Arbeitsbereich Geschichtsdidaktik / History Education, Universität Hamburg

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Fußsoldaten in grauer Konföderierten-Uniform knien im Vordergrund vor einer Gruppe blau uniformierter Unionssoldaten

Reenactment: Nostalgische Sinnbildung per symbolisch-enaktiver “Wiedereinsetzung in den vorigen Stand”. Zur Logik und Typologie historischer Sinnbildung und ihrer (partiellen) Suspendierung im Reenactment.

17. August 2020 Andreas Körber Keine Kommentare

Einleitung

Über Ree­nact­ments als Geschichts­sor­te 1 wer­den in letz­ter Zeit vie­le ana­ly­ti­sche Unter­su­chun­gen publi­ziert. Dazu gehört auch das (sehr emp­feh­lens­wer­te) neue Buch von Ulri­ke Jureit, in wel­chem sie anhand unter­schied­li­cher Ree­nact­ments jeweils einen sys­te­ma­ti­schen Aspekt der per­for­ma­ti­ven Ver­ge­gen­wär­ti­gung von Ver­gan­gen­heit erör­tert. 2 An einer For­mu­lie­rung dar­aus möch­te ich kurz einen Aspekt zum Cha­rak­ter his­to­ri­scher Sinn­bil­dung in Ree­nact­ments aufzeigen.

Narrative Begriffe

In Jureits Kapi­tel über Ree­nact­ments des Ame­ri­ka­ni­schen Bür­ger­kriegs heißt es:

“In der geschichts­kul­tu­rel­len Debat­te über Ursa­chen und Zie­le des Ame­ri­ka­ni­schen Bür­ger­kriegs ver­engt sich die Kon­tro­ver­se gegen­wär­tig dar­auf, wel­che Rol­le die Skla­ve­rei und ihre Abschaf­fung bezie­hungs­wei­se ihre von der Kon­fö­de­ra­ti­on ange­streb­te Bei­be­hal­tung für den War bet­ween the Sta­tes spiel­te. Die inter­na­tio­na­le For­schung hat dazu bereits zahl­rei­che Stu­di­en vor­ge­legt, die den Civil War in ers­ter Linie als einen für das 19. Jahr­hun­dert typi­chen Staats- und Nati­ons­bil­dungs­krieg kenn­zeich­nen.” 3

An der hier zitier­ten Cha­rak­te­ri­sie­rung des Krie­ges lässt sich gut eine Spe­zi­fik his­to­ri­scher Sinn­bil­dung auf­zei­gen: Begrif­fe die­ser Art, wel­che Ereig­nis­se bzw. Ereig­nis­kom­ple­xe einer bestimm­ten Aus­prä­gung einer Typo­lo­gie zuord­nen, sind alles ande­re als rein typo­lo­gisch. Sie sind selbst nar­ra­tiv, inso­fern sie in der Dich­te eines ein­zel­nen Ter­mi­nus einen Ver­lauf ver­dich­ten, der über das Ereig­nis hin­aus­reicht. Sol­che Begriffs­zu­wei­sun­gen sind nur retro­spek­tiv mög­lich, in hind­sight. Zum einen lässt sich erst in die­sem Rück­blick das Ereig­nis “Ame­ri­ka­ni­scher Bür­ger­krieg” über­haupt gänz­lich fassen.

Selbst wenn bereits zeit­ge­nös­sisch eine Bezeich­nung als ein Bür­ger­krieg benutzt wor­den sein soll­te, muss­te sie in der kon­kre­ten Abgren­zung wenig sicher und unklar blei­ben. Zeit­ge­nös­sisch sind denn — wie Jureit auch ver­merkt — 4 ganz ande­re Bezeich­nun­gen ver­wen­det wor­den, so “War bet­ween the Sta­tes” aus kon­fö­de­rier­ter Per­spek­ti­ve (die Sezes­si­on vor­aus­set­zend und die Nor­ma­li­tät und Legi­ti­mi­tät des Kon­flikts als zwi­schen­staat­lich beto­nend) bzw. “Rebel­li­on” — nicht nur die Unrecht­mä­ßig­keit, son­dern auch die Inner­staat­lich­keit, d.h. die eigent­lich wei­ter­be­stehen­de Zusam­men­ge­hö­rig­keit hervorkehrend.

Jeder die­ser Begrif­fe erzählt somit eine ande­re Geschich­te. “War bet­ween the Sta­tes” setzt zunächst eine tat­säch­li­che Abspal­tung an den Beginn, “Rebel­li­on” leug­net ihre Tat­säch­lich­keit. Aber der wis­sen­schaft­li­che Begriff des “(typi­schen) Staats- und Nati­ons­bil­dungs­kriegs” rekur­riert neben der abschlie­ßen­den Abgren­zung des Ereig­nis­kom­ple­xes noch auf min­des­tens zwei wei­te­re Ele­men­te: Zum einen eine Regel­haf­tig­keit sol­cher Pro­zes­se, wenn nicht über alle Zei­ten, so doch inner­halb einer Zeit­span­ne (hier 19. Jh.), zum ande­ren aber auf die Kennt­nis der Wir­kung und des Nach­le­bens des Abge­schlos­se­nen Kon­flikts. “Nati­ons­bil­dungs­krieg” kann nur sein, was der Nati­ons­bil­dung gehol­fen hat. Dem tun auch bereits im Krieg erkenn­ba­re Bestre­bun­gen kei­nen Abbruch, genau eine sol­che Nati­ons­bil­dung expli­zit anzu­stre­ben — wie etwa schon in Lin­colns Get­tysburg Address vom 19. Novem­ber 1863 erkenn­bar. 5

Im vol­len Sin­ne aber setzt die Qua­li­fi­ka­ti­on des Krie­ges als “Staats- und Nati­ons­werkungs­krieg” nicht nur die erkenn­ba­re Absicht, son­dern die ent­spre­chen­de Wir­kung vor­aus. Für die Zeitgenoss:innen der Aus­ein­an­der­set­zung — sei es als Poli­ti­ker, Sol­da­ten, Ange­hö­ri­ge — aber kann der Kon­flikt die­se Qua­li­tät nicht gehabt haben. Für sie war es ein Kon­flikt nicht nur mit offe­nem Aus­gang, son­dern auch mit erhoff­ten und befürch­te­ten, nicht aber mit garan­tier­ten oder ein­ge­tre­te­nen Wirkungen.

Bei den Ree­nact­ments von Schlach­ten die­ses Bür­ger­kriegs nun mischen — nein: kom­bi­nie­ren und durch­drin­gen — sich nun die unter­schied­li­chen Per­spek­ti­ven und ihre Nar­ra­ti­ve — und sie tun es gewis­ser­ma­ßen “schief”: Auf klei­nem Maß­stab — also mit hohem Abs­trak­ti­ons­grad — über­wie­gen Beto­nun­gen von Gemein­sam­keit und Ver­söh­nung. Sie impli­zie­ren zudem die Aner­ken­nung des tat­säch­li­chen Ergeb­nis­ses, wes­halb sie auf grö­ße­rem Maß­stab (also bei Betrach­tung ein­zel­ner Gebie­te, Schick­sa­le, in ein­zel­nen klei­ne­ren Erin­ne­rungs­for­men) aus Uni­ons­per­spek­ti­ve auch über­wie­gen dürf­te, woge­gen auf die­ser sel­ben Ebe­ne Nar­ra­ti­ve des “Lost Cau­se”, der Ver­ur­sa­chung des Krie­ges durch die Nega­ti­on der “Sta­tes’ Rights” etc. eher bei Anhän­gern kon­fö­de­rier­ter Sicht­wei­sen ver­tre­ten sein dürften.

Reenactments: Spannung zwischen narrativer Retrospektive und ihrer Suspendierung

Glei­ches fin­det sich im Ree­nact­ment. Es gibt Bei­spie­le dafür, dass Darsteller*innen ihre zu spie­len­den Trup­pen nicht nach ihrer eige­nen Inter­pre­ta­ti­on des Krie­ges aus­wäh­len, son­dern aus deut­lich prag­ma­ti­sche­ren Grün­den — etwa Wohn­ort­nä­he. Das stützt die Inter­pre­ta­ti­on, dass es um das Erin­nern an die von Nord- und Südstaaten(soldaten und ‑bewohner:innen) gemein­sam durch­lit­te­ne Prü­fung geht. Es kommt der Inter­pre­ta­ti­on des “Second Birth” und der retro­spek­tiv attes­tier­ten Nati­ons­bil­dungs­wir­kung am nächsten.

Gleich­zei­tig aber hat Ree­nact­ment auch eine zumin­dest par­ti­el­le Facet­te der Auf­he­bung des retro­spek­ti­ven Wis­sens und somit der aus hind­sight erstell­ten oder bestä­tig­ten Cha­rak­te­ri­sie­rung des Krie­ges. Im Erle­ben des wie­der­ver­ge­gen­wär­tig­ten Kamp­fes — ins­be­son­de­re bei den Tac­ti­cals, wel­che nicht einen rea­len Ablauf abbil­den, son­dern qua­si ergeb­nis­of­fen ‘aus­ge­foch­ten’ wer­den, fin­det sich so etwas wie eine sym­bo­li­sche und psy­chi­sche “Wie­der­ein­set­zung in den vori­gen Stand” (um eine juris­ti­sche For­mu­lie­rung zu entlehnen).

Einige in Uniformen des US-Bürgerkriegs gekleidete Männer stehen im Zeltlager vor einer Reihe Dixi-Toiletten. Gettysburg 7/2017. (c)A.Körber

“Nach­er­le­ben, wie es wirk­lich war (?). Eini­ge in Uni­for­men des US-Bür­ger­kriegs geklei­de­te Män­ner ste­hen im Zelt­la­ger vor einer Rei­he Dixi-Toi­let­ten. Get­tysburg 7/​2017. © A. Körber”

In die­sem Sin­ne ist in Ree­nact­ment zumin­dest par­ti­ell als eine sym­bo­li­sche Sus­pen­die­rung der Retro­spek­ti­ve und retro­spek­ti­ver Sinn­bil­dung zuguns­ten einer sug­ges­tiv-immersi­ven Wie­der­in­kraft­set­zung der Offen­heit zu erken­nen. Dies erzeugt natür­lich eine unauf­lös­ba­re Span­nung, denn aus der Retro­spek­ti­ve kön­nen Akti­ve natür­lich nicht wirk­lich aus­tre­ten. Zudem kann kei­nes­wegs vor­aus­ge­setzt wer­den, dass die ima­gi­nier­ten Ver­gan­gen­hei­ten zwi­schen den ein­zel­nen Akti­ven wirk­lich kom­pa­ti­bel wären. Das eine gemein­sa­me Agie­ren hat dabei eine beson­de­re Bedeu­tung der Authentifizierung.

Der Gleich­zei­tig­keit unter­schied­li­cher indi­vi­du­el­ler sowie (teil-)gesellschaftlicher und poli­ti­scher Bedürf­nis­se und Moti­ve ent­pre­chend dürf­ten bei Ree­nact­ment-Ereig­nis­sen ganz unter­schied­li­che Kom­bi­na­tio­nen nar­ra­ti­ver For­men his­to­ri­scher Sinn­bil­dung neben­ein­an­der und inein­an­der ver­schränkt im Spiel sein — und zwar sowohl zwi­schen Betei­lig­ten (Organisator:innen, Akteur:innen, Zuschauer:innen und Außen­ste­hen­den) als auch im Den­ken und Han­deln (aller?) ein­zel­ner. Letz­te­res deu­tet kei­nes­wegs auf eine Art his­to­rio­gra­phi­scher bzw. his­to­risch den­ken­der Inkon­se­quenz oder ‘Schi­zo­phre­nie’ hin, son­dern ist durch­aus ein Merk­mal allen his­to­ri­schen Denkens.

Konsequenzen für die Sinnbildungstypologie?

His­to­ri­sche Dar­stel­lun­gen und Aus­sa­gen, fol­gen sel­ten einem ein­zi­gen Sinn­bil­dungs­mus­ter, son­dern kom­bi­nie­ren zumeist meh­re­re, wie schon bei der Ent­wick­lung der Typo­lo­gie Jörn Rüsen fest­ge­stellt hat. 6 Es kommt daher sowohl für eine Cha­rak­te­ri­sie­rung und Inter­pre­ta­ti­on weni­ger auf eine “Rein­heit” der Erzähl- und Sinn­bil­dungs­mus­ter an als auf die nar­ra­ti­ve Trif­tig­keit gera­de auch der Kom­bi­na­tio­nen. Die­se kön­nen etwa sequen­ti­ell mit­ein­an­der ver­knüpft wer­den. 7

Eben­so ist aber auch eine Par­al­le­li­sie­rung denk­bar. Gera­de in den eher nach innen gerich­te­ten Facet­ten der nach­er­le­ben­den Qua­li­tät von Ree­nact­ments ist zuwei­len eine sol­che Ver­schrän­kung zwei­er Sinn­bil­dungs­mus­ter zu einer cha­rak­te­ris­ti­schen Kom­bi­na­ti­on zu erken­nen. Zusam­men­ge­fasst kann man sie auch als “nost­al­gi­sche Sinn­bil­dung” bezeich­nen: Dem ‘immersi­ven’ Nach­er­le­ben einer ver­gan­ge­nen Situa­ti­on oder Lebens­wei­se wird die Qua­li­tät eines Aus­stiegs aus einer als belas­tend emp­fun­de­nen Gegen­wart zuge­schrie­ben. Die Ver­gan­gen­heit wird die­ser Gegen­wart posi­tiv gegen­über­ge­stellt. So ver­bin­det sich im Wunsch der Fort­gel­tung dama­li­ger Lebens­ver­hält­nis­se eine ins nor­ma­tiv-opt­a­tiv ver­scho­be­ne tra­di­tio­na­le Sinn­bil­dung mit einer desk­tip­tiv-gene­ti­schen in der Aner­ken­nung ihrer seit­he­ri­gen (nega­ti­ven) Veränderung.

Ob hin­sicht­lich der ers­te­ren von einer ‘Ver­schie­bung’ der Sinn­bil­dung gespro­chen wer­den soll­te, muss wei­ter dis­ku­tiert wer­den. Man kann auch  grund­sätz­lich pos­tu­lie­ren, dass alle Sinn­bil­dun­gen nicht nur in posi­tiv-affir­ma­ti­ver Form und zwei kri­ti­schen Vari­an­ten vor­kom­men  8, son­dern auch jeweils in deskrip­ti­vem und nor­ma­ti­vem bzw. opt­a­ti­vem Modus. Eine sol­che Erwei­te­rung des Sinn­bil­dungs­mo­dells passt inso­fern zur theo­re­ti­schen Begrün­dung his­to­ri­schen Den­kens als Ori­en­tie­rungs­leis­tung, als der deskrip­ti­ve Modus zur Domä­ne der ‘Natur­zeit’ und der normative/​optative/​hypothetische Modus hin­ge­gen zu der­je­ni­gen der ‘Human­zeit’ gehört. 9

His­to­ri­sches Den­ken und Erzäh­len cha­rak­te­ri­siert sich dann kei­nes­wegs allein durch die Kom­bi­na­ti­on und Ver­schrän­kung von Erzähl­mus­tern unter­schied­li­chen Typs im rein des­krp­ti­vem Modus, nicht nur als eine Sinn­bil­dung über mani­fes­te und geahn­te Zeit­er­fah­rung, son­dern ins­be­son­de­re aus als ein Modus der sinn­bil­den­den Ver­bin­dung zeit­be­zo­ge­nen Erken­nens und Ver­ar­bei­tens mit ent­spre­chen­dem Wün­schen, Phan­ta­sie­ren etc. Dies scheint sich gera­de an sol­chen Geschichts­sor­ten (also geschichts­kul­tu­rel­ler Ver­ar­bei­tungs­for­men) zu zei­gen, die ein hypo­the­ti­sches Agie­ren in einer sym­bo­lisch ‘wie­der­ein­ge­setz­ten’ Ver­gan­gen­heit ermöglicht.

Enaktivität als handelnde Suspendierung der narrativen Retrospektive

Das aller­dings legt es nahe, die nicht nur kogni­ti­ve, son­dern kör­per­lich-räum­li­che Facet­te die­ser Geschichts­sor­ten eher als ‘enak­tiv’ denn als ‘per­for­ma­tiv’ zu bezeich­nen. Das ist durch­aus kon­sis­tent mit Mat­thi­as Mei­lers lin­gu­is­ti­scher Her­lei­tung des Wort­par­ti­kels “enact” im Begriff “Ree­nact­ment” aus der angel­säch­si­schen Ver­wal­tungs­spra­che. 10 Dem­nach geht die Bezeich­nung “to enact” auf die Bezeich­nung für einen Rechts­akt zurück, in dem ein Beschluss, ein Gesetz o.ä. “in Kraft gesetzt” wur­de. “Re-enact-ing” ist dem­nach das Wie­der­in­kraft­set­zen der Offen­heit der Situa­ti­on — und im Fall von Schlach­ten-Ree­nact­ments viel­leicht auch mit der Hoff­nung auf die Mög­lich­keit einer (eben­so sym­bo­li­schen) Neu­schaf­fung von Tat­sa­chen. 11.

Damit wäre zudem der Tat­sa­che Rech­nung getra­gen, dass sich die­se Qua­li­tät ja gar nicht so sehr auf eine nach außen — auf ein wie auch immer gear­te­tes oder vor­ge­stell­tes Publi­kum — rich­tet, son­dern als wesent­li­che Facet­te der Qua­li­fi­zie­rung der Situa­ti­on und ihres Sinns auf die Agie­ren­den selbst. Kom­ple­men­tär zur oben zitier­ten lin­gu­is­ti­schen Her­lei­tung aus der eng­li­schen Ver­wal­tungs­spra­che wäre damit die Bedeu­tung des Agie­rens für die Kon­struk­ti­on his­to­ri­schen Sinns ange­spro­chen, wie etwa im Kon­zept des “Enak­ti­vis­mus” der kon­struk­ti­vis­ti­schen Kogni­ti­ons­wis­sen­schaft (etwa nach Fran­cis­co Vare­la) die spie­le­ri­sche „Koin­sze­nie­rung von Wahr­neh­men­den und Wahr­ge­nom­me­nem“ begrif­fen wird, die gera­de nicht eine rei­ne auto­poie­ti­sche Erzeu­gung einer Vor­stel­lung ohne jeg­li­chen Bezug auf eine Wirk­lich­keit meint, son­dern den krea­ti­ve Ent­wurf der­sel­ben als Bild. 12

Das ist durch­aus kom­pa­ti­bel mit his­to­ri­schem Den­ken als Re-Kon­struk­ti­on einer zwar als gege­ben vor­aus­ge­setz­ten, nie aber beob­ach­ter­un­ab­hän­gig erkenn­ba­ren Ver­gan­gen­heit. Inso­fern ist Re-Enact­ment eine Form re-kon­struk­ti­ven his­to­ri­schen Den­kens. Das unter­schei­det sie etwa von äußer­lich und hin­sicht­lich eini­ger Orga­ni­sa­ti­ons­for­men ver­gleich­ba­ren Events und Sub­kul­tu­ren wie LARP und auch Sci­ence-Fic­tion-LARP 13, aber auch von “lite­ra­ri­schem Ree­nact­ment”. 14 Bei­den kommt nur indi­rekt auch his­to­ri­sche Qua­li­tät zu, inso­fern in ihnen a) an fik­tio­na­len Bei­spie­len auch außer­halb der Fik­ti­on gül­ti­ge Lebens­ver­hält­nis­se und Denk­wei­sen prä­sen­tiert wer­den (bei Insze­nie­run­gen von Roman­sze­nen geht es dann nicht um die kon­kre­ten Figu­ren und ihre Geschich­ten, wohl aber ste­hen sie für bestimm­te Zeit­ty­pi­ken) und b) mit ihnen Welt- und Gesell­schafts­bil­der (inklu­si­ve Zukunfts­vor­stel­lun­gen) ver­gan­ge­ner Autor:innen wie­der­be­lebt wer­den. Wer “Star Trek” spielt, spielt ja nicht ein­fach Zukunft, son­dern ggf. die Zukunfts­vor­stel­lun­gen der 1960er Jah­re (aller­dings ggf. mit den Aktua­li­sie­run­gen gem. der ja fort­ge­setz­ten Reihe).

Anmer­kun­gen /​ Refe­ren­ces
  1. Vgl. Log­ge, Thors­ten: “Histo­ry Types” and Public Histo­ry. In: Public Histo­ry Weekly 2018 (2018). []
  2. Jureit, Ulri­ke: Magie des Authen­ti­schen. Das Nach­le­ben von Krieg und Gewalt im Ree­nact­ment. Göt­tin­gen 2020 (Wert der Ver­gan­gen­heit). []
  3. Jureit 2020, S. 57, mit Ver­wei­sen auf McPher­son, Saut­ter und Kee­gan. []
  4. Jureit 2020, S. 58, FN 57. []
  5. Auch dies reflek­tiert Jureit in eini­ger Aus­führ­lich­keit wegen der dort erkenn­ba­ren Stif­tung eines ver­söh­nen­den Sinns des Krie­ges als gemein­sam erlit­te­ne Her­aus­for­de­rung;  Jureit 2020, S. 53 u. 61ff). []
  6. Rüsen, Jörn: Leben­di­ge Geschich­te. Grund­zü­ge einer His­to­rik III: For­men und Funk­tio­nen des his­to­ri­schen Wis­sens. Göt­tin­gen 1989 (Klei­ne Van­den­hoeck-Rei­he 1489), S. 42, 57. []
  7. Ein Bei­spiel: Erzäh­lun­gen eines gesell­schaft­li­chen Fort­schritts in tech­ni­scher, wirt­schaft­li­cher oder gesell­schaft­li­cher Hin­sicht sind oft­mals kei­nes­wegs allein dem Typ gene­ti­scher Sinn­bil­dung zuzu­ord­nen. Sie kom­bi­nie­ren die­sen viel­mehr mit tra­di­tio­na­ler Sinn­bil­dung inso­fern, als der gerich­te­ten Ent­wick­lung ein Ursprung zuge­schrie­ben wird, — etwa in den Ent­de­ckun­gen der Renais­sance und der Über­win­dung eines rein reli­giö­sen Welt­bil­des im Huma­nis­mus oder einer Erfin­dung als eher punk­tu­el­le Ursprün­ge für eine nach­fol­gen­de gerich­te­te Ent­wick­lung. []
  8. Vgl. Kör­ber, Andre­as: His­to­ri­sche Sinn­bil­dungs­ty­pen. Wei­te­re Dif­fe­ren­zie­rung. http://​www.pedocs.de​/​volltexte/​2013/​7264/​., näm­lich einer auf Erset­zung der kon­kre­ten Erzäh­lung durch eine glei­chen Typs zie­len­de ‘inne­re’ Kri­tik und eine, wel­che die nar­ra­ti­ve Logik der Sinn­bil­dung selbst kri­ti­siert. []
  9. Vgl. Rüsen, Jörn: His­to­ri­sche Ver­nunft. Grund­zü­ge einer His­to­rik I: Die Grund­la­gen der Geschichts­wis­sen­schaft. Göt­tin­gen 1983 (Klei­ne Van­den­hoeck-Rei­he 1489), S. 51. []
  10. Mei­ler, Mat­thi­as: Über das ‑en- in Ree­nact­ment. In: Ree­nact­ments. Medi­en­prak­ti­ken zwi­schen Wie­der­ho­lung und krea­ti­ver Aneig­nung. Hrsg. von Anja Dresch­ke, Ilham Huynh, Rapha­e­la Knipp u. David Sitt­ler. Bie­le­feld 2016 (Loca­ting media 8). S. 25 – 42. []
  11. Dass zuwei­len sol­che Ree­nact­ments auch mit dem Begriff des “Remat­ches” ver­bun­den und ange­kün­digt wer­den, deu­tet dar­auf hin. Vgl. z.B. zur Schlacht von Has­tings: Ungoed-Tho­mas, Jon (15.10.2006): “1066, the rematch: Harold loses again.” In: The Times (15.10.2006). []
  12. Vgl. Weber, Andre­as: Die wie­der­ge­fun­de­ne Welt. In: Schlüs­sel­wer­ke des Kon­struk­ti­vis­mus. Hrsg. von Bern­hard Pörk­sen. Wies­ba­den 2011. S. 300 – 318, S. 206. []
  13. Vgl. z.B. Engel­hardt, Micha­el: To bold­ly go … – Star Trek-LARP in unend­li­chen Wei­ten. In: Teil­zeit­Hel­den. Maga­zin für gespiel­te und erleb­te Phan­tas­tik (27.11.2015).[]
  14. vgl. Knipp, Rapha­e­la: Nach­er­leb­te Fik­ti­on. Lite­ra­ri­sche Orts­be­ge­hun­gen als Ree­nact­ments tex­tu­el­ler Ver­fah­ren. In: Ree­nact­ments. Medi­en­prak­ti­ken zwi­schen Wie­der­ho­lung und krea­ti­ver Aneig­nung. Hrsg. von Anja Dresch­ke, Ilham Huynh, Rapha­e­la Knipp u. David Sitt­ler. Bie­le­feld 2016 (Loca­ting media 8). S. 213 – 236. []
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Erinnerungspolitik in Hamburg: Wiederherstellung des einen und Vernichtung des anderen?

03. Januar 2014 Andreas Körber Keine Kommentare

Ges­tern (2.1.2014) bzw. heu­te (3.1.2014) fin­den sich sich in der Ham­bur­ger Pres­se zwei Mel­dun­gen über erin­ne­rungs­po­li­ti­sche Inti­ta­ti­ven und begin­nen­de Kon­tro­ver­sen darum:

  1. Die taz nord berich­tet ges­tern unter der Über­schrift “Der Geist der Kai­ser­zeit” über eine erneu­te Initia­ti­ve des Lei­ters des Alto­na­er Stadt­teil­ar­chivs, ein 1970 zuge­schüt­te­tes Mosa­ik mit Korn­blu­men unter dem Kai­ser-Wil­helm-Denk­mal vor dem Alto­na­er Rat­haus wie­der frei­le­gen und restau­rie­ren zu las­sen. In dem Bericht wird her­vor­ge­ho­ben, dass die­se Blu­men die Lieb­lings­blu­men des Kai­sers gewe­sen sei­en, und dass die­se Blu­me — aus der Tra­di­ti­on der “blau­en Blu­me ” der deut­schen Roman­tik kom­mend — spä­ter gar Kenn­zei­chen einer (aller­dings nicht mit Ham­burg ver­bun­de­nen) SS-Divi­si­on wurde.
  2. Die Ber­ge­dor­fer Zei­tung berich­tet heu­te unter der Über­schrift “Sol­len umstrit­te­ne Sta­tu­en ein­ge­schmol­zen wer­den?” über eine Ini­ti­taive, die in der Ber­ge­dor­fer Stern­war­te ein­ge­la­ger­ten ehe­ma­li­gen Kolo­ni­al­denk­mä­ler ein­zu­schmel­zen und zitiert den Pro­test von u.a. HM Joki­nen (u.a. afri​ka​-ham​burg​.de) und dem Netz­werk “Ham­burg Post­ko­lo­ni­al” dage­gen.

Noch lie­gen mir zu bei­den Fäl­len kei­ne kon­kre­ten wei­te­ren Infor­ma­tio­nen vor. Bei­de Fäl­le sind aber durch­aus geeig­net, im Rah­men einer Didak­tik der Erin­ne­rungs­kul­tur und ‑poli­tik the­ma­ti­siert zu wer­den. In der Dop­pe­lung von Wie­der­her­stel­lung /​ Ver­nich­tung wer­fen die­se Fäl­le näm­lich gera­de in ihrer Kom­bi­na­ti­on inter­es­san­te Fra­gen und The­sen auf:

  • Die Wie­der­her­stel­lung oder auch nur Pfle­ge eines Denk­mals wirft die berech­tig­te Fra­ge danach auf, ob damit der “Geist” und die Deu­tung der ursprüng­li­chen Denk­mal­set­zer erneut bekräf­tigt wer­den soll oder auch nur die Gefahr besteht, dass es so ver­stan­den wird und wirkt.
  • Kann/​soll/​muss dem­nach in der Demo­kra­tie und unter Bedin­gun­gen sich gewan­del­ten und sich wei­ter (hof­fent­lich in zustim­mungs­fä­hi­ger Rich­tung) wan­deln­den poli­ti­schen und mora­li­schen Wer­ten der Denk­mals­be­stand stän­dig kri­tisch durch­fors­tet und über­ar­bei­tet werden? 
    • Ist dafür das Ver­ste­cken und/​oder die Ver­nich­tung solch unlieb­sa­mer, unbe­que­mer Denk­mä­ler geeig­net — oder bzw. inwie­weit ist sie Aus­druck einer Erin­ne­rungs­kul­tur und ‑poli­tik, die mehr das Unlieb­sa­me ver­drängt statt durcharbeitet?
    • Inwie­fern bedeu­tet die­ses Ver­nich­ten und Ver­drän­gen somit auch ein Unter­drü­cken unlieb­sa­mer Anfra­gen an die Tra­di­tio­nen des eige­nen Den­kens und Handelns?
    • Wel­che Alter­na­ti­ve gibt es zu den bei­den Polen “Reno­vie­ren” und “Ver­nich­ten”?
  • Wie kann eine Erin­ne­rungs­kul­tur aus­se­hen, wel­che weder in der ein­fa­chen Bekräf­ti­gung ver­gan­ge­ner, über­kom­men­der oder gar über­hol­ter und eigent­lich über­wun­de­ner poli­ti­scher Aus­sa­gen noch in ihrer ein­fa­chen Ver­drän­gung noch zum Mit­tel der dam­na­tio memo­riae greift?
  • Sind Gegen­denk­ma­le, wie sie zumin­dest für vie­le Krie­ger­denk­mä­ler ja inzwi­schen durch­aus nicht sel­ten sind, dafür geeignet?
  • Gibt es wei­te­re For­men, wel­che weni­ger in der Über­prä­gung eines bestehen­den Denk­mals mit einer neu­en Aus­sa­ge bestehen als in der För­de­rung einer refle­xi­ven und kon­tro­ver­sen Diskussion?

Bei alle­dem soll­te jedoch klar sein, dass die Ver­nich­tung sol­che refle­xi­ven For­men erin­ne­rungs­po­li­ti­scher Akti­vi­tä­ten und zuge­hö­ri­ger Lern­for­men ver­hin­dern wür­de. Sie schei­den somit aus mei­ner Sicht aus. Inso­fern ist den Pro­tes­ten gegen etwa­ige sol­che Plä­ne zuzustimmen.
Auch die ein­fa­che Wie­der­her­stel­lung des Alto­na­er Mosa­iks wür­de aber wohl eben­so mehr Pro­ble­me auf­wer­fen. Ihre Ver­hin­de­rung löst das Pro­blems eben­falls nicht. Hier wären also ande­re Lösun­gen zu suchen.

Afrika — (k)ein Thema im hiesigen Geschichtsunterricht?

14. Juni 2010 Andreas Körber 1 Kommentar

“Afri­ka — (k)ein The­ma im hie­si­gen Geschichts­un­ter­richt?” ist eine Ver­an­stal­tung über­schrie­ben, die der AB Geschichts­di­dak­tik in Zusam­men­ar­beit mit der Hein­rich-Boell-Stif­tung (“umden­ken”) am 25. Juni durchführt.

Das Podi­um wird sich der Fra­ge wid­men, wel­chen Stel­len­wert “Afri­ka” im Geschichts­un­ter­richt hie­si­ger (Deut­scher, Ham­bur­ger) Schu­len zum einen tra­di­tio­nell ein­nimmt und ein­neh­men kann und soll­te. Dabei geht es nicht allein (und nicht ein­mal pri­mär) um quan­ti­ta­ti­ve Aspek­te, nicht um die Rekla­mie­rung des dem Kon­ti­nent “gebüh­ren­den” Anteils, son­dern vor allem auch um die Fra­ge, in wel­cher Form und mit wel­chem Ziel “afri­ka­ni­sche Geschich­te” the­ma­ti­siert wer­den kann und soll.

Den Fly­er zur Ver­an­stal­tun­gen fin­den Sie hier:

20.1.2010: 18.00h: Gastvortrag Geschichtsdidaktik: Martin Lücke: Diversity

10. Dezember 2009 Andreas Körber Keine Kommentare

Gast­vor­trag von Herrn Dr. Mar­tin Lücke:

„Diver­si­ty und Ungleich­hei­ten – race, class und gen­der als geschichts­di­dak­ti­sche Analysekategorien“

„Diver­si­ty“ ist in aller Mun­de. Ihr ist der Anspruch imma­nent, gesell­schaft­li­che Hete­ro­ge­ni­tät in ihrer Viel­falt zu akzep­tie­ren und dar­auf hin­zu­wir­ken, dass die durch geschlecht­li­che, sozia­le oder eth­ni­sche Kate­go­ri­sie­run­gen ent­ste­hen­den Hier­ar­chien abge­schlif­fen wer­den, ohne einen Ver­lust an Viel­falt hin­neh­men zu müs­sen. Aus Sicht der Geschichts­wis­sen­schaft mag eine sol­che Vor­stel­lung naiv erschei­nen, haben doch gera­de die his­to­ri­schen Kul­tur- und Sozi­al­wis­sen­schaf­ten gezeigt, dass race, class und gen­der als „Ach­sen der Ungleich­heit“ in der Geschich­te über­haupt erst schier unüber­wind­ba­re gesell­schaft­li­che Hier­ar­chien her­ge­stellt haben.
Kann die Didak­tik der Geschich­te in die­sem Kon­flikt ver­mit­teln? Als Mitt­le­rin zwi­schen Gegen­warts­wahr­neh­mun­gen und Ver­gan­gen­heit kann sie vor allem die His­to­ri­zi­tät von Viel­falt beto­nen, um Kon­flik­te um Viel­falt in ihrer his­to­ri­schen Tie­fen­schär­fe zu ver­ste­hen. Gesell­schaft­li­che Hete­ro­ge­ni­tät wird auf die­se Wei­se zu einer Kate­go­rie mit Geschich­te. Indem etwa im Geschichts­un­ter­richt die Wir­kungs­mäch­tig­keit von race, class und gen­der ana­ly­siert wird, kön­nen die Schü­le­rin­nen und Schü­ler mit der Geschich­te einen sekun­dä­ren Erfah­rungs­raum betre­ten, in dem sie erfah­ren, in wel­cher Viel­fäl­tig­keit die Kate­go­rien race, class und gen­der his­to­risch gewirkt haben und dass die­se Kate­go­rien wir­kungs­vol­le Inklu­si­ons- und Exklu­si­ons­me­cha­nis­men bereit hielten.

Die “Foli­en” des Vor­tra­ges sind nun hier abrufbar.

Herr Dr. Mar­tin Lücke ist wis­sen­schaft­li­cher Mit­ar­bei­ter im Arbeits­be­reich Didak­tik der Geschich­te an der Frei­en Uni­ver­si­tät Ber­lin. Er forscht und lehrt zu den The­men Diver­si­ty und trans­kul­tu­rel­ler Geschichts­un­ter­richt, Holo­caust und his­to­ri­sches Ler­nen und zu his­to­ri­scher Biografieforschung.

Datum: 20. Janu­ar 2010
Uhr­zeit: 18.00 Uhr
Ort: Phi­lo­so­phen­turm Hör­saal A
(Von- Mel­le- Park 6)

Nach­trä­ge (21.1.2010):

Beitrag zur William Ewart Gladstone’s “Bulgarian Horrors”

01. Mai 1991 Andreas Körber Keine Kommentare

Kör­ber, Andre­as (1990): “Wil­liam Ewart Glad­sto­nes ‘Bul­ga­ri­an Hor­rors and the Ques­ti­on of the East’ — eine unbrauch­ba­re Quel­le? Ein Bei­trag zur Glaub­wür­dig­keit von Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen.” In: Grothusen, Klaus-Det­lev (1990; Hg.): 110 Jah­re Wie­der­errich­tung des bul­ga­ri­schen Staa­tes. 1878 – 1988. Mün­chen: Süd­ost­eu­ro­pa-Gesell­schaft; ISBN: <a href=“https://portal.dnb.de/opac.htm?query=3925450165&method=simpleSearch”>3925450165;</a> S. 87 – 118.