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Aus einer stu­den­ti­schen Hausarbeit:

“Ein wei­te­res Merk­mal der Nar­ra­ti­vi­tät ist die Retro­spek­ti­vi­tät. Weil Ereig­nis­se ‘ihre Eigen­schaft, Anfang von etwas zu sein, erst im Nach­hin­ein’ [Pan­del 1988, S. 8] preis­ge­ben, kann der Anfang einer Geschich­te erst bestimmt wer­den, nach­dem das letz­te Ereig­nis abge­schlos­sen ist.”

So weit, so gut.  Die­ser Satz ist aber nur zum Teil gül­tig, weil er, streng genom­men, vor­aus­setzt, dass es per­spek­ti­ven­un­ab­hän­gi­ges Kri­te­ri­um dafür gibt, was denn ein Ereig­nis zum Bestand­teil einer Rei­he macht, und wann die­se abge­schlos­sen ist.

Anders gesagt: man könn­te, wenn die­ser Satz zuträ­fe, erst anfan­gen, eine Geschich­te zu erzäh­len, wenn man abso­lut sai­cher wüss­te, dass kein wei­te­res Ereig­nis ‘glei­cher Art’ oder im glei­chen Zusam­men­hang mehr eintritt.

Das ist nicht nur erkennt­nis­theo­re­tisch unmög­lich, weil es den Über­blick über das Gan­ze vor sei­nem poten­ti­el­len Ende impli­zier­te. Es näh­me dem his­to­ri­schen Den­ken auch die Gegen­warts- und Zukunfts­be­deu­tung, denn zu wel­chem Zweck betrach­ten man ver­gan­ge­ne Ereig­nis­se und stellt Zusam­men­hän­ge zwi­schen ihnen her, wenn nicht zu dem Zweck, für gegen­wär­ti­ge (gleich­ar­ti­ge oder ver­än­der­te, auf jeden Fall zusam­men­hän­gen­de) Fäl­le Ori­en­tie­rung zu fin­den? Wenn man aber erst bis zum letz­ten Ereig­nis war­ten müss­te — was hül­fe es?

Der Satz kann also höchs­tens so gemeint sein, dass erst im Nach­hin­ein, nach einem wenigs­tens zwei­ten Ereig­nis, das als vor­läu­fig letz­tes Ereig­nis mit einem oder meh­re­ren Vor­an­ge­hen­den in Ver­bin­dung gebracht wer­den kann, eine nar­ra­ti­ve Sinn­bil­dung mög­lich ist.