Call for Papers/Projects | Workshop am 20./21.6.2019

Doing History

Praktiken des Geschichtemachens in transmedialen Geschichtskulturen

30. April 2019, von Thorsten Logge

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Foto: T. Logge

 

Die Praktiken des „Geschichtemachens“ stehen im Mittelpunkt einer neuen interdisziplinären Forschungsinitiative: Die Projektgruppe „Doing History“ sucht Projektideen für die Einrichtung des Forschungsverbundes „Doing History – Praktiken des Geschichtemachens in transmedialen Geschichtskulturen“ und Beiträge für einen Auftaktworkshop, der am 20./21. Juni 2019 in Hamburg stattfindet. Zielgruppe sind alle historisch arbeitenden Disziplinen in den Kultur- und Geisteswissenschaften.

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Geschichte ist nicht einfach Vergangenheit, über die berichtet wird, Geschichte wird gemacht! Performative Geschichtskulturen konstruieren Geschichte in unterschiedlichen Kontexten – in Romanen, Fernsehsendungen, Kinofilmen, Reenactments, Gedenkveranstaltungen, szenischen Lesungen, Ausstellungen oder historiografischen Projekten – auch, um individuelle und kollektive Identitäten herzustellen und auszuhandeln. All diese Praktiken des Geschichtemachens mit ihren je spezifischen Techniken und Verfahren der Herstellung und Distribution von Narrativen sowie mit den unterschiedlichen textuellen und nicht-textuellen Produkten oder Objektivationen, in denen die Narrative ihre mediale Form finden, lassen sich als Variationen eines performativ erweiterten Begriffs von Historiografie fassen. Dieser bezieht sich nicht allein auf die Arbeit und das Ergebnis der textlich fokussierten professionellen Historikerinnen und Historiker, sondern umfasst potentiell alle denkbaren Praktiken des Geschichtemachens.

Kommunikative Formen und Mittel des „Geschichtemachens“

Bei den hier angesprochenen Aushandlungsprozessen spielen die Formen und Mittel der Kommunikation mit der ihnen jeweils eigenen, besonderen Materialität und Medialität eine wichtige Rolle. Sie sind inhärente Bestandteile der nicht selten überlappenden oder gar in eins fallenden Entstehungs-, Präsentations-, Distributions- und Rezeptionsprozesse, kurzum: der Performativität des Geschichtemachens. Wohl kaum eine Praxis des Geschichtemachens lässt sich zudem auf ein einziges Medium beschränken, sie alle sind grundsätzlich transmedial. Das gilt auch dann, wenn einzelne Medien zuweilen eine dominantere Rolle einnehmen. Während etwa die universitäre Geschichtsschreibung noch immer und überwiegend Schriftquellen, d. h. Texte, bevorzugt, privilegiert Geschichte in Film und Fernsehen eher Bild- oder Bewegtbildquellen. Wiederum andere Praktiken des Geschichtemachens nutzen diverse, auch nicht-textuelle, Objekte, Formen und Formate in ganz unterschiedlichen Kombinationen. Dies gilt ausdrücklich auch für die Performance-Kunst.

Aber auch Medien selbst können zum Gegenstand der Aushandlung werden, die wiederum von ihnen selbst und ihren Eigenschaften mit beeinflusst wird. Im Prozess des Geschichtemachens entstehen somit medial konnotierte „Geschichtssorten“, über die auch diese doppelte Rolle der Medien greifbar wird.

Praxeologische Perspektiven

Obwohl in den letzten Jahren das Interesse vor allem an populären medialen Geschichtsdarstellungen in verschiedenen Disziplinen immer stärker gestiegen ist, fehlt es weiterhin an einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Prozessualität von Geschichtskonstruktionen selbst: einer Analyse des DOING History. Geschichtssorten sind daher auch weniger aufzufassen als Werkkategorien wie „Genres“, „Gattungen“ oder „Formate“, sondern als Aneignungs- und Gebrauchsformen (uses of the past) und produktive Handlungstypen (practices of historiography). Aus ihnen gehen die medial differenzierten, adressatenfokussierten, narrativen Geschichtsprodukte hervor (history types), die in Identitäts- und Orientierungsdiskursen von räumlich, zeitlich und sozial spezifischen Versammlungsöffentlichkeiten/medialen Milieus gegenwartsbezogen kommunikativ verhandelt werden (adaptions to and adoptions of history). Aneignungs- und Gebrauchsformen sowiedie Praktiken der Adaption und Adoption stellen im Aus- und Aufführen von Geschichte wiederum eigene Ereignisse dar, für die Aus- und Aufführenden sowie deren Publika. Nicht nur die referenzierten Ereignisse in der Vergangenheit, auch das rezipierende Erleben von Geschichte hat somit einen spezifischen Ort in Raum und Zeit und hinterlässt eigene Spuren. Die Praktiken des Geschichtemachens wirken zudem produktiv und transformativ auf das Geschichtsbewusstsein aller an diesem Prozess Teilhabenden.

Das Projekt DOING HISTORY steht für einen Perspektivenwechsel: Nicht mehr die referenzierte Ge- oder Begebenheit in der Vergangenheit soll im Mittelpunkt stehen, sondern vielmehr die unterschiedlichen historiografischen Praktiken der Ereignisbeschreibung und -konstituierung in und durch Geschichte, deren medial spezifischen Produkte sowie ihre Einbettung in diskursiven Aushandlungsprozessen. Das Projekt verortet sich somit transdisziplinär an den Schnittstellen von Geschichtswissenschaft, Medien- und Kommunikationswissenschaft, Geschichtsdidaktik, Europäischer Ethnologie sowie allen Geistes-, Kultur- und Humanwissenschaften, die sich mit der Produktion und Distribution von (historischem) Wissen beschäftigen.

Das Projekt DOING HISTORY widmet sich den unterschiedlichen Praxen, in denen und durch die Geschichte konstruiert wird. Im Mittelpunkt stehen unter anderem Prozesse des Sammelns, Archivierens, Selektierens, des Fragmentierens, Rahmens, Inszenierens und des Narrativierens, Operationen der Transmission, d. h. der Übertragung, der Vermittlung und Übermittlung, die die Bearbeitungsprozesse des Materials kennzeichnen, der Adaption, Adoption und Transgression im Umgang mit Vergangenheit und Geschichte, des historischen Lernens auch und gerade in historischer Perspektive sowie nicht zuletzt der Agency, der Handlungsmacht, die den einzelnen Akteuren bei den Transformations- und Transgressionsprozessen bei der Produktion, der Repräsentation, der Distribution, der Exhibition – also den Aufführungspraktiken – und der Rezeption von Geschichte in verschiedenen (medialen) Milieus zukommt. Die Praktiken des Geschichtemachens werden dabei nicht allein unter medialen, methodischen, sozialen oder psychologischen Fragestellungen untersucht, sondern stets auch im Hinblick darauf, wie in ihnen und mit ihnen historischer Sinn entsteht und dieser gesellschaftlich distribuiert wird.

Transdisziplinärer Zugriff auf das Machen von Geschichte

Auch wenn dieser praxeologische Perspektivenwechsel vor allem im emergierenden Feld der Public History besonders deutlich wird, zeichnet er sich in verschiedenen Fächern bereits seit mehreren Jahren ab. Er unterstreicht die Transdisziplinarität einer Fragestellung, die sich auf die Prozessualität des Aushandelns von Geschichte(n) konzentriert und auf die Art und Weise, wie dadurch Handlungsmacht für die jeweiligen Akteure, Subjekte und Objekte historiografischer Praktiken potenziert oder depotenziert wird. Tatsächlich zeigen sich ähnliche Fragen und Perspektivenwechsel in mehreren transdisziplinären Ansätzen: in der Adaptierung der Akteur-Netzwerk-Theorie und praxeologischen Herangehensweisen in den Performance Studies, den Körpertheorien der Medien oder der medienwissenschaftlichen Medialitätsforschung, in der Mediologie ebenso wie in medienethnographischen Ansätzen oder den Postcolonial Studies – um hier nur einige zu nennen. Auch die Geschichtsdidaktik hat schon früh Formen des „außerwissenschaftlichen“ und „außerschulischen“ Umgangs mit Geschichte in den Blick genommen, ihre Prägung durch sowie Bedeutung für das Geschichtsbewusstsein in der Gesellschaft theoretisch und empirisch untersucht und mit Blick auf entsprechende Beiträge, Herausforderungen, Anforderungen und Pragmatiken für historisches Lehren und Lernen reflektiert.

Querstehend zu Fächergrenzen zeigt sich hier eine gemeinsame Suchbewegung, die den Zusammenhang von Geschichte als mediale Form der Aushandlung von Identität (bzw. Dividualität) untersucht und dabei auch Fragen nach medialer Authentizität bzw. Glaubwürdigkeit (und die Bedingtheit dieser Kriterien) stellt. Geschichtemachen kann freilich auch als Form des Spielens oder gemeinsamen Tuns verstanden werden, als Freizeit- und Unterhaltungspraxis, als Kommodifizierung des Historischen, dessen primäres Ziel nicht die identitätsbezogene Orientierung und Sinnbildung ist. Auch diese Praktiken bringen stets historische Narrationen in diversen medialen Formen und Formaten hervor und verbreiten sie in kommunikativen Praktiken. Sie können und müssen allesamt inter- und transdisziplinär untersucht werden. Im Mittelpunkt stehen dabei gleichermaßen historische wie gegenwärtige Praktiken der Geschichtskonstruktion, nicht-universitäre wie auch universitäre Praktiken des Geschichtemachens in allen denkbaren (medialen) Formen und Formaten.

Beiträge gesucht!

Wir suchen nach Beiträgen und Projekten, die sich mit folgenden Aspekten, Zusammenhängen oder Komplexen beschäftigen:

  1. Fragen zu Medialität und Performanz: Wie wird Geschichte medial ausgehandelt? Wie lässt sich das Material der Vergangenheit in der Gegenwart als Teil der Erinnerungskultur assoziativ verwenden? Wie verändern sich Glaubwürdigkeitskriterien von handlungsorientierten Geschichtskonstruktionen?
  2. Fragen zu Handlungsmacht und Empowerment: Wie verändert sich durch die Konstruktion und Aushandlung von Geschichte die Handlungsmacht von Akteuren und Aktanten? Welche (historischen) Vorbilder gibt es für partizipative Geschichtskonstruktionen?
  3. Fragen zu theoretischen und methodischen Perspektiven: Welche neuen theoretischen wie auch methodischen Perspektiven ergeben sich im Rahmen einer praxeologischen Analyse von Geschichtskonstruktionen?
  4. Vergleichende bzw. inter- und transkulturelle Ansätze: Wie gestaltet sich das Doing History in verschiedenen kulturellen Kontexten?
  5. Medientheoretische Perspektiven: Welche theoretischen und methodischen Aspekte sind bei der Untersuchung transmedialer Praktiken des Geschichtemachens zu berücksichtigen?
  6. Diachrone Perspektiven: Wie haben sich Formen und Praxen des Umgangs mit Geschichte verändert? Welche Bedeutung haben diese Veränderungen für die Herausbildung neuer Geschichtsbilder und Geschichtsverständnisse?
  7. Didaktische Perspektiven: Welchen Einfluss auf Formen historischen Lernens in unterschiedlichen gesellschaftlichen Zusammenhängen haben einzelne oder mehrere Praxen und Medien des Doing History? Welchen Beitrag können sie leisten? Welche Ansprüche an Lernprozesse stellen sie an ihre Akteure und welche Herausforderungen an historisches Lernen in der Gesellschaft ergeben sich aus ihrer Existenz und Entwicklung?

Projekte, die Aspekte und Ansätze quer zu den hier genannten Feldern diskutieren und/oder ergänzende Fragestellungen diskutieren möchten, sind herzlich willkommen.
Bewerbung

Einreichungen enthalten ein Abstract (maximal 500 Worte) und eine Kurzbiografie und sind einzusenden an thorsten.logge@uni-hamburg.de, Einsendeschluss ist der 30. April 2019.
Workshop am 20./21. Juni 2019

Die Projektgruppe wählt aus den Einsendungen geeignete Projektbeiträge aus. Die ausgewählten Beitragenden werden in der ersten Maiwoche informiert und zur Ausarbeitung eines 15-minütigen Vortrags eingeladen, der auf einem Workshop am 20./21. Juni 2019 in Hamburgpräsentiert werden soll. Der Workshop dient der Vorbereitung eines Forschungsverbundantrags, in dem die Einzelbeiträge als Teilprojekte integriert werden können.
Veröffentlichung

Eine Veröffentlichung der ausgewählten Beiträge in der Reihe „Medien der Geschichte“ (De Gruyter Oldenbourg) ist vorgesehen, der Band soll 2020 erscheinen.

Reisekostenübernahme

Reisekosten (Deutsche Bahn, 2. Klasse) werden bis zu einer Höhe von 250 Euro pro Beitrag übernommen, eine Unterkunft im Hotel wird gestellt.

Projektgruppe „Doing History“

Prof. Dr. Cord Arendes (Heidelberg)
Prof. Dr. Andreas Körber (Hamburg)
Prof. Dr. Thorsten Logge (Hamburg)
PD Dr. Stefanie Samida (Heidelberg)
Dr. Juliane Tomann (Jena)
Prof. Dr. Thomas Weber (Hamburg)

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Kontakt

Prof. Dr. Thorsten Logge
Universität Hamburg
Fakultät für Geisteswissenschaften
Fachbereich Geschichte | Public History
Überseering 35 #5, Raum 02045
22297 Hamburg
Tel.: +49 (0)40 42838 9061
E-Mail: thorsten.logge@uni-hamburg.de