Arbeitsbereich Geschichtsdidaktik / History Education, Universität Hamburg

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Lehrerfortbildung in Brixen (Südtirol, Italien)

28. Oktober 2019 Andreas Körber Keine Kommentare

Anni­ka Stork und Andre­as Kör­ber haben vom 23. bis 24. Okto­ber 2019 eine Leh­rer­fort­bil­dung zum The­ma “His­to­ri­sches Ler­nen aus neu­en Blick­win­keln” für Lehr­per­so­nen der Mit­tel- und Ober­schu­le sowie der Berufs­bil­dung auf Ein­la­dung der Deut­schen Bil­dungs­ver­wal­tung Bozen an der Mit­tel­schu­le “Micha­el Pacher” in Bri­xen gehal­ten. Vgl. http://​www​.pro​vinz​.bz​.it/​b​i​l​d​u​n​g​-​s​p​r​a​c​h​e​/​d​i​d​a​k​t​i​k​-​b​e​r​a​t​u​n​g​/​d​o​w​n​l​o​a​d​s​/​L​P​2​0​1​9​_​2​0​2​0​_​w​w​w​(​1​)​.​pdf, S. 146.

Internationale Konferenz zur Erinnerungskultur in Ghana und Deutschland im Vergleich

30. September 2012 Andreas Körber Keine Kommentare

 

Vom 20. bis 24. Sep­tem­ber 2012 fand in Ham­burg die vom Arbeits­be­reich Geschichts­di­dak­tik der Uni­ver­si­tät Ham­burg gemein­sa­me mit dem Stu­di­en­zen­trum der KZ-Gedenk­stät­te Neu­en­gam­me und der Mis­si­ons­aka­de­mie an der Uni­ver­si­tät Ham­burg ver­an­stal­te­te inter­na­tio­na­le Kon­fe­renz “Struc­tures and Pro­ces­ses of Com­me­mo­ra­ting Cruel­ties in Aca­de­me and Histo­ry Tea­ching: The com­me­mo­ra­ti­on of the Trans­at­lan­tic Slave Trade and of the Natio­nal Socia­list Cri­mes in Com­pa­ri­son” statt.

Die Kon­fe­renz hat­te zum Ziel, Struk­tu­ren und For­men des öffent­li­chen Erin­nerns in Deutsch­land an die natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ver­bre­chen in Deutsch­land und Euro­pa und die­je­ni­gen der öffent­li­chen Prä­sen­ta­ti­on der Geschich­te des Trans­at­lan­ti­schen Skla­ven­han­dels (wie auch der ein­hei­mi­schen Skla­ve­rei) in Gha­na sowie die gegen­wär­ti­ge Rol­le die­ser The­men in schu­li­schem und uni­ver­si­tä­rem Geschichts­ler­nen zu ver­glei­chen und auf die didak­ti­schen Poten­tia­le gera­de auch des Ver­gleichs hin aus­zu­lo­ten. Dabei wur­de auch die Bedeu­tung von Reli­gi­on und reli­giö­sem Den­ken sowohl für die Skla­ve­rei, den Skla­ven­han­del und ihre Über­win­dung als auch für his­to­ri­sches Den­ken und Erin­nern sowie Ler­nen an die­sem Gegen­stand thematisiert.

Die The­ma­tik der Tagung ent­sprach einer gemein­sa­men Idee von Prof. Dr. Kofi Dark­wah von der Uni­ver­si­ty od Edu­ca­ti­on in Win­ne­ba/​Ghana und Prof. Dr. Andre­as Kör­ber. Sie wur­de in enger Zusam­men­ar­beit mit Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen meh­re­rer Uni­ver­si­tä­ten in Gha­na von Jan Brei­ten­stein, Dok­to­rand der Geschichts­di­dak­tik an der Uni­ver­si­tät Ham­burg, vor­be­rei­tet und organisiert.

Refe­ren­ten der Tagung waren:

  • Dr. Kofi Baku (Uni­ver­si­ty of Gha­na, Legon; Head of Histo­ry Depart­ment): “Memo­ry and Memo­ri­a­li­sing Slavery and Slave Trade in Gha­na: Who­se memo­ry, Which memo­ri­als and for What Purpose?”
  • Prof. Dr. Andre­as Kör­ber (Ham­burg Uni­ver­si­ty):  “His­to­ri­cal Remem­be­ring and Lear­ning at Memo­ri­als in Ger­ma­ny” and a Cam­pus-Tour on “Decen­tra­li­zed Remem­be­ring of the Cri­mes of Natio­nal Socialism”
  • Prof. Dr. Eliza­beth Amo­ah (Uni­ver­si­ty of Gha­na, Legon;): “Reli­gi­on and Slavery in Ghana”
  • Prof. Dr. Wer­ner Kahl (Aca­de­my of Mis­si­on, Ham­burg): “Theo­lo­gy after Ausch­witz: Whe­re is god? — Expe­ri­en­ces and reflec­tions of Afri­can migrant pas­tors in Neuengamme.”
  • Dr. Ako­sua Per­bi (Uni­ver­si­ty of Gha­na, Legon;): “Slavery in Gha­na: The Unf­or­got­ten Past”
  • Ulri­ke Jen­sen and Mar­co Küh­nert (Neu­en­gam­me Con­cen­tra­ti­on Camp Memo­ri­al): Gui­ded Tour
  • Dr. Oli­ver von Wro­chem (Neu­en­gam­me Con­cen­tra­ti­on Camp Memo­ri­al Stru­dy cent­re): “Neu­en­gam­me as a Memo­ri­al and Place for His­to­ri­cal Learning”
  • Nicho­las Ivor (Head of the Gha­na Muse­ums and Monu­ments Boards (GMMB) for the Cen­tral and Wes­tern Regi­ons): “Cape Coast Cast­le as a Memo­ri­al and Place for His­to­ri­cal Learning”
  • HMJo­ki­nen (Ham­burg): “Wands­bek World White Revi­si­ted” (com­me­mo­ra­ti­ve performance)
  • Prof. Dr. Klaus Weber (Euro­pa-Uni­ver­si­tät Via­dri­na, Frankfurt/​Oder): “The­re were many Schim­mel­manns: Hamburg’s and Cen­tral Europe’s Links with the Atlan­tic Slave Trade and Plan­ta­ti­on Eco­no­mies, 16th to the 19th Centuries”
  • Jan Brei­ten­stein (Ham­burg Uni­ver­si­ty): “Per­for­ma­ti­ve Com­me­mo­ra­ting and Fluid­Re­mem­be­ring of the Trans­at­lan­tic Slave Trade: Impul­se or Frame­work for (pro­cess-ori­en­ted) His­to­ri­cal Learning?”
  • Dr. Yaw Ofu­su-Kusi (Uni­ver­si­ty of Edu­ca­ti­on, Win­ne­ba/​Ghana): “Vio­la­ti­ons of Child­hood through Ens­lavement of Child­ren in West Afri­ca: Past, Pre­sent and the Future.”
  • Prof. Dr. (em.) Bodo von Bor­ries (Uni­ver­si­tät Ham­burg): „Trans­at­lan­tic Slave Trade“ and „German/​ Euro­pean Holo­caust“ as Mas­ter Nar­ra­ti­ves – Edu­ca­ti­on in bet­ween Com­me­mo­ra­ti­on of Geno­ci­des and Neces­si­ty of Human Rights.”
  • Dr. Felix Duo­du (Uni­ver­si­ty of Edu­ca­ti­on, Win­ne­ba/​Ghana): “The rele­van­ce of socie­tal diver­si­ty for Inter eth­nic (histo­ry) Tea­ching in Ghana.”
  • Dr. Clau­dia Lenz (The Euro­pean Wer­ge­land Cent­re, Oslo/​Norway): “Com­pe­tence ori­en­ted his­to­ri­cal lear­ning as inter­cul­tu­ral lear­ning – expe­ri­en­ces from the Teac­Mem pro­ject.”
  • Joke van der Lee­uw-Roord (Euro­clio, The Hague): “Chan­ging His­to­ri­cal Lear­ning in Schools and its impli­ca­ti­ons for Tea­ching about Slavery and Natio­nal Socialism”
  • Emma­nu­el Koom­son (Afri­can Chris­ti­an Mis­si­on A.C.M. Juni­or High School, Winneba/​Ghana): “Slave Trade and its Com­me­mo­ra­ti­on as a Topic for His­to­ri­cal Lear­ning in Ghana.”
  • Hil­de­gard Wacker (Gym­na­si­um Cor­vey­stra­ße, Ham­burg and Ham­burg Uni­ver­si­ty): “Natio­nal Socia­lism and its Com­me­mo­ra­ti­on as a Topic for His­to­ri­cal Lear­ning in Germany.”

 

Neuer Aufsatz zur Theorie Interkulturellen Geschichtslernens

04. März 2011 Andreas Körber 1 Kommentar

Lie­be Kommiliton(inn)en,

nach eini­ger Ver­zö­ge­rung ist der fol­gen­de Band nun end­lich auch phy­sisch hier eingetroffen.

Ventzke, Mar­cus; Mebus, Syl­via; Schrei­ber, Wal­traud (Hgg.; 2010): Geschich­te den­ken statt pau­ken in der Sekun­dar­stu­fe II. 20 Jah­re nach der fried­li­chen Revo­lu­ti­on: Deut­sche und europ­päi­sche Per­spek­ti­ven im gym­na­sia­len Geschichts­un­ter­richt. Rade­beul: Säch­si­sches Bil­dungs­in­sti­tut.

Dar­in befin­det sich mein Aufsatz

Kör­ber, Andre­as (2010): „Theo­re­ti­sche Dimen­sio­nen des Inter­kul­tu­rel­len Geschichts­ler­nens.“ S. 25 – 48,

in wel­chem ich ver­su­che, das Kon­zept der his­to­ri­schen Sinn­bil­dung aus der nar­ra­ti­vis­ti­schen Geschichts­heo­rie auf das inter­kul­tu­rel­le Den­ken zu über­tra­gen und aus bei­dem eine neu fun­dier­te Vor­stel­lung inter­kul­tu­rel­ler his­to­ri­scher Kom­pe­tenz zu entwickeln.

Fremdverstehen und Perspektivität im Geschichtsunterricht

26. Juli 2010 Andreas Körber Keine Kommentare

Das Kon­zept des “Fremd­ver­ste­hens” spielt in der Geschichts­di­dak­tik wie in der Fremd­spra­chen­di­dak­tik eine Rol­le — Grund genug, über das Ver­hält­nis der gleich lau­ten­den Kon­zep­te bei­der Fach­di­dak­ti­ken nachzudenken.
Beim Fremd­spra­chen­ler­nen ist das Kon­zept offen­bar Teil einer moder­ne­ren Didak­tik, wel­che sich nicht allein auf den Sprach­er­werb (im Sin­ne von “lan­gue”) kon­zen­trie­ren will, son­dern Kom­mu­ni­ka­ti­ons­fä­hig­keit im wei­te­ren Sin­ne in den Blick nimmt. Im Zuge die­ser Ori­en­tie­rung wur­den offen­bar die einer älte­ren Tra­di­ti­on (gera­de auch des Den­kens in Natio­nal-Kul­tu­ren) ver­haf­te­ten Antei­le von “Lan­des­kun­de” über­führt in einer moder­ne­rer Kul­tur­theo­rie und-wis­sen­schaft ent­spre­chen­den Kon­zep­te inter­kul­tu­rel­len Ler­nens. Es geht dem­nach im enge­ren Sin­ne des (fremd-)sprachlichen Kom­pe­tenz­er­werbs um die Befä­hi­gung der Ler­nen­den, nicht nur aktiv und pas­siv kor­rekt ‘die frem­de Spra­che’ zu benut­zen, son­dern die sich in ihr aus­drü­cken­den und von ihr mit gepräg­ten kul­tu­rel­len Per­spek­ti­ven auf Welt zu ver­ste­hen. “Fremd­ver­ste­hen” ist also in der Fremd­spra­chen­di­dak­tik ein ganz eng mit dem inter­kul­tu­rel­len Ler­nen ver­bun­de­nes Konzept.
Das gilt auch für die Geschichts­di­dak­tik. “Fremd­ver­ste­hen” ist als Kon­zept auch hier zunächst (und sehr früh) mit dem Blick auf die Her­aus­for­de­run­gen eines Geschichts­un­ter­richts “in einer klei­ner wer­den­den Welt” reflek­tiert wor­den (Schör­ken 1980), womit wesent­li­che Anstö­ße inter­kul­tu­rel­len Ler­nens vor­weg­ge­nom­men wur­de. Dann geriet die­ser interkul­tu­rel­le Fokus ein wenig ins Hin­ter­tref­fen gegen­über einer Auf­wer­tung des Begriffs in einer ande­ren Per­spek­ti­ve, näm­lich des sozia­len Fremd­ver­ste­hens. Gemeint war die Auf­ga­be des Geschichts­un­ter­richts, im Rah­men der Abkehr von einem zuneh­mend kri­ti­sier­ten, bil­dungs­bür­ger­li­chen und geis­tes­wis­sen­schaft­li­chen natio­na­len Geschichts­bil­des und der Zuwen­dung zu sozi­al­grup­pen­spe­zi­fi­schen Per­spek­ti­ven und ins­be­son­de­re einer “Geschich­te von unten”, die spe­zi­fi­schen Ori­en­tie­rungs­be­dürf­nis­se, Deu­tungs- und Erklä­rungs­mus­ter und somit Geschichts­bil­der inner­halb der eige­nen “Nati­on” oder Kul­tur ernst zu neh­men und anzu­er­ken­nen. “Fremd­ver­ste­hen” wur­de somit zu einem Kon­zept, das der inne­ren Kohä­si­on nicht durch Uni­for­mie­rung und Ver­mitt­lung eines gemein­sa­men Geschichts­bil­des, son­dern gera­de­zu durch Aner­ken­nung der Unter­schie­de, dien­te. Erst spä­ter ist der Begriff dann im Zuge des (spä­ten) Ein­stiegs der Geschichts­di­dak­tik in die Debat­te um das “inter­kul­tu­rel­le Ler­nen” (vgl. Rüsen 1998, Ala­vi 1998, Alavi/​v. Bor­ries 2000; Kör­ber 2001; dazu zuletzt Kör­ber 2010 i.E.) wie­der im inter­kul­tu­rel­len Sin­ne auf­ge­grif­fen worden.
In die­ser Hin­sicht besteht offen­kun­dig deut­li­cher Nach­hol­be­darf, zumin­dest auf Sei­ten der Geschichts­di­dak­tik, die Ergeb­nis­se der Refle­xi­on auch der jeweils ande­ren Dis­zi­plin (vor allem des Gra­du­ier­ten­kol­legs “Didak­tik des FRemd­ver­ste­hens”; Bre­del­la & Christ 2007) für sich nutz­bar zu machen. Es scheint näm­lich so zu sein, dass in bei­den Dis­zi­pli­nen par­ti­ell durch­aus ver­gleich­ba­re oder zumin­dest kom­ple­men­tä­re Dis­kus­sio­nen und Ergeb­nis­se vor­lie­gen. Das mag etwa für das Kon­zept der “Per­spek­ti­ven­ko­or­di­na­ti­on” (Kol­len­rott 2008, 48) gel­ten, das für das Fremd­ver­ste­hen beim Spra­chen­ler­nen als höchs­tes Ziel gehan­delt wird. Indem somit gera­de nicht die Fähig­keit, qua­si die Per­spek­ti­ven zu “swit­chen” und gera­de­zu “in der ande­ren Kul­tur” zu den­ken, zum obers­ten Ziel erho­ben wird (wie es in der Fol­ge eini­ger Kul­tur­schock­theo­rien und Kul­tur­wech­sel­theo­rien zuwei­len gefor­dert wur­de; vgl. Wit­te 2006, zit n. Hu 2008; dazu Kör­ber 2010 i.E.), indem also das “mit den Augen der/​des Ande­ren sehen” nicht als Ziel, son­dern als Bedin­gung erkannt wur­de für ein Sehen mit den eige­nen Augen (vgl. Deh­ne 2008, 130), das sich sei­ner Per­spek­ti­vik und Per­spek­ti­ve bewuss­ter ist, und als sol­ches die Ande­ren bes­ser, wenn auch nicht “voll­stän­dig” “ver­steht”, sind hier ähn­li­che Erkennt­nis­se zu erkennen.
Den­noch besitzt der Begriff des Fremd­ver­ste­hens in der Geschichts­di­dak­tik mit eini­gem Recht einen wei­te­ren Ort. v.Borries/Tornow schrie­ben 2001: “Geschich­te ist per se Fremd­ver­ste­hen — übri­gens auch per se inter­kul­tu­rell” (84). Das kann als eine der übli­chen Behaup­tun­gen gele­sen wer­den, dem eige­nen Fach qua sei­ner Natur eine beson­de­re Eig­nung für das gera­de hoch gehal­te­ne Bil­dungs­ziel (2001 war das das “Inter­kul­tu­rel­le”) zu attes­tie­ren. Es kann und muss aber min­des­tens eben­so als eine Ein­sicht in die spe­zi­fi­sche Natur des his­to­ri­schen Den­kens ver­stan­den wer­den: dass his­to­risch Den­ken­de (und somit auch his­to­risch Ler­nen­de) es selbst dort, wo sie sich im Bereich der “eige­nen” Geschich­te bewe­gen, wo sie die Ver­gan­gen­heit ihrer eige­nen Grup­pe, ihrer Nati­on, ihrer Kul­tur etc. in den Blick neh­men, mit Fremd­heit zu tun haben. “The past is a For­eign Coun­try” beti­tel­te David Lowen­thal (übri­gens von Hau­se aus Geo­graph) sein wohl ein­fluss­reichs­tes Werk (“They do things dif­fer­ent­ly the­re”). Der Zeit­ab­lauf selbst ist (bes­ser: die in ihm statt fin­den­den Ver­än­de­run­gen sind) es, die die Kul­tu­ren ein­an­der fremd macht. Selbst wer sich den Her­aus­for­de­run­gen inter­kul­tu­rel­len Fremd­ver­ste­hens ver­wei­gern woll­te, käme bei der Beschäf­ti­gung mit der Ver­gan­gen­heit nicht um ein sol­ches Fremd­ver­ste­hen her­um (es sei denn, die tem­po­ra­le Fremd­heit wür­de schlicht­weg geleug­net, im Modus tra­di­tio­na­ler Sinn­bil­dung für neben­säch­lich gegen­über den wei­ter gül­ti­gen Kon­stan­ten erklärt o.ä.).
Dass die spe­zi­fisch his­to­ri­sche Ein­übung in ein Fremd­ver­ste­hen auch zur Beför­de­rung der Fähig­keit zur ver­ste­hen­den und aner­ken­nen­den Aus­ein­an­der­set­zung mit gegen­wär­tig Frem­den führt, dass Geschich­te (und mit ihr Geschichts­un­ter­richt) also nicht nur per se inter­kul­tu­rell, son­dern dar­über­hin­aus inter­kul­tu­rel­lem Ver­stän­di­gen per se för­der­lich sind, kann gehofft und geglaubt wer­den, wäre aber noch zu untersuchen.
Bei der Refle­xi­on die­ser Fra­ge wird es wich­tig sein, sich auch die Unter­schie­de zwi­schen den bei­den For­men des Fremd­ver­ste­hens, näm­lich des syn­chro­nen (gleich­zei­ti­gen) gegen über ande­ren Kul­tu­ren einer‑, und des dia­chro­nen gegen­über ande­ren Zei­ten ande­rer­seits, zu vergegenwärtigen.

Eine Gra­fik mag dazu hilf­reich sein:

Fremdverstehen syn- und diachron

 

In die­ser Gra­fik bezeichnen:

  • 1 und 2 die Her­aus­for­de­run­gen zwi­schen gegen­wär­ti­gen “Kul­tu­ren”, Sub- und Teil“kulturen” ver­schie­dens­ter Art, sich in der heu­ti­gen Zeit mit­ein­an­der ver­stän­di­gen zu kön­nen, und dafür die Per­spek­ti­ve der jeweils Ande­ren zumin­dest par­ti­ell ein­neh­men zu kön­nen und sie zu “ver­ste­hen”. Da dies idea­ler­wei­se und als Her­aus­for­de­rung ein gegen­sei­ti­ger Pro­zess ist, ist es als Dop­pel­pfeil gezeichnet.
  • 3 und 4 hin­ge­gen die spe­zi­fisch his­to­ri­sche Her­aus­for­de­rung des Ver­ste­hens der Men­schen einer ande­ren Zeit. Die­ser Pro­zess ist (ent­ge­gen allen idea­lis­ti­schen Vor­stel­lun­gen eines “Gespräch[s] des mensch­li­chen Geis­tes über die Jahr­hun­der­te teil­zu­ha­ben …” — so der Titel der von K. GOEBEL 1990 hg. Fest­schrift für H. G. Kirch­hoff) nicht bi-direk­tio­nal und somit nur mit ein­fa­chen Pfei­len eingezeichnet.

Im Gegen­satz zu 1 und 2 ist die spe­zi­fisch his­to­ri­sche Her­aus­for­de­rung in 3 und 4 anders struk­tu­riert: Es kann auch idea­li­ter nicht um ein <em>gegenseitiges </​em> Ver­ste­hen des Frem­den gehen: der Auf­trag liegt allein bei uns. Dass unse­re Vor­fah­ren uns “ver­ste­hen” mögen, ist außer in Gedan­ken­spie­len, nicht plau­si­bel. Eben­so­we­nig aber kön­nen uns “die Ande­ren” ant­wor­ten außer­halb der Mate­ria­li­en aus ihrer Zeit, die sie uns über­las­sen haben bzw. die (wie auch immer) “auf uns gekom­men” sind. Es ist eben nicht mög­lich, dass die Frem­den mit ihrer Kom­pe­tenz des Fremd­ver­ste­hens uns ent­ge­gen­kom­men, uns kor­ri­gie­ren, mit uns über Wahr­neh­mun­gen, Deu­tun­gen, Be-Deu­tun­gen etc. ver­han­deln. His­to­ri­sches Fremd­ver­ste­hen ist eine ganz schön ein­sei­ti­ge Ange­le­gen­heit. Und, der Nach­welt, obliegt die Verantwortung.

  • 5 und 6 bezeich­nen sodann die dop­pel­ten Her­aus­for­de­run­gen, aus einer eige­nen heu­ti­gen Per­spek­ti­ven die Ver­gan­gen­heit einer ande­ren ver­ste­hen zu wol­len und/​oder sol­len, wie auch die Tat­sa­che, dass natür­lich “die Ande­ren” eben­so ihren Blick auf “unse­re” Ver­gan­gen­heit haben.
  • 7 und 8 schließ­lich bezeich­nen die (uns wie­der­um nur über Re-Kon­struk­tio­nen empi­risch fass­ba­re) Tat­sa­che, dass die Bezie­hun­gen von Fremd- und Selbst-Wahr­neh­mun­gen und somit das “Fremd­ver­ste­hen”, wenn auch nicht not­wen­dig als Norm, so doch aber als rea­le Her­aus­for­de­rung, natür­lich auch in der Ver­gan­gen­heit gege­ben waren.

In allen genann­ten Bei­spie­len sind — das kommt hin­zu — die Ele­men­te und Bezie­hun­gen nicht ein­fach gege­ben, son­dern müs­sen den­kend (re-)konstruiert wer­den. Wer “sie” sind, und wer “wir”, kann weder ein­fach als gege­ben ange­nom­men wer­den noch als in einem ein­ma­li­gen Denk­akt fest­zu­le­gen. Das liegt unter ande­rem dar­an, dass jeder Ein­zel­ne von uns nicht einem “Wir” ange­hört und somit jeder ein­zel­ne Ande­re nicht einem “sie”, son­dern vie­len gleich­zei­tig. So kommt es stän­dig vor, dass ein kon­kre­ter ande­rer Mensch in einer Hin­sicht Teil der “Wir”-Gruppe und in ande­rer Teil des “Sie” ist — sei es, dass ein Mit­schü­ler unse­rer Ler­nen­den im Rah­men einer Schul­ge­schich­te ein­mal als Ange­hö­ri­ger der Par­al­lel­klas­se erscheint, dann wie­der als Mit­glied der glei­chen Schu­le (eine Maß­stabs­fra­ge also), sei es dass ein Bekann­ter hin­sicht­lich sei­nes Musik­ge­schmacks “einer von uns” ist, aber lei­der Anhän­ger eines ande­ren Fußballvereins.

Hier nun schlägt die Dif­fe­ren­zie­rung zwi­schen syn- und dia­chro­nem Fremd­ver­ste­hen voll durch: Wäh­rend es im syn­chro­nen Ver­hält­nis mög­lich ist, mit dem Gegen­über über sei­ne Vor­stel­lun­gen des “wir” und des “sie” zu dis­ku­tie­ren, die jewei­li­ge Selbst-Sicht aktiv zu erfra­gen und aus­zu­tau­schen, gelingt dies gegen­über den Ange­hö­ri­gen frem­der Zei­ten nicht. Hier müs­sen die Selbst- und Fremd­bil­der mit Hil­fe der his­to­ri­schen Metho­de erschlos­sen werden.

Wich­ti­ger aber noch ist, dass das “Wir” und das “Sie” nicht nur kon­stru­iert wer­den müs­sen, son­dern dass in der his­to­ri­schen, dia­chro­nen Per­spek­ti­ve die Iden­ti­tät der bei­den (bzw. vie­len) Iden­ti­tä­ten über t1 und t2 hin­weg eben­so Kon­struk­tio­nen sind. Wer das “Wir” in einer Ver­gan­gen­heit war, muss eben­so den­kend erschlos­sen und plau­si­bel gemacht wer­den. Das gilt natür­lich für “Sie” ganz genau­so: Wel­che Tei­le der Ver­gan­gen­heit zur “Deut­schen” Geschich­te gehö­ren ist somit eben­so Gegen­stand von Kon­struk­ti­on wie der Umfang der “Tür­ki­schen Geschichte”.

Nr. 5 und 6 machen nun deut­lich, dass auch die­ses wie­der Gegen­stand inter­kul­tu­rel­ler Ver­hand­lungs­not­wen­dig­kei­ten sein kann. Was wir in unse­rer eige­nen his­to­rio­gra­phi­schen Tra­di­ti­on unter “Tür­ki­sche Geschich­te” fas­sen, muss mit dem Bild der heu­ti­gen Tür­ken kei­nes­wegs über­ein­stim­men — eben­so­we­nig wie die Vor­stel­lung des­sen, was “Deutsch­land” in Ver­gan­gen­heit und Gegen­wart aus­macht, von uns allein bestimmt wer­den könnte.

His­to­ri­sches Fremd­ver­ste­hen umfasst also

  • die intel­lek­tu­el­le (dabei aber auch ästhe­ti­sche, mora­li­sche, poli­ti­sche etc.) Her­aus­for­de­rung, Men­schen in frü­he­ren Zei­ten  zu “ver­ste­hen”, wobei ein gegen­sei­ti­ges Ver­stän­di­gen über die­ses Ver­ste­hen, über das Gelin­gen von Ver­ständ­nis, nicht mög­lich ist. Man wird kei­ne Zustim­mung für sei­ne Deu­tungs­ver­su­che erhal­ten. Kom­mu­ni­ka­ti­ve Vali­die­run­gen eige­ner Deu­tun­gen durch Gesprä­che mit dem Betrof­fe­nen gelin­gen der Geschich­te nicht;
  • die intel­lek­tu­el­le (…) Her­aus­for­de­rung, gegen­wär­ti­ge “Ande­re” zu ver­ste­hen, und zwar im Fal­le der Geschich­te hin­sicht­lich ihrer Ori­en­tie­rungs­be­dürf­nis­se, ihrer his­to­ri­schen Selbst­ver­ständ­nis­se, ihrer Deu­tungs- und Erklä­rungs­mus­ter, Norm- und Wert­vor­stel­lun­gen und den dar­aus ent­ste­hen­den Geschichtsbildern.
  • die sich aus der Kom­bi­na­ti­on der bei­den erge­ben­de dop­pel­te Her­aus­for­de­rung, die his­to­ri­schen Iden­ti­täts­kon­struk­tio­nen “der Ande­ren” zu ver­ste­hen (und anzu­er­ken­nen), dabei aber selbst auch gegen­über den zeit­lich und kul­tu­rell Ande­ren selbst ein Ver­ständ­nis aufzubauen.

Ins­be­son­de­re mit Blick auf die spe­zi­fisch his­to­ri­sche Dimen­si­on kann “Ver­ste­hen” somit nicht tat­säch­li­chen gül­ti­gen Nach­voll­zug der Wahr­neh­mun­gen, Denk‑, Urteils- und Hand­lungs­wei­sen “der Ande­ren” mei­nen. Es kann man­gels der Mög­lich­keit der kom­mu­ni­ka­ti­ven Vali­die­rung weder der prin­zi­pi­el­len Unver­füg­bar­keit der Ver­gan­gen­heit und somit der prin­zi­pi­ell nar­ra­ti­ven Struk­tur his­to­ri­scher Deu­tun­gen, nicht dar­um gehen, die Ande­ren “in uns” abzu­bil­den. Weit­aus frucht­ba­rer als Gelin­gens­be­din­gung für “Ver­ste­hen” und “Ver­ständ­nis” ist die Kon­zep­ti­on eines “ver­stän­dig dar­über spre­chen” kön­nens. Damit wird nicht das uner­reich­ba­re Ide­al einer Annä­he­rung an die Ver­gan­gen­heit zum Kri­te­ri­um, son­dern die inne­re Plau­si­bi­li­tät des Nachvollzugs.

Gera­de weil dies so ist, ist aber auch zu for­dern, dass die eige­nen Kon­zep­te der “frem­den” Geschich­te (eben­so wie “frem­de” Geschich­ten über das “eige­ne”) auf der Ebe­ne der Gegen­wart kom­mu­ni­ka­tiv vali­diert wer­den. Das bedeu­tet, dass immer dort, wo es um “frem­de Geschich­te” geht, nicht nur auf der Ebe­ne der Quel­len, son­dern gera­de auch auf der­je­ni­gen der rezen­ten Deu­tun­gen beide/​alle Per­spek­ti­ven zumin­dest par­ti­ell her­an­ge­zo­gen werden.

Lite­ra­tur

ALAVI, BETTINA (1998): Geschichts­un­ter­richt in der mul­ti­eth­ni­schen Gesell­schaft. Eine fach­di­dak­ti­sche Stu­die zur Modi­fi­ka­ti­on des Geschichts­un­ter­richts auf­grund migra­ti­ons­be­ding­ter Ver­än­de­run­gen. Frank­furt am Main: IKO — Ver­lag für inter­kul­tu­rel­le Kom­mu­ni­ka­ti­on (Inter­dis­zi­pli­nä­re Stu­di­en zum Ver­hält­nis von Migra­tio­nen, Eth­ni­zi­tät und gesell­schaft­li­cher Mul­ti­kul­tu­ra­li­tät; 9).

ALAVI, BETTINA; BORRIES, BODO v. (2000): “Geschich­te.” In: REICH, HANS; HOLZBRECHER, ALFRED; ROTH, HANS JOACHIM (Hrsg.; 2000): Fach­di­dak­tik inter­kul­tu­rell. Ein Hand­buch. Opla­den: Les­ke + Bud­rich, S. 55 – 91.

DEHNE, BRIGITTE (2008): “ ‘Mit eige­nen Augen sehen’ oder ‘Mit den Augen des ande­ren sehen’? Eine kri­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit den geschichts­di­dak­ti­schen Kon­zep­ten der Per­spek­ti­ven­über­nah­me und des Fremd­ver­ste­hens.” In: BAUER, JAN-PATRICK; MEYER-HAMME, JOHANNES; KÖRBER, ANDREAS (Hrsg.; 2008): Geschichts­ler­nen – Inno­va­tio­nen und Refle­xio­nen. Geschichts­di­dak­tik im Span­nungs­feld von theo­re­ti­schen Zuspit­zun­gen, empi­ri­schen Erkun­dun­gen, nor­ma­ti­ven Über­le­gun­gen und prag­ma­ti­schen Wen­dun­gen — Fest­schrift für Bodo von Bor­ries zum 65. Geburts­tag. Ken­zin­gen: Cen­tar­u­rus Ver­lag (Rei­he Geschichts­wis­sen­schaft; 54), S. 121 – 144.

GOEBEL, KLAUS (1990): ”Am Gespräch des mensch­li­chen Geis­tes über die Jahr­hun­der­te teilzuhaben.”.Festschrift für H.-G. Kirch­hoff. Bochum: Brockmeyer.

HU, ADELHEID (2008): “Inter­kul­tu­rel­le Kom­pe­tenz. Ansät­ze zur Dimen­sio­nie­rung und Eva­lua­ti­on einer Schlüs­sel­kom­pe­tenz fremd­sprach­li­chen Ler­nens.” In: FREDERKING, VOLKER (Hrsg.; 2008): Schwer mess­ba­re Kom­pe­ten­zen. Her­aus­for­de­run­gen für die empi­ri­sche Fach­di­dak­tik. Balt­manns­wei­ler: Schnei­der Ver­lag, S. 11 – 35.

KOLLENROTT, ANNE INGRID  (2008). Sicht­wei­sen auf deutsch-eng­lisch bilin­gua­len Geschichts­un­ter­richt. Eine empi­ri­sche Stu­die mit Fokus auf inter­kul­tu­rel­les Ler­nen. Frank­furt a.M.: Lang.

KÖRBER, ANDREAS (Hrsg.; 2001): Inter­kul­tu­rel­les Geschichts­ler­nen. Geschichts­un­ter­richt unter den Bedin­gun­gen von Ein­wan­de­rung und Glo­ba­li­sie­rung. Kon­zep­tio­nel­le Über­le­gun­gen und prak­ti­sche Ansätze.1. Aufl.  Müns­ter: Wax­mann (Novem­ber­aka­de­mie; 2).

KÖRBER, ANDREAS (2010): “Theo­re­ti­sche Dimen­sio­nen des Inter­kul­tu­rel­len Geschichts­ler­nens.” In: Ventzke, Mar­cus; Mebus, Syl­via; Schrei­ber, Wal­traud (Hgg.; 2010): Geschich­te den­ken statt pau­ken in der Sekun­dar­stu­fe II. 20 Jah­re nach der fried­li­chen Revo­lu­ti­on: Deut­sche und europ­päi­sche Per­spek­ti­ven im gym­na­sia­len Geschichts­un­ter­richt. Rade­beul: Säch­si­sches Bil­dungs­in­sti­tut. S. 25 – 48.

LOWENTHAL, DAVID (1985): The Past is a For­eign Coun­try. Cam­bridge: Cam­bridge UP.

RÜSEN, JÖRN (Hrsg.; 1998): Die Viel­falt der Kul­tu­ren. Erin­ne­rung, Geschich­te, Iden­ti­tät 4. Frank­furt am Main: Suhr­kamp Taschen­buch Ver­lag (suhr­kamp taschen­buch wis­sen­schaft; 1405).

SCHÖRKEN, ROLF (1980): “Geschichts­un­ter­richt in der klei­ner wer­den­den Welt. Pro­le­go­me­na zu einer Didak­tik des Fremd­ver­ste­hens.” In: SÜSSMUTH, HANS (Hrsg.; 1980): Geschichts­di­dak­ti­sche Posi­tio­nen. Bestands­auf­nah­me und Neu­ori­en­tie­rung. Pader­born: Fer­di­nand Schö­ningh (UTB; 954), S. 315 – 336.

WITTE, ARND (2006): “Über­le­gun­gen zu einer (inter)kulturellen Pro­gres­si­on im Fremd­spra­chen­un­ter­richt.” In: Fremd­spra­chen leh­ren und ler­nen 35.

Gastvortrag Dr. Lücke: Anmoderation A.Körber

20. Januar 2010 Andreas Körber Keine Kommentare

Andre­as Körber

“Diver­si­ty und Geschichtsdidaktik”

Ich freue mich, mit Dr. Mar­tin Lücke heu­te einen Kol­le­gen hier begrü­ßen zu kön­nen, der als Exper­te gel­ten kann für eine Fra­ge­stel­lung, die – wie­der ein­mal – als Her­aus­for­de­rung für geschichts­di­dak­ti­sche Theo­rie und Pra­xis ver­stan­den wer­den kann.

Hat­ten wir es im letz­ten Gast­vor­trag der Kol­le­gin Bea Lundt (die ich hier auch begrü­ße) damit zu tun, unser Bild sowohl von Afri­ka als auch vom Mit­tel­al­ter in Fra­ge stel­len zu müs­sen und über sich dar­aus erge­ben­de Kon­se­quen­zen für his­to­ri­sches Den­ken und Ler­nen nach­zu­den­ken, so geht es dies­mal um ein gan­zes Bün­del durch­aus anders gela­ger­ter, stär­ker kate­go­ria­ler Her­aus­for­de­run­gen. In sinn­ge­mä­ßer Anwen­dung unse­res Kom­pe­tenz-Struk­tur­mo­dells nicht auf his­to­ri­sches Den­ken als sol­ches, son­dern auf die fach­di­dak­ti­schen Kom­pe­ten­zen müss­te man davon spre­chen, dass unse­re “Sach­kom­pe­tenz Geschichts­di­dak­tik” ela­bo­riert wer­den muss – und mit ihr die Kompetenzen,

  1. fach­di­dak­ti­sche Fra­ge­stel­lun­gen und fach­di­dak­tisch rele­van­te The­men­stel­lun­gen zu identifizieren,
  2. fach­di­dak­ti­sche Lern­pro­zes­se und Unter­richts­mo­del­le zu ana­ly­sie­ren, um die in ihnen ent­hal­te­nen Prä­mis­sen, Set­zun­gen, Wer­te, das in sie ein­ge­gan­ge­ne Ver­ständ­nis von Form und Ziel his­to­ri­schen Ler­nens, aber auch die Vor­stel­lun­gen davon zu erken­nen, wie denn his­to­ri­sches Ler­nen funk­tio­nie­ren kann und soll (man könn­te das an den gera­de erschie­ne­nen Arbeits­fas­sun­gen der neu­en Ham­bur­ger Bil­dungs- und Rah­men­plä­ne für Pri­mar- und Stadt­teil­schu­le sowie für die ver­kürz­te Sek I des Gym­na­si­ums testen).

Das gilt natür­lich auch für publi­zier­te Unter­richts­ent­wür­fe und Mate­ria­li­en. Glei­cher­ma­ßen wird dadurch aber auch unse­re didak­ti­sche Kon­struk­ti­ons­kom­pe­tenz her­aus­ge­for­dert (und hof­fent­lich ela­bo­riert), näm­lich die Fähig­keit, Fer­tig­keit und Bereit­schaft, im Sin­ne der uns heu­te von Mar­tin Lücke prä­sen­tier­ten Kate­go­rien (die dem Titel sei­nes Vor­tra­ges nach ja vor allem Ana­ly­se­ka­te­go­rien sind) iden­ti­täts- und ori­en­tie­rungs­re­le­van­te Lern­pro­zes­se und ‑umge­bun­gen zu kon­zi­pie­ren – und dann auch wie­der zu diagnostizieren.

Dazu gehört natür­lich nach wie vor die Lern­be­din­gungs­ana­ly­se, die Ana­ly­se nicht nur von Gegen­stän­den und The­men, son­dern der anthro­po­lo­gi­schen, insti­tu­tio­nel­len und kul­tu­rel­len Vor­aus­set­zun­gen von Lernen.

“Race, class and gen­der” – die Drei­heit der bereits klas­si­scher­wei­se in der Theo­rie der “Inter­sek­tio­na­li­tät”, also der gegen­sei­ti­gen Durch­drin­gung und Beein­flus­sung von Dis­kri­mi­nie­run­gen und Benach­tei­li­gun­gen benutz­ten Dimen­sio­nen (heut­zu­ta­ge zumeist um wei­te­re ergänzt) betref­fen ja gera­de nicht nur die qua­si sozio­lo­gisch zu ana­ly­sie­ren­den Dis­kri­mi­nie­rungs­pro­zes­se, son­dern auch die Iden­ti­tä­ten, sie sind nicht nur wirk­sam in der Fremd­zu­schrei­bung von Eigen­schaf­ten und Zuge­hö­rig­kei­ten, bei der In- und Exklu­si­on, der Er- und Ent­mäch­ti­gung von Men­schen zur Teil­ha­be, son­dern auch im Bereich der Selbst-Kon­zep­te, der eige­nen Vor­stel­lun­gen von Zuge­hö­rig­kei­ten. Und inso­fern his­to­ri­sches Den­ken und Fra­gen immer mit der Klä­rung von Iden­ti­tät in zeit­li­cher Hin­sicht zu tun hat, inso­fern his­to­ri­sche Fra­gen und Denk­pro­zes­se aus der zeit­li­chen Ver­un­si­che­rung unse­res Selbst- und Welt­ver­ständ­nis­ses ent­ste­hen, sind sie für die Fach­di­dak­tik bedeutsam.

Aller­dings wer­fen die genann­ten Kate­go­rien natür­lich auch Fra­gen auf: “Race, Class und Gen­der” sind sämt­lich kei­ne zeit­über­grei­fend fest­ste­hen­den, von außen gege­be­nen Kon­zep­te und Unter­schei­dun­gen. An allen drei­en lässt sich das zei­gen. Die Ent­wick­lung nicht nur der Kate­go­rien von geschlecht­li­cher Dis­kri­mi­nie­rung, son­dern gera­de auch der wis­sen­schaft­li­chen Kon­zep­te, mit denen sie ana­ly­siert und behan­delt wer­den, ist das wohl bekann­tes­te Bei­spiel, aber auch in Bezug auf “Klas­sen” gilt, dass sie sozio­lo­gisch nicht ohne wei­te­res auf alle Zei­ten anwend­bar sind, die Zeit der Klas­sen­theo­rien sozia­ler Ungleich­heit galt bereits ein­mal als vor­bei zuguns­ten von Schich­ten und spä­ter Milieu-Theo­rien. Ob sie ange­sichts von Hartz IV und sich öff­nen­der Sche­re zwi­schen arm und Reich wie­der­kommt, sein dahin­ge­stellt. Und dass “race” ein Kon­zept ist, dass nicht ohne Refle­xi­on auf sei­ne Prä­mis­sen und Grund­kon­zep­te ver­wen­det wer­den kann, ist ange­sichts von Ras­sis­men mit ihren spe­zi­fi­schen Ras­sen­kon­zep­ten gera­de in Deutsch­land evi­dent. Mit ande­ren Wor­ten: Nie­mand – weder eine his­to­ri­sche Per­son als Teil des Gegen­stands eines Lern­pro­zes­ses, noch ein Mit­glied einer Lern­grup­pe oder ein(e) ander­wei­tig his­to­risch Den­ken­de® – kann mit die­sen Kate­go­rien ein­fach klas­si­fi­ziert werden.

Race, Class und Gen­der sind aber mehr als nur Bei­spie­le für varia­ble Ana­ly­se­kon­zep­te. Wenn sie his­to­risch gewen­det frucht­bar gemacht wer­den sol­len nicht nur für wis­sen­schaft­li­che Ana­ly­se, son­dern für rele­van­te Lern­pro­zes­se, dann müs­sen sie dif­fe­ren­ziert und reflek­tiert wer­den in didak­ti­scher Hinsicht.

Gera­de dafür sind wir heu­te hier. Mar­tin Lücke, Lehr­kraft für beson­de­re Auf­ga­ben im Arbeits­be­reich Didak­tik der Geschich­te am Fried­rich Meine­cke-Insti­tut der FU Ber­lin, zuvor Stu­di­en­rat an einem Ber­li­ner Gym­na­si­um, Mit­ar­bei­ter an Lehr­stüh­len in Leip­zig und Ber­lin, erscheint dafür genau der Richtige.

Er hat sein Lehr­amts­stu­di­um in Bie­le­feld absol­viert mit den Fächern Geschich­te und Deutsch, und sein Refe­ren­da­ri­at mit Zwei­tem Staats­examen in Ber­lin abge­legt. 2007 hat er an der Uni­ver­si­tät Bie­le­feld bei einer aus­ge­wie­se­nen Kol­le­gin der neue­ren Kul­tur­ge­schich­te (Mar­ti­na Kes­sel) pro­mo­viert über das The­ma “männ­li­che Pro­sti­tu­ti­on im Kai­ser­reich und Wei­ma­rer Repu­blik” und dafür auch meh­re­re Prei­se erhal­ten, dar­un­ter den Hed­wig-Hint­ze-Preis des Ver­ban­des der His­to­ri­ke­rin­nen und His­to­ri­ker Deutschlands.

Mar­tin Lücke hat sich dane­ben aber gera­de auch in der Fach­di­dak­tik inzwi­schen brei­ter auf­ge­stellt, etwa durch Ver­an­stal­tun­gen und Vor­trä­ge sowie Publi­ka­tio­nen zu spe­zi­fi­schen Medi­en beim his­to­ri­schen Ler­nen (Film), zur Theo­rie his­to­ri­schen Den­kens und Ler­nens (Stich­wort: Nar­ra­ti­vi­tät), Holo­caust und his­to­ri­sches Ler­nen, Zeit­ge­schich­te und vie­le ande­re The­men mehr.

Mein per­sön­li­ches Inter­es­se an dem nun fol­gen­den Vor­trag ist eines, das aus einer spe­zi­fi­schen Skep­sis ent­springt, ob und wie die Kate­go­rien der Diver­si­ty-Ansät­ze zu den den Kon­zep­ten inter­kul­tu­rel­len Ler­nens und Den­kens in Bezie­hung gesetzt wer­den kön­nen. Unter­lau­fen nicht die klas­si­fi­ka­to­ri­schen Sek­tio­nie­run­gen moder­ne, varia­ble Kul­tur­be­grif­fe – oder kön­nen und müs­sen sie viel­mehr als deren Kon­kre­ti­sie­rung auf­ge­fasst wer­den? Inter- und Trans­kul­tu­rel­lem Den­ken (im Sin­ne von W.Welsch etwa) und dem Diver­si­ty-Ansatz lie­gen sicht­bar ver­gleich­ba­re Pro­blem­ana­ly­sen und Inten­tio­nen zu Grun­de – ihre Instru­men­te sind aber zumin­dest nicht deckungs­gleich. Kann es sein, dass das “inter­kul­tu­rel­le Ler­nen” noch zu idea­lis­tisch erscheint und die Diver­si­ty-Stu­dies als Her­aus­for­de­rung und als Fort­füh­rung anti­ras­sis­ti­scher Ansät­ze dies ver­mei­den hel­fen? Ich bin gespannt. Ich will hier aber nicht eine neue Glie­de­rung über den Vor­trag legen, son­dern freue mich auf die spä­te­re Dis­kus­si­on und bit­te nun Mar­tin Lücke, uns die Diver­si­ty mit Blick auf his­to­ri­sches Den­ken und Ler­nen nahe zu bringen.

Herr Dr. Lücke, Sie haben das Wort!