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Andreas Körber

Anmerkungen zur Neuordnung der Lehrerbildung an der Universität Hamburg aus Sicht einer Fachdidaktik – aus Anlass der Experten-Anhörung im Schulausschuss und Wissenschaftsausschuss der Hamburger Bürgerschaft am 30. Januar 2018 und der Anhörung der Senatsvertreter(innen) ebda. am 15.2.2018.

Stand: 2. März 2018

  1. Einleitung

Nach der Entscheidung der Schul- und der Wissenschaftsbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg, die lehrerbildenden Studiengänge an den Hamburger Hochschulen neu zu ordnen, und dazu eine Expertenkommission (i.F. „Terhart-Kommission“) Vorschläge machen zu lassen,1 sowie dem Beschluss des Senats, aufgrund einer Auswertung dieser Vorschläge und weiterer Beratungen, bei der Umsetzung in einem wesentlichen Punkt von den Vorschlägen abzuweichen,2 nämlich den moderat zu reformierenden Lehrämtern für Sonderpädagogik und Berufliche Bildung und einem neuen reinen Grundschullehramt nicht zwei getrennte allgemeinbildende Lehrämter vorzusehen – eines für Stadtteilschulen und eines für Gymnasien –, sondern nur ein im Wesentlichen dem alten Gymnasial-Lehramt entsprechendes „Sekundarstufen“-Lehramt, wird in den zuständigen Gremien der Hamburger Bildungspolitik sehr kontrovers über dieses „Einheitslehramt“ gestritten. Eine Expertenanhörung in einer gemeinsamen Ausschusssitzung des Schul- und den Wissenschaftsausschusses am 30. Januar3 und die Anhörung der Senatsvertreterinnen in einer weiteren gemeinsamen Sitzung am 15. Februar,4 haben keine Einigung erbracht. Es wurde vielmehr mit den Stimmen der Opposition beschlossen, eine weitere Expertenanhörung durchzuführen.5

  1. Lehrerbildung an der Hochschule

Prof. Baumert hat mehrfach deutlich betont, dass es nicht die Aufgabe der Lehrerbildung an der Hochschule (und besonders einer Universität) sein kann, „fertige Lehrer(innen)“ abzuliefern. Dem ist vorbehaltlos zuzustimmen. Aus dieser Festlegung (zu ihrer positiven Begründung s.u.) ableiten zu wollen, dass, man dann die Lehrerbildung von der Hochschule fort in andere Ausbildungsformen verlagern sollte – etwa an pädagogische Hochschulen oder gar ganz andere Modelle – wäre nicht nur eine Rückgriff in ganz alte Zeiten, wie Prof. Baumert andeutete, sondern würde den Anforderungen an Lehrerbildung angesichts der heutigen Herausforderungen auch nicht gerecht. Die Begründung für die Lozierung der Lehrerbildung für alle Schulstufen und -formen an forschenden Hochschulen mit forschenden Erziehungswissenschaften und Fachdidaktiken ist aber nicht nur – wie von Prof. Baumert richtig hervorgehoben – damit zu begründen, dass damit der Anschluss an die empirische erziehungswissenschaftliche Forschung und ihre Verfasstheit gerade auch im internationalen Rahmen gewährleistet ist. Der Wert dieser forschungsbasierten und auf einen gegenwärtigen Forschungsstand wie auch auf die Forschungslogiken nicht nur in den Unterrichtsfächern, sondern auch in der Erziehungswissenschaft (und Didaktik) beruht auf mindestens zwei ergänzenden Einsichten:

  • Professionalität ist eine an den Beruf der Lehrpersonen zu stellende Anforderung, weil der Beruf zu den people processing professions zu rechnen ist, denjenigen Berufsgruppen, „deren Vertreter im doppelten Interesse der Gesellschaft und der Klienten Probleme bearbeiten und dazu folgenreiche Eingriffe in das Leben von Menschen vornehmen können“.6

  • Professionalität von Lehrpersonen besteht in der Fähigkeit, Fertigkeit und Bereitschaft (= „Kom­petenz“), in immer unterschiedlichen und neuen (= nicht schematisch zu bearbeitenden) Situationen pädagogischen und didaktischen Handelns, in denen in die Lebenschancen von Menschen eingegriffen wird, eigenständig und in verantwortlicher Weise zu handeln.7 Das erfordert wesentliche Einsichten in die Strukturen mehrerer wesentlicher Bedingungen dieses Handelns sowie wesentlicher Disziplinen und Methodiken. Dazu gehören Anthropologie (u.a. Menschenbild), Psychologie und Soziologie (u.a.Sozialstrukturen), Erziehungswissenschaft ebenso wie die Grundlagen des jeweiligen Unterrichtsfaches und des fachlichen Lernens).

  • Sowohl die Bezugsdisziplinen der Unterrichtsfächer (=“Fachwissenschaften“) als auch die Disziplinen der Psychologie, Soziologie und Erziehungswissenschaft entwickeln sich nicht nur im Sinne eines allmählichen Zuwachses der Kenntnisse und Ergebnisse – etwa im Sinne einer immer besseren Erkenntnis eines unveränderten Wirklichkeit. Sie verändern ihre Fragestellungen, Erkenntnistheorien, Methodiken und Wissenssysteme wenn auch nicht disruptiv, so doch in z.T. deutlich und u.a. in Reaktion auf wesentliche Veränderungen gesellschaftlicher Wirklichkeit – etwa hinsichtlich der Veränderungen der sozialen, kulturellen, sprachlichen Zusammensetzung der Bevölkerung, der Lebens- und Wirtschaftsverhältnisse, der medialen Bedingungen und Möglichkeiten usw.

Mit Blick auf die gegenwärtige Professionalisierung von Lehrkräften ist es somit nicht hinreichend, ein traditional angesammeltes Gerüst an Wissen und Einsichten in soziale, psychische und fachliche Bedingungen von Lehren und Lernen zu vermitteln. Vielmehr müssen die Lehrkräfte in die Lage versetzt werden, die Art und Form des jeweiligen Wissens, seine Reichweite und Bedeutung für ihr jeweiliges Handeln unter immer neuen konkreten Bedingungen zu beurteilen. Sie benötigen damit nicht nur forschungsbasiertes, sondern forschungsorientierte wissenschaftliche Fähigkeiten in allen beteiligten Fächern.

Das gilt um so mehr unter der Perspektive, dass die Wandlungen der gesellschaftlichen, medialen und wissenschaftlichen Rahmenbedingungen nicht mit der Gegenwart abgeschlossen sind, sondern – vermutlich auch in heute unabsehbarer Weise – fortgehen. Lehrpersonen für ein professionelles (s.o.) pädagogisches und didaktisches Handeln in einer heute noch nicht verfügbaren Zukunft zu befähigen, bedeutet, sie darauf vorzubereiten, die Fähigkeit nicht nur der rezeptiven Erschließung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und Einsichten, sondern auch ihrer kritischen Reflexion und gesellschaftlichen Diskussion auch noch Jahrzehnte nach dem Ende des Studiums anwenden zu können.

Daraus folgt unter anderem der Anspruch, dass Lehrkräfte grundlegende, nicht nur „anwendende“ Einsichten und Fähigkeiten sowohl in Erziehungswissenschaft (inkl. Soziologie und Psychologie) als auch in ihren Unterrichtsfächern und ihren Didaktiken besitzen müssen. „Grundlegend“ meint dabei, dass insbesondere wissens- und erkenntnistheoretische Kenntnisse sowie solche (fach-)spezifischer Lernprozesse beherrscht werden.

Dies wiederum bedeutet unter anderem, dass gerade auch mit Blick auf die Unterrichtsfächer Lehramtsstudierende keine irgendwie „abgespeckten“ Formen fachlichen Wissens erwerben dürfen, sondern aufgrund der Fokussierung auf die eigene didaktische Professionalität die Fächer sehr grundsätzlich und mit der zusätzlichen Perspektive des Fokus auf fachliche Lernprozesse studieren müssen. Lehramtsstudierende bedürfen daher der Forschungs-Spezialisierung in deutlich geringerer Breite, sollten aber

  • wenigstens in einigen Bereichen auch fachlich forschungsfähig ausgebildet werden – weniger um selbst jeweils aktuell forschen zu können, sondern eher um hinsichtlich der Logiken und Bedingungen von Forschung anschlussfähig zu bleiben,

  • hinsichtlich der theoretischen und methodischen Grundlagen nicht hinter dem Ausbildungsgrad auch der Fachstudierenden zurückstehen,

  • den spezifischen „didaktischen Fokus“ auf ihr Fach nicht erst nach dem wissenschaftlichen Fachstudium einnehmen, sondern in dieses ernsthafte und voll gültige fachwissenschaftliche Studium mitbringen. Dies könnte – gerade wenn Nicht-Lehramts- und Lehramts-Studierende gemeinsam fachwissenschaftlich studieren – auch zu einer wertvollen Perspektivenerweiterung und -verschränkung führen.

  1. Zum Begriff der Fachlichkeit

In den Unterrichtsfächern ist Fachlichkeit als ein übergreifendes Charakteristikum zu begreifen, das fachwissenschaftliche und fachdidaktische Perspektiven zusammendenkt. Prof. Kipf betonte in der Anhörung, dass die gegenwärtige Betonung von „Fachlichkeit“ als Ausdruck eines Pendelschlags anzusehen sei gegenüber der Situation der 1990er Jahre, in denen der „Fachlehrer“ gerade als eine Ursache des Qualitätsproblems der Lehrerbildung angesehen wurde. Will man sich dieser Logik der immer wiederkehrenden Pendelschläge entziehen, gilt es, danach zu fragen, inwiefern der gegenwärtige Ruf nach „Fachlichkeit“ nicht nur eine Rückkehr zu einer Ideologie und einem Stand der Lehrerbildung von vor ca. 1995 bedeuten soll.

Die „Terhart-Kommission“ hatte in ihrem Gutachten von „berufsfeldspezifischer Fachlichkeit“ gesprochen. Soll dieser Begriff nicht nur als Aufforderung zur schulform- und/oder -stufenspezifischer Abstufung des „Grades“ an Fachlichkeit oder ihrer Forschungsorientierung verstanden, sondern positiv gefüllt werden, gilt es zu fragen, was denn die Anforderung an die Fachlichkeit von Lehrkräften unterscheidet von der „Fachlichkeit“, die Hauptfachstudierende benötigen.

Die Abkehr des Senats von der Differenzierung der Sekundarsschullehrämter erleichtert die Bearbeitung dieser Frage sowohl in theoretisch-konzeptioneller als auch in organisatorischer Hinsicht:

Prof. Baumert und Frau Volkholz haben in der Anhörung überzeugend dargelegt, dass eine Differenzierung der Fachlichkeit im Rahmen der universitären ersten Phase nicht sinnvoll ist. Unter „Fachlichkeit“ ist vielmehr zu verstehen, dass die Lehrpersonen über diejenigen Einsichten in die forschenden akademischen Bezugsdisziplinen ihrer Unterrichtsfächer verfügen, die sie in die Lage versetzen, mit Bezug auf a) die jeweilige allgemeine gesellschaftliche Lage (Verfassung, soziale und mediale Gegebenheiten etc.), b) die gesellschaftlichen, rechtlichen und institutionellen Bedingungen ihrer Schulform und -stufe, c) die konkreten Bedingungen an ihrer jeweiligen Schule und in ihrer Lerngruppe usw. selbstständig und verantwortlich Sach- und Werturteile dazu zu formulieren,

  • welche Bedeutung und Stellenwert das jeweilige Fach für das Lernen junger/erwachsener Menschen in der jeweiligen Gegenwart hat. Es geht hierbei darum, die Bedeutung des Faches und seiner akademische Bezugsdisziplin als institutionelle Ausprägungen einer spezifischen Domäne der Welterschließung und gesellschaftlichen Verständigung in den Blick zu nehmen, wie auch das Verhältnis von Unterrichtsfach und Bezugsdisziplinen kritisch zu beurteilen. Dazu gehört unter anderem auch, zu beurteilen, inwiefern die jeweilige Fachwissenschaft in ihrer Verfasstheit und Organisation den allgemeinen Bedarfen der Gesellschaft an Befähigung der Lernenden entspricht.

  • Damit ist unter anderem auch gemeint, dass aus den jeweiligen Erfahrungen der Lehr- und Lernbedingungen und -bedürfnisse der Lernenden gefragt und kommuniziert werden kann, inwiefern die Strukturen des Faches selbst einer Erneuerung bedürfen.8

  • in welchem Verhältnis die Strukturen und Erkenntnisweisen der fachwissenschaftlichen Bezugsdisziplin zu den Lernbedarfen der Lernenden jeweils stehen, und wie diese gegenseitig anschlussfähig gemacht werden können,

  • in welchen Formen und Medien domänenspezifisches Wissen außerhalb der akademischen Disziplinen gesellschaftlicher verfügbare (und damit den Lernenden zugänglich und ggf. bedeutsam) ist, und in welchem Verhältnis es zu „wissenschaftlichem“ Wissen steht, also auch, inwiefern es gegenüber diesem schlicht als Ansammlung von „Fehl-“ bzw. „Alternativkonzepte“ begriffen werden kann, die mit Hilfe von „conceptual change“-Lernprozessen durch „wissenschaftliches“ Wissen ausgetauscht oder durch dieses ergänzt werden kann und soll, bzw. inwiefern diesen Formen von Wissen Formen eigener Funktionalität und Dignität (etwa für Identitätsbildungen) zukommt,

Alle diese Fragestellungen betreffen – das haben Prof. Baumert und auch Frau Volkholz deutlich gemacht – nicht die Lehrkräfte einzelner Schulformen in unterschiedlicher Weise, sondern alle gemeinsam. Die Befähigung zu derartigem berufsfeldspezifischem fachlichen Fragen, Denken und Problemlösen erfordert zunächst eine nicht-berufsfeldspezifische, sondern allgemeine und für alle Lehramtsstudiengänge gemeinsame Einführung in die Logiken und Strukturen sowie Erkenntnis- und Forschungsweisen der Fächer (Unterrichtsfächer und Erziehungswissenschaft) und die nicht schulformspezifischen Prinzipien und Formen des Erwerbs fachspezifischer Kenntnisse, Einsichten, Einstellungen, Fähigkeiten wie auch diejenigen zur Reflexion des Erworbenen. Wenn Schule (zumeist junge, aber auch z.B. eingewanderte) Mitglieder der Gesellschaft dazu befähigen soll, an dieser Gesellschaft gleichberechtigt und verantwortlich teilzuhaben, dann dürfen die spezifischen Prinzipien, Wissens- und Könnensformen (um nicht Kompetenzen zu sagen) nicht grundsätzlich in Abhängigkeit vom Bildungsort bzw. der Institution differenziert werden. Diese Differenzierung muss vielmehr in Kenntnis und wissenschaftlicher Durchdringung dieser gemeinsamen das Individuum als in der Gesellschaft prinzipiell gleichberechtigtes fokussierenden Prinzipien erfolgen. Diese Aufgabe haben vornehmlich die Lehrkräfte zu leisten. Sie müssen die sowohl institutionell und milieu­spezifisch, aber immer auch individuell unterschiedlichen Lernbedingungen in verantwortlich differenzierte Planung überführen – aber unter Rückgriff auf das gemeinsame umfangreiche Theoriewissen (s. o. zu Professionalität). Eine von vornherein streng differenzierende Lehrerbildung auch in Bezug auf die Grundlagen der Fachlichkeit und der Erziehungswissenschaft würde dies verhindern. Gerade unter den Bedingungen der Beförderung von Demokratie und Teilhabe in differenzierten Gesellschaften darf es Differenzierung nur vor dem Hintergrund grundsätzlicher Gemeinsamkeit geben.

Wer frühe Differenzierung in der Fachlichkeit der Lehrerbildung wie im „Ausmaß der Pädagogik“ fordert, muss also begründen, inwiefern und warum nicht nur die Schüler(innen) bestimmter Schulen (hier: Stadtteilschulen) eine geringere fachliche Bildung erhalten sollen, sondern auch und besonders, warum die Lehrkräfte an diesen Schulen nicht in die Lage versetzt werden sollen, mit ihren pädagogischen und didaktischen Fähigkeiten so zu differenzieren, dass prinzipiell ein gleiches Niveau erreicht werden könnte wie an anderen Schulen. Ebenso müssen diejenigen, die für Lehrkräfte an Stadtteilschulen ein „mehr“ und für jene an Gymnasien ein „weniger“ an „Pädagogik“ fordern, begründen, inwiefern und warum davon ausgegangen wird, dass die Schüler(innen) an letzteren Schulen nicht vielleicht spezifisch andere, sondern weniger an Förderung und Unterstützung sowie Begleitung, aber auch an Herausforderung brauchen als diejenigen an ersteren. Auch hier: Die spezifische Differenzierung und Anpassung – zumal mit Blick auf zukünmftig nicht absehbare Änderungen – sowohl fachlicher wie pädagogischer und vor allem didaktischer Ansätze erfordert in beiden Fällen eine solide und kategoriale Grundbildung in Erziehungswissenschaft, Fachwissenschaft und vor allem Fachdidaktik.9

Eine lehramtsübergreifende, gemeinsame erste Phase mit diesem Auftrag (und einzelnen Differenzierungen insbesondere in fragen- und reflexionsgenerierenden Praxisphasen) ermöglicht und/oder sichert zudem die Anschlussfähigkeit der Ausbildungen der Lehrkräfte unterschiedlicher Schulstufen und -formen untereinander. Eine frühe und deutliche Separierung birgt durchaus die Gefahr, dass ein Verständnis der Lehrkräfte sowohl für die Spezifika der Bildungs-Bedingungen und -aufträge als auch für die Anschlussstellen („Transitionswissen“, wie Frau Günther das nannte) zwischen den Phasen gar nicht erst entsteht. Professionalität bedeutet auch in diesem Sinne die Befähigung zu spezifischem Handeln auf der Basis eines breiten, nicht vorschnell fokussierten Theorie- und Kategorienwissens.

  1. Zur Frage der Verortung und Ausstattung der Fachdidaktiken

In der Anhörung waren sich die Experten Prof. Kipf und Prof. Baumert einig, dass eine forschungsfähige Ausstattung und Aufstellung unabdingbar sei. Prof. Kipf mahnte in diesem Zusammenhang an, dass die Fachdidaktiken jeweils mit einer/m Hochschullehrer(in) versehen sein müssten. Das ist angesichts sowohl der Notwendigkeit der Nachwuchsbildung in diesen Bereichen als auch aufgrund der Notwendigkeit, dass Studierende forschungsorientierte Abschlussarbeiten gerade auch in den Didaktiken schreiben (können) sollen, unabdingbar. Lehrbeauftragte sind nicht prüfungsberechtigt. Derartige Prüfungen durch Hochschullehrer(innen) der Nachbarfächer mit betreuen zu lassen, wäre eine wesentliche Einschränkung der einhellig befürworteten Fachlichkeit (s.o.).

Die Frage der Lozierung der Fachdidaktiken wurde von ihnen hingegen durchaus unterschiedlich beantwortet. Während Prof. Kipf ein deutliches Plädoyer für die Lozierung bei den Fachwissenschaften hielt, beurteilte Prof. Baumert die derzeitige Lozierung bei den Erziehungswissenschaften als ein gut funktionierendes System. Erstere Position begründete Prof. Kipf u.a. damit, dass die Sozietäten als Koordinierungsgremien nicht gut funktionierten (sie seien „zu langsam“) und stellten letztlich „weite Wege“ dar für eine Zusammenarbeit, die im Rahmen eines gemeinsamen Instituts einfacher und schneller zu haben wäre.

In Bezug auf Fragen der Lehre ist an diesem Argument einiges dran. Allerdings ist die Lehre und die Beteiligung der Fachwissenschaften daran nur einer der Punkte. In einigen Fächern ist das Interesse der Fachwissenschaftlern an echter Kooperation mit den Fachdidaktiken auch kaum gegeben, während diese Kooperation in anderen Fächern besser funktioniert. Solange die Fachdidaktiken allerdings mit nur 3 eigenen LV (nach neuem Modell wohl 4) in zwei Modulen gegenüber weitaus größeren Angeboten sowie mit deutlich geringerer personeller Ausstattung (zuweilen nur 1 Person und mit hohen Lehrauftragsanteilen) den Fachwissenschaften gegenüber sehr eng aufgestellt sind, können solche Kooperationen auch in der Lehre nur punktuell geschehen. Das gilt um so mehr, wenn die Fachdidaktik aufgrund großer Gruppengrößen jeweils nur eine einzige Lehrveranstaltung pro Typ anzubieten hat.

In Bezug auf die Forschung ist dem Plädoyer von Prof. Kipf aber entgegenzuhalten, dass die fachdidaktischen Forschung derzeit wesentlich erziehungswissenschaftlichen Charakter hat, weniger in der fachlicher Konzepte in die schulische Lehre betrifft. Idealerweise verbindet fachdidaktische Forschung fachliche Spezifik mit einem forschenden Blick auf Lehr-Lernprozesse, deren Bedingungen und Wirkungen. Es geht also zum einen um qualitative und quantitative sozialwissenschaftliche Forschung zu fachspezifischen Fragestellungen ebenso wie um didaktische Interventionsforschungen mit ebenfalls sozialwissenschaftlich oder psychologischen Methoden. Hier ist eine Kooperation mit ähnlich arbeitenden Erziehungs- und Bildungsforschern vorrangig. Genuin fachliche Methoden sind dabei weniger gefragt – um so mehr grundlegend fachliche Konzepte bei der Erstellung von Fragestellungen und Operationalisierungen sowie der Auswertung.

  1. Leistungspunktausstattung der Fachdidaktiken

Prof. Kipf erwähnte eine LP-Ausstattung in Berlin von 30 LP pro Fach.10 Dagegen fällt Hamburg mit derzeit 11 LP und demnächst 14 LP pro Fach deutlich zurück. Diese Erhöhung der LP-Anteile der Fachdidaktiken reicht gerade einmal zur Einrichtung eines weiteren 2-stündigen Seminars im Rahmen eines bestehenden Moduls, d.h. ohne eigene Modulprüfung, sondern mit allenfalls eine kurzen Studienleistung aus.

Durch die explizite Zuweisung der Aufgaben der Thematisierung von Umgang mit Heterogenität, Begabungsförderung, Inklusion und Förderdiagnostik ebenso wie Lehren, Lernen und Bildung in der digitalen Welt sowie Bildung für nachhaltige Entwicklung11 wird diese Stärkung der Fachdidaktiken mehr als aufgefangen. Das bedeutet, dass der Anteil genuin fachdidaktischer Perspektiven (und damit eines wesentlichen Teils der Fachlichkeit) eher gesenkt wird als gestärkt.

Das wird besonders deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass die Fachdidaktiken im Studium bislang ohne Praxisphasen mit 11 LP lediglich drei Lehrveranstaltungen (Vorlesung, BA-Seminar; M.Ed.-Seminar), zzgl. des Begleitseminars zum Kernpraktikum anbieten konnten, diesen Seminaren aber neben den eigentlichen fachdidaktischen Thematiken die o.g. Querschnittaufgaben und die Aufgabe der Kooperation mit den Fachwissenschaften zugewiesen ist.

In einigen fachwissenschaftlichen Studiengängen sind einzelne Lehrveranstaltungen oder Module mit 10 LP bei 2 oder 3 SWS Präsenzlehre keine Seltenheit. Das bedeutet, dass Studierende sich neben der Thematisierung im Seminar umfänglich und selbstständig reflexiv mit den Themenstellungen befassen können. Zuweilen werden auch – wie Frau Günther berichtete – Leistungspunkte für selbstständige Lektüren vergeben. Dies alles ist in den Fachdidaktiken derzeitigen Zuschnitts überhaupt nicht möglich. Die Bereitstellung von 6 LP für unbedingt nötige 4 SWS Lehre im BA und 5 LP für 3 SWS Seminar im M.Ed. ermöglicht nur sehr begrenzte eigene Auseinandersetzungen – zumindest im Vergleich mit den Anteilen der Fachwissenschaften.

  1. Zur Frage der Praxisphasen

In der Anhörung wurde auf Frage von Herrn Oetzel (FDP) sowohl von Herrn Prof. Kipf, Prof. Baumert und auch aus eigener Erfahrung durch Frau Günther die derzeitige Gestaltung der Praxisphasen als sehr sinnvoll und erfolgreich hervorgehoben. Insbesondere seien die Studierenden hoch zufrieden. Die von Prof. Kipf angemahnte phasenübergreifende Zusammenarbeit dabei ist in Hamburg gerade mit der nunmehr auch fachlichen Koordination von fachdidaktischem Begleit- und vom Landesinstitut durchgeführtem Reflexionsseminar strukturell fest verankert.

Hervorgehoben wurde besonders von Prof. Baumert der auf die Gewinnung akademisch zu reflektierender Erfahrungen ausgerichtete Zweck der Praktika. Auch sie sollten nicht zu einer Unterrichtsfertigkeit führen, die der akademischen Bildung auch nicht angemessen sein, sondern dazu dienen, Erfahrungen zu machen mit konkreten Anforderungen und Bedingungen sowie mit der eigenen Professionalität, die es zunächst noch im akademischen Modus der Ersten Phase zu reflektieren gelte. Das Hamburger Kernpraktikum ist – gerade auch mittels seines zentralen Instruments des Reflexionsportfolios – genau in dieser Richtung angelegt.

Allerdings ist anzumerken, dass in der Senatsdrucksache nicht nur (u.a.) den Fachdidaktiken allgemein, sondern auch dem Kernpraktikum im Besonderen die Befassung mit Heterogenität, Binnendifferenzierung, Inklusion und Begabungsförderung zugewiesen.12

Es besteht deutlich die Gefahr, dass nicht nur den „genuin“ fachdidaktischen Lehrveranstaltungen, sondern gerade auch den Kernpraktika als Fachpraktika und somit auch den fachdidaktischen Begleitseminaren eine Reihe von jeweils für sich sinnvollen, in der Addition aber Perspektiven und Fragestellungen aufgesetzt werden, hinter denen die fachliche Perspektive zurücktritt.

Dass sich (nicht allein, sondern auch) Fachdidaktiken und Praktika mit den Herausforderungen der genannten Querschnittaufgaben befassen – dagegen ist nichts einzuwenden – im Gegenteil. Dies muss aber unter zwei Bedingungen geschehen:

  • unter Beachtung der eigenen Dignität der fachlichen Perspektiven. Gerade in der fachdidaktischen Thematisierung von Bedingungen, didaktischen Ansätzen und Methoden zum Umgang mit diesen Herausforderungen kann es nicht darum gehen, das Fach lediglich zum Substrat und Übungsfeld allgemeiner Einsichten, Prinzipien und Methoden zu machen, sondern sie spezifischen Ausprägungen, Spannungen und Herausforderungen erkenn- und reflektierbar zu machen, die sich aus Ansprüchen der Fachlichkeit und der besonderen Perspektiven ergeben.

  • Da die Kernpraktika die besonderen Fachpraktika sind, muss in ihnen neben der Thematisierung der besonderen Herausforderungen genügend Raum bleiben. Gerade wenn die Fachspezifik von Lernprozessen herausgestellt wird, deren Akzeptanz im Übrigen auch dem Auftrag fachspezifischer Kompetenzmodelle durch die Klieme-Expertise (Klieme et al. 2003) zu Grunde lag, bedarf es umfänglicher Gelegenheiten, solche Lernprozesse zu beobachten, zu analysieren, selbst probeweise zu gestalten und unter pädagogischen, fachlichen und v.a. fachdidaktischen Perspektiven zu analysieren.

  • Es ist dringend zu überlegen, die Fachlichkeit auch in den Integrierten Schulpraktika (ISP, bei Baumert: „Orientierungspraktika“) wieder zu stärken – gerade auch um bestimmte Perspektiven auf fachliche Lernprozesse bereits früh praxis-erfahrungsbasiert zu gewinnen.

Literaturverzeichnis

  • Hamburg; Senat der Freien und Hansestadt (2018): Fortschreibung der Reform der Lehrerbildung in Hamburg. Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg; Drucksache 21/11562. Online verfügbar unter https://www.buergerschaft-hh.de/ParlDok/dokument/60740/fortschreibung-der-reform-der-lehrerbildung-in-hamburg.pdf.
  • Hamburgische Bürgerschaft, Schulausschuss; Ausschuss für Wissenschaft und Gleichstellung (2018a): Wortprotokoll/Protokoll der öffentlichen Sitzung des Schulausschusses und des Ausschusses für Wissenschaft und Gleichstellung. Hamburg, 30.01.2018. Online verfügbar unter https://www.buergerschaft-hh.de/ParlDok/dokument/61308/wortprotokoll-protokoll-der-%c3%b6ffentlichen-sitzung-des-schulausschusses-und-des-ausschusses-f%c3%bcr-wissenschaft-und-gleichstellung.pdf.
  • Hamburgische Bürgerschaft, Schulausschuss; Ausschuss für Wissenschaft und Gleichstellung (2018b): Wortprotokoll/Protokoll der öffentlichen Sitzung des Schulausschusses und des Ausschusses für Wissenschaft und Gleichstellung. Hamburg, 15.02.2018. Online verfügbar unter https://www.buergerschaft-hh.de/ParlDok/dokument/61413/protokoll-der-%c3%b6ffentlichen-sitzung-des-schulausschusses.pdf.
  • Klieme, Eckhard; Avenarius, Hermann; Hermann, Werner a.o (2003): Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards: Eine Expertise. Hg. v. BMBF. Bonn. Online verfügbar unter http:­/­/www.bmbf.de­/pub­/zur_entwicklung_nationaler_bildungsstandards.pdf, zuletzt geprüft am 29.2.2005.
  • Kutter, Kaija (2018): Streit um ‚Einheitslehrer‘. Weil künftige Stadtteilschullehrer in der Ausbildung so viel Fachstudium haben sollen wie Gymnasiallehrer, gehen CDU und FDP auf die Barrikaden. Sie wittern die Einheitsschule. In: die tageszeitung, 26.02.2018. Online verfügbar unter https://www.taz.de/Archiv-Suche/!5484545/.
  • Radtke, Frank-Olaf (1999): Autonomisierung, Entstaatlichung, Modularisierung. Neue Argumente in der Lehrerbildungsdiskussion? Anstelle einer Einleitung. In: Frank-Olaf Radtke (Hg.): Lehrerbildung an der Universität. Zur Wissensbasis pädagogischer Professionalität ; Dokumentation des Tages der Lehrerbildung an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität, Frankfurt am Main, 16. Juni 1999. Frankfurt am Main: Fachbereich Erziehungswiss. der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität (Frankfurter Beiträge zur Erziehungswissenschaft Reihe Kolloquien, 2), S. 9–22.
  • Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (2017): Sachstand in der Lehrerbildung. Stand: 7.3.2017 (KMK; II/A: Allgemeinbildendes Schulwesen). Online verfügbar unter https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/Bildung/AllgBildung/2017-03-07__Sachstand_LB_o_EW.pdf.
  • Terhart, Ewald; Gillen, Julia; Miller, Susanne; Moser, Vera; Schmitz, Reiner (2017): Empfehlungen zur Fortschreibung der Reform der Lehrerbildung in Hamburg. Expertenkommission Lehrerbildung Hamburg. Hamburg. Online verfügbar unter http://www.hamburg.de/bsb/de/7937096.

Anmerkungen

1Terhart et al. 2017.

2Hamburg und Senat der Freien und Hansestadt 2018.

3Vgl. jetzt Hamburgische Bürgerschaft und Ausschuss für Wissenschaft und Gleichstellung 2018a. Die vorliegenden Anmerkungen wurden noch vor Vorlage des Protokolls verfasst aufgrund eigener Wahrnehmungen in dieser ersten Anhörung.

4Hamburgische Bürgerschaft und Ausschuss für Wissenschaft und Gleichstellung 2018b.

5Kutter 2018.

6Radtke 1999, S. 13.

7Radtke 1999, S. 14: „Professionelle in dem angedeuteten Verständnis nehmen ihre Aufgaben in einer besonderen, doppelt verankerten Handlungslogik vor: Sie müssen (1) situativ (und intuitiv) zu individuellem Fallverstehen in der Lage sein; sie können dies (2) in hermeneutischer Haltung auf der Basis universellen Regelwissens, also wissenschaftlicher Theorien und Erklärungsmodelle. Die ‚Vermittlung‘ von Theorie und Praxis findet in der Person der Professionellen statt. Sie applizieren ihr theoretisches, situationsunabhängiges Wissen bei der Interpretation von Situationen, bei der stellvertretenden Deutung von Problemen ihrer Klienten und bei der Formulierung des Angebots von […] Lösungsstrategien […]. Professionelle müssen die Folgen ihrer Handlungen/Eingriffe abschätzen und sie zu verantworten wissen. Dazu bedarf es neben ethischer Selbstbindungen und institutionell gestützter Handlungssicherheit in erster Linie eines besonderen Beobachtungs-, Wahrnehmungs- und Beurteilungsvermögens, aber auch eines systematisierten Reflexionswissens, daß die eigenen Entscheidungen zu begründen und zu legitimieren, zu kontrollieren und gegebenenfalls zu korrigieren vermag.“

8Dazu ein Beispiel aus meinem Fach, der Geschichte: Lehrkräfte müssen selbstständig in der Lage sein, zu beurteilen, in welcher Form die heutige geschichtswissenschaftliche Mediävistik den Anforderungen historischen Lernens in einer keineswegs mehr unfraglich einheitlich christlichen Gesellschaft gerecht werden kann. Sie müssen in der Lage sein, die in der Gesellschaft wie auch ihren Lerngruppen erkennbaren, ggf. gegenüber den klassischen wissenschaftlichen Fragestellungen abständigen Formen von Interessen und Fragen an, Perspektiven auf und Normvorstellungen in Bezug auf eine gemeinsam/geteilte Vergangenheit für die Erschließung der fachwissenschaftlichen Erkenntnisse und Materialien nutzbar zu machen. Dazu müssen Lehrkräfte über Einsichten in die Natur historischen Denkens und Wissens verfügen, die über das normale „fachwissenschaftliche Wissen“ hinausgehen und mehr den Bereichen einer Analytischen Philosophie der Geschichte und einer Theorie der Funktion von Geschichte zugehören. Ähnliches gilt für die Frage nach den Spezifika historischen Wissens und historischer Kommunikation mittels digitaler Medien in Zeiten gesellschaftlich stark ausgedehnter Wissens- und Deutungsproduktion.

9Meiner Beobachtung nach ging die Beiträge der Experten Heinz-Dieter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, und Helge Pepperling, er Lehrerverband Hamburg, sowie Dietmar Wagner, über entsprechende Behauptungen nicht hinaus.

10Vgl. Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland 2017, 30ff.

11Hamburg und Senat der Freien und Hansestadt 2018, S. 6.

12Hamburg und Senat der Freien und Hansestadt 2018, S. 6: „Die bisherigen Praxisphasen werden in Umfang und organisatorischer Ausgestaltung beibehalten. Die Praxisphasen ermöglichen den Studierenden im Bachelorstudiengang im Rahmen der Eignungsreflexion eine fundierte Entscheidung für den weiteren Bildungsverlauf und den Übergang in ein Masterstudium. Erste Praxiserfahrungen werden daher in den ersten Semestern des Studiums angelegt. Die umfänglichen Praxisphasen des Masters werden insbesondere zur Befassung mit den Themen „heterogene Lerngruppen“, „Binnendifferenzierung“, „Inklusion“ und „Begabungsförderung“ genutzt.“