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Zum Offe­nen Brief von inzwi­schen ca. 70 Leh­ren­den an Schul­se­na­tor Ties Rabe wegen der geän­der­ten Rege­lun­gen zur Aus­wahl von Bewerber*innen für den Vor­be­rei­tungs­dienst, durch wel­che umfang­rei­che frü­he Schul­pra­xis mit Boni hono­riert wird, gibt es nun auch ein (halb-fik­ti­ves) 1 Inter­view:

Anfang Febru­ar berich­te­te die Pres­se von der erst­ma­li­gen Anwen­dung einer neu­en Rege­lung für die Aus­wahl von Bewerber*innen für den Vor­be­rei­tungs­dienst im Lehr­amt, der­zu­fol­ge nen­nens­wer­te unter­richt­li­che und unter­richts­ähn­li­che Pra­xis bereits im Vor­feld – also im Stu­di­um – mit Boni belohnt wird. Schul­se­na­tor Rabe sprach in die­sem Zusam­men­hang von will­kom­me­ner Aner­ken­nung flei­ßi­ger und tüch­ti­ger Bewerber*innen. Neben der Oppo­si­ti­on haben nun auch über 40 Professor*innen der Ham­bur­ger Uni­ver­si­tät und fast 30 wei­te­re Leh­ren­de Kri­tik geübt. Sie befürch­ten nega­ti­ve Aus­wir­kun­gen auf die wis­sen­schaft­li­che Aus­bil­dung an der Uni­ver­si­tät, wenn die­se frü­he Pra­xis für Stu­die­ren­de attrak­tiv gemacht wird. Offe­ner Brief an den Schulsenator

Wo liegt eigent­lich das Pro­blem, wenn beson­ders tüch­ti­ge Bewerber*innen belohnt wer­den? Wäre es nicht gera­de wün­schens­wert, dass ange­hen­de Lehrer*innen schon Erfah­rung aus dem Schul­all­tag mitbringen?

Grund­sätz­lich spricht nichts dage­gen, dass Stu­die­ren­de prak­ti­sche Erfah­run­gen im Schul­all­tag sam­meln. Das Pro­blem sind fal­sche Anrei­ze für das Stu­di­um, die sich durch hand­fes­te Aner­ken­nung für frü­he Unter­richts­pra­xis erge­ben – etwa durch Vor­tei­le bei der Refe­ren­da­ri­ats­platz­ver­ga­be gegen­über Stu­die­ren­den, die sich auf das Stu­di­um konzentrieren.

Der Lehr­be­ruf ist eine Pro­fes­si­on, wie bei Mediziner*innen oder Jurist*innen. Lehrer*innen grei­fen in Lebens­chan­cen von Men­schen grund­sätz­lich ein. Sie tun dies unter immer neu­en Bedin­gun­gen und durch sehr per­sön­li­ches Han­deln. Lehrer*innen sind nicht wirk­lich ein­fach aus­tausch­bar. Unter­rich­ten und Erzie­hen lernt man nicht ein­fach als über­trag­ba­re Metho­de. Natür­lich gibt es Metho­den, Prin­zi­pi­en und Regeln. Sie müs­sen aber immer wie­der neu und immer in eige­ner pro­fes­sio­nel­ler Ver­ant­wor­tung den Her­aus­for­de­run­gen, Ler­nen­den und Situa­tio­nen ange­passt werden.

Am Anfang des Stu­di­ums soll­ten daher erzie­hungs­wis­sen­schaft­li­che und fach­di­dak­ti­sche Grund­lagen erwor­ben wer­den, die die Wahr­neh­mung und Erschlie­ßung sowie Refle­xi­on von Bedin­gun­gen und Zie­len wie auch des eige­nen Tuns ermög­li­chen. Das muss ohne den Druck gesche­hen, das Erlern­te gleich in der Pra­xis „anwen­den“ zu müs­sen. Stu­die­ren­de müs­sen erst ein­mal einen sys­te­ma­ti­schen Blick ent­wi­ckeln auf einen gan­zen Kom­plex an Aspek­ten: auf päd­ago­gi­sche Grund­la­gen schu­li­schen Ler­nens, auf gesell­schaft­li­che und insti­tu­tio­nel­le Her­aus­for­de­run­gen dar­an, auf Bedin­gun­gen wie sozia­le, sprach­li­che kul­tu­rel­le Viel­falt, neue Medi­en und Inklu­si­on; eben­so natür­lich auf ihre Fächer – und zwar nicht nur deren Ergeb­nis­se, son­dern ihre Logi­ken und Metho­den. In die­ser frü­hen Pha­se geht es also dar­um, wis­sen­schaftlich reflek­tie­ren zu ler­nen. Das gilt aber auch für den Blick auf sich selbst als künf­ti­ge Lehrer*innen: Auch die Über­zeu­gung eige­ner Eig­nung und das Inter­es­se für die­sen Beruf und das Ver­ständ­nis der Rol­le ändert oft sich sys­te­ma­ti­schen Reflexion.

Wenn sich Stu­die­ren­de schon früh in der Pra­xis Metho­den ler­nen – was kann dar­an falsch sein?

Ein frü­her Ein­blick in die Pra­xis und ein Ler­nen über Metho­den ist nicht das Pro­blem, son­dern die Vor­stel­lung, man könn­te die­se Metho­den ein­fach ler­nen, sich das Hand­werk qua­si „abschau­en“ und dann „anwen­den“. Zum einen sind kei­ne zwei Lern­pro­zes­se, kei­ne Schüler*innen, kei­ne Lern­grup­pe iden­tisch, son­dern immer neu. Unter­rich­ten bedeu­tet eben nicht ein­fach „Anwen­dung“ gelern­ter Metho­den, son­dern immer neue, ver­ant­wort­li­che Ana­ly­se, Pla­nung, Durch­füh­rung und Aus­wer­tung. Das müs­sen Lehrer*innen aber nicht nur in Schu­len und mit Schüler*innen kön­nen, wie sie heu­te sind. Sie wer­den das auch noch in drei­ßig Jah­ren kön­nen müs­sen, unter Bedin­gun­gen und mit Medi­en, die wir heu­te noch gar nicht abse­hen. Die­se, das Wis­sen, aber auch didak­ti­sche Kon­zep­te und Metho­den wer­den sich ändern.

Nicht frü­he Beob­ach­tung und Refle­xi­on der heu­ti­gen Bedin­gun­gen und Metho­den ist das Pro­blem, das ist im Stu­di­um ja auch inte­griert, wohl aber frü­he eigen­stän­di­ge Pra­xis unter Ver­ant­wor­tung und somit unter der Per­spek­ti­ve des Gelingens.

Wenn die­se Pra­xis, die­ses frü­he eige­ne Han­deln „gelingt“, also wenn Stu­die­ren­de Erfolgs­er­fah­run­gen haben, kann es gut sein, dass sie die heu­te übli­chen – und oft ja guten – Kon­zep­te und Metho­den über­neh­men, ohne einen theo­re­ti­schen und kon­zep­tu­el­len Blick dafür zu ent­wi­ckeln. In der abseh­ba­ren Zukunft kom­men sicher nicht weni­ger gesell­schaft­li­che Ver­än­de­run­gen auf uns zu als im jeweils glei­chen Zeit­raum der Ver­gan­gen­heit. Im Zuge der Digi­ta­li­sie­rung etwa wird Wis­sen in 20, 30 Jah­ren wahr­schein­lich ganz anders ent­ste­hen und „ver­mit­telt“ wer­den als heu­te. Es kann also gar nicht dar­um gehen, ein Skript für den idea­len Unter­richt aus­wen­dig zu ler­nen oder eng zu trainieren.

Wenn ande­rer­seits sol­che frü­he ver­ant­wort­li­che Pra­xis aber nicht ein­fach erfolg­reich ver­läuft, dann fra­gen die Stu­die­ren­den noch stär­ker nach unmit­tel­bar umsetz­ba­ren Kon­zep­ten und Rezep­ten. Gera­de dort, wo das Einen-Schritt-Zurück-Gehen, das vom Druck ent­las­te­te Reflek­tie­ren nötig wäre, wird es durch frü­he ver­ant­wort­li­che Pra­xis erschwert, wenn nicht gar konterkariert.

Es kommt hin­zu, dass die Fra­ge, wel­cher Unter­richt „gelingt“, also „gut“ ist, nicht ein­fach dar­an zu bestim­men ist, ob die/​der Lehrer*in selbst zufrie­den damit ist, etwa weil sie die eige­ne Pla­nung umge­setzt hat. Es gibt vie­le Aspek­te von Unter­richts­qua­li­tät, die nicht ein­fach zu erfah­ren oder zu beob­ach­ten sind.

Gera­de für Lehrer*innen ist es wich­tig, eige­ne Her­an­ge­hens­wei­sen immer wie­der sys­te­ma­tisch zu hin­ter­fra­gen, das eige­ne Han­deln zu reflek­tie­ren, aber auch für die Zukunft selbst­stän­dig zu den­ken. Dafür braucht es theo­re­ti­sche Kon­zep­te und Refle­xi­on – und das heißt: wis­sen­schaft­li­ches Stu­di­um, Per­spek­ti­ven­wech­sel – und zwar bevor die Pra­xis in irgend­ei­ner Wei­se Rou­ti­nen ausbildet.

Könn­ten sie nicht spä­ter als Lehrer*innen an Fort­bil­dungs­kur­sen teil­neh­men, und dort neue Metho­den lernen?

Natür­lich. Das geschieht ja auch. Lehrer*innen wer­den sich immer immer fort­bil­den müs­sen. Aber nur wenn ich zuvor im Stu­di­um gelernt habe, eige­ne Erfah­run­gen und Beob­ach­tun­gen wie auch neu­es Wis­sen und neue Kon­zep­te aus der Wis­sen­schaft und Metho­den­ent­wick­lung sys­te­ma­tisch ein­zu­ord­nen und zu reflek­tie­ren, wer­den die­se Fort­bil­dun­gen sinn­voll sein. Ohne die­se Grund­be­fä­hi­gung wären sie eher Schu­lun­gen von Anwen­dungs­per­so­nal, nicht Fort­bil­dung wis­sen­schaft­lich gebil­de­ter Expert*innen für Lehr- und Lern­pro­zes­se. Fort­bil­dun­gen kön­nen das anfäng­li­che, gründ­li­che Stu­di­um nicht ersetzen.

Was sagen die Zah­len? Sind es vie­le Stu­die­ren­de, die wäh­rend des Stu­di­ums Lehr­auf­trä­ge absolvieren?

Dass Stu­die­ren­de neben­her arbei­ten, ist wohl bei­na­he die Regel. Die BAFöG-Quo­ten sin­ken ja Pres­se­mel­dun­gen zufol­ge auch deut­lich. Auch dass Lehr­amts­stu­die­ren­de Jobs haben, die etwas mit ihrem spä­te­ren Beruf zu tun haben, ist nicht unge­wöhn­lich – etwa in der Haus­auf­ga­ben­hil­fe oder in der Nach­mit­tags­be­treu­ung an Schu­len. Kon­kre­te Zah­len lie­gen uns dazu aller­dings nicht vor. Seit eini­gen Jah­ren über­neh­men anschei­nend immer mehr von ihnen auch selbst­stän­di­ge Lehr­auf­trä­ge, manch­mal schon sehr früh, wäh­rend des Bache­lor-Stu­di­ums. Da geht es nicht nur um ergän­zen­de För­der­stun­den. Oft tre­ten dabei die Pflich­ten des Stu­di­ums in den Hintergrund.

Wie macht sich das bemerkbar?

Kolleg*innen berich­ten, dass Stu­die­ren­de über meh­re­re Semes­ter hin­weg nicht an Pflicht­ver­an­stal­tun­gen teil­neh­men konn­ten – weil sie unter­rich­ten muss­ten. Es kam auch schon vor, dass Stu­die­ren­de, die schon län­ge­re Unter­richts­er­fah­rung hat­ten, bereits Anschluss­ver­trä­ge besa­ßen, und mit ihrer eige­nen Tätig­keit ganz zufrie­den schie­nen, in der Mas­ter-Prü­fung durch­ge­fal­len sind. So ste­hen also nicht nur nicht fer­tig aus­ge­bil­de­te Lehrer*innen vor der Schul­klas­se, son­dern wohl auch sol­che, denen offen­kun­dig wesent­li­che fach­li­che und didak­ti­sche Kennt­nis­se und Per­spek­ti­ven fehl­ten. Das sind sicher Extrem­fäl­le, aber sol­che Berich­te häu­fen sich in den letz­ten Jahren.

Und was ist mit Stu­die­ren­den, die nicht neben­her unterrichten?

Eine Stu­die­ren­de, die kei­nen Lehr­auf­trag hat­te, son­dern sich auf ihren Stu­di­en­ab­schluss kon­zen­triert hat, berich­te­te vor weni­gen Wochen, sie sei wohl dadurch gegen­über ande­ren mit mehr Pra­xis in Rück­stand gekom­men. Auch das sind der­zeit wohl noch Ein­zel­fäl­le. Zah­len dazu lie­gen uns auch nicht vor. Was uns aber beun­ru­higt, ist, dass mit der neu­en Rege­lung zur Aus­wahl für den Vor­be­rei­tungs­dienst ein sys­te­ma­ti­scher Anreiz geschaf­fen wird, das eige­ne Stu­di­um anders aus­zu­rich­ten – näm­lich auf sol­che Lehr­auf­trä­ge. Damit wird sol­che frü­he Unter­richts­tä­tig­keit dop­pelt attrak­tiv. Die Über­le­gung, lie­ber schon im zukünf­ti­gen Beruf tätig zu sein als etwa irgend­wo zu kell­nern oder an der Kas­se zu sit­zen, ist ja auch plau­si­bel. Sol­che frü­hen Erfah­run­gen sind aber eben nicht ein­fach wert­voll, wie ich vor­hin schil­der­te, son­dern kön­nen die Zie­le und Kon­zep­te des wis­sen­schaft­li­chen Lehr­amts­stu­di­ums unter­lau­fen und konterkarieren.

Ist der Pra­xis­an­teil im Stu­di­um dann viel­leicht zu gering?

Das den­ke ich nicht. Natür­lich gibt es Pra­xis­be­zug – recht umfang­reich sogar. Man­chen (viel­leicht vie­len) Stu­die­ren­den erscheint das immer noch zu wenig und zu spät. Dahin­ter steht aber zumin­dest zu gro­ßen Tei­len eine Vor­stel­lung von Lehrer*in-Werden in Form eines eher unmit­tel­ba­ren Ler­nens in der und aus der gegen­wär­ti­gen Pra­xis. Die­se Vor­stel­lung ist ja nicht abwe­gig. Man kann sie und den Wunsch nach mehr und frü­he­rer Pra­xis als sol­chen den Stu­die­ren­den nicht vor­wer­fen. Das heißt aber nicht, dass man ihm ein­fach fol­gen, ihm ein­fach nach­ge­ben sollte.

Es geht bei die­sem soge­nann­ten „Pra­xis­be­zug“ eben um etwas ande­res als um frü­hes Ein­üben und dar­um, „unter­richts­fer­tig“ zu wer­den. Es geht eben nicht um ver­ant­wort­li­che Bewäh­rung, son­dern um Ori­en­tie­rung im Beruf, das zuneh­mend sys­te­ma­ti­sche Machen von Erfah­run­gen und Beob­ach­ten – als Grund­la­ge theo­re­ti­scher Refle­xi­on. Dabei spielt immer auch eige­nes Unter­rich­ten eine Rol­le – aber in begrenz­tem Umfang und beglei­tet von Mentor*innen an den Schu­len und Seminarleiter*innen von der Uni­ver­si­tät und dem Lan­des­in­sti­tut in Begleit- bzw. Vor- und Nach­be­rei­tungs­se­mi­na­ren – und struk­tu­riert durch wis­sen­schaft­li­che Fragestellungen.

Die­se Struk­tur des Pra­xis­be­zugs im Stu­di­um ist in der vom Schul­se­na­tor ver­ant­wor­te­ten und von ihm selbst ja auch in den Anhö­run­gen in der Bür­ger­schaft vor einem Jahr begrün­de­ten und ver­tei­dig­ten Druck­sa­che 21/​11562 ja als bei­zu­be­hal­ten­des, erfolg­rei­ches Ele­ment her­vor­ge­ho­ben wor­den. Aber natür­lich wird es auch immer fort­ge­schrie­ben. In der durch die besag­te Druck­sa­che ange­sto­ße­nen Über­ar­bei­tung der Lehr­amts­stu­di­en­gän­ge dis­ku­tie­ren wir der­zeit, inwie­fern durch eine etwas ande­re Ver­tei­lung die Zie­le noch bes­ser erreicht wer­den können.

Im gegen­wär­ti­gen Bache­lor­stu­di­um etwa fin­det ein vier­wö­chi­ges Schul­prak­ti­kum statt – mit Vor- und Nach­be­rei­tung. Über­wie­gend beob­ach­ten die Stu­die­ren­den dort und erfah­ren die Insti­tu­ti­on Schu­le. Sie unter­rich­ten auch ins­ge­samt 10 Stun­den selbst – unter der Auf­sicht einer Lehrerin/​eines Leh­rers sowie mit Refle­xi­on und Nach­be­rei­tung. Dabei geht es aber gera­de noch nicht dar­um, Feh­ler zu erken­nen und abzu­stel­len, son­dern an den Erfah­run­gen mit frem­dem und eige­nem Unter­richt neue Gesichts­punk­te zu ent­wi­ckeln, die im Stu­di­um auf­ge­grif­fen wer­den. Im Mas­ter dann sind zwei wei­te­re gro­ße Prak­ti­ka ver­pflich­tend. Die Stu­die­ren­den unter­rich­ten dabei jeweils zehn bis zwölf Stun­den selbst­stän­dig – aller­dings auch dort nie allein, immer unter Anlei­tung. Zu jedem Prak­ti­kum gehört ein fach­di­dak­ti­sches Semi­nar zur Vor­be­rei­tung und ein beglei­ten­des „Reflexions“-Seminar. Dort spre­chen sie über ihre Erfah­run­gen und Beob­ach­tun­gen, ana­ly­sie­ren kon­kre­te Fäl­le, die ihnen in der Klas­se begeg­net sind. Gera­de die­se Refle­xi­on der prak­ti­schen Erfah­rung ist wich­tig – wenn Stu­die­ren­de anstel­le sol­cher Prak­ti­ka an Schu­len arbei­ten, fehlt die theo­re­ti­sche Ein­bet­tung in Vor- und Nacharbeitung.

Schul­se­na­tor Ties Rabe mein­te ja im Ham­bur­ger Abend­blatt, die Hoch­schu­len müss­ten geziel­te Vor- und Nach­be­rei­tungs­se­mi­na­re für Pra­xis­ein­sät­ze anbie­ten… [Arti­kel im Ham­bur­ger Abend­blatt]

Die Uni­ver­si­tät ist nicht der Begleit­be­trieb für bezahl­te Lehr­kräf­te, die man unaus­ge­bil­det ein­stellt. Die ers­te Pha­se ist in Ham­burg (mit Unter­bre­chung in der Nazi­zeit seit 1919) Auf­ga­be der Uni­ver­si­tät – seit der BA/­MA-Reform Mit­te der 2000er auch ganz for­mal. Eine grund­sätz­li­che Ände­rung im von Sena­tor Rabe ange­deu­te­ten Sin­ne wider­sprä­che somit die­sen Vor­ga­ben, wie auch der von der KMK seit lan­gem fest­ge­leg­ten Ver­tei­lung von Zustän­dig­kei­ten und Auf­ga­ben der ein­zel­nen Pha­sen (Stu­di­um, Vor­be­rei­tungs­dienst, Fort­bil­dung). Zudem war es gera­de die Ham­bur­ger Schul­be­hör­de, die sowohl nach dem Ers­ten als auch nach dem Zwei­ten Welt­krieg die Aus­rich­tung der ers­ten Pha­se der Lehrer*innenbildung – beson­ders auch ihrer päd­ago­gi­schen Antei­le – auf refle­xi­ve Wis­sen­schaft­lich­keit und eine Ent­las­tung von Pra­xis vor­an­ge­trie­ben hat – gera­de mit dem Argu­ment der Zukunftsfähigkeit.

Das will der Sena­tor ja auch gar nicht wirk­lich ab­schaffen, hat er doch selbst vor einem Jahr in der Bür­ger­schaft bei den Anhö­run­gen zur Druck­sa­che für die Neu­ge­stal­tung der Lehrer*innenbildung die aka­de­mi­sche Aus­bil­dung und Fach­lich­keit für alle Lehr­äm­ter her­vor­ge­ho­ben. Er sag­te damals: „Wir glau­ben, dass vie­le Stu­di­en erge­ben haben, dass eine beson­ders gute fach­li­che Aus­bil­dung die Grund­la­ge für eine erfolg­rei­che Päd­ago­gik ist.“

Er kann also nur ent­we­der mei­nen, die Uni­ver­si­tät soll­te das zusätz­lich anbie­ten. Dann erfor­der­te dies deut­lich mehr Res­sour­cen und eine deut­li­che Ver­län­ge­rung des Stu­di­ums, denn die zur Ver­fü­gung ste­hen­den 300 Leis­tungs­punk­te sind hin­rei­chend aus­ge­füllt. Oder er möch­te, dass allen in Schu­len lehr­be­auf­trag­ten Stu­die­ren­den die­se Pra­xis qua­si als Prak­ti­kum ange­rech­net wird und die Uni­ver­si­tät ohne Ein­fluss auf Ein­satz­ort und kon­kre­te Auf­ga­ben nur the­men­un­ge­bun­den auf­fängt, was vor­her hät­te ange­legt sein müs­sen. Bei­des wäre nicht nur nicht sinn­voll, son­dern pro­ble­ma­tisch, wie ich vor­hin aus­ge­führt habe.

Wer­den der­zeit – in Zei­ten des Lehrer*innenmangels – Stu­die­ren­de als Lückenbüßer*innen eingesetzt?

Inwie­fern das absicht­lich so statt­fin­det, und ob in Zei­ten des Man­gels sol­che Lehr­auf­trä­ge wirk­lich aus­ge­bil­de­ten Lehrer*innen Stel­len „weg­neh­men“, dazu kann ich nichts sagen. Es wäre aller­dings ein Pro­blem, wenn Schu­len und Schul­be­hör­de sich lang­fris­tig dar­an gewöhn­ten, mit nicht aus­ge­bil­de­ten Stu­die­ren­den irgend­wie das Ange­bot zu „sichern“. Dann gin­ge auch den Schu­len die Nach­hal­tig­keit ver­lo­ren, die dar­in liegt, nicht nur kurz­sich­tig ange­lern­tes oder aus­ge­bil­de­tes, son­dern wis­sen­schaft­lich qua­li­fi­zier­tes und gebil­de­tes Per­so­nal zu haben.

(Stand: 22.3.2019)

https://​www​.abend​blatt​.de/​h​a​m​b​u​r​g​/​a​r​t​i​c​l​e​2​1​6​6​0​6​9​3​5​/​H​a​m​b​u​r​g​e​r​-​P​r​o​f​e​s​s​o​r​e​n​-​k​r​i​t​i​s​i​e​r​e​n​-​B​o​n​u​s​-​f​u​e​r​-​R​e​f​e​r​e​n​d​a​r​e​.​h​tml; vgl. auch: https://​www​.welt​.de/​p​r​i​n​t​/​w​e​l​t​_​k​o​m​p​a​k​t​/​h​a​m​b​u​r​g​/​a​r​t​i​c​l​e​1​8​9​9​6​6​0​5​7​/​N​a​c​h​r​i​c​h​t​e​n​-​H​a​m​b​u​r​g​-​K​o​m​p​a​k​t​.​h​tml.

Andre­as Kör­ber ist Pro­fes­sor für Erzie­hungs­wis­sen­schaft unter beson­de­rer Berück­sich­ti­gung der Didak­tik der Geschich­te und der Poli­tik. Er war von 2010 bis 2016 Pro­de­kan für Leh­re der Fakul­tät für Erzie­hungs­wis­sen­schaft der Uni­ver­si­tät Hamburg.

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  1. Die­ses Inter­view ist eine bear­bei­te­te Fas­sung eines tat­säch­lich aus einem Gespräch mit einer/​m Pressevertreter*in gehal­te­nen und dann in Inter­view-Form gebrach­ten Gesprächs, das schließ­lich sei­tens der Pres­se nicht ver­öf­fent­licht wur­de. Es wur­de nach­träg­lich ergänzt. Die „Fra­gen“ wur­den so umfor­mu­liert, dass sie den tat­säch­li­chen Gesprächs­duk­tus nur noch all­ge­mein, nicht aber im Wort­laut abbil­den. []
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