, dass (wie so vie­le im Geschichts­un­ter­richt) auch die­se Auf­ga­ben — zumin­dest in über­kom­me­nen unter­richt­li­chen Zusam­men­hän­gen — oft­mals Cha­rak­te­ris­ti­ka von Lern- und Leis­tungs­auf­ga­ben mit­ein­an­der ver­men­gen. Schüler*innen müs­sen — zumin­dest ohne wei­te­re Klar­stel­lung der unter­richt­li­chen Funk­ti­on — den Ein­druck gewin­nen, die gefor­der­te Per­spek­ti­ven­über­nah­me sei vali­de mög­lich und durch die Lehr­per­son beur­teil­bar. Dies macht die Auf­ga­be zu einer Leis­tungs­auf­ga­be. Selbst wenn mit ihr nicht etwas schon zuvor geüb­tes abge­fragt wird und über­prüft weden soll, son­dern die Schüler*innen vor eine neue Her­aus­for­de­rung gestellt wer­den sol­len, mar­kie­ren sol­che Auf­ga­ben in kei­ner Wei­se, was mit den Bear­bei­tun­gen der Ler­nen­den ande­res gesche­hen soll, als dass sie dem Ple­num oder der Lehr­per­son gegen­über offen­zu­le­gen und von die­ser zu beur­tei­len sind — aber auf­grund wel­cher Kriterien?
Wel­che Lehr­per­son, wel­cher heu­ti­ge For­scher könn­te denn über­haupt jemals sagen, wann eine Per­spek­ti­ven­über­nah­me “gelun­gen” ist? “Wie ein Mönch” des 10. Jahr­hun­dert oder ein japa­ni­scher Samu­rai kann kei­ner von uns den­ken und/​oder eine Situa­ti­on ein­schät­zen. Auf eine ent­spre­chen­de Auf­ga­be wird nie­mand eine “voll gül­ti­ge” Ant­wort haben – und kei­ne Lehr­per­son kann ent­schei­den, wel­che Leis­tung “rich­tig” ist. 

Gleich­wohl sind sol­che Auf­ga­ben nicht unsin­nig. Es geht ihnen ja auch gar nicht dar­um, den Schüler*innen (unfai­rer­wei­se) etwas mehr oder weni­ger spon­tan abzu­ver­lan­gen (das tem­po­ra­le Fremd­ver­ste­hen ver­gan­ge­nen Han­delns näm­lich), was noch heu­te Gegen­stand und Auf­ga­be umfang­rei­cher For­schung ist. Viel­mehr zie­len sol­che Auf­ga­ben doch eigent­lich dar­auf, die Anfor­de­rung des Abs­tra­hie­rens von der gegen­wär­ti­gen Per­spek­ti­ve und die aus sol­chen Ver­su­chen sich erge­ben­de Anders­ar­tig­keit von Wahr­neh­mung, Deu­tung und Ent­schei­dung plau­si­bel zu machen. Das Gelin­gens­kri­te­ri­um sol­cher Auf­ga­ben liegt also weder dar­in, tat­säch­lich der ver­gan­ge­nen Per­son tat­säch­lich mime­tisch nahe gekom­men zu sein, und eben­so wenig dar­in, mög­lichst voll­stän­dig die eige­ne gegen­wär­ti­ge Posi­tio­na­li­tät und Per­spek­ti­ve abzu­strei­fen, so dass man ein­fach “mög­lichst fremd­ar­tig” argu­men­tiert und das dann als Aus­weis für gelin­gen­de Per­spek­ti­ven­über­nah­me ausgibt.
Viel­mehr zie­len sol­che Auf­ga­ben doch dar­auf, dass Schüler*innen am Ver­such einer sol­chen Per­spek­ti­ven­über­nah­me erken­nen sol­len, dass und inwie­fern sie von gegen­wär­ti­gen Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten abse­hen müs­sen, um einer ver­gan­ge­nen Per­spek­ti­ve in irgend­ei­ner Wei­se “gerecht” zu wer­den. Es kommt also nicht auf die Stim­mig­keit des indi­vi­du­el­len Ergeb­nis­ses an, son­dern auf die Erkennt­nis und Bedeu­tung des Anspruchs his­to­ri­schen Den­kens: Wer die (hin­rei­chend kom­plex) kogni­tiv prä­sen­tier­te ver­gan­ge­ne Situa­ti­on umstands­los so beur­teilt und bewer­tet wie sie/​er aus der heu­ti­gen Gegen­wart tun wür­de, zeigt doch eben­so wenig his­to­ri­sches Ver­ste­hen wie jemand, die/​der alles mög­lichst anders­ar­tig dar­stellt und beur­teilt, aber über­haupt nicht sagen kann, inwie­fern das der kon­kre­ten Situa­ti­on ange­mes­sen sein soll. 

Erst im Reden und dis­ku­tie­ren über die jewei­li­gen (und mög­lichst unter­schied­li­chen) “Lösun­gen” (bes­ser: Bear­bei­tun­gen) also erweist sich was die ein­zel­nen Schüler*innen schon ver­stan­den haben, liegt aber auch recht eigent­lich erst das Poten­ti­al für den eigent­li­chen Lernprozess.
Die ursprüng­li­che Bear­bei­tung der Auf­ga­be ist also als Aus­weis der Erfül­lung einer Anfor­de­rung eines gelin­gen­den Per­spek­ti­ven-Wech­sels aus theo­re­ti­schen und didak­ti­schen Grün­den falsch ein­ge­setzt. Sol­che Auf­ga­ben dür­fen nicht als Leis­tungs­auf­ga­ben ver­stan­den wer­den, son­dern müs­sen Lern­auf­ga­ben inso­fern sein, als dass sie das Mate­ri­al für den eigent­li­chen Pro­zess des his­to­ri­schen Den­kens und Ler­nens erzeugen.

Damit aber errin­gen sie ein auf der ter­mi­no­lo­gi­schen Ebe­ne nur leicht, in theo­re­ti­scher Hin­sicht aber deut­lich ver­än­der­tes Lern­po­ten­ti­al. Aus dem letzt­lich nicht erfüll­ba­ren und mess- oder iden­ti­fi­zier­ba­ren Anspruch auf einen gelin­gen­den (oder post fes­tum: gelun­ge­nen Per­spek­ti­ven-Wech­sel) wür­de die Mög­lich­keit, die eige­ne Per­spek­ti­ve zwar nicht zu ver­las­sen, wohl aber mit­tels der gefor­der­ten begün­de­ten, also kogni­ti­ven Berück­sich­ti­gung von Fak­to­ren, die eine ande­re Per­spek­ti­ve aus­ma­chen, zu erwei­tern. Per­spek­ti­ver­wei­te­rung und ‑refle­xi­on statt Perspektivenwechsel.

Inso­fern könn­te man (auch) hier eine metho­di­sche Anlei­he beim fremd­sprach­di­dak­ti­schen Prin­zip des “Task Based Lear­ning” inso­fern machen, als dass die Bear­bei­tun­gen einer Auf­ga­be durch Schüler*innen einer Refle­xi­on in einer focus on (hier nun:) histo­ry-Pha­se unter­zo­gen wer­den, in wel­cher das his­to­ri­sche Den­ken (und die Spra­che) expli­zit gemacht wird, und gera­de dabei auch neu erwor­be­ne oder dif­fe­ren­zier­te, abs­trak­ter gefass­te sowie mit einem refle­xi­ven Index ver­se­he­ne Kon­zep­te, Begrif­fe, Metho­den etc. the­ma­tis­ert und Pro­gres­si­on aus­drück­lich geför­dert wird.

Dies wie­der­um kann metho­disch durch Nut­zung von Ver­fah­ren des koope­ra­ti­ven Ler­nens 3 umge­setzt wer­den, etwa indem das “Think-Pair-Share” (bzw. “Den­ken — Aus­tau­schen — Besprechen”)-Schema der­art umge­setzt wird, dass die zunächst in Ein­zel­ar­beit (“Think”-Pha­se) ange­fr­tig­ten Ergeb­nis­se einer der­ar­ti­gen Auf­ga­be weder direkt der Lehr­kraft ange­ge­ben noch unmit­tel­bar im Ple­num vor­ge­stellt und bespro­chen wer­den, son­dern viel­mehr in Part­ner­ar­beit oder auch Klein­grup­pen (“Pair”-Pha­se) an Ler­nen­den zunächst selbst jeweils meh­re­re sol­cher Bear­bei­tun­gen der Auf­ga­be unter ande­ren Gesichts­punk­ten ver­glei­chen und ana­ly­sie­ren als nur, inwie­fern sie “gut” oder “gelun­gen” sind.
Wie üblich soll­te es bei sol­chen “Pair”-Pha­sen nicht nur dar­um gehen, die Ein­zel­er­geb­nis­se den jeweils ande­ren Schüler*innen vor­zu­stel­len, so dass die­se alle ken­nen. Viel­mehr brau­chen sol­che Pha­sen eige­ne Arbeits­auf­trä­ge. Die­se kön­nen im vor­lie­gen­den Fall dar­in bestehen, die vor­lie­gen­den Ein­zel­be­ar­bei­tun­gen zunächst beschrei­bend zu ver­glei­chen: Was haben die Autor*innen ähn­lich, was unter­schied­lich gemacht? Was bewir­ken die­se Ent­schei­dun­gen jeweils für die Bear­bei­tung der Auf­ga­be? Erge­ben sich Ein­sich­ten und Fra­gen an den Sinn und Zweck der Auf­ga­be — nun, wo unter­schied­li­che Lösun­gen bekannt sind?
Eine sol­che ver­glei­chen­de Ana­ly­se, die die vor­lie­gen­den Arbei­ten nicht gleich unter dem Gesichts­punkt des Gelin­gens betrach­tet, und sie gar in eine ein­di­men­sio­na­le Rei­he bringt, son­dern viel­mehr anhand die­ser Bear­bei­tun­gen her­aus­ar­bei­tet, was mal alles unter­schied­lich machen konn­te, trägt dazu bei, dass der Denk­pro­zess, die Anfor­de­rung his­to­ri­schen Den­kens, den/​die die Auf­ga­be adres­sier­te, als sol­che in den Blick kommt. Es mag sich sogar emp­feh­len, dass die ver­glei­chend bear­bei­ten­de Klein­grup­pe jeweils nur Tex­te ande­rer Schüler*innen betrach­tet, kei­ne eige­nen, und dass die­se ihnen (u.a. durch Com­pu­ter-Schrift) anonym vor­lie­gen. Es kann sogar sinn­voll sein, dass die Lehr­kraft selbst eine oder auch zwi unter­schied­li­che Bear­bei­tun­gen “anonym” mit ein­streut, die es zu ent­de­cken, mit den ande­ren zu ver­glei­chen und ihrer­seits ein­zu­schät­zen gilt hin­sicht­lich ihres Poten­ti­als und ihrer Grenzen.
Die “Share”-Pha­se des Bespre­chens im Ple­num erhält dann wie­der­um einen eige­nen Auf­trag, näm­lich das Bespre­chen und Ver­han­deln der in den Grup­pen jeweils gewon­ne­nen Ein­sich­ten (ist das bei allen Klein­grup­pen so gewe­sen? Erge­ben sich ein­an­der ergän­zen­de oder eher in Span­nung zuein­an­der ste­hen­de Ein­sich­ten?) und Fra­gen nicht so sehr zu ein­zel­nen Bear­bei­tun­gen, son­dern zu zwi­schen ihnen wahr­ge­nom­me­nen Kontrasten.
Es könn­te etwa sein, dass …

  • … Schüler*innen beim Ver­fas­sen ihrer Ein­zel­be­ar­bei­tun­gen ganz unter­schied­li­che Wör­ter ver­wen­det haben und nun mer­ken, dass sie nicht ein­fach davon aus­ge­hen kön­nen, dass ihre heu­ti­gen Begriffe/​Termini ohne Wei­te­res auch “in der Situa­ti­on” nutz­bar sind.
  • … eini­ge Schüler*innen die Fra­ge ent­de­cken, inwie­weit eigent­lich davon aus­ge­gan­gen wer­den kann, dass die Per­son, in die sie sich hin­ein­ver­set­zen sol­len, gar nicht unbe­dingt schrei­ben kann. (Selbst eine so begrün­de­te Ver­wei­ge­rung der Auf­ga­be kann dann als Ergeb­nis eines his­to­ri­schen Denk­pro­zes­ses pro­duk­tiv ein­be­zo­gen werden).
  • … ein Ver­gleich zwi­schen zwei Bear­bei­tun­gen in der Klein­grup­pe zeigt, dass die Autori*innen ganz selbst­ver­ständ­lich (=noch ohne beson­ders dar­über nach­ge­dacht zu haben) von ganz unter­schied­li­chen Infor­ma­ti­ons­stän­den “ihrer” Per­son aus­ge­gan­gen sind, so dass die Fra­ge ent­steht: was konn­te man als … damals eigent­lich von … wissen?
  • … der Ver­gleich ergibt, dass viel­leicht man­che Schüler*innen bei der Bear­bei­tung Infor­ma­tio­nen über spä­te­re Ent­wick­lun­gen (engl.: “hind­sight”) ein­be­zo­gen haben, wäh­rend ande­re das nicht getan haben.”

Gera­de der letz­te­re Fall zeigt, dass eine sol­che Bear­bei­tung es ermög­licht, der­ar­ti­ge “Feh­ler” im his­to­ri­schen Den­ken nicht sofort (oder gar über­haupt) als “Feh­ler” wirk­sam (und ihre The­ma­ti­sie­rung demo­ti­vie­rend) wer­den zu las­sen, son­dern sie (qua anony­mem Ver­gleich) pro­duk­tiv zur Gewin­nung einer Erkennt­nis zu nutzen.

Sol­che Ver­fah­ren koope­ra­ti­ven Ler­nens mit ihren Mög­lich­kei­ten, Schüler*innen über ihre gegen­sei­tig-eige­nen Pro­duk­te in nicht sofort hier­ar­chi­sie­rend-bewer­ten­der Form nach­den­ken zu las­sen, kön­nen auch durch digi­ta­le Instru­men­te unter­stützt wer­den, näm­lich sol­chen, die es ermög­li­chen, Arbeits­er­geb­nis­se von Schüler*innen (anonym) neben­ein­an­der auf einem gro­ßen Smart­board o.ä. sicht- und im Ple­num bear­beit­bar zu machen, wie etwa bei “Ether­pads” (vgl. https://​de​.wiki​pe​dia​.org/​w​i​k​i​/​E​t​h​e​r​pad). 4

Schließ­lich ermög­licht eine sol­che Bear­bei­tung und Aus­wer­tung einer sol­chen Auf­ga­be auch nicht-sepa­rie­ren­de Dif­fe­ren­zie­run­gen durch scaf­fol­ding. Es ist so etwa mög­lich, dass in der Ein­zel­be­ar­bei­tungs­pha­se Schüler*innen mit Schwie­rig­kei­ten im Schrei­ben und For­mu­lie­ren, mit Abs­trak­ti­on etc. nicht abver­langt wird, eige­ne Tex­te zu ver­fas­sen, son­dern dass es ihnen ermög­licht wird, anhand einer Rei­he vor­be­rei­te­ter “Text­bau­stei­ne” zu ent­schei­den, was in einer Lösung denk­bar und kon­sis­tent wäre. Die gege­be­nen Text­bau­stei­ne müs­sen dann natür­lich ihrer­seits ganz unter­schied­li­che Lösun­gen und Gestal­tun­gen auf­wei­sen — bis hin zu mit­ein­an­der inkom­pa­ti­blen und sich gar wider­spre­chen­den Antei­len. Auf die­se Wei­se wür­de aus der kon­struk­ti­ven Auf­ga­be per “Auf­ga­ben­um­kehr” eine der Zuord­nung gege­be­ner Sinn­bil­dungs-Bau­stei­ne zuein­an­der. Eine auf der “Ober­flä­che” ganz unter­schied­li­che Auf­ga­be kann so — zum Zwe­cke der Dif­fe­ren­zie­rung und des scaf­fol­dings — ähn­li­che und ver­gleich­ba­re Ope­ra­tio­nen his­to­ri­schen Den­kens anspre­chen und erfor­dern sowie — in der Refle­xi­on — för­dern. (Natür­lich bedeu­tet eine sol­che Dif­fe­ren­zie­rung und Unter­füt­te­rung mit­tels scaf­folds auch, dass für die wei­te­ren Aus­wer­tun­gen die evtl. gewähl­te Anony­mi­tät nicht mehr voll durch­zu­hal­ten ist. Aber auch hier­mit kann pro­duk­tiv umge­gan­gen werden.)

Anmer­kun­gen /​ Refe­ren­ces
  1. Rüsen, Jörn (1983): His­to­ri­sche Ver­nunft. Grund­zü­ge einer His­to­rik I: Die Grund­la­gen der Geschichts­wis­sen­schaft. Göt­tin­gen: Van­den­hoeck & Ruprecht (Klei­ne Van­den­hoeck-Rei­he, 1489); Rüsen, Jörn (2013): His­to­rik. Theo­rie der Geschichts­wis­sen­schaft. Köln: Böhlau.[]
  2. Vgl. Wine­burg, Sam (1999): His­to­ri­cal Thin­king and Other Unna­tu­ral Acts. In: The Phi Del­ta Kap­pan 80 (7), S. 488 – 499; Wine­burg, Sam (2001): His­to­ri­cal Thin­king and Other Unna­tu­ral Acts. Char­ting the Future of Tea­ching the Past. Phil­adel­phia: Temp­le Uni­ver­si­ty Press (Cri­ti­cal per­spec­ti­ves on the past).[]
  3. Etwa nach Green, Norm; Green, Kathy (2007): Koope­ra­ti­ves Ler­nen im Klas­sen­raum und im Kol­le­gi­um. Seel­ze-Vel­ber: Klett; Kall­mey­er.[]
  4. Anders als man­che ande­ren im Rah­men der Digi­ta­li­sie­rung geprie­se­nen Instru­men­te, wel­che letzt­lich nichts ande­res tun als her­kömm­lich-klein­schrit­ti­ge Metho­den einer Wis­sens­über­prü­fung mit unmit­tel­ba­rer rich­tig-falsch-Rück­mel­dung elek­tro­nisch umzu­set­zen und dabei oft auch noch inso­fern zu ver­schlimm­bes­sern, dass auf­grund des elek­tro­ni­schen Abgleichs der Schüler*innen- mit einer Mus­ter­lö­sung rich­ti­ge, aber anders for­mu­lier­te Ant­wor­ten als ‘falsch’ zurück­ge­mel­det wer­den, eben­so wie halbrich­ti­ge Ant­wor­ten nicht gewür­digt wer­den kön­nen, ermög­li­chen Ether­pads die Orga­ni­sa­ti­on einer gemein­sa­men Betrach­tung einer Rei­he von Ein­zel­lö­sun­gen. Auf­grund oft­mals ein­zu­tip­pen­der und damit gege­be­ner Unab­hän­gig­keit von Hand­schrift kann dabei auch eine gewis­se Anony­mi­sie­rung erreicht wer­den, die es ermög­licht, dass der jewei­li­ge Text, nicht die/​der Autor*in im Fokus steht. Hin­sicht­lich des zur Ver­fü­gung ste­hen­den Plat­zes, Schrift­grö­ße etc. sind aber auch hier noch Gren­zen gege­ben, die es viel­leicht rat­sam erschei­nen las­sen, doch eher auf “ana­lo­ge” Metho­den mit Kar­ten, Pla­ka­ten etc zurück­zu­grei­fen. []
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Neues zum Mittelalterbegriff

29. Dezember 2018 Andreas Körber Keine Kommentare

In der letz­ten Woche erschien in der FAZ (Online) ein Arti­kel des Müns­te­ra­ner Islam­wis­sen­schaft­lers und Ara­bis­ten Tho­mas Bau­er, in wel­chem er den Begriff des Mit­tel­al­ters kri­ti­sier­te und zur Dis­po­si­ti­on stell­te: Bau­er, Tho­mas (23.8.2018): “Was den Blick ver­stellt. Der Ori­ent und das Mit­tel­al­ter.” In: Frank­furt All­ge­mei­ne Zei­tung (Online); 23.8.2018.

Bau­er wen­det sich dar­in nicht allein gegen eine Anwen­dung des Begriffs “Mit­tel­al­ter” auf die isla­mi­sche Welt, son­dern erklärt ihn auch für Euro­pa für nicht nur unbrauch­bar, weil die mit ihm gesetz­ten “Epochen”-Grenzen 1 schlecht begrün­det sei­en, inso­fern wesent­li­che für die­se Abgren­zung her­an­ge­zo­ge­ne Ände­run­gen (1) deut­lich frü­her begon­nen hät­ten, (2) zeit­lich über die Ein­gren­zung hin­aus­reich­ten, oder (3) die Lebens­wirk­lich­keit nur weni­ger Men­schen betra­fen. Die heu­te als “Mit­tel­al­ter” zusam­men­ge­fass­ten Jahr­hun­der­te sei­en viel­mehr als eine “for­ma­ti­ve Peri­ode”, als ein Über­gang zwi­schen der Anti­ke und der Neu­zeit zu ver­ste­hen — nicht ein­heit­lich und abge­schlos­sen genug, um als eige­ner Abschnitt zu gelten.

Bau­er geht damit über eine älte­re Linie der Kri­tik am Mit­tel­al­ter-Begriff deut­lich hin­aus, die u.a. die Kon­tin­genz der Abgren­zungs­kri­te­ri­en und die regio­na­le Varia­bi­li­tät der zeit­li­chen Abgren­zun­gen umfass­te, wie etwa — neben vie­len ande­ren Aspek­ten — bei Peter von Moos in sei­nem Bei­trag von 1999 über die “Gefah­ren des Mit­tel­al­ter­be­griffs” 2.
Anders als von Moos aber spricht sich Bau­er nicht für eine fort­ge­setz­te Nut­zung unter deut­li­cher Kenn­zeich­nung des Kon­tex­tes und der eige­nen Ver­wen­dung 3, son­dern eigent­lich für eine Über­win­dung und Auf­ga­be des Mit­tel­al­ter­be­griffs aus. Der bei Öff­nung des o.a. Tex­tes in einem Brow­ser sicht­ba­re Fens­ter­ti­tel lau­tet denn auch: “War­um man sich vom Begriff ‘Mit­tel­al­ter’ ver­ab­schie­den sollte.”
Damit greift er eine radi­ka­le Linie auf, die auch schon Ber­hard Jus­sen 2016 in Geschich­te in Wis­sen­schaft und Unter­richt 4, und zuvor Hart­mut Boock­mann und Karl-Fer­di­nand Wer­ner vor­ge­tra­gen hat­ten 5.

Wie Jus­sen 6 argu­men­tiert nun auch Bau­er, dass der Begriff des Mit­tel­al­ters nicht nur sub­op­ti­mal und unein­deu­tig sei, son­dern “es gera­de­zu ver­bie­te[.], die Regi­on in der Zeit zwi­schen dem Ende des West­rö­mi­schen Reichs 476 und dem Ers­ten Kreuz­zug 1096 noch als Gan­zes in den Blick zu neh­men” (Bau­er 2018). Und wäh­rend Jus­sen abs­trakt meint, es wäre am bes­ten, “For­schung und Leh­re” hör­ten “fürs ers­te schon mal damit auf, mit Makro­kon­zep­ten zu arbei­ten, deren Dekon­struk­ti­on ihnen längst selbst­ver­ständ­lich ist.” Es sei “sehr ein­fach, die Wor­te “Mit­tel­al­ter” und “Neu­zeit” durch bes­se­res zu erset­zen” 7, legt Bau­er einen kon­kre­ten Vor­schlag vor: “Damit ergä­be sich fol­gen­de Epo­chen­glie­de­rung: Die roma­no-grae­co-ira­ni­sche Anti­ke geht um 250 nach Chris­tus in eine Spät­an­ti­ke über, die um 1050 groß­räu­mig in eine neue Epo­che ein­tritt, wel­che wie­der­um bis etwa 1750 andau­ert” 8.

Ein gewis­ser Wider­spruch oder zumin­dest ein Span­nungs­ver­hält­nis ist in Bau­ers Kon­zept­ge­brauch erkenn­bar, inso­fern er einer­seits danach fragt, “wie sich die Geschich­te […] sinn­voll [!] in Peri­oden ein­tei­len” lässt, dass sie für die gan­ze Regi­on Gel­tung haben”, Epo­chen also Kon­zep­te anspricht, die retro­spek­tiv von die Zei­ten und Wand­lun­gen betrach­ten­den His­to­ri­kern unter Nut­zung von Sinn­kri­te­ri­en gebil­det und ange­wandt wer­den, gleich­zei­tig aber aber durch­aus von “einer tat­säch­li­chen Epo­chen­gren­ze” spricht, die “in [!] vie­len Regio­nen wie­der­um um das elf­te Jahr­hun­dert her­um zu suchen [!]” sei.

Nach eini­gen Über­le­gun­gen zu via­blen Kri­te­ri­en und Begrün­dun­gen zur Abgren­zung des Mit­tel­al­ters an sei­nem Anfang und Ende ver­weist Bau­er auf Jac­ques LeG­offs Kri­tik ins­be­son­de­re an des­sen Abgren­zung zur “Neu­zeit” und wird dann wie­der grund­sätz­li­cher. Erst die Fran­zö­si­sche Revo­lu­ti­on (mit der Napo­leo­ni­schen Zeit) sei von (zumin­dest vie­len) Zeit­ge­nos­sen selbst als “epo­cha­ler Über­gang” wahr­ge­nom­men wor­den: “Alle frü­he­ren Epo­chen­gren­zen sind nur Kon­struk­te von Historikern.”

Damit kommt ein wei­te­res Motiv ins Spiel, dem­zu­fol­ge Epo­chen­gren­zen nicht retro­spek­tiv (weder nach erst im Rück­blick erkenn­ba­ren “objek­ti­ven” Kri­te­ri­en noch nach sich aus der gegen­wär­ti­gen Fra­ge­stel­lung abge­lei­te­ten), son­dern aus der Wahr­neh­mung der Zeit­ge­nos­sen her­aus defi­niert werden.

Epo­chen­gren­zen wer­den somit zwar nicht als in der Ver­gan­gen­heit selbst, gewis­ser­ma­ßen vom Gegen­stand vor­ge­ge­ben, defi­niert, wohl aber wird gefor­dert, dass aus der Per­spek­ti­ve der jewei­li­gen Zeit wahr­ge­nom­men bzw. gedacht wer­den müs­sen. Das ist eine Vari­an­te der his­to­ris­ti­schen Vor­stel­lung, jede Zeit nur aus sich her­aus ver­ste­hen zu kön­nen bzw. zu sol­len, und steht somit neue­ren Kon­zep­ten his­to­ri­schen Den­kens und his­to­ri­scher For­schung, spe­zi­fisch retro­spek­tiv zu sein, entgegen.

Die Kri­tik am Mit­tel­al­ter­be­griff muss aber wohl in min­des­tens zwei in kom­ple­xer Wei­se auf­ein­an­der ver­wie­se­ne Lini­en unter­glie­dert wer­den: 1) in eine eher “inhalt­li­che” Kri­tik, wel­che die Impli­ka­tio­nen der Rede von (bes­ser: des Den­kens in) sol­chem Begriff in den Mit­tel­punkt stellt und alter­na­ti­ve Epo­chen­glie­de­run­gen erar­bei­tet und vor­schlägt, die die­se ablö­sen (oder viel­leicht auch ergän­zen) sol­len – wie hier.
Dane­ben bedarf es aber drin­gend auch einer all­ge­mei­ne­ren Refle­xi­ons­ebe­ne 2), für die die Kri­tik am Mit­tel­al­ter­be­griff oft schon als tri­vi­al ange­se­hen wird: An ihm (gera­de auch stell­ver­tre­tend für ande­re Epo­chen- und Struk­tur­be­grif­fe) auf­zu­zei­gen, dass sol­che Begrif­fe „kon­stru­iert“ sind, nur im Rück­blick über­haupt denk­bar, inso­fern sie retro­spek­ti­ves Wis­sen benö­ti­gen („kein Mensch des Mit­tel­al­ters wuss­te, dass er in einem ‚Mit­tel­al­ter‘ leb­te“ etc.), ist mei­ner Erfah­rung nach nicht nur für schu­li­schen Geschichts­un­ter­richt, son­dern auch in der Uni­ver­si­tät immer wie­der nötig, wer­den die­se Kon­zep­te doch nicht nur von Stu­die­ren­den, son­dern auch von amt­li­chen Vor­ga­ben als qua­si gege­be­ne, unfrag­li­che Glie­de­run­gen benutzt – so auch in den „Län­der­ge­mein­sa­men Anfor­de­run­gen für die Leh­rer­bil­dung“ der KMK im Fach­pro­fil Geschich­te (2008 bis 2017). Die­se ver­lan­gen von den Lehr­amts­stu­die­ren­den nicht nur ein­fach die Ver­fü­gung über „struk­tu­rier­tes his­to­ri­sches Grund­wis­sen aus allen his­to­ri­schen Epo­chen“ KMK 2017, S. 32; vgl. S. 33), son­dern las­sen zudem jeg­li­che Anfor­de­rung auf die Refle­xi­on von Epo­chen­be­grif­fen als dis­zi­pli­nä­re Instru­men­ta­ri­en ver­mis­sen. Weder sol­len Lehr­amts­stu­die­ren­de also über die Kon­struk­ti­on sol­cher Begrif­fe aus der Retro­spek­ti­ve, noch über ihre Deu­tungs­wir­kung, Uni­for­mi­tät nach Innen und Abgren­zung zu vor­aus­lau­fen­den und nach­fol­gen­den „Epo­chen“ zu erzeu­gen, nach­den­ken – aber offen­kun­dig auch nicht über ihre „inhalt­li­chen“ Kon­se­quen­zen, wie sie hier (und bei Jus­sen) pos­tu­liert werden.
Es wäre gera­de kei­ne Lösung, den Begriff des Mit­tel­al­ters abzu­schaf­fen, ihn zu ver­mei­den, ihn aus den Lehr­plä­nen gänz­lich zu strei­chen, oder auch nur, sei­ne Nut­zung auf die­je­ni­gen Räu­me zu begren­zen, für die sol­che nega­ti­ven Wir­kun­gen noch nicht vor­ge­bracht wären, und ihn durch bes­se­re Begrif­fe und Peri­odi­sie­run­gen zu ersetzen.
Gera­de weil uns und den Schü­le­rin­nen und Schü­lern das Kon­zept in der Geschichts­kul­tur (und der For­schung) stän­dig begeg­net, darf es nicht aus dem Geschichts­un­ter­richt ver­schwin­den. ABER es muss sei­nen STATUS ändern. Es muss – ganz ähn­lich wie die Chro­no­lo­gie selbst – vom unfrag­li­chen, weit­ge­hend unthe­ma­ti­sier­ten, impli­zi­ten Ord­nungs­in­stru­men­ta­ri­um zum expli­zi­ten Gegen­stand von Ler­nen und Refle­xi­on wer­den. Nicht (nur) „Kennt­nis­se in Mit­tel­al­ter­li­cher Geschich­te“ gilt es zu ver­mit­teln, son­dern eine Ver­fü­gung über den Begriff, die Leis­tun­gen und Gren­zen (bzw. „Gefah­ren“; von Moos 1999) des Begriffs, sei­ne Her­kunft, und sei­ne Pas­sung reflektiert.

Anmer­kun­gen /​ Refe­ren­ces
  1. Der Begriff der epo­ché bezeich­net eigent­lich ja nicht den ein­ge­heg­ten Zeit­ab­schnitt, son­dern den unter­tei­len­den Ein­schnitt []
  2. Moos, Peter von (1999): Gefah­ren des Mit­tel­al­ter­be­griffs. Dia­gnos­ti­sche und prä­ven­ti­ve Aspek­te. In: Joa­chim Heinz­le (Hg.): Moder­nes Mit­tel­al­ter. Neue Bil­der einer popu­lä­ren Epo­che. 1. Aufl. Frank­furt am Main, Leip­zig: Insel-Ver­lag (Insel-Taschen­buch, 2513 : Geschich­te), S. 31 – 63. []
  3. von Moos, S. 58 []
  4. Jus­sen, Bern­hard (2016): Rich­tig den­ken im fal­schen Rah­men? War­um das ‘Mit­tel­al­ter’ nicht in den Lehr­plan gehört. In: GWU 67 (9÷10), S. 558 – 576. — man beach­te den Unter­ti­tel![]
  5. Auch refe­riert bei Jus­sen 2016, 560 []
  6. Mit Rudolf Leon­hard: “Wer falsch spricht, denkt falsch.”; Jus­sen 2016, S. 576. []
  7. Jus­sen 2016, S. 576 []
  8. Bau­er 2018 []
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13. November 2003 Andreas Körber Keine Kommentare

Bor­ries, Bodo v. (in Zusam­men­ar­beit mit Kör­ber, Andre­as und Johan­nes Mey­er-Ham­me; 2003): “Refle­xi­ver Umgang mit Geschichts-Schul­bü­chern? Befun­de einer Befra­gung von Leh­rern, Schü­lern und Stu­die­ren­den 2002.” In: Zeit­schrift für Geschichts­di­dak­tik 2, S. 114 – 136.