Arbeitsbereich Geschichtsdidaktik / History Education, Universität Hamburg

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Neuer Beitrag zu erinnerungskulturellen Sinnbildungsleistungen in Gesprächen

10. November 2018 Andreas Körber Keine Kommentare

Clau­dia Lenz, Pro­fes­so­rin an der Nor­we­gi­an School of Theo­lo­gy, Reli­gi­on and Socie­ty, und 2009 – 2012 Co-Lei­te­rin the TEAC­MEM-Pro­jekts, hat gera­de zusam­men mit Peter Schrö­der einen neu­en Arti­kel zu gesprächs­wei­sen Sinn­bil­dun­gen zu Erin­ne­rungs­kul­tur veröffentlicht: 

Lenz, Clau­dia; Schrö­der, Peter (2018): “Orte, an denen man wach­sen kann” – Empi­ri­sche Rekon­struk­tio­nen von Sinn­zu­schrei­bun­gen im Zusam­men­hang mit der Eröff­nung zwei­er nor­we­gi­scher Gedenk­stät­ten. In: Forum Qua­li­ta­ti­ve Sozi­al­for­schung 19 (3), S. 1 – 54. DOI: 10.17169/fqs-19.3.2778.


Internationale Konferenz zur Erinnerungskultur in Ghana und Deutschland im Vergleich

30. September 2012 Andreas Körber Keine Kommentare

 

Vom 20. bis 24. Sep­tem­ber 2012 fand in Ham­burg die vom Arbeits­be­reich Geschichts­di­dak­tik der Uni­ver­si­tät Ham­burg gemein­sa­me mit dem Stu­di­en­zen­trum der KZ-Gedenk­stät­te Neu­en­gam­me und der Mis­si­ons­aka­de­mie an der Uni­ver­si­tät Ham­burg ver­an­stal­te­te inter­na­tio­na­le Kon­fe­renz “Struc­tures and Pro­ces­ses of Com­me­mo­ra­ting Cruel­ties in Aca­de­me and Histo­ry Tea­ching: The com­me­mo­ra­ti­on of the Trans­at­lan­tic Slave Trade and of the Natio­nal Socia­list Cri­mes in Com­pa­ri­son” statt.

Die Kon­fe­renz hat­te zum Ziel, Struk­tu­ren und For­men des öffent­li­chen Erin­nerns in Deutsch­land an die natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ver­bre­chen in Deutsch­land und Euro­pa und die­je­ni­gen der öffent­li­chen Prä­sen­ta­ti­on der Geschich­te des Trans­at­lan­ti­schen Skla­ven­han­dels (wie auch der ein­hei­mi­schen Skla­ve­rei) in Gha­na sowie die gegen­wär­ti­ge Rol­le die­ser The­men in schu­li­schem und uni­ver­si­tä­rem Geschichts­ler­nen zu ver­glei­chen und auf die didak­ti­schen Poten­tia­le gera­de auch des Ver­gleichs hin aus­zu­lo­ten. Dabei wur­de auch die Bedeu­tung von Reli­gi­on und reli­giö­sem Den­ken sowohl für die Skla­ve­rei, den Skla­ven­han­del und ihre Über­win­dung als auch für his­to­ri­sches Den­ken und Erin­nern sowie Ler­nen an die­sem Gegen­stand thematisiert.

Die The­ma­tik der Tagung ent­sprach einer gemein­sa­men Idee von Prof. Dr. Kofi Dark­wah von der Uni­ver­si­ty od Edu­ca­ti­on in Win­ne­ba/​Ghana und Prof. Dr. Andre­as Kör­ber. Sie wur­de in enger Zusam­men­ar­beit mit Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen meh­re­rer Uni­ver­si­tä­ten in Gha­na von Jan Brei­ten­stein, Dok­to­rand der Geschichts­di­dak­tik an der Uni­ver­si­tät Ham­burg, vor­be­rei­tet und organisiert.

Refe­ren­ten der Tagung waren:

  • Dr. Kofi Baku (Uni­ver­si­ty of Gha­na, Legon; Head of Histo­ry Depart­ment): “Memo­ry and Memo­ri­a­li­sing Slavery and Slave Trade in Gha­na: Who­se memo­ry, Which memo­ri­als and for What Purpose?”
  • Prof. Dr. Andre­as Kör­ber (Ham­burg Uni­ver­si­ty):  “His­to­ri­cal Remem­be­ring and Lear­ning at Memo­ri­als in Ger­ma­ny” and a Cam­pus-Tour on “Decen­tra­li­zed Remem­be­ring of the Cri­mes of Natio­nal Socialism”
  • Prof. Dr. Eliza­beth Amo­ah (Uni­ver­si­ty of Gha­na, Legon;): “Reli­gi­on and Slavery in Ghana”
  • Prof. Dr. Wer­ner Kahl (Aca­de­my of Mis­si­on, Ham­burg): “Theo­lo­gy after Ausch­witz: Whe­re is god? — Expe­ri­en­ces and reflec­tions of Afri­can migrant pas­tors in Neuengamme.”
  • Dr. Ako­sua Per­bi (Uni­ver­si­ty of Gha­na, Legon;): “Slavery in Gha­na: The Unf­or­got­ten Past”
  • Ulri­ke Jen­sen and Mar­co Küh­nert (Neu­en­gam­me Con­cen­tra­ti­on Camp Memo­ri­al): Gui­ded Tour
  • Dr. Oli­ver von Wro­chem (Neu­en­gam­me Con­cen­tra­ti­on Camp Memo­ri­al Stru­dy cent­re): “Neu­en­gam­me as a Memo­ri­al and Place for His­to­ri­cal Learning”
  • Nicho­las Ivor (Head of the Gha­na Muse­ums and Monu­ments Boards (GMMB) for the Cen­tral and Wes­tern Regi­ons): “Cape Coast Cast­le as a Memo­ri­al and Place for His­to­ri­cal Learning”
  • HMJo­ki­nen (Ham­burg): “Wands­bek World White Revi­si­ted” (com­me­mo­ra­ti­ve performance)
  • Prof. Dr. Klaus Weber (Euro­pa-Uni­ver­si­tät Via­dri­na, Frankfurt/​Oder): “The­re were many Schim­mel­manns: Hamburg’s and Cen­tral Europe’s Links with the Atlan­tic Slave Trade and Plan­ta­ti­on Eco­no­mies, 16th to the 19th Centuries”
  • Jan Brei­ten­stein (Ham­burg Uni­ver­si­ty): “Per­for­ma­ti­ve Com­me­mo­ra­ting and Fluid­Re­mem­be­ring of the Trans­at­lan­tic Slave Trade: Impul­se or Frame­work for (pro­cess-ori­en­ted) His­to­ri­cal Learning?”
  • Dr. Yaw Ofu­su-Kusi (Uni­ver­si­ty of Edu­ca­ti­on, Win­ne­ba/​Ghana): “Vio­la­ti­ons of Child­hood through Ens­lavement of Child­ren in West Afri­ca: Past, Pre­sent and the Future.”
  • Prof. Dr. (em.) Bodo von Bor­ries (Uni­ver­si­tät Ham­burg): „Trans­at­lan­tic Slave Trade“ and „German/​ Euro­pean Holo­caust“ as Mas­ter Nar­ra­ti­ves – Edu­ca­ti­on in bet­ween Com­me­mo­ra­ti­on of Geno­ci­des and Neces­si­ty of Human Rights.”
  • Dr. Felix Duo­du (Uni­ver­si­ty of Edu­ca­ti­on, Win­ne­ba/​Ghana): “The rele­van­ce of socie­tal diver­si­ty for Inter eth­nic (histo­ry) Tea­ching in Ghana.”
  • Dr. Clau­dia Lenz (The Euro­pean Wer­ge­land Cent­re, Oslo/​Norway): “Com­pe­tence ori­en­ted his­to­ri­cal lear­ning as inter­cul­tu­ral lear­ning – expe­ri­en­ces from the Teac­Mem pro­ject.”
  • Joke van der Lee­uw-Roord (Euro­clio, The Hague): “Chan­ging His­to­ri­cal Lear­ning in Schools and its impli­ca­ti­ons for Tea­ching about Slavery and Natio­nal Socialism”
  • Emma­nu­el Koom­son (Afri­can Chris­ti­an Mis­si­on A.C.M. Juni­or High School, Winneba/​Ghana): “Slave Trade and its Com­me­mo­ra­ti­on as a Topic for His­to­ri­cal Lear­ning in Ghana.”
  • Hil­de­gard Wacker (Gym­na­si­um Cor­vey­stra­ße, Ham­burg and Ham­burg Uni­ver­si­ty): “Natio­nal Socia­lism and its Com­me­mo­ra­ti­on as a Topic for His­to­ri­cal Lear­ning in Germany.”

 

Deutschtürkische Migranten und Holocaust-Erinnerung

23. Januar 2010 Andreas Körber 1 Kommentar

Die Fra­ge, ob und wie die Kul­tur (durch­aus auch im Sin­ne von Pfle­ge) der Erin­ne­rung an den Holo­caust, die Teil des (durch­aus müh­sam und bei wei­tem nicht abschlie­ßend errun­ge­nen) Selbst­ver­ständ­nis­ses der Bun­des­re­pu­blik ist, für Migran­ten anders gedacht und ihnen gegen­über anders ver­mit­telt wer­den soll, ist nicht ein­fach zu beant­wor­ten. Einer­seits sind “die Migran­ten” (die es also ein­heit­li­che Grup­pe gar nicht gibt) davon nicht “nicht betrof­fen”, ande­rer­seits kön­nen sie aber auch nicht ein­fach als von den “auto­chtho­nen Deut­schen” (die eben­falls alles ande­re als ein­heit­lich sind) unun­ter­schie­den gedacht werden.

Es bedarf also wohl einer erhöh­ten Auf­merk­sam­keit gegen­über kul­tu­rel­len Dif­fe­ren­zen und ihrer Bedeu­tung für his­to­ri­sches Ori­en­tie­ren und Den­ken, ohne die­se Dif­fe­ren­zen in irgend­ei­ner Wei­se vor­zu­ge­ben und zuzuschreiben.

In die­sem Zusam­men­hang ist ein Arti­kel inter­es­sant, der die­se Woche in DIE ZEIT erschie­nen ist, und der sich mit dem Ver­hält­nis deutsch­tür­ki­scher Jugend­li­cher (nicht: “der Deutsch­tür­ken”) zum Holo­caust und zur Holo­caust-Erin­ne­rung beschäftigt:

Top­cu, Özlem; Wefing, Hein­rich: “Bist Du Jude?” In: DIE ZEIT Nr. 4; 21.1.2010.

Bit­te auch die bei­den ver­link­ten wei­te­ren Arti­kel beach­ten — und die Kom­men­ta­re der Leser, die zum Teil tie­fe Ein­bli­cke in die (vor­han­de­nen oder feh­len­den) Fähig­kei­ten von Lesern geben, mit den Kon­zep­ten von his­to­ri­scher Iden­ti­tä­ten umzugehen.

Geschichtslernen an Stolpersteinen

28. Dezember 2009 Andreas Körber Keine Kommentare

Im Rah­men eines Semi­nars zu “Lern­or­ten” haben sich Arbeits­grup­pen mit den inzwi­schen in vie­len Städ­ten Deutsch­lands ver­leg­ten “Stol­per­stei­nen” des Köl­ner Künst­lers Gun­ter Dem­nig als For­men der Erin­ne­rung und Orten für bzw. Gegen­stän­den des Ler­nens beschäftigt.

Dabei ist mir auf­ge­fal­len, dass offen­kun­dig ein Grund­mus­ter der “Didak­ti­sie­rung” dar­in besteht, die Stol­per­stei­ne zum Anlass zu neh­men, die kon­kre­ten Bio­gra­phien der Opfer von Depor­ta­ti­on und Ver­nich­tung, an die sie erin­nern, zum eigent­li­chen Gegen­stand des Ler­nens zu machen. Die Beschäf­ti­gung mit den kon­kre­ten Men­schen, so die Argu­men­ta­ti­on, ermög­li­che eine ler­nen­de Refle­xi­on auf die Aus­wir­kun­gen der Poli­tik des Natio­nal­so­zia­lis­mus auf kon­kre­te Men­schen, auf die Bedin­gun­gen von Han­deln und Lei­den, und somit auch ein Ler­nen, wel­ches die eige­ne Per­son, die Ori­en­tie­rung, in den Mit­tel­punkt stel­le — weni­ger die tro­cke­nen “Fak­ten”.

Ich will die­se Form der Didak­ti­sie­rung, wel­che eine Par­al­le­le zum “bio­gra­phi­schen Arbei­ten” in der Gedenk­stät­ten­päd­ago­gik dar­stellt, nicht infra­ge stel­len, möch­te aber doch eini­ge skep­ti­sche Fra­gen und eine mög­li­che Alter­na­ti­ve skizzieren:

    • Besteht nicht bei solch einem Anlass — gera­de bei jün­ge­ren Schüler(inne)n — die Gefahr eine Über­wäl­ti­gung durch eine Opfer­ge­schich­te, wel­che den eige­nen Ver­ar­bei­tungs­ho­ri­zont übersteigt?
    • Was wäre das gewünsch­te Lern­ziel? Iden­ti­fi­ka­ti­on mit den Opfern? 
      1. Wohl kaum im Sin­ne einer Pro­jek­ti­on in die Opfer hinein.
      2. auch wohl kaum im Sin­ne einer Ver­en­gung des Nach­den­kens über das Gesche­hens aus einer (an Hand von Quel­len) re-kon­stru­ier­ten oder nach­emp­fun­de­nen Opferperspektive.
        1. dass Erin­nern an Ver­gan­ge­nes in die­ser Gesell­schaft in ganz unter­schied­li­chen For­men statt findet
        2. dass das sei­nen Grund hat
        3. dass die­ses Erin­nern und sei­ne For­men kei­nes­wegs immer schon da waren und selbst­ver­ständ­lich sind, son­dern dass um sie gerun­gen wird, dar­über diskutiert,
        4. dass Erin­nern nicht ein­fach “fer­tig” ist, wenn ein Denk­mal, ein Gedenk­stein, eine Stol­per­stein liegt, son­dern dass es um ein immer neu­es Nach-Den­ken geht.

      Es ist somit m.E. mög­lich, gera­de auch im Geschichts­un­ter­richt über das Geden­ken und Erin­nern, über For­men der Ver­ge­gen­wär­ti­gung von Ver­gan­gen­heit als Teil des gegen­wär­ti­gen Umgangs der Gesell­schaft zu lernen.

Dies wür­de kaum den For­de­rung ent­spre­chen, dass Geschichts­un­ter­richt zur Ori­en­tie­rung der eige­nen Iden­ti­tät und des eige­nen Han­delns die­nen soll.

Mei­nes Erach­tens bie­ten die Stol­per­stei­ne gera­de dann einen guten Ansatz­punkt zu his­to­ri­schem Ler­nen, wenn man nicht vor­schnell ihrem Ver­weis auf die kon­kre­ten Opfer folgt, son­dern sie zunächst als das ernst und in den Blick nimmt, was sie sind: For­men der Aus­ein­an­der­set­zung der gegen­wär­ti­gen Gesell­schaft mit der Ver­gan­gen­heit, auf die sie ver­wei­sen — und mit sich selbst, als umstrit­te­ne For­men der Erin­ne­rungs­kul­tur zu einer umstrit­te­nen Vergangenheit.
Die­ser Logik zufol­ge müss­ten zunächst die Stol­per­stei­ne selbst Gegen­stand des Ler­nens wer­den — die Tat­sa­che, dass sie an bestimm­ten Orten lie­gen, dass die­ses kei­nes­wegs selbst­ver­ständ­lich ist, dass es Men­schen gibt, die sich dafür ein­set­zen (und ihre Argu­men­te) und sol­che, die dage­gen sein — aus ver­schie­de­nen Grün­den, von pro­fa­nen, erin­ne­rungs­kul­tu­rell gedan­ken­lo­sen (etwa Furcht um die Beein­träch­ti­gung des Geschäfts vor dem ein Stein liegt) über emi­nent his­to­ri­sche (etwa Scham über das eige­ne Weg­se­hen damals, aber auch über die eige­ne erin­ne­rungs­kul­tu­rel­le Untä­tig­keit oder Zöger­lich­keit) bis hin zu poli­ti­schen (Leug­nung des Gesche­hens, Abwehr die­ser Form der ‘Schuld­prä­sen­ta­ti­on’) — aber auch zu unter­schied­li­chen erin­ne­rungs­kul­tu­rel­len Sym­bo­li­ken und Wer­tun­gen (s. Zen­tral­rat der Juden, Stadt Mün­chen, Sin­ti und Roma).
Durch die zunächst auf die Gegen­wart bli­cken­de Erschlie­ßung der Stol­per­stei­ne in ihrer Pro­gram­ma­tik und Sym­bo­lik, poli­ti­schen Bedeu­tung, den Pros und Con­tras erst wird der Blick auf die kon­kre­ten Men­schen gelenkt, derer gedacht wird. Das ist m.E. nur auf den ers­ten Blick eine “Instru­men­ta­li­sie­rung”, bei genaue­rem Hin­se­hen viel­mehr eine “Auf­wer­tung”. Die­se Men­schen wer­den dann näm­lich als Men­schen Gegen­stand his­to­ri­scher Betrach­tung und his­to­ri­schen Ler­nens, die die­ser Gesell­schaft etwas bedeu­ten (wenn auch unter­schied­li­ches), nicht als von außen (dem Leh­rer, der Initia­ti­ve, den Autoren eines Begleit­hefts) vor­ge­ge­be­ne Beispiele.
Ein sol­ches Vor­ge­hen, das von der gegen­wär­ti­gen Umstrit­ten­heit aus­geht, von der gegen­wär­ti­gen Erin­ne­rungs­kul­tur mit ihren Ver­wer­fun­gen und Debat­ten, ermög­licht es m.E. auch, das Ler­nen über den Holo­caust und die Depor­ta­tio­nen in eine län­ge­re Pro­gres­si­on zu über­füh­ren. Mit jün­ge­ren Schü­le­rin­nen und Schü­lern könn­te somit zunächst noch ohne die Gefahr der Über­for­de­rung und Über­wäl­ti­gung die Tat­sa­che the­ma­ti­siert werden,