„Der Erste Weltkrieg ist fester Bestandteil des Geschichtsunterrichts. Die dabei verfolgten Lernziele haben sich im Laufe der Zeit immer mehr von konkreten ereignis- und verlaufs- orientierten Inhalten hin zu dem Anliegen entwickelt, das Leiden der Menschen und den menschenverachtenden Charakter des neuartigen Krieges in den Mittelpunkt zu stellen. Eine solche Perspektive lässt vielfältige kulturgeschichtliche Fragestellungen zu, die neue Herangehensweisen bei der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und ihren historischen Akteuren erfordern.“

Mit diesen Worten eröffnet das LVR-Industriemuseum Oberhausen die Ankündigung einer Fortbildung, die sich an „Unterrichtende[.] des Faches Geschichte aller Ausbildungsphasen und Qualifikationsstufen“ richtet, mit dem Ziel, ihnen „aktuelle Forschung und die Arbeit mit neuen Quellen zu ausgewählten Themen zunächst in Fachvorträgen vorzustellen“ und in „anschließenden Workshops“ gemeinsam mit ihnen „Umsetzungsmöglichkeiten im Unterricht“ zu reflektieren, wobei „Fragestellungen, Zugänge und Methoden diskutiert und Materialien präsentiert“ werden, „die geeignet sind, den Schülerinnen und Schülern neue und spannende Facetten historischer Lebenswelten zu erschließen.“

Die Formulierung weist — insofern sie nicht die didaktische Diskussion, sondern die Realität des Geschichtsunterrichts und seiner Entwicklung zutreffend beschreibt — auf einen nicht gering zu schätzenden, sondern zu unterstützenden Fortschritt im Geschichtslernen hin und ist gar noch zurückhaltend formuliert. Die „konkreten ereignis- und verlaufs-orientierten Inhalte“ waren ja oftmals nicht Ausdruck einer Orientierung an wissenschaftlicher Neutralität und Objektivität, sondern — neben ebenso zu findenden manifest feindseligen Instrumentalisierungen — vielmehr Instrument einer Nationalerziehung mittels „Vermittlung“ der in nationalen Kategorien als die „eigene“ gesehen Auffassung im Gewande einer betont sachlichen Darstellung.

Nicht zuletzt durch die schon in der Zwischenkriegszeit einsetzenden (damals noch zeitlich wie sozial nur begrenzt wirksamen) Bemühungen um eine „Entgiftung“ der Schulbuchdarstellungen (damals von Siegfried Kawerau, nach dem Zweiten Weltkrieg von Georg-Eckert in dem von ihm aufgebauten und im später nach ihm benannten Schulbuchinstitut vorangetrieben), aber auch durch die sozialhistorische Kritik am historischen Denken des deutschen Idealismus (Georg Iggers) und schließlich durch Bemühungen vieler sozial- wie alltagshistorisch orientierter Didaktiker und Lehrer.

Gleichwohl — mit den dabei zu Recht abgelehnten und hoffentlich in der Tat weitestgehend überwundenen national- ethnozentrischen Konzepten haben auch die in der Fortbildungsankündigung erwähnten und in der Veranstaltung in kulturwissenschaftlicher Richtung fortzuschreibenden didaktischen Konzepte gemeinsam, dass in ihnen eine bestimmte Deutung und Wertung den Lernenden präsentiert, mit Materialien plausibel, methodisch aufgeschlossen, in den besten Fällen auch zur Reflexion eröffnet wird. Dieser letztlich — in der Terminologie des FUER-Kompetenzmodells — „re-konstruktive“ Zugriff ist — das sei noch einmal betont — richtig und wichtig. Er wird zudem gerade auch angesichts der erweiterten Möglichkeiten durch die neuen Medien nicht nur inhaltlich, sondern auch methodisch vorangetrieben werden (müssen), wie derzeit etwa unter anderem (mit Bezug auf die Europeana 1914-1928-Sammlung) Daniel Bernsen in seinem Blog argumentiert: („Working with the Europeana 1914-18 collections in the history classroom – Part 1/3: Scarcity vs. abundance.“ In: Medien im Geschichtsunterricht 1.2.2014)

Aber es reicht meines Erachtens nicht aus. Gerade die derzeit wieder lebhafte Debatte (nicht nur) in England und Deutschland um Ursache und Schuld am Ersten Weltkrieg, die ja gerade nicht mehr allein eine Auseinandersetzung zwischen einer „deutschen“ und einer „englischen“ Position ist und auch nicht mit den Kategorien einer „linken“ vs. einer konservativen Geschichtsschreibung und -interpretation erschlossen werden kann, die die „nationalen“ Perspektiven und Positionen überlagern würden, sondern bei welcher höchst aktuelle Vorstellungen über die Europäische Union, die Rolle Deutschlands in Europa eine Rolle spielen, verdeutlicht, dass es bei Geschichte (zumal „in der Gesellschaft“) nie allein um Aspekte der „vergangenen Lebenswelten“ geht, auch wenn es innovative und solche sind, welche humanistische Kriterien anwenden.

Nötig ist vielmehr (nicht als Ersatz, aber als Ergänzung) der genannten innovativen Ansätze die (de-konstruktive) Thematisierung der öffentlichen Diskussionen um die Vergangenheit, die ihr zugewiesene Bedeutung und die Deutungen, die ihr zuteil werden. Dabei muss mehr und anderes in den Blick kommen und als Material zur deutenden und urteilenden Erschließung bereitgestellt werden als möglichst eindeutige und gut erschließbare Quellen und Darstellungen. Multiperspektivität ist dann — wie es die didaktische Theorie seit langem fordert — mehr als ein Mittel zur bestmöglichen Annäherung an die vergangene Wirklichkeit und ihre Komplexität, sondern wird als Merkmal das gesellschaftlichen Geschichtsdebatte selbst unhintergehbar.

Da gleiche gilt aber wiederum für die zeitliche, die historische Dimension: Eine gewissermaßen nur zwei Zeitebenen in den Blick („damals“ und „heute“) nehmende Aufbereitung reicht nicht aus, vielmehr müssen die heutigen Positionen und Perspektiven in Relation gesetzt werden zu solchen mehrerer Zeitebenen seit dem thematisierten Ereignis. Die Artikel der gegenwärtigen Debatte (also etwa der Beitrag von Geppert/Neitzel/Stephan/Weber mit den Antworten von Ullrich und/oder Herzinger, aber auch die von bzw. über Michael Gove, Tristram Hunt, Boris Johnson, Richard Evans) — samt ihren Bezügen aufeinander — bildeten somit nur eine „Schicht“ des relevanten Materials. Dazu gehören dann — als eine weitere Schicht — auch relevante Auszüge der „Fischer-Kontroverse“, und — nicht zuletzt — explizite Reflexionen der verwendeten Konzepte und Begriffe.