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Liebe Anwesende, d.h.

  • liebe Eltern, Partner, Kinder und weitere Verwandte, Freunde derjenigen, die heute hier feiern, und die wir heute feiern, …
  • liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Hause, aus den anderen am Zustandekommen des hier zu feiernden Ereignisses beteiligten Fakultäten und Institutionen,
  • liebe Vertreter(innen) des Präsidiums,
  • liebe Vertreter des Hamburger Bildungswesens,
  • vor allem aber: liebe Absolventinnen und Absolventen. –

im Namen des Dekanats unserer Fakultät beglückwünsche ich Sie alle zu dem, was Sie in den letzten Wochen, Monaten und Jahren erreicht haben.

Solche Abschlussfeiern wie die heutige gibt es – nachdem sie eine Weile aus der Mode gekommen waren und der Abschied von der Universität durch die Post vorgenommen wurde – nunmehr seit einigen Jahren wieder. Regelmäßig finden wir uns hier zusammen und hören Musik und Ansprachen, überreichen Zeugnisse und Preise und erfreuen und beim anschließenden Empfang. – alles Routine also?
Für Sie sicherlich nicht: Auch wenn Sie inzwischen mehrere Abschnitte Ihrer formalen Bildungsbiographie erfolgreich absolviert haben, dürfte dieses Examen einen merk-würdigen Einschnitt markieren. Sie verlassen nun Ihre Alma Mater, treten in einen neuen Abschnitt Ihres Lebens ein – vielleicht wissen Sie schon, wie es weitergeht, haben schon einen Platz in einer weiteren Ausbildungsphase oder einen Arbeitsplatz, oder Sie suchen noch, orientieren sich. Immer gilt: So, wie es bisher war, bleibt es nicht. Anlass genug, um zurückzuschauen auf Ihr Studium, innezuhalten und nachzudenken darüber, wie es war, als Sie hier anfingen, darüber wie Sie sich entwickelt haben, aber auch, wie sich die Institutionen entwickelt haben, Ihr Fach bzw. Ihre Fächer usw.
In diesem Sinne kann etwa daran erinnert werden, dass Sie zu einer Zeit Erziehungswissenschaften studiert haben, in der in der Bildungslandschaft, der Politik wie der Wissenschaft, einiges in Bewegung war und noch ist. Ob es Ihre eigene Präferenz war oder nicht – Sie werden sich im Studium nicht nur mit großen Pädagog(inn)en und ihren Ideen, mit der Geschichte der Disziplin, den gesellschaftlichen Bedingungen und den Institutionen von Bildung auseinandergesetzt haben, mit Schule, Unterricht und außerschulischer Bildung und Erziehung – sie werden notwendig auch eine – wie sehr auch immer vorläufige – eigene Position entwickelt haben zu den Konzepten und Ideen, mit denen heutzutage die Bildungsforschung, Bildungspolitik und die Schulpädagogik wie auch die Didaktiken das Bildungswesen reformieren. Bildungsstandards, Kompetenzen, sind entsprechende Stichworte, aber ebenso Individualisierung, Autonomie, Schülerorientierung. Sie werden Einblick gewonnen haben in Fragen der empirischen Fundierung und Absicherung bildungswissenschaftlicher und -politischer Positionen; Stichwort: PISA, Vergleichsuntersuchungen, qualitative und quantitative Forschung. Ganz egal, was genau Sie im Weiteren tun werden, ob Sie in die Schule gehen, um Lehrerinnen und Lehrer zu werden, ob sie in der außerschulischen Kinder- und Jugendbildung arbeiten wollen, in der Erwachsenenbildung, ob sie verwaltend oder forschend am Gegenstand bleiben wollen – wir Lehrenden wünschen uns, dass Sie hier nicht nur totes Wissen erworben haben, nicht nur die Fähigkeit, in einem vorgegebenen Rahmen das zu tun, was andere geplant und vorbereitet haben, sondern dass Sie sich als kritische, reflektierende und urteilsfreudige, aber auch urteilsfähige Fachleute in die weitere Entwicklung der Disziplin einmischen können. Das wäre im Übrigen auch der eigentliche Sinn eines universitären Studiums, das sich zugleich in Humboldtscher Tradition als Bildung, nicht Ausbildung versteht und doch seinen Berufs- und Praxisbezug nicht verleugnet – nicht Theorie gegen Praxis auszuspielen, nicht – wie es etwa für den Übergang zum Referendariat immer wieder kolportiert wird – zu vergessen, was man auf der Universität gelernt hat, um nun zu erfahren, wie es richtig, eigentlich gehe, sondern die berechtigten und ihre eigene Dignität besitzenden Inhalte, Perspektiven und Erfahrungen der weiteren Ausbildung selbst reflektieren und in Wert setzen zu können auf der Basis eines breiten theoretischen Wissens. Das unterscheidet gerade eine Profession und ihre Professionalität von anderen Berufen und Formen der Berufsausübung: Selbst, als Person immer neue individuelle Fälle, Situationen, Herausforderungen, die in die Lebenschancen Anderer eingreifen, neu und verantwortlich gestalten zu können, ohne sich nur auf ein feststehendes Regelwerk verlassen zu wollen oder zu können. Diese Art der Professionalität braucht die pragmatische Routine und Übung – aber eben auch die Theorie. Wenn Ihr Studium diese Basis gelegt hat, Sie sich befähigt fühlen, Ihr Tun immer selbst zu reflektieren und zu verantworten, sich zutrauen, auftretende Fragen selbstständig zu klären, Fach, Institution, Gepflogenheiten etc. kritisch zu befragen – dann hat das Studium seinen Zweck erreicht.

Das hätte so in etwa der Umriss einer Abschlussrede sein können, wären wir nicht in einer besonderen Situation. Auf nicht alle von Ihnen trifft die Formulierung “Verabschiedung” zu – nicht alle feiern heute den Abschluss “Ihres Studiums”, nicht alle verabschieden wir aus der Fakultät in ein neues, anderes Leben. Die Frage, ob denn die Absolventen eines Bachelor-Studiums bei der Abschlussfeier berücksichtigt werden sollen oder wollen, hat uns in der Tat mehrfach beschäftigt. Bei jenen des Lehramts war die Frage für diese Veranstaltung relativ einfach zu beantworten: Da die Zeugnisse noch nicht gefertigt werden konnten und können, werden wir sie in der nächsten Abschlussfeier berücksichtigen. Anders aber steht es mit den Absolvent(inn)en der Erziehungs- und Bildungswissenschaft: Ist für Sie mit dem Abschluss des Studienganges auch das Ende des Studiums erreicht? Können, sollen, wollen wir Sie heute aus unserer Institution verabschieden? Die Antwort wird durchaus unterschiedlich ausfallen. Einige von Ihnen haben vielleicht die Tatsache nutzen wollen und können, dass der Bachelor ein zumindest formal “berufsqualifizierender Abschluss” ist, und sind in der Praxis untergekommen, in einem einschlägigen Beruf, um später, nach dieser Berufstätigkeit, vielleicht weiter zu studieren. Einige von Ihnen sind vielleicht an eine andere Universität gegangen, und verlassen deshalb diese Institution. Andere aber sind als unsere Master wieder – oder noch – im System, werden nicht verabschiedet. Viele wollen vielleicht auch deshalb den jetzt erreichten Stand gar nicht als Abschluss verstanden wissen, ihn als solches bestätigen, wollen vielmehr ihr Studium, das sie als ein Ganzes betrachten, fortsetzen.

Das ist nicht nur eine Frage des persönlichen Geschmacks und der individuellen Einstellung – sie ist durchaus auch politisch. Feiern wir, die Universität, und Sie, die Studierenden, mit dem Bachelor als Abschluss auch das gegenwärtige Studiensystem? Ich selbst ziehe es vor, die heutige Veranstaltung deshalb nicht als Verabschiedung der Studierenden aus der Fakultät zu verstehen, als “Verabschiedung”, wie es in alter Übung in der Einladung und im Programm heißt, sondern als Beendigung dieses einen Studiengangs. Diesen erfolgreich absolviert zu haben, das ist auch für Sie etwas, das gefeiert werden kann und darf, denn der Bachelor ist bei aller “Abschichtung” von Prüfungsleistungen in Form von Modulprüfungen doch mehr als die alte Zwischenprüfung.
Auch wenn sich vielleicht in Ihrem Alltag nicht so viel ändert wie bei denjenigen, die uns wirklich “verlassen” – so sollten Sie daher doch die Erfahrung, die Sie bei diesem Abschluss gemacht haben, für sich in vergleichbarer Weise verbuchen: Sie haben die Fähigkeit bewiesen, sich eigenständig (und vielleicht auch eigensinnig) mit wissenschaftlichen Themen auseinanderzusetzen. Sie sind keine Anfänger mehr, sie können zu sich selbst mit Recht sagen, dass Sie nun auf ganz andere Art und Weise mitreden, mitdenken und weiter studieren können.

Damit kann ich mich wieder an alle wenden:
Sie alle haben also allen Grund zu feiern – und wir, denke ich auch. Feiern und sich freuen sollen und wollen Sie (dazu dient insbesondere auch der Empfang im Anschluss) zunächst einmal Ihre eigene Leistung. Sie haben – gleich, welchen Abschluss Sie gemacht haben – in einem geregelten, komplexen Verfahren bewiesen, dass Sie sich mit wissenschaftlichen Fragestellungen und Themen aus dem Bereich der Erziehungswissenschaft und ggf. Ihrer Unterrichtsfächer eigenständig auf eine Art und Weise auseinandersetzen können, die unter Fachleuten Anerkennung findet. Damit sind (bei allen Probleme, welche solche Verfahren immer noch aufweisen) wesentliche Anforderungen wissenschaftlicher Prüfungen erfüllt. Ich will das jetzt nicht im Einzelnen ausführen. Wichtig ist heute: Sie haben sich mit Ihrem Examen also gegenüber der Profession ausgewiesen.
Aber es gibt zwei weitere Gesichtspunkte, die ich noch ansprechen möchte:
Sie alle haben etwas geschafft, was Ihnen selbst höchstwahrscheinlich zu Beginn Ihres Studiums noch weitgehend unerreichbar schien – und zwar nicht nur wegen der zeitlichen Distanz, wegen der nur eingeschränkt gegebenen Vorab-Überschaubarkeit der Gegenstände, wegen der Wissenschaftlichkeit der Diktion, – sondern auch, weil die Prüfung, die Sie abgelegt haben, damals, zu Beginn Ihres Studiums noch gar nicht definiert war. Diese Bemerkung gilt nun in mehrfacher Weise:
Schon immer konnte bei derartigen Feiern wie der heutigen den Absolventen gratuliert werden dazu, dass sie sich nicht haben entmutigen lassen von den in Prüfungsordnungen, Studienplänen, Modulbeschreibungen, Seminarplänen, Prüfungsprotokollen von Vorgängern und anderen Dokumenten niedergelegten Anforderungen. Ich erinnere mich noch gut, wie ich zu Beginn meines Studiums immer dachte, das könnte man (nicht nur ich) nie schaffen, und wie mit dem Studieren, mit dem Angehen der Anforderungen diese auch immer bearbeitbarer wurden – bis im Rückblick selbst die Abschlussprüfungen, nicht mehr wie ein unüberwindlicher Berg aussahen, sondern im Gegenteil sogar Wesentliches von ihrem Schrecken verloren hatten: Das gilt wohl immer: Erst im Nachhinein sieht man ein, dass auch in Prüfungen mit Wasser gekocht wird – mit echtem heißen Wasser zwar, aber doch mit Wasser. Diese Einsicht gewinnt aber nur, wer sich auch ernsthaft auf die Prüfung einlässt, wer sich ernsthaft vorbereitet. Der Wechsel von Vorab- und Rückansicht der Prüfung ist selbst ein Gewinn an Lebenserfahrung und -kompetenz. Wer sich Prüfungen vorab kleinredet, gewinnt die Sache nicht, wer nicht rückblickend einsieht, dass nicht die gehabte Prüfung, sondern der zuvor gewesene Lernprozess das Eigentliche darstellt, hat sich selbst nicht gewonnen. Sie haben es offenkundig geschafft, sich selbst und die Ihnen angesonnene Sache so zusammenzuführen, dass beides, Sie und die Sache bewahrt und gefördert wurden. Verlieren Sie diese Einsicht nicht. Sie wird Ihnen weiterhelfen, wenn Sie merken, dass es keineswegs vorbei ist.
Aber in noch einem anderen Sinne war Ihre Prüfung “undefiniert”, als Sie anfingen zu studieren. Es gehört zu guten wissenschaftlichen Prüfungen, dass sie gerade nicht (zumindest nicht in Gänze) für alle Studierenden gleich gestaltet sind, dass nicht die gleichen Fragestellungen einer ganzen Kohorte von Kandidaten gestellt werden. Zumindest ein Teil der Prüfung individualisiert, bringt die Kandidatin, den Kandidaten als Individuum ins Spiel, als Menschen, der sich professionell und selbst denkend, mit den eigenen Erfahrungen, der eigenen Perspektive, den eigenen Urteilen mit einem relevanten Gegenstand auseinandersetzt. Das geschieht zumeist in der schriftlichen Hausarbeit zur Prüfung, begrenzt auch in den Klausuren. In dieser Form eine Prüfung bestanden zu haben, die nicht schon identisch hunderte vor Ihnen bestanden haben oder mehrere oder ebenfalls hunderte mit Ihnen (wie im Abitur bzw. Zentralabitur), sondern wo die Thematik der Prüfung Teil der Prüfung war, weil Sie selbst in dieser Thematik sichtbar wurden gegenüber der community, das ist etwas, das Ihnen vorab kaum einsehbar erscheinen konnte.
In zweifachem Sinne können Sie sich und wollen wir Ihnen mit dieser Feier daher gratulieren dazu, einen Weg (zumindest vorläufig) abgeschlossen zu haben, dessen Ziel Sie beim Beginn noch gar nicht erkennen konnten, weil es noch gar nicht da war. Studieren heißt somit auch: sich auf Neues, Ungewisses einlassen, das man dann aber auch mit gestalten und mit prägen kann; studiert haben, heißt dann, in einem bestimmten Maße auch sichtbar geworden zu sein und die Sache, das Fach, die Wissenschaft und ihre Erkenntnis mit geprägt zu haben. Auch das kann und darf man feiern. Es ist Teil eines Bildungsprozesses, der mehr ist als Ausbildung, sondern Professionalisierung.
In einem weiteren, dritten Sinne aber – und hier wird es “neu”, wenn auch nicht “innovativ” – war zumindest für einen relevanten Teil von Ihnen die Prüfung nicht definiert, als Sie anfingen: ich meine die Bachelor-Studierenden Erziehungs- und Bildungswissenschaften. Sie stellen die erste Kohorte derjenigen, die wir hier an unserer Fakultät in dem zweistufigen Verfahren “ausbilden”. Wie diese Bachelor-Prüfungen genau funktionieren, nach welchen rechtlichen Bedingungen (von außen vorgegeben und selbst gestaltet), und mit welchen Inhalten sie zu gestalten waren, wie von der alten Zwischenprüfung im Anspruch abzugrenzen und vom Staatsexamen – vieles davon war noch “work in progress” als Sie studiert haben: Ihre BA-Prüfung war somit auch unsere, die der Fakultät, der Studiengänge, der Lehrenden. Ob und wie wir sie bestanden haben, wir leider nicht gleichermaßen zertifiziert. Um so bedeutsamer erscheint mir Ihre Leistung: Dieses Verfahren, in dem alle Beteiligten selbst noch Lernende sind, erfolgreich abgeschlossen zu haben, ist etwas, auf das man stolz sein kann. Es ist gewiss sinnvoll, wenn Sie auch uns, Ihren Lehrenden und der Institution, Rückmeldung geben über unsere Leistung.
Dies hat aber – und damit komme ich zum letzten Punkt – eine weitere Bedeutung: Wenn es gelingt, auf der Basis dieser nun formal im Bachelor bestätigten Qualifikation das folgende, gerade erstmalig begonnene Master-Studium stärker als eine eher gemeinsame Auseinandersetzung von Studierenden und Lehrenden mit einer Sache und um sie zu gestalten; wenn es gelingt, dass dieses sich deutlich abhebt von einer tatsächlichen oder vermeintlichen “Verschulung” des Bachelors, wenn es Ihnen und uns gelingt, den Bachelor nicht nur als “Zwischenfazit” hinzunehmen, sondern als Grundlage für ein weniger formalisiertes, stärker an der Sache ausgerichtetes Studium, das diesen Namen wieder verdient, dann hat der Bachelor auch für die Universität seinen Sinn gewonnen.
Wo immer Sie also weiter tätig sind, im Beruf oder im Studium, wünscht Ihnen das Dekanat der Fakultät für Erziehungswissenschaft, Psychologie und Bewegungswissenschaft, dass Ihnen diese Qualifikation nicht nur formal nützen und helfen möge, sondern dass Sie bei Ihrem weiteren Tun und Lernen so produktiv wie selbstständig darauf aufbauen und anknüpfen können. Alles Gute!

Vielen Dank