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Der­zeit fin­det eine inten­si­ve Debat­te um die Imple­men­ta­ti­on der Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung des Geschichts­un­ter­richts durch die Richt­li­ni­en ver­schie­de­ner Län­der statt.

Hier kön­nen nicht alle Bei­trä­ge ver­zeich­net, wohl aber eini­ge Hin­wei­se gege­ben werden:

In die­ser Aus­ein­an­der­set­zung scheint (bei aller Aktua­li­tät der Kon­zep­te) ein altes Mus­ter wie­der­zu­keh­ren — näm­lich die Debat­te nach dem Vor­rang bzw. dem Ver­hält­nis von “Inhal­ten” 2 und “Metho­den”, bzw. mate­ria­ler Bil­dung und for­ma­ler Bil­dung. Vie­le AUtoren (dar­un­ter der VHHD, der VGD) sehen in der Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung offen­kun­dig eine Kon­kur­renz zu den “Inhal­ten” und die Gefahr von deren Ver­drän­gung und ver­lan­gen die Bei­be­hal­tung fes­ter Inhaltskanones.

Das ist in mehr­fa­cher Wei­se irrig:

  1. Kom­pe­ten­zen kön­nen “Inhal­te” nicht erset­zen. Sie kön­nen immer nur an “Inhal­ten” erworben(bzw. ela­bo­riert)  wer­den und sich an “Inhal­ten” bewäh­ren. Dies müs­sen aber ande­re Inhal­te sein. Kom­pe­tenz­ori­en­tier­ter Unter­richt zielt nicht zen­tral dar­auf ab, dass Fähig­kei­ten an genau den Inhal­ten gezeigt wer­den kön­nen, die im Unter­richt Gegen­stand waren, schon gar nicht, dass bestimm­te Begrif­fe, Deu­tun­gen, Erklä­run­gen und Urtei­le, die im Unter­richt den Schü­lern nahe­ge­bracht wur­den, von die­sen “genannt”, “erklärt” bzw. “erläu­tert” bzw. dass kon­kre­te Urtei­le wie­der­ge­ben wer­den (etwas “als etwas” beur­tei­len). Dies ist genau die Stel­le, wo ver­meint­lich kom­pe­tenz­ori­en­tier­ter Unter­richt bei Per­for­man­zen ste­hen bleibt (so rich­tig HEIL 2010), oder wo Vor­ga­ben in “Bil­dungs­stan­dards” indok­tri­na­tiv wer­den. 3
  2. Wenn Kom­pe­ten­zen an “Inhal­ten” erwor­bern wer­den, sind natür­lich auch Wis­sens­be­stän­de zu die­sen kon­kre­ten Inhal­ten zu ler­nen und zu behal­ten — aber nur par­ti­ell als Selbstzweck.
  3. Nie­mand hat bestrit­ten, dass neben Kom­pe­tenz­mo­del­len und (wenn es denn zu sinn­vol­len For­mu­lie­run­gen kom­men woll­te) per­for­mace stan­dards auch Gegen­stän­de auf dem Wege gesell­schaft­li­cher Kon­ven­ti­on und amt­li­cher Ver­ord­nung als ver­bind­lich fest­ge­legt wer­den dür­fen. Die­se aber gehö­ren nicht in die Kom­pe­tenz­mo­del­le hin­ein — gera­de weil Kom­pe­ten­zen über­trag­ba­re Fähig­kei­ten sind. Und sie dür­fen in einem Unter­richt, der nicht Geschichts­bil­der, ‑deu­tun­gen und ‑urtei­le übermit­teln (son­dern viel­mehr zwi­schen Geschichts­bil­dern, his­to­ri­schen Denk­wei­sen, Urtei­len, Ver­ständ­nis­sen etc. in der Gesell­schaft durch Kom­pe­tenz­för­de­rung ver­mit­teln und die Ler­nen­den zu ihrer dau­ern­den Ver­mitt­lung befä­hi­gen will) nicht detail­liert ein unbe­frag­tes, mon­o­per­spek­ti­ti­vi­sches sowie fach­wis­sen­schaft­lich ver­al­te­tes Mas­ter Nar­ra­ti­ve bzw. Geschichts­bild vor­schrei­ben, son­dern müs­sen viel­mehr gesell­schaft­lich rele­van­te (weil deu­tungs­kon­tro­ver­se, frag-wür­di­ge) Gegen­stän­de so for­mu­lie­ren, dass mul­ti­per­spek­ti­vi­sches, kon­tro­ver­ses und plu­ra­les Ler­nen an ihnen mög­lich wird.
  4. Gefor­dert sind also Richt­li­ni­en, wel­che in Kom­pe­tenz­mo­del­len die von Ler­nen­den zu erwer­ben­den Kom­pe­ten­zen (mit Niveau­de­fi­ni­tio­nen) beschrei­ben und in Kern­cur­ri­cu­la weni­ge umfas­sen­de, gesell­schaft­lich hoch­gra­dig bedeu­ten­de, weil ori­en­tie­rungs­re­le­van­te Pro­blem­fel­der defi­nie­ren. Die­se müs­sen dann mit­ein­an­der ver­schränkt wer­den, so dass Kom­pe­tenz­er­werb und “Behand­lung” von “Inhal­ten” nicht neben- oder gar nach­ein­an­der gesche­hen, son­dern aneinander.
  5. Ob und inwie­weit die­se Ver­schrän­kung in Richt­li­ni­en selbst zu leis­ten ist, ob also Vor­ga­ben gemacht wer­den sol­len, an wel­chen Gegen­stän­den wel­che Kom­pe­ten­zen zu erwer­ben bzw. auf ein höhe­res Niveau zu brin­gen sind — oder ob die­ses den Fach­kon­fe­ren­zen oder gar der ein­zel­nen Lehr­kraft über­las­sen bleibt (oder den Didak­ti­kern und Schul­buch­au­to­ren in Form von Mate­ria­li­en), ist eine Fra­ge, die weder allein didak­tisch noch poli­tisch und auch nicht allein prag­ma­tisch ent­schie­den wer­den kann. Ange­sichts der Hete­ro­ge­ni­tät der Klas­sen und der For­de­rung nach zuneh­men­der Auto­no­mie der Schu­len sind wohl strik­te Vor­ga­ben in Form von Ras­tern nicht zu emp­feh­len. Aber Hand­rei­chun­gen, Hil­fe­stel­lun­gen schon. Die­se könn­ten etwa vorsehen, 
    1. dass die För­de­rung eines wesent­li­chen Aspekts der Sach­kom­pe­tenz, näm­lich der Ver­fü­gung über wesent­li­che Begrif­fe und Kon­zep­te zur Struk­tu­rie­rung des Gegen­stands­fel­des der Geschich­te (Peri­odi­sie­run­gen, Ein­tei­lung in Sek­to­ren) in einem früh­zei­tig zu ver­or­ten­den Längs­schnitt gesche­hen kann, in wel­chem bereits jün­ge­re Schü­ler popu­lär­wis­sen­schaft­li­che Dar­stel­lun­gen (Was ist was, ein Jugend­buch zur Kunst­ge­schich­te, etc.) an Hand ihre Inhalts­ver­zeich­nis­se und Kapi­tel mit­ein­an­der ver­glei­chen und so Begriffs­wis­sen aufbauen;
    2. dass die För­de­rung eines wesent­li­chen Teils der Ori­en­tie­rungs­kom­pe­tenz in einer höhe­ren Klas­se durch einen Ver­gleich eines ara­bisch-isla­mi­schen Schul­buch­tests zu den Kreuz­zü­gen (wie etwa in Gemein/​Cornelissen (1992): Der Kreuz­zugs­ge­dan­ke in Geschich­te und Gegen­wart. Mün­chen: bsv) mit einem aus west­lich-christ­li­cher Per­spek­ti­ve der 50er Jah­re und einem heu­ti­gen (etwa Forum Geschich­te) erfol­gen kann, aber auch etwa Amin Maal­oufs Der hei­li­ge Krieg der Bar­ba­ren, sowie aus sei­nem Buch Mör­de­ri­sche Iden­ti­tä­ten) und Aus­zü­ge aus Caro­le Hil­len­brands The Cru­sa­des. Isla­mic Per­spec­ti­ves (etwa zur Hamas-Ideo­lo­gie) zu Ein­satz kom­men kön­nen, bevor auf der Basis des dabei erar­bei­te­ten Wis­sens um heu­ti­ge Deu­tun­gen und Schluss­fol­ge­run­gen kon­kre­te Aspek­te der Kreuz­zü­ge “inhalt­lich” in den Blick genom­men wer­den. Fest­zu­schrei­ben wäre dann etwa, dass die Fra­ge “Was bedeu­ten die Kreuz­zü­ge Men­schen unter­schied­li­cher Herkunft/​Kultur in mei­ner Umgebung/​in der Welt?” eben­so zu bear­bei­ten ist, wie ie Auf­ga­be der Rekon­struk­ti­on wesent­li­cher “Fak­ten” und Zusam­men­hän­ge, und dass die Fra­ge nach dem eige­nen Bezug zu die­sem Gegen­stand immer wie­der the­ma­ti­siert wer­den soll, ohne dass Schüler(inne)n ein Bekennt­nis irgend­wel­cher Art abver­langt wird (Rol­len­spie­le und par­ti­el­le Per­spek­ti­ven­wech­sel kön­nen hier als Metho­den­vor­schlä­ge helfen).

In die­sem Sin­ne ist “Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung” gera­de kei­ne Alter­na­ti­ve zu und somit auch kei­ne Bedro­hung der “Inhal­te”, son­dern ihr not­wen­di­ges Kom­ple­ment. Ihr den nöti­gen Platz ein­zu­räu­men bedeu­tet dann aber auch, die “Inhal­te”  nicht zu klein­schrit­tig fest­zu­le­gen zu wol­len und somit vom Inter­es­se der Wei­ter­ga­be des eige­nen Geschichts­bil­des abzu­se­hen. Es geht viel­mehr dar­um, die­je­ni­gen “Inhal­te” in pro­blem­ori­en­tier­ter Form ver­bind­lich fest­zu­schrei­ben, wel­che für die his­to­ri­sche Ori­en­tie­rung der zukünf­ti­gen Bürger(innen) unse­rer Gesell­schaft und ihr eige­nes, ver­ant­wort­li­ches his­to­ri­sches Den­ken zen­tral sein werden.

Anmer­kun­gen /​ Refe­ren­ces
  1. Inter­es­sant ist, dass die­se Stel­lung­nah­me zu den Richt­li­ni­en hin­sicht­lich ihrer Stoß­rich­tung in gewis­ser Span­nung zu ste­hen scheint zur die aus dem glei­chen Lan­des­ver­band for­mu­lier­te Kri­tik an den “Bil­dungs­stan­dards” des VGD 2006.[]
  2. Ich set­ze den Begriff in Anfüh­rungs­zei­chen, weil er mir ‑unge­ach­tet der wei­ten Ver­brei­tung und der ana­lo­gen im Eng­li­schen als ‘con­tens’ nicht wirk­lich ein­leuch­tet: Wovon sind das “Inhal­te”? Des Unter­richts? der Schü­ler­köp­fe? (Nicht viel) bes­ser wäre “His­to­ri­sche Gegen­stän­de” (des Den­kens, For­schens und Ori­en­tie­rens und somit des Ler­nens näm­lich).[]
  3. Vgl. POHL, KARL HEINRICH (2008): „Bil­dungs­stan­dards im Fach Geschich­te. Kri­ti­sche Über­le­gun­gen zum Modell­ent­wurf des Ver­ban­des der Geschichts­leh­rer Deutsch­lands (VGD)“ In: Geschich­te in Wis­sen­schaft und Unter­richt 59,11 (2008), S. 647 – 652,bes. S. 649ff.[]
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