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Die Bei­trä­ge zum Geschichts­un­ter­richt in den Zei­tun­gen wer­den häu­fi­ger — siche­res Zei­chen, dass der His­to­ri­ker­tag naht.

Ges­tern beklag­te der Vor­sit­zen­de des Ver­ban­des der His­to­ri­ker und His­to­ri­ke­rin­nen Deutsch­lands, Mar­tin Schul­ze-Wes­sel, in der FAZ den Zustand des Geschichts­un­ter­richts (sie­he “Wie die Zeit aus der Geschich­te ver­schwin­det“ von Mar­tin Schul­ze Wes­sel, FAZ v. 14.9.2016, S. N 4 — nun auch hier ver­füg­bar). Heu­te ant­wor­te­te dar­auf auf Face­book der Vor­sit­zen­de der Kon­fe­renz für Geschichts­di­dak­tik, Tho­mas Sand­küh­ler, mit einer Replik, um deren Abdruck er die FAZ gebe­ten habe (https://​www​.face​book​.com/​t​h​o​m​a​s​.​s​a​n​d​k​u​h​l​e​r​.​5​/​p​o​s​t​s​/​6​7​5​9​2​1​9​6​2​5​7​2​288; auch hier: https://​archi​va​lia​.hypo​the​ses​.org/​5​9​201). Ich habe (als Kom­men­tar zu sei­ner Replik) eben­falls dazu Stel­lung genommen:

 

Vie­len Dank für die­sen Kom­men­tar, der sehr nötig ist. Mich wun­dert und ärgert auch, dass an meh­re­ren Stel­len der Debat­te die all­ge­mei­ne (fachun­spe­zi­fi­sche oder an ande­ren Fächern) ent­wi­ckel­te Kri­tik an der Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung als zutiefst neo­li­be­ral und nur auf Ver­wer­tung aus­ge­rich­tet, umstands­los auch die Geschichts­di­dak­tik über­tra­gen wird (“zutiefst öko­no­mis­ti­schen Theo­rien ver­pflich­tet”, Schul­ze Wes­sel). Ob sie für eini­ge oder alle ande­ren Fächer frag­los gül­tig ist, kann ich nicht abschlie­ßend beur­tei­len — wenn immer sie zu einem “tea­ching to the test” führt, liegt der Ver­dacht nahe, dass (noch) nicht mess­ba­res aus dem Umkreis des­sen, was als “Bil­dung” gedacht ist, aus­ge­schlos­sen wird.
Aber mir ist kein Kom­pe­tenz­mo­dell, ja kei­ne Idee von Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung in der Geschichts­di­dak­tik bekannt, das in der Tat so begrün­det wäre.
Viel­mehr haben alle mir bekann­ten Kom­pe­tenz­mo­del­le (mir durch­aus bemer­kens­wer­ten Unter­schie­den) ver­sucht, den “Auf­trag” der Kli­e­me-Kom­mis­si­on ernst zu neh­men, den Bil­dungs­bei­trag des jewei­li­gen Faches unre­du­ziert aus der Tra­di­ti­on und/​oder Theo­rie der Dis­zi­plin zu bestim­men und “Kom­pe­ten­zen” nicht als Reduk­ti­ons­mo­dell, son­dern als Aus­schär­fung zu nut­zen für eine Ori­en­tie­rung, die vor­her mit dem “Geschichts­be­wusst­sein” eben auch nicht deut­lich struk­tu­riert war (man den­ke etwa an die Arbei­ten von Robert Thorp zur Viel­falt bzw. Unklar­heit des­sen, was jeweils unter Geschichts­be­wusst­sein ver­stan­den wur­de). Die­se Aus­schär­fung und Kon­kre­ti­sie­rung ist durch­aus unter­schied­lich ange­gan­gen wor­den, auch unter­schied­lich gut gelun­gen) und auch wei­ter­hin strit­tig — aber ein Kotau vor neo­li­be­ra­lem Den­ken war und ist sie in der Geschichts­di­dak­tik nicht.
Pro­ble­ma­tisch waren/​sind viel eher (nicht nur) frü­he Ver­su­che, mit vor­ei­li­gem “Umgie­ßen” inhalt­lich defi­nier­ter Bil­dungs­zie­le in Kom­pe­tenz­mo­del­le und ihre Sprach­for­men das Fach vor der Ent­wer­tung zu schüt­zen (vgl. die Arbeit von Mar­tin Sach­se aus dem baye­ri­schen Kul­tus­mi­nis­te­ri­um, der Geschichts­un­ter­richt ohne Kom­pe­ten­zen als Geschichts­un­ter­richt zwei­ter Klas­se sah). Das war ja auch das Ansin­nen des ganz frü­hen, nur auf der Behör­de­n­ebe­ne erar­bei­te­ten ers­ten Ent­wurfs von Stan­dards, den ein Kol­le­ge dann ein­mal halb­öf­fent­lich zer­riss. Dort wur­den in der Tat nur “Inhal­te” als Stan­dards aus­ge­ge­ben, wo doch durch Kom­pe­tenz­mo­del­le unter­leg­te “per­for­mance stan­dards” die “con­tent stan­dards” der vor­ge­ri­gen “input”-Steuerung ergän­zen sollten.

Bei Schul­ze Wes­sel klingt eben auch an, die Ori­en­tie­rung auf einen “out­co­me” (des Kön­nens und Ver­fü­gens über Kon­zep­te etc.) habe alle Inhal­te ablö­sen sol­len. Nein, Inhal­te (bes­ser: Gegen­stän­de) soll­te es natür­lich wei­ter geben, aber _​an_​ ihnen soll­ten und sol­len eben auch auf neue Gegen­stän­de über­trag­ba­re Kom­pe­ten­zen ver­mit­telt wer­den. Die­se Dop­pel­struk­tur hat übri­gens gleich 2007 Bodo von Bor­ries in unse­rem FUER-Band (Körber/​Schreiber/​Schöner 2007) reflek­tiert: (inhalt­li­ches) Kern­cur­ri­cu­lum UND auf Fähig­kei­ten etc. gerich­te­te Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung miteinander.

Und dass die Kom­pe­tenz­mo­del­le dar­in über­ein­stimm­ten, “die der Geschich­te eigent­lich zugrun­de­lie­gen­de Kate­go­rie des Gewor­den­seins, die sich nur in lan­gen zeit­li­chen Zusam­men­hän­gen auf­spü­ren lässt, zuguns­ten von funk­tio­na­len Betrach­tun­gen der Geschich­te par­ti­ell oder ganz auf­zu­ge­ben” ist wohl auch einem grund­le­gen­den Miss­ver­ständ­nis der Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung geschul­det: Ihr (zumin­dest unse­rem Kom­pe­tenz­mo­dell) geht es gera­de dar­um, die zeit­li­chen Kate­go­rien (gera­de auch die der Gewor­den­heit) nicht impli­zit im ledig­lich dar­ge­stell­ten Nar­ra­tiv zu belas­sen, son­dern Keta­go­rien die­ser Art, die Geschich­te als beson­de­re, zeit­re­fle­xi­ve Denk­leis­tung erst kon­tu­rie­ren, expli­zit zum Gegen­stand des unter­richt­li­chen Nach­den­kend und Ler­nens zu machen. Auch die “Ana­chro­nis­mus­fal­le” lässt sich recht eigent­lich nur nur und nicht ein­mal vor­nehm­lich dadurch ver­mei­den, dass man die Kennt­nis des Vor­he­ri­gen hat — die braucht es unbe­dingt — aber es braucht auch eine Refle­xi­on über das Kon­zept des Ana­chro­nis­mus und sei­ner Alter­na­ti­ven, näm­lich der Über­trag­bar­keit von his­to­ri­schen Phä­no­me­nen, ihrer Leis­tun­gen und Grenzen.
Dann wür­de man im Übri­gen nicht nur die Auf­ga­be, sich in Otto Wels’ Lage zu ver­set­zen und dar­über nach­zu­den­ken, was man an sei­ner Stel­le tun wür­de, “bes­ser” voll­zie­hen kön­nen, man könn­te und müss­te auch etwas dazu sagen kön­nen, inwie­fern die­se Auf­ga­be nur durch Refle­xi­on dar­auf, dass man sich mit dem “bene­fit of hind­sight” gar nicht wirk­lich in sei­ne Lage ver­set­zen kann, son­dern immer nur hypo­the­tisch in Kennt­nis des Spä­te­ren dar­über nach­den­ken kann. Das wäre dann in der Tat ein Aus­druck his­to­ri­scher Kom­pe­tenz — mit kate­go­ria­len Argu­men­ten eine gestell­te Auf­ga­be nicht nur aus­zu­füh­ren, son­dern über die Impli­ka­tio­nen der Auf­ga­be nach­den­ken zu kön­nen und in der Ant­wort viel­leicht gera­de nicht nur aus der Per­spek­ti­ve von Wels zu ant­wor­ten, son­dern in Refle­xi­on auf die­se zur rekon­stru­ier­ba­re Perspektive.