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Aus einer aktu­el­len Haus­ar­beit: Mit der Bereit­stel­lung von Mate­ria­li­en mit ver­schie­de­nen Anschau­un­gen soll “den Kin­dern die Chan­ce gege­ben wer­den, eine geschicht­li­che Bege­ben­heit mög­lichst sach­ge­recht und neu­tral ein­zu­schät­zen.” Es sol­le ver­mie­den wer­dem, “eine ein­zi­ge Text­quel­le als die rich­ti­ge Sicht­wei­se” aus­zu­ge­ben, son­dern viel­mehr ver­schie­de­ne Inter­pre­ta­ti­ons­mög­lich­kei­ten  zu eröff­nen, “und durch das Zusam­men­fü­gen und das Ergän­zen meh­re­rer Aus­sa­gen der ‘his­to­ri­schen Wahr­heit’ etwas näher zu kommen.”

Das ist rich­tig, aber auch nur die hal­be Wahr­heit, oder bes­ser: das kom­ple­xe­re Ver­ständ­nis wird nur ange­deu­tet. Es ist rich­tig, dass Mul­ti­per­spek­ti­vi­tät auch eine ggf. unbe­wuss­te Indok­tri­na­ti­on ver­mei­den hel­fen soll, die durch die Prä­sen­ta­ti­on nur einer Sicht­wei­se ent­ste­hen könn­te. Aber es wäre falsch, den Sinn der Mul­ti­per­spek­ti­vi­tät dar­in zu sehen, gewis­ser­ma­ßen in den ver­schie­de­nen Per­spek­ti­ven lie­gen­de ‘Ver­zer­run­gen’ zu erken­nen und am Ende durch den Ver­gleich zu einern ‘ver­zer­rungs­frei­en’ Vari­an­te zu kom­men, die dann als ‘objek­tiv’ gilt. Die Per­spek­ti­ven wären dann nur noch Stör­fak­to­ren, die es durch Ver­gleich her­aus­zu­rech­nen gilt. Sie sind aber viel­mehr not­wen­di­ge Ele­men­te jeg­li­cher Aus­sa­ge. Es geht bei der Mul­ti­per­spek­ti­vi­tät auch um die Erkennt­nis, dass das Ereig­nis (oder die Struk­tur etc.) unter­schied­lich wahr­ge­nom­men, ein­ge­schätzt und beur­teilt wer­den muss­te, nicht (nur) wegen unter­schied­li­cher Ideo­lo­gien, son­dern auch wegen ganz natür­li­cher unter­schied­li­cher Vor­er­fah­run­gen, Inter­es­sen, Vor­aus­set­zun­gen, etc. — und dass es für die Men­schen in unter­schied­li­chen sozia­len und kul­tu­rel­len Posi­tio­nen auch unter­schied­li­ches bedeu­tet haben kann oder gar muss.

Mehr noch: neben die­ser abs­trak­ten Erkennt­nis, dass Per­spek­ti­vi­tät unhin­ter­geh­ba­re Bedin­gung ist, die am jewei­li­gen Bei­spiel exem­pla­risch erar­bei­tet wer­den kann, geht es auch um die kon­kre­ten Per­spek­ti­ven auf die­ses kon­kre­te Ereig­nis und um sei­ne kon­kre­ten Bedeu­tun­gen, die es zu ken­nen gilt: sie sind — im Rück­blick — Teil des Ereig­nis­ses selbst. Objek­ti­vi­tät ent­steht also nicht durch “Her­aus­rech­nen” der ver­schie­de­nen Per­spek­ti­ven, son­dern durch ihre plu­ra­le Einbeziehung.
Per­spek­ti­ven­wis­sen ist inte­gra­ler Teil des Geschichtswissens.