Anmerkung 1.12.2020: Zum Ehrenmal in Wentorf nun auch die intensive Aufarbeitung im Projekt „Denkmal gegen den Krieg“ der Nordkirche: https://www.denk-mal-gegen-krieg.de/kriegerdenkmaeler/schleswig-holstein-v-z#denkmal-301
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Im April dieses Jahres berichtete die Bergedorfer Zeitung von dem Plan, am Wentorfer Ehrenmal nun auch die Namen von Gefallenen und Vermissten des Zweiten Weltkriegs anzubringen.
Vgl. hierzu – mit Bildern – den Beitrag Gefallenenehrung in Wentorf (2)
Ich schrieb in diesem Zusammenhang den folgenden Brief an die Bergedorfer Zeitung und einige für das Projekt Verantwortliche:
Dr. Andreas Körber⋅Am Golfplatz 6a ⋅ D-21039 Escheburg
An die Gemeinde Wentorf
Hauptstraße 16
21465 Wentorf
nachrichtlich:
• Bergedorfer Zeitung
Curslacker Neuer Deich 50
21029 Hamburg
• Dr. Bill Boehart; Archivgemeinschaft
Schwarzenbek; Ritter-Wulf-Platz 1
21493 Schwarzenbek
• Wentorf im Blick; Bürgerverein Wentorf
c/o Jan Christiani
Mühlenstraße 62a
21465 Wentorf
Ihr Zeichen:
Mein Zeichen: Wentorf_BZ_Gedenken_1.odt
D-21039 Escheburg, den 12. Mai 2009
Ehrenmal für im Zweiten Weltkrieg gefallene Wentorfer?
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Bergedorfer Zeitung berichtete in ihrer Ausgabe vom 22. April 2009 unter dem Titel „Späte namentliche Würdigung“ über Pläne, am 1925 errichteten Kriegerdenkmal nun auch eine Bronzeplatte mit Namen im Zweiten Weltkrieg gefallener Wentorfer anzubringen. In „Wentorf im Blick“ wird dies als „Ehrenmal“ bezeichnet, und auch der BZ-Artikel spricht von einer Ehrentafel.
Dr. Boehart verweist im BZ-Artikel auf die unterschiedlichen Umgangsweisen mit der „Vergangenheitsbewältigung“ nach 1919 und 1945. In letzterem Falle habe man „vielerorts nur die Daten ‚1939-1945‘ ergänzt“. Der Tenor des Artikel ist, dass man nun nachholen könne und solle, was man damals nicht getan habe. Aus Versäumnis ? Aus Scham? Oder aus berechtigten Gründen?
Und sind die Initiatoren und die Wentorfer der Auffassung, dass eventuelle Gründe, nicht die Namen zu nennen, heute obsolet geworden sind? Ist es an der Zeit, nun die eigenen Gefallenen zu „ehren“? Ist endlich genügend Zeit ins Land gegangen?
Aufschlussreich ist auch die von der BZ berichtete Antwort Dr. Boeharts (sonst der erinnerungspolitischen Vereinnahmbarkeit einigermaßen unverdächtig) auf die Frage nach dem Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus: „Angesprochen auf die Opfer der Nationalsozialisten herrscht zunächst Schweigen. Boehart stellt schließlich fest: ‚Opfer der NS-Gesellschaft hat es auch in Wentorf gegeben. Doch das Ehrenmal würde für ihr Gedenken nicht passen, das geht in eine andere Richtung. Das Anliegen müsste aber ebenso von den Bürgern kommen wie die Ehrentafel.‘“
Offenkundig ist auch den Initiatoren durchaus (unter-)bewusst, dass es so einfach nicht ist: Das allmähliche Verschwinden der Erlebnisgeneration auf Seiten der Opfer macht keineswegs des Weg frei zu einem befreiten Heldengedenken. Haben Sie, Herr Dr. Boehart, die Frage der Reporterin ernsthaft so verstanden, ob man die Namen von NS-Opfern umstandlos auf dem gleichen Gedenkstein, in der gleichen Symbolik benennen könnte? Das lehnen Sie zu Recht ab. Aber ist nicht viel eher und völlig zu Recht gemeint gewesen, ob man denn wieder anfangen könnte, der eigenen Gefallenen zu gedenken (zumal sie zu „ehren“) ohne mindestens auch der Opfer zu gedenken – der Opfer der eigenen Taten? Es geht also nicht nur um das Wie und die Frage danach, ob man das am gleichen Ort tun kann, sondern auch um das grundsätzliche Verhältnis der beiden Ehrungen.
Halten Sie die Vergangenheit für „bewältigt“ im zu Recht seit langem kritisierten Sinne des „Mit-ihr-fertig-Seins“, so dass man nun wieder anfangen kann, vermeintlich unbelastet die eigenen Gefallenen zu „ehren“? Das wird spätestens dann problematisch, wenn bekannt ist, dass mindestens einer der namentlich zu „ehrenden“ SS-Unterscharführer war, Träger des EK 2. Klasse, der Ostmedaille und des goldenen HJ-Abzeichens, wie seine Familie in der Traueranzeige im SS-Blatt „Das schwarze Korps“ stolz aufführt. – Ehren? Ist „ehren“ hier wirklich der richtige Modus des Gedenkens?
Gegen Gedenken im Allgemeinen ist nichts einzuwenden. Trauern um die Väter und Großväter ist auch dann zulässig und notwendig, wenn diese an einem verbrecherischen Krieg teilgenommen haben und/oder Mitglied einer verbrecherischen Organisation gewesen sind – um so mehr, wenn das nicht der Fall ist. Das braucht auch nicht nur privat zu geschehen – aber „Ehrung“ und „Würdigung“?
Denkmalsetzungen sind gesellschaftliche Handlungen. Sie tragen Symbolcharakter. „Autoren“ des Denkmals sind nicht die einzelnen Hinterbliebenen, sondern die Gemeinde Wentorf als Ganze. Daher die Frage an die Gemeinde, d.h. an alle Wentorfer:
Ist es wirklich an der Zeit, die Taten der Gefallenen zu „würdigen“? Ist die Beteiligung am Ostfeldzug wieder „würdig“ im Modus des Heldengedenkens verewigt zu werden? Ich halte dieses für keineswegs angebracht. Ist es das, was die Wentorfer sich und ihren Gästen zeigen wollen? Seht her, welche ruhmreichen Taten unsere Söhne vollbracht haben?
Was unsere Gesellschaft offenkundig braucht, ist deutlich mehr Kompetenz im Umgang mit dem Gedenken und der öffentlichen Erinnerung. Unterscheiden zu können zwischen dem (auch symbolischen) Heldengedenken und der negativen Erinnerung als der Erinnerung an die Opfer der eigenen Taten; zwischen Opfergedächtnis, Sieger- und Verlierergedächtnis, ist dringend nötig.
Nötig wäre zudem, die mit solchen Erinnerungsformen verbundenen Gefühle und Emotionen ansprechen und aussprechen zu können. „Stolz“ auf die „tapferen eigenen Soldaten“ in einem (womöglich „heldenhaften“) Kampf für „Führer“ (wie es in der Traueranzeige heißt) „Volk und Vaterland“ – ist das der beabsichtigte Modus ?
Es gäbe andere und sinnvollere. Was Erinnerungskultur sein kann, hat gerade der Volksbund Kriegsgräberfürsorge in Hamburg gezeigt, der erstmals auf einer (von Schülern erarbeiteten) Gedenkplatte an die Opfer des Luftkrieges auch die Namen der dabei ums Leben gekommenen Zwangsarbeiter verzeichnet wurden. Ebenso haben Studierende der Helmut-Schmidt-Universität im November auf dem Friedhof Ohlsdorf eine Gedenktafel für die in deutscher Kriegsgefangenschaft umgekommenen sowjetischen Kriegsgefangenen aufgestellt.
Wozu soll also Erinnerung und Gedenken dienen? Wem ist damit gedient, nun voller Kenntnis der Ergebnisse zeithistorischer Forschung über die Wehrmacht und die S S, den Charakter des Zweiten Weltkrieges (zumal im Osten), den alten Modus des Heldengedenken wieder aufzugreifen? Geht es darum, diesen Krieg und seine Teilnehmer umzuinterpretieren in einen „normalen“ Krieg?
Soll eine Traditionslinie unveränderter „normaler“ deutscher Kriegsführung von Erstem Weltkrieg, Zweitem Weltkrieg und Auslandseinsätzen der Bundeswehr hergestellt werden (wie die Worte des Bürgermeisters in der BZ nahelegen)? Und das noch positiv, „ehrenvoll“? Dass über mögliche „Ehrungen“ oder (besser) ein Gedenken an die im Auslandseinsatz gestorbenen Bundeswehrsoldaten nachgedacht werden muss, ist wohl unumgänglich. Dazu aber die Bundeswehr in eine unverbrüchliche Traditionslinie deutschen Soldatentums zu stellen und dies zudem unter normalisierender Einordnung des Zweiten Weltkrieges, ist unerträglich.
Die Bundeswehr hat allen Grund, sich nicht als Fortsetzung dieser Tradition zu verstehen, sondern als Parlamentsarmee einer Demokratie mit einem ganz anderen Auftrag: nämlich der Friedenssicherung und ggf. -schaffung im Rahmen einer Weltgesellschaft, die auf Menschenrechte verpflichtet ist. Das ist schwierig und problematisch genug (und zu Recht strittig). Wer dazu aber die Tradition deutschen Soldatentums bemüht, muss sich entweder fragen lassen, ob er die alten Traditionen deutschen Militarismus und einer Eroberungsarmee der Bundeswehr wieder anempfehlen will, oder ob er „nur“ in diesem neuen Licht die Geschichte umschreiben will.
Ich hoffe, dass sich Wentorf und die Wentorfer das noch einmal gut überlegen.
Mit freundlichen Grüßen
Andreas Körber
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hier das Faksimile: