Eine zentrale Stelle, die sich in Deutschland mit der als problematisch empfundenen Ausformung von Geschichtsrevisionismus befasst und deren Definition deutlichen Wiederhall in der akademischen Auseinandersetzung mit dem Themenbereich findet, ist das Bundesamt für Verfassungsschutz.[1] Im jährlich nach der Endredaktion durch das Bundesinnenministerium veröffentlichten Verfassungsschutzbericht werden aktuell unter dem Verdacht staatsfeindlichen und demokratiegefährdenden Handelns stehende Gruppierungen, Organisationen und Institutionen vorgestellt. Die dezidierte Auseinandersetzung mit Revisionismus in Bezug zur Erstellung bzw. Zerstörung eines bestimmten Geschichtsbildes und die Verwendung als analytisches Werkzeug zeigt sich jedoch nicht von Beginn an.
In den Jahren 1968[2] bis 1973 tauchte die Bezeichnung revisionistisch im Verfassungsschutzbericht der damaligen BRD als Wiedergabe in ihrer politischen Dimension zur abwertenden Beschreibung von parteilichen Haltungen seitens der Neuen Linken und ähnlicher Organe, wie dem KBW, auf, die als Verrat an einem echten Sozialismus, vor allem durch SED und KPD, wahrgenommen wurden.[3] 1974 wurde Revision darüber hinaus noch als Forderung der NPD punktuell aufgegriffen, meinte hier aber noch keinen Eingriff in die Geschichtsschreibung, sondern den Widerruf der „Kniefall- und Kapitulationsverträge der sozialliberalen Nationalverräter“.[4] Unter kleineren Veränderungen der konkreten Akteur:innen blieb diese Begriffsverwendung als Aufgreifen der linken propagandistischen Sprache weitgehend konsistent bis zum Bericht von 2021. Der Umfang der Auseinandersetzung unter diesem Zugriff sank zwar im Nachgang des Mauerfalls, verschwand aber als Thema nicht ganz. Darüber hinaus gehend fand bis in die jüngste Zeit jedoch keine tiefergehende Auseinandersetzung mit einem Geschichtsrevisionismus in der linken Szene statt, sondern es bleibt bei der Wiedergabe als Streitbegriff aus der Sicht der Akteur:innen. Geschichtsverzerrende Thesen, Inhalte und Ziele seitens des linken politischen Spektrums wurden nicht separat erarbeitet und als Kategorie linker Revisionismus firmiert. Entsprechend findet sich revisionistisch auch nicht als Fremdbeschreibung für linke Beobachtungsobjekte.
1985 stellte der Verfassungsschutz fest, dass es, unter anderem wegen einer Unterwanderung durch Mitglieder der zwischenzeitlich verbotenen neonazistischen Gruppierung Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten (ANS/NA), bei der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP) den Versuch einer neonazistischen Neuausrichtung gegeben habe. Im Kontext dessen waren in mehreren westdeutschen Bundesländern Kampfprogramme herausgegeben worden, welche die „Revision des in großen Zügen verfälschten Geschichtsbildes“ [5] forderten. Dies stellt die erstmalige Nennung von rechter Revision in Bezug zu Geschichte seitens des Staatsschutzes dar. Zunächst wurde der, von den Beobachtungsobjekten selbst als positiv aufgestellte Geschichtsrevisionismus, nur direkt und indirekt zitiert, aber nicht als Merkmal extremistischer Agitation auf diese Objekte selbst angewandt.
In den folgenden Jahren griff der Bericht das Revidieren eines vermeintlich fälschlich etablierten Geschichtsbildes als Selbstbeschreibung der Tätigkeiten von rechten Akteur:innen vermehrt auf. Schnell wurde dadurch die Verwendung als Streitbegriff der Neuen Linken quantitativ übertroffen. 1986 wurde zum Beispiel die rechtsextreme Publikation Deutschland in Geschichte und Gegenwart als bedenklich eingestuft, da sie Zweifel am Massenmord an den Juden während des Nationalsozialismus verbreitet hatte. Als Beleg wurde folgendes Zitat aus der Publikation angeführt:
„Immer noch fehlt eine gründliche und unvoreingenommene Untersuchung darüber, was mit den nach Osten deportierten Juden überhaupt geschehen ist. Insonderheit die behaupteten Gaskammermorde sind, wie zahlreiche revisionistische Arbeiten [eigene Hervorhebung] längst aufgedeckt haben, in mehr als einer Hinsicht fragwürdig.“[6]
Die Beanspruchung von Revision als legitimer wissenschaftlicher Überarbeitung des aktuellen Kenntnisstandes zu Deportationen von Juden und Jüdinnen wurde dabei an sich nicht weiter kritisch beleuchtet. Auch gelangte es zur Aufmerksamkeit des Verfassungsschutzes, dass die unter sonstige rechtsextreme Gruppen geführte Kulturvereinigung Gesellschaft für Freie Publizistik 1988 Broschüren mit dem Titel „Revisionismus in der Zeigeschichte“ veröffentlichte. Mehr als diese Erwähnung folgt daraus nicht.[7]
In der Ausgabe von 1989 wurde den neonazistischen Revisionisten erstmals ein eigenes kurzes Unterkapitel gewidmet. Als „sogenannten Revisionisten“[8] wurde ihnen nun ihre selbstbeanspruchte wissenschaftliche Legitimation zumindest bedingt entzogen und die kritische Verwendung des Begriffs zusätzlich durch Anführungszeichen markiert. In der Darstellung wurden sie sodann als Auskopplung aus dem internationalen Rechtsextremismus betrachtet und ihnen eine typische These zugeordnet: die Massenvernichtung von Juden und Jüdinnen sei eine Erfindung der Siegermächte. Das Bestreiten der Kriegsschuld und die Verherrlichung Hitlers galten weiterhin als allgemeine Merkmale der rechtsextremen Szene.[9] Unter dem Schlagwort „[w]eltweite Revisionismuskampagne“,[10] bleibt die internationale Prägung in der Folge erhalten: „Die sogenannten Revisionisten, die insbesondere die Massenvernichtung von Juden durch das NS-Regime leugnen, setzten im In- und Ausland ihre 1989 begonnene Agitationskampagne verstärkt fort.“[11] Die Bezeichnung als (sogenannte) Revisionisten wird nun vermehrt als Außenzuschreibung und inhaltliche Diskreditierung seitens der Verfassungsschützer:innen verwendet,[12] wobei vor allem versuchte und gelungene Zusammentreffen im In- und Ausland Sorge bereiteten.
Mit dem Beginn der 90er Jahre startete die konzeptionelle Ausdifferenzierung dessen, was der rechtsextreme Geschichtsrevisionismus beinhalte. Ihm wurden nun revisionistische Thesen, Forderungen und Merkmale als Kennzeichnen zugeordnet:
- das Vertreten eines vermeintlich gesellschaftlichen Rufs nach einem Ende der Holocaust-Schuldvorwürfe,[13]
- die Behauptung eines einseitigen und unlauteren Geschichtsdiktats durch die Siegermächte,[14]
- das Nutzung eigener Publikationsorgane als Forum der Selbstinszenierung und -legitimierung durch die Darstellung als thematisch in besonderem Maße sachkundig[15]
- oder auch die Leugnung der Kriegsschuld und NS-Verbrechen allgemein.[16]
Bis 1996 blieb der Aspekt der internationalen Beziehungen noch der prägende Rahmen für die Auseinandersetzung mit dem Revisionismus der inländischen Beobachtungsobjekte. Von da an trat er in den Berichten ausgekoppelt als eigenständige deutsche Erscheinung unter den rechtsextremistischen Bestrebungen auf.[17]
Zu einer ersten expliziten Definition war es bereits 1994 im Zuge der Charakterisierung der Revisionisten Ernst Zündel und Thies Christophersen gekommen, zu denen es in einer erläuternder Fußnote heißt, Revisionisten seien „Leugner oder Verharmloser der Massenvernichtung von Juden im Dritten Reich“.[18] Die weiteren genannten und bereits zuvor als den rechtsextremen Geschichtsrevisionismus kennzeichnende Aspekte, wurden in dieser deutlich eng umrissenen Definition noch außer auch gelassen. Dass sich diese Frage allerdings zunehmend stellte, lässt sich daran erkennen, dass bereits im darauffolgenden Jahr das Unterkapitel Definition von Revisionismus im Berichtsteil zu den rechtsextremistischen Bestrebungen in Erscheinung trat. Inhaltlich wurde Revisionismus dort auf eine Verzerrung der Zeit des Nationalsozialismus eingegrenzt, wobei eine thematische bedingte Unterteilung in engen und weiten Revisionismus vorgenommen wurde. Deutlich gemacht wurde insgesamt, dass es sich um intentionale Geschichtsdarstellungen handle, die dem Kenntnisstand objektiver historischer Forschungen zuwiderliefen und die in Teilen einen Straftatbestand erfüllten. So hieß es:
„Der Revisionismus zeichnet ein Geschichtsbild vom Nationalsozialismus, das von den anerkannten Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung über die Zeit des Dritten Reiches abweicht: Es handelt sich um politisch motivierte Versuche, das NS-System von seiner moralischen Schuld zu entlasten oder gar ganz freizusprechen. Es wird zwischen einem engeren und einem weiteren Revisionismus unterschieden: Letzteres meint alle rechtsextremistischen Versuche der Verharmlosung des Nationalsozialismus, von der Leugnung der Kriegsschuld über relativierende Vergleiche zwischen den NS-Verbrechen und dem Vorgehen der Alliierten in bestimmten Fällen bis zur Diffamierung der deutschen Widerständler als Vaterlandsverräter. Das engere Verständnis von Revisionismus bezieht sich auf die Leugnung der Massenvernichtung von Juden in Gaskammern, also auf das Schlagwort von der ‚Auschwitz-Lüge‘. Ihre Verbreitung ist in Deutschland strafbar (§§ 130, 185, 189 StGB).“[19]
An die Stelle der Diffamierung von Widerständlern trat 1996 die „einseitige[n] Hervorhebung angeblicher Leistungen des Dritten Reiches (z. B. Bau der Autobahnen)“[20] und die Definition wurde um eine übergeordnete Funktion erweitert:
„Neben der angestrebten moralischen Entlastung des historischen Nationalsozialismus kommt dem Revisionismus innerhalb des rechtsextremistischen Lagers die Funktion eines thematischen Bindeglieds zwischen den unterschiedlichen Richtungen zu. Damit kann die zersplitterte rechtsextremistische Szene zumindest teilweise in inhaltliche Übereinstimmung gebracht werden.“[21]
Damit hatte der Verfassungsschutz im Wesentlichen seine Sichtweise von Geschichtsrevisionismus als Merkmal von und verbindendes Element sowie übergreifendes Agitationsthema für die rechte Szene mit konkreten zugehörigen Inhalten und Absichten gefunden. Diese erhielt 1997 nochmals eine Ergänzung um den Hinweis, dass sich die Revisionist:innen schwerpunktmäßig um Themen bemühten, die auch in der historischen Forschung kontrovers seien, um hier die Debatte in von Ihnen gewünschte Richtungen zu lenken. Im Inland äußerten sie sich wegen der nun forcierten Strafverfolgung hierzu nun aber zunehmend in Form von Andeutungen, Fragen oder Suggestionen.[22]
Der Revisionismus-Begriff hatte sich als negative Zuweisung etabliert und fand ab der Mitte der 90er Jahre eindeutig in dieser Form Verwendung. Seit 1989 war die Verwendung von Begriffen rund um Geschichtsrevisionismus deutlich angestiegen und erreichte 1996 mit 39 Personen und Organisationen, die als geschichtsverfälschend markiert wurden einen Höhepunkt. Die Verwendung als positive Selbstbezeichnung wurde im Vergleich nur noch punktuell zitiert, um als Beleg für die Beobachtungsgründe zu dienen. Die Darstellung der revisionistischen Agitation – im engeren und weiteren Sinne – aus dem In- und Ausland nahm in der Regel nun mehrere Seiten in Anspruch.
Abb: Nennung der Lexeme Revisionismus, Revisionist*, revisionistisch*, Geschichtsklitterung und geschichtsklitternd* in den Verfassungsschutzberichten der BRD nach Kategorien geordnet (eigene Darstellung).[23]
Eine reflektierende Abgrenzung des selbstbeanspruchten Revisionismus von der Ebene von Geschichtsrevisionismus, die im kritischen Rationalismus begründet und damit ein legitimer Teil des historischen Forschungsprozesses ist, erfolgte 1999. Dem rechtsextremistischen Revisionismus komme
„eine ganz andere Bedeutung zu als in der wissenschaftlichen Diskussion und Forschung, wo man darunter eine Korrektur bisheriger Auffassungen vor dem Hintergrund neuer Erkenntnisse und Deutungen versteht. Einer objektiv-wissenschaftlichen steht hier die politisch-ideologische Auffassung gegenüber. Ganz bewusst versuchen rechtsextremistische Autoren in ihren Veröffentlichungen, diesen grundlegenden Unterschied zu verwischen.“[24]
Somit wurde nicht nur die Indienstnahme konkreter verfälschter Geschichtserzählung zum ideologischen Zweck als Inhalt von Geschichtsrevisionismus verstanden, sondern auch der fälschlich beanspruchte theoretisch-konzeptionelle Rahmen aufgezeigt und ein mögliches Ziel kritischer Aufarbeitung angeboten. Die begriffliche Beanspruchung des Revisionismus-Forschungsprinzips wurde als Mittel der Selbstlegitimierung enttarnt und ihr mit klar Begriffen wie „Tendenzgeschichtsschreibung“[25] entgegengetreten.[26]
Etwa zur selben Zeit wurde die Liste der Thesen, Forderungen und Merkmale vom Anfang der 90er Jahre um einige typisch revisionistische Methoden erweitert:
- die Gleichsetzung der Verbrechen der Nazi-Diktatur mit anderen, speziell alliierten, Verbrechen
- das übermäßige Herausstellen vermeintlich positiver Aspekte des Nationalsozialismus
- das manipulative Erstellen sogenannter Gutachten als Fortführung des angeblichen wissenschaftlichen Anspruchs
- die einseitige Auswahl und komplette Erfindung von den Nationalsozialismus rechtfertigenden Dokumenten
- die selektive oder verfälschende Zitation historischer Quellen
- sowie die Interpretation des Hitler-Regimes als pervertierte Form einer angeblich guten Idee fest.[27]
Thematisch traten die Präventivkriegsthese, die von revisionistischen Zeitzeug:innen untermauerte Behauptung eines differenzierten Dritten Reiches anstelle einer monolithischen Einheitsideologie und die Konstruktion einer idealistischen Jugend, die lediglich an den Ränken kleiner parteipolitischer Gruppe gescheitert sei, hinzu.[28]
Entsprechend dieser Erweiterungen tauchte Geschichtsrevisionismus in den Berichten um die Jahrtausendwende häufig auf erreichte 2002 einen zahlenmäßigen Höhepunkt. Dies dürfte auch vor dem Hintergrund der Debatte um die Ausrichtung des noch neuen gesamtdeutschen Staates und spezieller der Diskussion um Einwanderungs-, Ausländer- und Flüchtlingspolitik zu sehen gewesen sein, die rechtsextreme Agitation befeuerten.[29] Seither beobachtete der Verfassungsschutz Rückgangstendenzen bei geschichtsrevisionistischer Agitation. Es sei zu einer Verlagerung der Aktivitäten in das Internet und damit einhergehend zu einem Rückgang revisionistischer Buchpublikationen gekommen,[30] was der verstärkten Strafverfolgung von Holocaustleugnung zugeschrieben wurde. Zwar sei die geschichtsrevisionistische Leugnung des Holocaust weiterhin „[e]ines der wichtigsten thematischen Agitationsfelder von Rechtsextremisten im Ausland mit Bezug auf Deutschland“, aufgrund der Verfolgung solcher Aussagen nach §130, 185 und 189 StGb hätten aber „mehrere Revisionisten nach einigen Verurteilungen in den 90er Jahren ihre Aktivitäten ins Ausland“ verlagert und kurz darauf „mittlerweile auch im Ausland ihre Arbeit eingestellt“.[31]
Besonders hervorgehoben wurden die schweren Schläge, die der revisionistischen Szene durch die Abschiebung des Revisionisten Ernst Zündel aus Kanada und dessen anschließender Verhaftung wegen Hetze und Holocaustleugnung in Deutschland sowie durch die Auslieferung des Revisionisten Germar Rudolf von den USA nach Deutschland, durch die Verhaftung des britischen Revisionisten David Irving in Österreich und durch die Überstellung des belgischen Revisionisten Siegmar Verbeke an die deutsche Justiz versetzt worden seien.[32] Fast schien der Geschichtsrevisionismus besiegt.
„In den letzten Jahren hat sich die Situation für rechtsextremistische Revisionisten generell verschlechtert. Grund hierfür sind sowohl der gewachsene Verfolgungsdruck auf die Akteure als auch eine unzureichende Unterstützung durch rechtsextremistische Gesinnungsgenossen sowie schwindende personelle Ressourcen, aus denen sich ein publizistischer Nachwuchs rekrutierten könnte.“[33]
Anders als in den Jahren des Historikerstreits, gelänge es den Revisionisten generell nicht mehr, „ein ihren Zielen förderliches öffentliches Interesse zu wecken.“[34]
Entsprechend nahm die Auseinandersetzung mit den Schlagwörtern rund um Revisionismus in der Berichtlegung des Staatsschutzes quantitativ insgesamt ab, bis 2009 eine gewisse Trendwende folgte. Nachdem bereits im Jahr zuvor eingeräumt worden war, dass die internationale Revisionisten-Szene zwar weiter durch Strafverfolgung und Verbote von Organisationen unterspült werde, die Leugnung des Holocaust aber einen unvermindert hohen Stellenwert bei allen Strömungen deutschen Rechtsextremismus besitze,[35] wurde die Untersuchung von Geschichtsrevisionismus nun wieder aus der internationalen Perspektive gelöst. Erneut rückte der zeitgeschichtliche Revisionismus als Kernelement deutschen Rechtsextremismus separat in den Fokus.[36] Da die Szene aber als organisatorisch weitgehend zerschlagen angesehen galt,[37] hielt sich Beschäftigung quantitativ in Grenzen.
In der Folge verschwand diese Einschätzung des anstehenden Niedergangs. Die revisionistische Agitation außerhalb von Publikationen und „Fachkongressen“ in Form von Gedenkmärschen und Demonstrationen wurde nun vermehrt beobachtet und als eine Ausformung revisionistischen Handelns geführt.[38] Seitens der Beobachter hatte sich also das wahrgenommene Handlungsfeld von Geschichtsrevisionismus auf die Versuche der Beeinflussung öffentlicher bzw. allgemeiner Gedenk- und Erinnerungskultur, ausgehend von bekannten rechtsextremen Akteur:innen, ausgeweitet. Ebenso registrierte man neuerdings auch verstärkte Versuche des juristischen Eingreifens, die sich gegen die Strafbarkeit revisionistischer Äußerungen im In- und Ausland richteten, als Dimension von geschichtsrevisionistischer Agitation.[39]
Ungeachtet dessen war dem Geschichtsrevisionismus seit 2013 kein eigenes Kapitel in einem Verfassungsschutzbericht mehr gewidmet und die begriffliche Auseinandersetzung sank. Der Grund für den Rückgang der Auseinandersetzungen und Beobachtungsanlässe ist aus dem Text nicht ersichtlich und erstaunt auch insofern, als dass in diese Zeit das Auftreten mehrerer populärer und populistischer Bündnisse und Parteien fiel (Reichsbürger und die zunehmend ausgekoppelten Selbstverwalter 2011; PEgIdA 2013; Dritter Weg und Identitäre Bewegung jeweils 2014) die seither für einen rechten Geschichtsrevisionismus anschlussfähige Ideologieelemete propagieren. 2021 wurde zwar festgestellt, dass die Rechtsextremen die Proteste gegen die staatlichen Corona-Schutzmaßnahmen zu instrumentalisieren versuchten und ab Herbst des Jahres durchaus gesellschaftlichen Wiederhall fanden, die Nutzung revisionistischer Thesen und Methoden wurde aber nicht thematisiert. Es hieß, „Antisemitismus und antisemitische Narrative wurden durch die Coronapandemie verstärkt. Insbesondere über soziale Medien werden antisemitisch konnotierte Verschwörungstheorien auch über die Grenzen des rechtsextremistischen Spektrums hinaus verbreitet.“[40] Bei dem zielgerichteten Aufgreifen von tagesaktuellen und gesellschaftlich kontroversen Themen handele es sich um einen Rückgriff auf ein bewährtes Mittel, das schon einmal zum Erfolg für die Propagierung der Szene beigetragen hatte, und um einen Strategieansatz der Finanzierung:
„So wurden zum Beispiel in der Corona-Pandemie T-Shirts, Aufkleber und Gesichtsmasken mit provokativen Botschaften angeboten. Der Vertrieb solcher Produkte kann nicht nur Finanzmittel generieren, sondern ermöglicht der Szene eine gezielte Beeinflussung des gesellschaftlichen Diskurses und den Transport rechts extremistischer Positionen in breitere Bevölkerungsschichten.“[41]
Die im Rahmen von Protesten aufgetretenen Diktatur-Gleichsetzungen, Widerstandsinszenierungen und verharmlosenden Übernahmen von Judensternen[42] wurden prinzipiell als Versuch der Instrumentalisierung und Unterwanderung erkannt, nicht aber in Ihrer historischen Bedeutung reflektiert.
Eine neue konzeptionelle Auseinandersetzung mit der Gegenwartserscheinung Geschichtsrevisionismus an sich oder inhaltlich über den Bereich der Geschichte des Nationalsozialismus hinaus fand bisher nicht statt. Geschichtsrevisionismus bleibt für den Verfassungsschutz verbindendes Element und übergreifendes Agitationsthema für verschiedene rechtsextreme Akteur:innen und findet in dieser Form auch Wiederhall in diversen akademischen Definitionen, was zu einer thematischen Überschärfe des Begriffs führt.
Gleichzeitig besteht dadurch eine deutliche Unschärfe, denn Formen von passivem oder reproduktivem ‚Alltagsrevisionismus‘ – also Revisionismus außerhalb strafrechtlich relevanter Agitation von Rechtsextremen – und das Ankommen der geschichtsverzerrenden und demokratiegefährdenden Parolen, Narrationsstrukturen und Thesen in der gesellschaftlichen Mitte finden ebenso wenig konkrete Berücksichtigung, wie ein Geschichtsrevisionismus, der unter anderen thematischen Bezugspunkten und mit inhaltlich konkret anders gearteten Zielen aber prinzipiell ähnlichen Methoden außerhalb der rechtsextremen Szene betrieben wird.
[1] Auch die einzelnen Bundesländer veröffentlichen über ihre regionalen Verfassungsschutzbehörden eigene Berichte, die jedoch in die Erstellung des Gesamtberichts einfließen und an dieser Stelle nicht gesondert berücksichtigt wurden.
[2] Ein erster Vorläuferbericht wurde ohne Beteiligung der Verfassungsschutzbehörden bereits 1962, als Reaktion auf alarmierende Berichte über riesige Gruppen rechtsradikaler Gruppierungen zu kursieren begannen, herausgegeben. Siehe Bundesministerium des Inneren: Erfahrungen aus der Beobachtung und Abwehr rechtsradikaler und antisemitischer Tendenzen 1961. Bonn 1962. Erst ab 1968 wurde jedoch ein jährlich erscheinender Bericht zur Aufklärung der Bevölkerung für notwendig erachtet.
[3] Siehe Bundesministerium des Innern (Hrsg.): Zum Thema. Erfahrungsbericht über die Beobachtungen der Ämter für Verfassungsschutz im Jahre 1968. Bonn 1969, 76; BMdI (Hrsg.): Betrifft. Verfassungsschutz 1969/70. Bonn 1971, 29 und 32; BMdI (Hrsg.): Betrifft. Verfassungsschutz 1971. Bonn 1971, 29 und 59; BMdI (Hrsg.): Betrifft. Verfassungsschutz 1972. Bonn 1972, 79 und 92. Auch nach der Wiedervereinigung ist diese Darstellungsweise als Vorwurf der MLPD an die KPdSU punktuell noch zu finden. Seitens des Staatsorgans bleibt es auch hier bei einer Nennung, ohne inhaltliche Auseinandersetzung mit diesem Aspekt der inneren Zerrissenheit linker extremistischer Beobachtungsfälle, wohingegen im Revisionismusvorwurf durch die MLPD an DKP und PDS mit der Kritik an deren Positivierung der Stasi-Diktatur eine Schnittmenge mit einer gegenwärtigen Inhaltgetriebenen Definition von Geschichtsrevisionismus vorliegt. Allerdings richtet sich die Kritik nicht gegen die Prinzipielle Indienstnahme von Geschichte zur Verharmlosung der Gewaltherrschaft der SED, sondern die ebenfalls aus ideologischen Gründen abzulehnende fälschliche Darstellung der Stasi-Diktatur als Sozialismus. BMdI (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 1991. Bonn 1992, 53f.
[4] BMdI (Hrsg.): Betrifft. Verfassungsschutz 1974. Bonn 1971, 20.
[5] BMdI (Hrsg.): Betrifft. Verfassungsschutz 1972. Bonn 1985, 152.
[6] Deutschland in Geschichte und Gegenwart, 1 (1986), 12f. Zitiert nach BMdI (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 1986. Bonn 1987, 186.
[7] Siehe BMdI (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 1988. Bonn 1989, 134.
[8] Ebd.
[9] Siehe ebd., 135.
[10] BMdI (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 1988. Bonn 1990, 120. Siehe weiterhin z.B. BMdI (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 1991. Bonn 1992, 122.
[11] Ebenda.
[12] Siehe hierzu im selben Bericht die Beschreibung von David Irving (S. 109 und 120), David L. Hoggan (S. 115), Udo Walendy (S. 116), Robert Faurisson (S. 120), Max Wahl (S. 120).
[13] Siehe BMdI (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 1991. Bonn 1992, 101.
[14] Siehe Ebenda, 104.
[15] Siehe Ebenda, 119.
[16] Siehe BMdI (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 1992. Bonn 1993, 125.
[17] Siehe BMdI (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 1996. Bonn 1997, 4f.
[18] BMdI (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 1994. Bonn 1995, 111.
[19] BMdI (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 1995. Bonn 1996, 167.
[20] BMdI (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 1996. Bonn 1997, 150.
[21] Ebenda.
[22] Siehe BMdI (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 1997. Bonn 1998, 121f.
[23] Nicht gezählt wurden Nennungen in Inhaltsverzeichnissen und Marginalien. Ebenso wurden Nennungen, die sich inhaltlich auf die juristische Bedeutung der Revision als Teil des Berufungsprozesses, auf das Strukturelement Revisionskommission in der Parteiorganisation der DKP oder auf die politische Forderung nach der Revision von Verträgen ohne dezidierten historischen Bezug.
[24] BMdI (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 1999. Bonn 2000, 73.
[25] BMdI (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 2008. Bonn 2009, 134.
[26] Diese Unterscheidung fand sich in den folgenden Berichten der Jahre 2000 bis 2003 ebenfalls in vergleichbarer Form wieder, fiel dann aber der Streichung des Revisionismus-Kapitels aus dem Bericht zum Opfer. Erst 2009 lebte sie mit der Wiedereinführung der Sektion erneut auf, wobei eher die Betonung der Nichtwissenschaftlichkeit und weniger die Abgrenzung von legitimer wissenschaftlicher Praxis dargestellt wurde. BMdI (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 2000. Bonn 2001, 103; und BMdI (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 2009. Bonn 2010, 130. Mit Ausnahme einer erläuternden definitorischen Fußnote im Bericht von 2012 setzte sich dies bis zum erneuten Wegfall des Kapitels ab 2013 fort. Hiernach verschwand diese Auseinandersetzungsebene generell. BMdI (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 2000. Bonn 2001, 103; und BMdI (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 2012. Bonn 2013, 142.
[27] Siehe BMdI (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 2000. Bonn 2001, 103; und BMdI (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 2001. Bonn 2002, 119.
[28] BMdI (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 2001. Bonn 2002, 121.
[29] Siehe hierzu beispielhaft Deutsche Einheit (APuZ, 2020); Deutsche Wiedervereinigung (APuZ, 2010) Bundesamt für Verfassungsschutz: Ein Jahrzehnt rechtsextremistischer Politik. Strukturdaten – Ideologie – Agitation – Perspektiven. 1990 – 2000. Bonn 2001. Conze, Eckard: Auf der Suche nach Sicherheit. Eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis in die Gegenwart. München 2009; Bendel, Petra/Borowski, Andrea: Entwicklung der Integrationspolitik. In: Heinz Ulrich Brinkmann/Martina Sauer (Hrsg.): Einwanderungsgesellschaft Deutschland. Entwicklungen und Stand der Integration. Wiesbaden 2016, 99-116.
[30] BMdI (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 2000. Bonn 2001, 28 und 103.
[31] BMdI (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 2003. Bonn 2004, 96.
[32] BMdI (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 2004. Bonn 2005, 111; und BMdI (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 2005. Bonn 2006, 125.
[33] BMdI (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 2005. Bonn 2006, 125f.
[34] BMdI (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 2006. Bonn 2007, 137.
[35] BMdI (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 2008. Bonn 2009, 139.
[36] BMdI (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 2009. Bonn 2010, 130ff.
[37] Ebenda, 132.
[38] BMdI (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 2011. Bonn 2012, 130.
[39] Ebenda, 71.
[40] BMdI (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 2021. Bonn 2022, 50.
[41] BMdI (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 2021. Bonn 2022, 59.
[42] Siehe z.B. Deutschlandfunk Kultur: Corona Demos in Berlin. „Unglaubliches Unbehagen gegen unsere Regierungsform“ (29.08.2020), URL: https://www.deutschlandfunkkultur.de/corona-demos-in-berlin-unglaubliches-unbehagen-gegen-unsere-100.html