Arbeitsbereich Geschichtsdidaktik / History Education, Universität Hamburg

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Eine geschichtstheoretisch-geschichtsdidaktische Unterhaltung mit ChatGPT

26. März 2023 Andreas Körber Keine Kommentare

nicht schlecht, aber an wesent­li­chen Stel­len dann doch noch for­mel­haft. Aber bes­ser als befürch­tet. Inter­es­sant, wie unter­schied­lich ChatGPT auf Rück­fra­gen (gera­de auch auf sol­che, die nach Impli­ka­tio­nen des Vor­her gesag­ten fra­gen und es hypo­the­tisch in Fra­ge stel­len) anders ant­wor­tet als auf direk­te Kri­tik (aus­wei­chend).

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  • andreas.koerber: Dif­fe­ren­zie­re unter­schied­li­che Ver­ständ­nis­se bzw. Aspek­te von “Prä­sen­tis­mus” in der Geschichts­theo­rie!
    Prä­sen­tis­mus” ist ein Begriff, der in der Geschichts­theo­rie ver­wen­det wird, um eine Hal­tung oder Pra­xis zu beschrei­ben, die ana­chro­nis­tisch oder unhis­to­risch ist. Es gibt ver­schie­de­ne Ver­ständ­nis­se und Aspek­te von Prä­sen­tis­mus in der Geschichts­theo­rie, die im Fol­gen­den näher erläu­tert werden:
    • Ana­chro­nis­ti­scher Prä­sen­tis­mus: Die­se Form des Prä­sen­tis­mus tritt auf, wenn man eine heu­ti­ge Hal­tung oder eine moder­ne Per­spek­ti­ve auf his­to­ri­sche Ereig­nis­se oder Per­so­nen anwen­det. Dies bedeu­tet, dass man his­to­ri­sche Ereig­nis­se durch eine moder­ne Lin­se betrach­tet und moder­ne Wer­te oder Idea­le auf his­to­ri­sche Ereig­nis­se anwen­det, die die­se nicht hat­ten. Zum Bei­spiel könn­te ein moder­ner His­to­ri­ker den­ken, dass alle Men­schen glei­che Rech­te haben soll­ten, und dann die Hand­lun­gen his­to­ri­scher Figu­ren kri­ti­sie­ren, die dies nicht getan haben, ohne zu berück­sich­ti­gen, dass sie in einer ande­ren Zeit und in einem ande­ren Kon­text gelebt haben.
    • Zeit­ge­nös­si­scher Prä­sen­tis­mus: Die­se Form des Prä­sen­tis­mus tritt auf, wenn man eine his­to­ri­sche Per­spek­ti­ve auf zeit­ge­nös­si­sche Ereig­nis­se anwen­det. Zum Bei­spiel könn­te man eine bestimm­te poli­ti­sche Ent­schei­dung kri­ti­sie­ren, ohne die dama­li­gen Bedin­gun­gen oder die poli­ti­schen Hin­ter­grün­de zu berücksichtigen.
    • Metho­di­scher Prä­sen­tis­mus: Die­se Form des Prä­sen­tis­mus tritt auf, wenn man his­to­ri­sche Ereig­nis­se durch die Metho­den und Tech­ni­ken ana­ly­siert, die in der heu­ti­gen Zeit ver­wen­det wer­den. Zum Bei­spiel könn­te man ver­su­chen, his­to­ri­sche Ereig­nis­se durch sta­tis­ti­sche Metho­den zu ana­ly­sie­ren, obwohl die­se Metho­den zu der Zeit, als das Ereig­nis statt­fand, nicht ver­füg­bar waren.
    • Tech­no­lo­gi­scher Prä­sen­tis­mus: Die­se Form des Prä­sen­tis­mus tritt auf, wenn man his­to­ri­sche Ereig­nis­se oder Figu­ren durch die Per­spek­ti­ve von heu­ti­gen Tech­no­lo­gien oder Inno­va­tio­nen betrach­tet. Zum Bei­spiel könn­te man die Rol­le der Dampf­ma­schi­ne in der Indus­tri­el­len Revo­lu­ti­on über­schät­zen und den Bei­trag ande­rer Tech­no­lo­gien oder gesell­schaft­li­cher Ent­wick­lun­gen unterschätzen.

    Ins­ge­samt ist Prä­sen­tis­mus ein wich­ti­ges The­ma in der Geschichts­theo­rie, da es dazu bei­tra­gen kann, dass his­to­ri­sche Ereig­nis­se und Figu­ren falsch inter­pre­tiert wer­den. His­to­ri­ker soll­ten sich bemü­hen, his­to­ri­sche Ereig­nis­se und Figu­ren im Kon­text ihrer Zeit und ihres Kon­tex­tes zu betrach­ten und die Vor­ur­tei­le und Per­spek­ti­ven der heu­ti­gen Zeit zu vermeiden.

  • andreas.koerber: Wann ist ein his­to­ri­sches Ereig­nis rich­tig interpretiert?
    Die Inter­pre­ta­ti­on eines his­to­ri­schen Ereig­nis­ses kann als “rich­tig” betrach­tet wer­den, wenn sie auf einer sorg­fäl­ti­gen und gründ­li­chen Ana­ly­se der ver­füg­ba­ren Quel­len und Infor­ma­tio­nen basiert und die­se in den Kon­text der dama­li­gen Zeit und Umstän­de ein­bet­tet. Eine “rich­ti­ge” Inter­pre­ta­ti­on soll­te also his­to­ri­sche Ereig­nis­se in Bezug auf ihre poli­ti­schen, wirt­schaft­li­chen, sozia­len und kul­tu­rel­len Rah­men­be­din­gun­gen unter­su­chen und die ver­schie­de­nen Per­spek­ti­ven und Inter­es­sen der betei­lig­ten Akteu­re berücksichtigen.
    Eine “rich­ti­ge” Inter­pre­ta­ti­on soll­te auch his­to­ri­sche Fak­ten von Mei­nun­gen und Inter­pre­ta­tio­nen unter­schei­den kön­nen und soll­te sich bemü­hen, Vor­ur­tei­le und Ana­chro­nis­men zu ver­mei­den, die aus einer moder­nen Per­spek­ti­ve resul­tie­ren könn­ten. His­to­ri­ker soll­ten auch ihre Metho­den und Her­an­ge­hens­wei­sen offen­le­gen und dis­ku­tie­ren, um ihre Argu­men­ta­ti­on und Inter­pre­ta­ti­on nach­voll­zieh­bar und über­prüf­bar zu machen.
    Es ist wich­tig zu beto­nen, dass his­to­ri­sche Ereig­nis­se oft unter­schied­lich inter­pre­tiert wer­den kön­nen und dass es sel­ten eine ein­deu­ti­ge oder “rich­ti­ge” Inter­pre­ta­ti­on gibt. Statt­des­sen soll­ten His­to­ri­ker offen sein für alter­na­ti­ve Inter­pre­ta­tio­nen und Theo­rien und bereit sein, ihre eige­nen Über­le­gun­gen zu über­prü­fen und anzu­pas­sen, wenn neue Infor­ma­tio­nen ver­füg­bar werden.
    Letzt­end­lich kann man sagen, dass eine “rich­ti­ge” Inter­pre­ta­ti­on eines his­to­ri­schen Ereig­nis­ses eine gründ­li­che, kon­text­be­zo­ge­ne und wis­sen­schaft­lich fun­dier­te Ana­ly­se der ver­füg­ba­ren Quel­len und Infor­ma­tio­nen dar­stellt, die dar­auf abzielt, ein mög­lichst objek­ti­ves und umfas­sen­des Bild des Ereig­nis­ses zu zeichnen.
  • andreas.koerber: Bedeu­tet das, dass sich aus der Gegen­wart des His­to­ri­kers erge­ge­ben­de Fra­gen bzw. in sei­ner Gegen­warts gebräuch­li­che Begrif­fe nichts zu suchen haben und viel­mehr Begrif­fe der unter­such­ten Zeit ver­wen­det wer­den sol­len?Nein, das bedeu­tet nicht, dass sich aus der Gegen­wart des His­to­ri­kers erge­ben­de Fra­gen oder in sei­ner Gegen­wart gebräuch­li­che Begrif­fe in der his­to­ri­schen Ana­ly­se kei­ne Rol­le spie­len soll­ten. Tat­säch­lich ist es fast unmög­lich, his­to­ri­sche Ereig­nis­se oder Figu­ren voll­stän­dig von der Per­spek­ti­ve und den Inter­es­sen der Gegen­wart zu tren­nen. His­to­ri­ker sind Teil ihrer eige­nen Gesell­schaft und Kul­tur und brin­gen ihre eige­nen Vor­stel­lun­gen, Über­zeu­gun­gen und Vor­ur­tei­le in ihre Arbeit ein.
    Es ist jedoch wich­tig, dass His­to­ri­ker sich bewusst sind, wie ihre eige­ne Per­spek­ti­ve und ihre eige­nen Vor­stel­lun­gen die Art und Wei­se beein­flus­sen kön­nen, wie sie his­to­ri­sche Ereig­nis­se inter­pre­tie­ren. Daher soll­ten sie sich bemü­hen, die his­to­ri­schen Begrif­fe und Kate­go­rien der unter­such­ten Zeit zu ver­ste­hen und zu ver­wen­den, um eine ange­mes­se­ne Kon­tex­tua­li­sie­rung zu gewähr­leis­ten und Ana­chro­nis­men zu ver­mei­den. Gleich­zei­tig ist es jedoch auch legi­tim, moder­ne Begrif­fe und Kate­go­rien zu ver­wen­den, um his­to­ri­sche Ereig­nis­se oder Phä­no­me­ne zu beschrei­ben, wenn die­se dazu bei­tra­gen, eine bes­se­re Ver­ständ­lich­keit oder Ver­gleich­bar­keit zu errei­chen oder wenn sie eine neue Per­spek­ti­ve auf his­to­ri­sche Ereig­nis­se eröffnen.
    Ins­ge­samt soll­ten His­to­ri­ker also bestrebt sein, his­to­ri­sche Ereig­nis­se und Figu­ren im Kon­text ihrer Zeit zu ver­ste­hen und zu ana­ly­sie­ren, aber sie soll­ten auch offen sein für alter­na­ti­ve Per­spek­ti­ven und neue Erkennt­nis­se, die sich aus der Anwen­dung moder­ner Begrif­fe und Kate­go­rien auf his­to­ri­sche Ereig­nis­se erge­ben können.
  • andreas.koerber: Sie haben oben geschrie­ben: “um Bei­spiel könn­te ein moder­ner His­to­ri­ker den­ken, dass alle Men­schen glei­che Rech­te haben soll­ten, und dann die Hand­lun­gen his­to­ri­scher Figu­ren kri­ti­sie­ren, die dies nicht getan haben, ohne zu berück­sich­ti­gen, dass sie in einer ande­ren Zeit und in einem ande­ren Kon­text gelebt haben.” Bedeu­tet das, dass eine his­to­ri­sche Zeit, eine ver­gan­ge­ne Tat o.ä. immer nur mit den Wer­ten zu beur­tei­len sind, die damals gal­ten?Nein, eine his­to­ri­sche Zeit oder eine ver­gan­ge­ne Tat soll­ten nicht aus­schließ­lich mit den Wer­ten beur­teilt wer­den, die damals gal­ten. His­to­ri­sche Ereig­nis­se und Figu­ren kön­nen und soll­ten auch aus einer moder­nen Per­spek­ti­ve bewer­tet wer­den. Das Zitat, auf das Sie sich bezie­hen, betont jedoch, dass es wich­tig ist, his­to­ri­sche Ereig­nis­se und Figu­ren in ihrem eige­nen Kon­text und in ihrer eige­nen Zeit zu ver­ste­hen und nicht aus­schließ­lich aus der Per­spek­ti­ve moder­ner Wer­te zu beurteilen.
    His­to­ri­ker soll­ten sich bewusst sein, dass die Wer­te, Über­zeu­gun­gen und Idea­le, die in der Ver­gan­gen­heit gal­ten, sich von denen unter­schei­den kön­nen, die heu­te in unse­rer Gesell­schaft vor­herr­schen. Wenn ein His­to­ri­ker also ein Ereig­nis oder eine Tat aus der Ver­gan­gen­heit bewer­tet, soll­te er sich bemü­hen, die Wer­te und Über­zeu­gun­gen der dama­li­gen Zeit zu ver­ste­hen und in Betracht zu zie­hen, um ein ange­mes­se­nes Ver­ständ­nis für die Hand­lun­gen und Ent­schei­dun­gen der his­to­ri­schen Figu­ren zu erlangen.
    Gleich­zei­tig ist es jedoch auch legi­tim, his­to­ri­sche Ereig­nis­se und Figu­ren aus einer moder­nen Per­spek­ti­ve zu bewer­ten, ins­be­son­de­re wenn es um The­men wie Men­schen­rech­te, Gleich­be­rech­ti­gung, Frei­heit und Demo­kra­tie geht. His­to­ri­ker soll­ten jedoch dar­auf ach­ten, dass sie die his­to­ri­schen Figu­ren nicht aus­schließ­lich auf der Grund­la­ge moder­ner Wer­te beur­tei­len, son­dern auch die Umstän­de und die Kon­tex­te berück­sich­ti­gen, in denen die­se Ent­schei­dun­gen getrof­fen wurden.
  • andreas.koerber: Waren Rich­ter in Hexen­pro­zes­sen der Frü­hen Neu­zeit Ver­bre­cher? Waren die Hexen­pro­zes­se Ver­bre­chen?Die Fra­ge, ob Rich­ter in Hexen­pro­zes­sen der Frü­hen Neu­zeit Ver­bre­cher waren und ob die Hexen­pro­zes­se selbst Ver­bre­chen waren, ist ein kon­tro­vers dis­ku­tier­tes The­ma in der Geschichtswissenschaft.
    Eini­ge His­to­ri­ker argu­men­tie­ren, dass die Rich­ter in Hexen­pro­zes­sen Ver­bre­cher waren, weil sie das Jus­tiz­sys­tem miss­braucht haben, um unschul­di­ge Men­schen auf der Grund­la­ge von Vor­ur­tei­len, Aber­glau­ben und fal­schen Anschul­di­gun­gen zu ver­ur­tei­len und zu bestra­fen. Die­se His­to­ri­ker betrach­ten die Hexen­pro­zes­se als Inqui­si­ti­on und Ver­fol­gung von unschul­di­gen Men­schen und behaup­ten, dass die Rich­ter wis­sent­lich und absicht­lich Unrecht getan haben.
    Ande­re His­to­ri­ker argu­men­tie­ren, dass es nicht fair ist, Rich­ter in Hexen­pro­zes­sen der Frü­hen Neu­zeit als Ver­bre­cher zu bezeich­nen, weil sie nach den Geset­zen und Regeln ihrer Zeit gehan­delt haben. Die­se His­to­ri­ker beto­nen, dass die Men­schen in die­ser Zeit tat­säch­lich an Hexe­rei und Zau­be­rei glaub­ten und dass die Hexen­pro­zes­se aus der tief ver­wur­zel­ten Angst vor dem Teu­fel und dämo­ni­schen Kräf­ten ent­stan­den sind. Die Rich­ter han­del­ten nach den damals gel­ten­den Geset­zen und Ver­fah­rens­wei­sen und sahen sich in der Pflicht, die Gesell­schaft vor Hexe­rei und Zau­be­rei zu schützen.
    In Bezug auf die Hexen­pro­zes­se als Gan­zes gibt es auch unter­schied­li­che Mei­nun­gen dar­über, ob sie als Ver­bre­chen betrach­tet wer­den soll­ten. Eini­ge His­to­ri­ker betrach­ten die Hexen­pro­zes­se als Ver­bre­chen gegen die Mensch­lich­keit, weil unschul­di­ge Men­schen gefol­tert, ver­ur­teilt und hin­ge­rich­tet wur­den. Ande­re argu­men­tie­ren, dass die Hexen­pro­zes­se ein Pro­dukt ihrer Zeit und Kul­tur waren und dass es falsch ist, sie aus moder­ner Per­spek­ti­ve zu bewer­ten. Die­se His­to­ri­ker beto­nen, dass es wich­tig ist, die Hexen­pro­zes­se im Kon­text ihrer Zeit zu ver­ste­hen und zu berück­sich­ti­gen, dass die Men­schen in der Frü­hen Neu­zeit tat­säch­lich an Hexe­rei und Zau­be­rei glaubten.
    Letzt­end­lich ist die Fra­ge, ob Rich­ter in Hexen­pro­zes­sen Ver­bre­cher waren und ob die Hexen­pro­zes­se als Ver­bre­chen betrach­tet wer­den soll­ten, ein kom­ple­xes und umstrit­te­nes The­ma, das von His­to­ri­kern unter­schied­lich bewer­tet wird. Es ist wich­tig, die unter­schied­li­chen Per­spek­ti­ven und Mei­nun­gen zu berück­sich­ti­gen und die Hexen­pro­zes­se im Kon­text ihrer Zeit zu ver­ste­hen und zu analysieren.
  • andreas.koerber: Kann man denn eben­so sagen, dass etwas das Han­deln eines KZ-Auf­se­hers aus sei­ner Zeit her­aus beur­teilt wer­den muss?Die Fra­ge der Beur­tei­lung von Hand­lun­gen von KZ-Auf­se­hern aus ihrer Zeit her­aus ist ein umstrit­te­nes The­ma in der Geschichts­wis­sen­schaft und der Ethik. Eini­ge His­to­ri­ker und Ethi­ker argu­men­tie­ren, dass Hand­lun­gen von KZ-Auf­se­hern auch aus ihrer Zeit her­aus als Ver­bre­chen beur­teilt wer­den soll­ten, weil sie gegen grund­le­gen­de mora­li­sche und ethi­sche Prin­zi­pi­en ver­sto­ßen haben. Sie argu­men­tie­ren, dass es in jeder Zeit Men­schen gab, die gegen die Ver­bre­chen der Natio­nal­so­zia­lis­ten pro­tes­tiert und Wider­stand geleis­tet haben, und dass die KZ-Auf­se­her bewusst gegen die­se Prin­zi­pi­en gehan­delt haben.
    Ande­re His­to­ri­ker und Ethi­ker beto­nen, dass es wich­tig ist, die Hand­lun­gen von KZ-Auf­se­hern im Kon­text ihrer Zeit und Umstän­de zu ver­ste­hen. Sie argu­men­tie­ren, dass die KZ-Auf­se­her in einem Sys­tem arbei­te­ten, das auf Ras­sis­mus, Anti­se­mi­tis­mus und dem Wunsch nach der Ver­nich­tung bestimm­ter Grup­pen basier­te, und dass sie oft unter star­kem Grup­pen­druck und ideo­lo­gi­scher Indok­tri­na­ti­on han­del­ten. Sie beto­nen, dass es wich­tig ist, die KZ-Auf­se­her nicht als iso­lier­te Indi­vi­du­en zu betrach­ten, son­dern als Teil eines grö­ße­ren sozia­len und poli­ti­schen Systems.
    Es ist jedoch wich­tig zu beto­nen, dass auch wenn man die Hand­lun­gen von KZ-Auf­se­hern im Kon­text ihrer Zeit und Umstän­de betrach­tet, sie den­noch als mora­lisch ver­werf­lich und ethisch falsch beur­teilt wer­den kön­nen. Die his­to­ri­sche Ana­ly­se kann uns hel­fen, die Kon­tex­te und Bedin­gun­gen zu ver­ste­hen, unter denen bestimm­te Hand­lun­gen statt­ge­fun­den haben, aber sie soll­te nicht dazu füh­ren, dass wir mora­li­sche Ver­ant­wor­tung und Schuld in Abre­de stel­len oder rela­ti­vie­ren. Wir kön­nen aus der Geschich­te ler­nen, um unse­re Gesell­schaf­ten und unse­re Moral­vor­stel­lun­gen zu ver­bes­sern und zu stärken.
  • andreas.koerber: … wenn doch aber die “mora­li­sche Ver­ant­wor­tung” sich auf die Wer­te der jewei­li­gen Zeit beruht?Es ist wich­tig zu beach­ten, dass mora­li­sche Ver­ant­wor­tung und Schuld in ers­ter Linie auf Hand­lun­gen und Ent­schei­dun­gen basie­ren, die gegen grund­le­gen­de mora­li­sche Prin­zi­pi­en ver­sto­ßen. Die­se Prin­zi­pi­en kön­nen uni­ver­sell sein oder auf bestimm­ten kul­tu­rel­len oder reli­giö­sen Tra­di­tio­nen beru­hen. In vie­len Fäl­len gibt es jedoch einen Kon­sens dar­über, dass bestimm­te Hand­lun­gen — wie zum Bei­spiel Mord, Fol­ter oder Ver­ge­wal­ti­gung — grund­sätz­lich falsch sind.
    Aller­dings kön­nen die mora­li­schen Stan­dards und Wer­te, die in einer bestimm­ten Zeit und Kul­tur herr­schen, vari­ie­ren. Es ist wich­tig zu ver­ste­hen, dass Men­schen in der Ver­gan­gen­heit in einem ande­ren mora­li­schen Kon­text leb­ten und ande­re Über­zeu­gun­gen und Wer­te hat­ten als wir heu­te. Das bedeu­tet jedoch nicht, dass wir mora­li­sche Ver­ant­wor­tung und Schuld in Abre­de stel­len oder rela­ti­vie­ren sollten.
    His­to­ri­sche Ereig­nis­se und Hand­lun­gen soll­ten im Kon­text ihrer Zeit und Umstän­de unter­sucht wer­den, aber gleich­zei­tig soll­ten wir unse­re eige­nen mora­li­schen Stan­dards und Wer­te anwen­den, um Hand­lun­gen und Ent­schei­dun­gen zu bewer­ten und mora­li­sche Urtei­le zu fäl­len. Wir kön­nen uns bemü­hen, die Ver­gan­gen­heit zu ver­ste­hen und aus ihr zu ler­nen, ohne mora­li­sche Rela­ti­vi­tät zu akzep­tie­ren oder mora­li­sche Ver­ant­wor­tung und Schuld zu relativieren.
  • andreas.koerber: … ist nicht aber die Defi­ni­ti­on des­sen, was als Ver­bre­chen gilt, selbst his­to­risch? Es gibt ja die The­se, dass die Ein­füh­rung der Fol­ter im Recht­sys­tem des Mit­tel­al­ters einen Fort­schritt dar­stell­te, weil damit eine Will­kür Urteils­fin­dung durch belie­bi­ge Zeu­gen­aus­sa­gen ersetzt wur­de.Ja, das stimmt. Die Defi­ni­ti­on des­sen, was als Ver­bre­chen gilt, kann sich im Lau­fe der Zeit und in ver­schie­de­nen Gesell­schaf­ten und Kul­tu­ren ver­än­dern. Zum Bei­spiel kann eine Hand­lung, die in einer Gesell­schaft als Ver­bre­chen ange­se­hen wird, in einer ande­ren Gesell­schaft als nor­ma­les Ver­hal­ten akzep­tiert wer­den. Ein Bei­spiel dafür ist der Kon­sum von Alko­hol oder Can­na­bis, der in eini­gen Gesell­schaf­ten als ille­gal und ver­bo­ten gilt, wäh­rend er in ande­ren Gesell­schaf­ten akzep­tiert wird.
    In Bezug auf die Ein­füh­rung der Fol­ter im mit­tel­al­ter­li­chen Rechts­sys­tem ist es wahr, dass es zu der Zeit als Fort­schritt ange­se­hen wur­de, da es als Mög­lich­keit gese­hen wur­de, die Wahr­heit zu ermit­teln und die Urteils­fin­dung gerech­ter zu machen. Aller­dings wird heu­te all­ge­mein aner­kannt, dass die Fol­ter eine grau­sa­me und unmensch­li­che Prak­tik ist und gegen grund­le­gen­de Men­schen­rech­te verstößt.
    Es ist wich­tig zu beach­ten, dass die his­to­ri­sche Ent­wick­lung des Rechts­sys­tems und der Defi­ni­ti­on von Ver­bre­chen immer im Kon­text der jewei­li­gen Zeit und Gesell­schaft betrach­tet wer­den muss. Den­noch müs­sen wir auch unse­re heu­ti­gen mora­li­schen Stan­dards und Wer­te anwen­den, um mora­li­sche Urtei­le zu fäl­len und das Rechts­sys­tem zu ver­bes­sern, wenn es gegen grund­le­gen­de mora­li­sche Prin­zi­pi­en verstößt.
  • andreas.koerber: … kann es also sein, dass Hand­lungs­wei­sen, die wir heu­te als nicht nur legal, son­dern legi­tim anse­hen, in z.B. 500 Jah­ren von Men­schen als Ver­stoß gegen Rege­lun­gen ange­se­hen wer­den, die dann als uni­ver­sell gel­ten. Das könn­te etwa das Töten von Tie­ren betref­fen oder den Umgang mit unse­rer Umwelt.Ja, das ist durch­aus mög­lich. Wie ich bereits erwähnt habe, kön­nen sich mora­li­sche Stan­dards und Wer­te im Lau­fe der Zeit und in ver­schie­de­nen Gesell­schaf­ten und Kul­tu­ren ver­än­dern. Hand­lungs­wei­sen, die heu­te als legi­tim ange­se­hen wer­den, könn­ten in der Zukunft als unmo­ra­lisch und ver­werf­lich betrach­tet wer­den. Ein Bei­spiel dafür ist die Skla­ve­rei, die in der Ver­gan­gen­heit in vie­len Gesell­schaf­ten als legal und akzep­ta­bel galt, heu­te jedoch all­ge­mein als mora­lisch ver­werf­lich ange­se­hen wird.
    Es ist also durch­aus mög­lich, dass Hand­lungs­wei­sen, die heu­te als legal und legi­tim ange­se­hen wer­den, in Zukunft als Ver­stoß gegen neue mora­li­sche Prin­zi­pi­en und Regeln betrach­tet wer­den. Es ist wich­tig, dass wir uns als Gesell­schaft bewusst sind, dass mora­li­sche Stan­dards und Wer­te nicht sta­tisch sind und sich im Lau­fe der Zeit ver­än­dern kön­nen. Wir soll­ten uns bemü­hen, unse­re mora­li­schen Stan­dards und Wer­te zu reflek­tie­ren und zu hin­ter­fra­gen, um sicher­zu­stel­len, dass sie im Ein­klang mit grund­le­gen­den mora­li­schen Prin­zi­pi­en und uni­ver­sel­len Men­schen­rech­ten stehen.
  • andreas.koerber: Folgt aus der Über­le­gung, dass zukünf­ti­ge Men­schen etwas als Ver­bre­chen anse­hen kön­nen, was für uns völ­lig legi­tim ist (etwa auf­grund eines Fort­schritts der Rechts­vor­stel­lun­gen), dass wir uns ent­spre­chen­der Urtei­le gege­über Men­schen in der Ver­gan­gen­heit ent­hal­ten soll­ten, weil ihnen viel­leicht etwas als völi­ig legi­tim erschien, was uns als Ver­bre­chen erscheint — etwa wenn die Ver­fol­gung von Hexe­rei nicht als Aber­glau­ben ange­se­hen wur­de, son­dern als legi­ti­mer und nöti­ger Kampf gegen etwas Böses?Ja, die­se Über­le­gung kann durch­aus bedeu­ten, dass wir uns in unse­rer Beur­tei­lung von Men­schen in der Ver­gan­gen­heit zurück­hal­ten soll­ten. Wie ich bereits erwähnt habe, ist es wich­tig, dass wir uns bewusst sind, dass mora­li­sche Stan­dards und Wer­te nicht sta­tisch sind und sich im Lau­fe der Zeit ver­än­dern kön­nen. Was für uns heu­te als mora­lisch und ethisch akzep­ta­bel gilt, kann in Zukunft als falsch und ver­werf­lich betrach­tet werden.
    Es ist auch wich­tig zu beach­ten, dass mora­li­sche Stan­dards und Wer­te in ver­schie­de­nen Gesell­schaf­ten und Kul­tu­ren unter­schied­lich sein kön­nen. Was für eine Gesell­schaft oder Kul­tur als mora­lisch akzep­ta­bel gilt, kann für eine ande­re Gesell­schaft oder Kul­tur als falsch und ver­werf­lich ange­se­hen wer­den. Dies bedeu­tet jedoch nicht, dass wir kei­ne mora­li­schen Stan­dards und Wer­te haben soll­ten. Im Gegen­teil, wir soll­ten uns bemü­hen, uni­ver­sel­le mora­li­sche Prin­zi­pi­en und Men­schen­rech­te zu iden­ti­fi­zie­ren und zu fördern.
    In der Beur­tei­lung von Men­schen in der Ver­gan­gen­heit soll­ten wir daher ver­su­chen, uns in ihre Zeit und ihre Kul­tur hin­ein­zu­ver­set­zen und die Hand­lun­gen und Ent­schei­dun­gen im Kon­text ihrer Zeit und Kul­tur zu ver­ste­hen. Wir soll­ten uns bemü­hen, uns von unse­ren eige­nen mora­li­schen Urtei­len und Vor­ur­tei­len zu lösen und uns auf die Fak­ten und die his­to­ri­schen Kon­tex­te zu konzentrieren.
  • andreas.koerber: Sie schrei­ben, wir soll­ten uns von unse­ren eige­nen mora­li­schen Urtei­len lösen. Vor­her haben Sie geschrie­ben, dass sol­che Urtei­le auf der Basis heu­ti­ger Wer­te durch­aus legi­tim sind? Wie passt das zusam­men?Es ist wich­tig, zwi­schen mora­li­schen Urtei­len, die auf aktu­el­len Wer­ten und Stan­dards beru­hen, und mora­li­scher Rela­ti­vie­rung zu unterscheiden.
    Wenn wir sagen, dass wir uns von unse­ren eige­nen mora­li­schen Urtei­len lösen soll­ten, bedeu­tet dies nicht, dass wir unse­re mora­li­schen Stan­dards und Wer­te auf­ge­ben soll­ten. Es bedeu­tet viel­mehr, dass wir uns bemü­hen soll­ten, uns von unse­ren eige­nen mora­li­schen Vor­ur­tei­len und Annah­men zu lösen und uns auf die Fak­ten und his­to­ri­schen Kon­tex­te zu kon­zen­trie­ren, um ein umfas­sen­de­res Ver­ständ­nis der Ver­gan­gen­heit zu erlangen.
    Dies bedeu­tet jedoch nicht, dass wir mora­li­sche Rela­ti­vie­rung unter­stüt­zen soll­ten, dh die Idee, dass es kei­ne objek­ti­ven mora­li­schen Stan­dards gibt und dass alle mora­li­schen Urtei­le auf kul­tu­rel­len, his­to­ri­schen oder indi­vi­du­el­len Vor­ur­tei­len beru­hen. Im Gegen­teil, wir soll­ten uns bemü­hen, uni­ver­sel­le mora­li­sche Prin­zi­pi­en und Men­schen­rech­te zu iden­ti­fi­zie­ren und zu för­dern, die auf der Wür­de und den Rech­ten jedes Men­schen basie­ren, unab­hän­gig von ihrer Kul­tur, ihrem Geschlecht, ihrer Ras­se oder ihrer Religion.
    In der Beur­tei­lung von Men­schen und Ereig­nis­sen in der Ver­gan­gen­heit soll­ten wir uns also bemü­hen, unse­re eige­nen mora­li­schen Vor­ur­tei­le zu über­win­den und uns auf die Fak­ten und den his­to­ri­schen Kon­text zu kon­zen­trie­ren, ohne dabei uni­ver­sel­le mora­li­sche Prin­zi­pi­en aus den Augen zu verlieren.
  • andreas.koerber: Wir spre­chen hier stän­dig von “unse­ren” mora­li­schen Urtei­len. Die­se dürf­ten sich aber auch in der Gegen­wart nicht nur zwi­schen Grup­pen, son­dern auch zwi­schen Men­schen unter­schei­den? Wie kann man dann damit umse­hen?Das ist rich­tig, unse­re mora­li­schen Urtei­le kön­nen sich nicht nur zwi­schen Grup­pen, son­dern auch zwi­schen Indi­vi­du­en unter­schei­den. Jeder Mensch hat sei­ne eige­nen mora­li­schen Über­zeu­gun­gen und Vor­stel­lun­gen, die von ver­schie­de­nen Fak­to­ren beein­flusst wer­den, wie bei­spiels­wei­se Kul­tur, Bil­dung, Erfah­run­gen, per­sön­li­che Wer­te und Religion.
    Wenn es dar­um geht, his­to­ri­sche Ereig­nis­se zu beur­tei­len, ist es wich­tig, dass His­to­ri­ker ver­su­chen, ihre eige­nen mora­li­schen Urtei­le und Über­zeu­gun­gen zu über­win­den und sich auf die Fak­ten und den his­to­ri­schen Kon­text zu kon­zen­trie­ren, um ein umfas­sen­de­res Ver­ständ­nis der Ereig­nis­se zu erlangen.
    Es gibt jedoch auch bestimm­te mora­li­sche Prin­zi­pi­en und Wer­te, die in vie­len Kul­tu­ren und Gesell­schaf­ten als uni­ver­sell aner­kannt wer­den. Dazu gehö­ren bei­spiels­wei­se die Wür­de und Frei­heit jedes Men­schen, die Gleich­heit und Gerech­tig­keit, sowie das Ver­bot von Fol­ter und Grau­sam­keit. Die­se Prin­zi­pi­en kön­nen als Richt­li­ni­en die­nen, um his­to­ri­sche Ereig­nis­se zu beur­tei­len und mora­li­sche Urtei­le zu fäl­len, die von vie­len Men­schen geteilt werden.
    Letzt­end­lich ist es wich­tig zu beach­ten, dass die Beur­tei­lung von his­to­ri­schen Ereig­nis­sen immer von sub­jek­ti­ven Fak­to­ren beein­flusst wird und dass es kei­ne objek­ti­ve Wahr­heit gibt. His­to­ri­ker soll­ten jedoch bestrebt sein, ein mög­lichst objek­ti­ves und umfas­sen­des Ver­ständ­nis der Ereig­nis­se zu erlan­gen und sich bewusst sein, dass ihre eige­nen mora­li­schen Urtei­le und Vor­stel­lun­gen ihre Inter­pre­ta­ti­on beein­flus­sen können.
  • andreas.koerber: Wie aber kann ein Ver­ständ­nis der Ereig­nis­se “mög­lichst objek­tiv und umfas­send” sein, wenn es kei­ne objek­ti­ve Wahr­heit gibt?Ein voll­stän­dig objek­ti­ves Ver­ständ­nis der Ereig­nis­se ist tat­säch­lich nicht mög­lich, da es kei­ne voll­stän­dig objek­ti­ve Wahr­heit gibt. Jeder His­to­ri­ker hat sei­ne eige­nen Vor­ur­tei­le, Über­zeu­gun­gen und Erfah­run­gen, die sei­ne Sicht auf die Ver­gan­gen­heit beein­flus­sen kön­nen. Aber den­noch stre­ben His­to­ri­ker danach, eine mög­lichst objek­ti­ve und umfas­sen­de Sicht auf die Ver­gan­gen­heit zu erlan­gen. Dazu nut­zen sie ver­schie­de­ne Metho­den, um die vor­han­de­nen Bewei­se zu sam­meln, zu ana­ly­sie­ren und zu inter­pre­tie­ren. Sie arbei­ten mit Quel­len und Über­lie­fe­run­gen aus der Ver­gan­gen­heit, die aus ver­schie­de­nen Per­spek­ti­ven stam­men und ver­su­chen, die­se Quel­len kri­tisch zu ana­ly­sie­ren und zu bewerten.
    Ein wich­ti­ges Kon­zept in der Geschichts­wis­sen­schaft ist das der kri­ti­schen Distanz. His­to­ri­ker ver­su­chen, sich von Vor­ur­tei­len und Annah­men zu distan­zie­ren und sich auf die Quel­len und Bewei­se zu kon­zen­trie­ren, um ihre Inter­pre­ta­tio­nen so objek­tiv wie mög­lich zu gestal­ten. Sie ver­su­chen, sich in die Zeit und den Kon­text der his­to­ri­schen Ereig­nis­se ein­zu­füh­len und die­se aus der Per­spek­ti­ve der Men­schen zu betrach­ten, die sie erlebt haben. Dabei berück­sich­ti­gen sie auch die poli­ti­schen, sozia­len, kul­tu­rel­len und wirt­schaft­li­chen Bedin­gun­gen und Ver­än­de­run­gen, die Ein­fluss auf die­se Ereig­nis­se hatten.
    Obwohl es kei­ne voll­stän­dig objek­ti­ve Wahr­heit gibt, stre­ben His­to­ri­ker den­noch nach einem mög­lichst objek­ti­ven Ver­ständ­nis der Ver­gan­gen­heit. Durch den Ein­satz von wis­sen­schaft­li­chen Metho­den und den kri­ti­schen Umgang mit den ver­füg­ba­ren Quel­len und Bewei­sen kön­nen sie ihr Ver­ständ­nis der Ver­gan­gen­heit kon­ti­nu­ier­lich ver­bes­sern und erweitern.
  • andreas.koerber: Wor­in aber besteht das Ide­al des “mög­lichst objek­ti­ven Ver­ständ­nis­ses”?Das Ide­al des “mög­lichst objek­ti­ven Ver­ständ­nis­ses” besteht dar­in, so weit wie mög­lich alle rele­van­ten Infor­ma­tio­nen zu sam­meln, die­se auf ratio­na­le Wei­se zu ana­ly­sie­ren und zu inter­pre­tie­ren und dabei eine mög­lichst neu­tra­le Posi­ti­on ein­zu­neh­men. Es geht also dar­um, so wenig wie mög­lich von eige­nen Vor­ur­tei­len, per­sön­li­chen Inter­es­sen oder ideo­lo­gi­schen Über­zeu­gun­gen beein­flusst zu sein und sich statt­des­sen auf eine mög­lichst objek­ti­ve und unvor­ein­ge­nom­me­ne Betrach­tungs­wei­se zu kon­zen­trie­ren. Die­ses Ide­al ist in der Geschichts­wis­sen­schaft von gro­ßer Bedeu­tung, da es dazu bei­trägt, Ver­zer­run­gen und Fehl­in­ter­pre­ta­tio­nen zu mini­mie­ren und ein mög­lichst genau­es Ver­ständ­nis der Ver­gan­gen­heit zu errei­chen. Aller­dings ist es auch wich­tig zu beto­nen, dass ein voll­stän­dig objek­ti­ves Ver­ständ­nis nie­mals voll­stän­dig erreich­bar ist, da unse­re Wahr­neh­mun­gen und Inter­pre­ta­tio­nen immer von unse­ren eige­nen Erfah­run­gen und Per­spek­ti­ven geprägt werden.
  • andreas.koerber: Heißt das nicht aber, dass zwei His­to­ri­ker nie zu einem gemein­sa­men Ver­ständ­nis kom­men kön­nen, son­dern dass ihre Ansich­ten immer unter­sched­lich und bei­de falsch, weil doch mit einem Bias ver­se­hen sind?Nein, das bedeu­tet es nicht. Zwar ist es unmög­lich, eine voll­stän­dig objek­ti­ve Per­spek­ti­ve zu erlan­gen, aber das bedeu­tet nicht, dass sich His­to­ri­ker nicht auf eine gemein­sa­me Basis für ihr Ver­ständ­nis von Ereig­nis­sen und Ent­wick­lun­gen eini­gen kön­nen. Durch kri­ti­sche Refle­xi­on und Dis­kus­sio­nen kön­nen His­to­ri­ker die Vor­ur­tei­le und Annah­men iden­ti­fi­zie­ren, die ihre Per­spek­ti­ven beein­flus­sen könn­ten, und ver­su­chen, die­se zu über­win­den. Durch die Über­prü­fung von Quel­len, den Ver­gleich ver­schie­de­ner Inter­pre­ta­tio­nen und den Ein­satz von Metho­den der his­to­ri­schen For­schung kön­nen His­to­ri­ker ein fun­dier­te­res und umfas­sen­de­res Ver­ständ­nis der Ereig­nis­se erlan­gen. Die­ses Ver­ständ­nis kann immer noch nicht voll­stän­dig objek­tiv sein, aber es kann als “mög­lichst objek­tiv” betrach­tet wer­den, da es auf kri­ti­scher Refle­xi­on und der Ver­wen­dung von Metho­den basiert, um Ver­zer­run­gen zu minimieren.
  • andreas.koerber: Inwie­fern ist das Ziel der Geschichts­schrei­bung und Geschichts­wis­sen­schaft über­haupt, ein Ereig­nis oder einen Zusam­men­hang mög­lichst “objek­tiv” zu erfas­sen? Impli­ziert das nicht letzt­lich, dass die­se objek­ti­ve Form letzt­lich für nie­man­den mehr eine beson­de­re per­sön­li­che Bedeu­tung hat — und ist die­se per­sön­li­che (indi­vi­du­el­le und gemein­sa­me) Bedeu­tung nicht gera­de das, was Geschich­te über­haupt rele­vant macht?Das Ziel der Geschichts­schrei­bung und Geschichts­wis­sen­schaft ist nicht pri­mär, ein Ereig­nis oder einen Zusam­men­hang mög­lichst “objek­tiv” zu erfas­sen. Viel­mehr geht es dar­um, mög­lichst akku­ra­te und umfas­sen­de Beschrei­bun­gen und Erklä­run­gen von his­to­ri­schen Ereig­nis­sen und Ent­wick­lun­gen zu lie­fern, die auf umfang­rei­chen Recher­chen und kri­ti­scher Refle­xi­on beruhen.
    Natür­lich sind auch in der Geschichts­wis­sen­schaft per­sön­li­che und gesell­schaft­li­che Per­spek­ti­ven, Wer­te und Inter­es­sen der His­to­ri­ke­rin­nen und His­to­ri­ker von Bedeu­tung und kön­nen ihre For­schung beein­flus­sen. Aber gera­de das Bestre­ben nach kri­ti­scher Refle­xi­on und Offen­heit für ver­schie­de­ne Per­spek­ti­ven und Inter­pre­ta­tio­nen kann dazu bei­tra­gen, dass eine mög­lichst umfas­sen­de und dif­fe­ren­zier­te Sicht auf die Ver­gan­gen­heit entsteht.
    Das bedeu­tet nicht, dass die per­sön­li­che und gemein­sa­me Bedeu­tung von Geschich­te kei­ne Rol­le spielt. Im Gegen­teil, Geschich­te kann und soll eine wich­ti­ge Quel­le der Iden­ti­täts­stif­tung und Selbst­ver­or­tung sein, indem sie uns Ein­bli­cke in unse­re Ver­gan­gen­heit und damit in unse­re Iden­ti­tät und unse­ren Platz in der Welt gibt. Die Fähig­keit, Geschich­te mög­lichst akku­rat und umfas­send zu erfas­sen, kann jedoch dazu bei­tra­gen, dass wir ein bes­se­res Ver­ständ­nis und eine tie­fe­re Wert­schät­zung für die Geschich­te und unse­re Vor­fah­ren ent­wi­ckeln können.
  • andreas.koerber: Sie schrei­ben, das Ziel von Geschich­te sei das “mög­lichst akku­ra­te und umfas­sen­de Beschrei­ben und Erklä­ren von his­to­ri­schen Ereig­nis­sen und Ent­wick­lun­gen.” Neh­men wir an, es gelän­ge, ein­deu­tig zu erklä­ren, wie der Holo­caust zustan­de gekom­men und war­um er mög­lich war. Bedeu­tet das, dann, dass die For­schung dazu an ihr Ende gekom­men und wei­te­re Aus­ein­an­der­set­zung damit unnö­tig ist?Nein, das wür­de nicht bedeu­ten, dass die For­schung zum Holo­caust an ihr Ende gekom­men ist und wei­te­re Aus­ein­an­der­set­zung damit unnö­tig ist. Geschich­te ist ein stän­di­ger Pro­zess der Erkennt­nis­ge­win­nung und Inter­pre­ta­ti­on, der sich auf­grund neu­er Quel­len, Erkennt­nis­se und Per­spek­ti­ven immer wei­ter­ent­wi­ckelt. Selbst wenn man alle Fak­ten und Zusam­men­hän­ge des Holo­causts umfas­send erklä­ren könn­te, gäbe es immer noch vie­le Fra­gen und The­men, die wei­ter unter­sucht wer­den könn­ten, wie zum Bei­spiel die indi­vi­du­el­len Erfah­run­gen der Opfer, die Ver­ant­wor­tung der Täter oder die Rol­le der Alli­ier­ten im Zwei­ten Welt­krieg. Außer­dem ist es wich­tig, sich immer wie­der mit der Bedeu­tung des Holo­causts für unse­re Gegen­wart und Zukunft aus­ein­an­der­zu­set­zen und sich dafür zu enga­gie­ren, dass sich ähn­li­che Ver­bre­chen nie wiederholen.
  • andreas.koerber: Aber ist das nicht wider­sprüch­lich? Sie schrei­ben, dass immer neue Fra­gen und The­men auf­kom­men kön­nen. Bedeu­te­te das nicht gera­de, dass noch nicht alle Zusam­men­hän­ge hin­rei­chend erklärt wäre, wie Sie gera­de zuvor schrei­ben?Das ist durch­aus mög­lich. Selbst wenn ein Ereig­nis oder eine Ent­wick­lung umfas­send erforscht und erklärt wur­de, kann es immer noch neue Fra­gen geben oder Aspek­te, die bis­her über­se­hen wur­den. Geschich­te ist ein kon­ti­nu­ier­li­cher Pro­zess der Ent­de­ckung und Wie­der­ent­de­ckung, und es gibt immer mehr zu ler­nen und zu ver­ste­hen. Es ist daher unwahr­schein­lich, dass die For­schung zu einem bestimm­ten The­ma jemals abge­schlos­sen sein wird.
  • andreas.koerber: Was folgt dar­aus für Geschichts­un­ter­richt?Für den Geschichts­un­ter­richt bedeu­tet das, dass es wich­tig ist, den Schü­le­rin­nen und Schü­lern ein Ver­ständ­nis dafür zu ver­mit­teln, dass Geschich­te nicht nur aus Fak­ten und Ereig­nis­sen besteht, son­dern auch aus Inter­pre­ta­tio­nen und Per­spek­ti­ven. Es geht dar­um, ihnen bei­zu­brin­gen, wie man his­to­ri­sche Quel­len ana­ly­siert und bewer­tet, wie man his­to­ri­sche Zusam­men­hän­ge und Ent­wick­lun­gen erklärt und wie man ver­schie­de­ne Inter­pre­ta­tio­nen und Per­spek­ti­ven in der Geschichts­schrei­bung berücksichtigt.
    Es ist auch wich­tig, den Schü­le­rin­nen und Schü­lern zu ver­mit­teln, dass Geschich­te immer auch aktu­ell ist und uns heu­te noch beein­flusst. Indem sie ler­nen, die Ver­gan­gen­heit kri­tisch zu hin­ter­fra­gen und ver­schie­de­ne Per­spek­ti­ven zu berück­sich­ti­gen, kön­nen sie ein Ver­ständ­nis für die Gegen­wart ent­wi­ckeln und dazu bei­tra­gen, eine bes­se­re Zukunft zu gestalten.
    Dar­über hin­aus kann der Geschichts­un­ter­richt dazu bei­tra­gen, Empa­thie und Tole­ranz zu för­dern, indem er den Schü­le­rin­nen und Schü­lern hilft, ande­re Kul­tu­ren und Epo­chen zu ver­ste­hen und sich in ver­schie­de­ne Per­spek­ti­ven hin­ein­zu­ver­set­zen. Auf die­se Wei­se kann Geschich­te dazu bei­tra­gen, Vor­ur­tei­le abzu­bau­en und ein bes­se­res Ver­ständ­nis für die Viel­falt der Mensch­heit zu schaffen.
  • andreas.koerber: Was mei­nen Sie mit der “Berück­sich­ti­gung” ver­schie­de­ner Inter­pre­ta­tio­nen und Per­spek­ti­ven in der Geschichts­schrei­bung im Geschichts­un­ter­richt?Mit der Berück­sich­ti­gung ver­schie­de­ner Inter­pre­ta­tio­nen und Per­spek­ti­ven in der Geschichts­schrei­bung im Geschichts­un­ter­richt mei­ne ich, dass Leh­re­rin­nen und Leh­rer ihren Schü­le­rin­nen und Schü­lern ver­mit­teln soll­ten, dass es ver­schie­de­ne his­to­ri­sche Per­spek­ti­ven und Inter­pre­ta­tio­nen gibt, die je nach Zeit, Ort und Inter­es­sen­la­ge vari­ie­ren kön­nen. Dies kann bedeu­ten, dass man unter­schied­li­che Quel­len und Autoren nutzt, um ver­schie­de­ne Sicht­wei­sen auf ein his­to­ri­sches Ereig­nis oder eine his­to­ri­sche Ent­wick­lung zu prä­sen­tie­ren und zu diskutieren.
    Durch die­se Her­an­ge­hens­wei­se ler­nen Schü­le­rin­nen und Schü­ler, dass es nicht nur eine “rich­ti­ge” Ver­si­on der Geschich­te gibt, son­dern dass die Inter­pre­ta­ti­on von his­to­ri­schen Ereig­nis­sen und Ent­wick­lun­gen von vie­len Fak­to­ren beein­flusst wird. Es hilft ihnen, ein Bewusst­sein für die Bedeu­tung von Per­spek­ti­ven und Kon­tex­ten zu ent­wi­ckeln und die Fähig­keit zu erlan­gen, kri­tisch und reflek­tiert über Geschich­te nachzudenken.
    Dar­über hin­aus ermög­licht die Berück­sich­ti­gung ver­schie­de­ner Inter­pre­ta­tio­nen und Per­spek­ti­ven auch, dass Schü­le­rin­nen und Schü­ler die Bedeu­tung von Dif­fe­renz und Viel­falt in der Geschich­te erken­nen und sich mit unter­schied­li­chen Iden­ti­tä­ten und Erfah­run­gen aus­ein­an­der­set­zen kön­nen. Dies trägt zur För­de­rung von Empa­thie, Tole­ranz und inter­kul­tu­rel­lem Ver­ständ­nis bei.
  • andreas.koerber: Gilt das auch für extre­me, pro­ble­ma­ti­sche Dar­stel­lun­gen?Es ist wich­tig, im Geschichts­un­ter­richt ver­schie­de­ne Inter­pre­ta­tio­nen und Per­spek­ti­ven zu berück­sich­ti­gen, auch wenn sie pro­ble­ma­tisch oder sogar extrem sind. Aller­dings soll­te man dabei beden­ken, dass nicht alle Inter­pre­ta­tio­nen und Per­spek­ti­ven gleich­wer­tig sind und dass eini­ge mög­li­cher­wei­se auf fal­schen Annah­men oder Vor­ur­tei­len beru­hen können.
    Es ist wich­tig, dass Leh­re­rin­nen und Leh­rer im Geschichts­un­ter­richt pro­ble­ma­ti­sche Dar­stel­lun­gen, wie zum Bei­spiel ras­sis­ti­sche oder natio­na­lis­ti­sche Inter­pre­ta­tio­nen, nicht ein­fach uncri­ti­cal­ly prä­sen­tie­ren, son­dern die­se kri­tisch reflek­tie­ren und in einen grö­ße­ren Kon­text ein­ord­nen. Auf die­se Wei­se kön­nen Schü­le­rin­nen und Schü­ler ler­nen, wie man mit ver­schie­de­nen Inter­pre­ta­tio­nen und Per­spek­ti­ven umgeht und wie man kri­tisch denkt.
  • andreas.koerber: Nun gibt es immer wie­der Fäl­le, in denen sich lan­ge als gül­tig gel­ten­de Inter­pre­ta­tio­nen als pro­ble­ma­tisch her­aus­stel­len, weil ihre Per­spek­ti­ven unter neu­en Gesichts­punk­ten dis­ku­tiert wer­den. So wer­den etwa auch immer wie­der Schul­buch­tex­te nach vie­len Jah­ren kri­ti­siert, etwa weil sich dar­in Begrif­fe und Denk­wei­sen fin­den, die wir heu­te als ras­sis­tisch anspre­chen müs­sen. Haben sie noch einen Wert für den Geschichts­un­ter­richt oder sind sie zu ver­mei­den?Es kann durch­aus wert­voll sein, älte­re Schul­buch­tex­te im Geschichts­un­ter­richt zu ver­wen­den, um zu zei­gen, wie sich his­to­ri­sche Inter­pre­ta­tio­nen und Per­spek­ti­ven im Lau­fe der Zeit ver­än­dert haben. Es ist jedoch wich­tig, die­se Tex­te in einen ange­mes­se­nen Kon­text zu stel­len und kri­tisch zu betrach­ten. Das bedeu­tet, dass man nicht nur die Per­spek­ti­ve und den Kon­text, in dem der Text geschrie­ben wur­de, berück­sich­ti­gen soll­te, son­dern auch die Gren­zen und Vor­ur­tei­le die­ser Per­spek­ti­ve auf­zei­gen soll­te. Wenn der Text ras­sis­ti­sche oder ande­re pro­ble­ma­ti­sche Ele­men­te ent­hält, soll­ten die­se nicht ver­schwie­gen, son­dern expli­zit the­ma­ti­siert wer­den. Es ist wich­tig, dass die Schü­le­rin­nen und Schü­ler ver­ste­hen, dass his­to­ri­sche Inter­pre­ta­tio­nen und Per­spek­ti­ven sich ver­än­dern und dass es not­wen­dig ist, sie immer wie­der kri­tisch zu hinterfragen.
  • andreas.koerber: Das gilt ja nicht nur für älte­re Tex­te. Auch aktu­el­le Tex­te in Schul­bü­chern sind ja nicht auto­ma­tisch pro­blem­frei …Das stimmt, auch aktu­el­le Schul­bü­cher und Lehr­ma­te­ria­li­en kön­nen pro­ble­ma­ti­sche oder ver­al­te­te Dar­stel­lun­gen ent­hal­ten. Es ist wich­tig, dass Lehr­kräf­te sich die­ser Pro­ble­me bewusst sind und kri­tisch mit dem Mate­ri­al umge­hen, das sie ver­wen­den. Sie soll­ten die Tex­te sorg­fäl­tig aus­wäh­len und gege­be­nen­falls ergän­zen oder modi­fi­zie­ren, um sicher­zu­stel­len, dass die Dar­stel­lun­gen den aktu­el­len For­schungs­er­geb­nis­sen und den heu­ti­gen mora­li­schen Stan­dards ent­spre­chen. Auch soll­ten sie den Schü­le­rin­nen und Schü­lern hel­fen, kri­tisch mit dem Lehr­ma­te­ri­al umzu­ge­hen und es zu hin­ter­fra­gen. So kann der Geschichts­un­ter­richt dazu bei­tra­gen, die Schü­le­rin­nen und Schü­ler zu mün­di­gen und reflek­tier­ten Bür­gern zu erzie­hen, die in der Lage sind, sich eine eige­ne Mei­nung zu bil­den und die Welt um sie her­um kri­tisch zu betrachten.
  • andreas.koerber: Ken­nen Sie den “Beu­tels­ba­cher Kon­sens”?Ja, der Beu­tels­ba­cher Kon­sens ist ein wich­ti­ger Grund­satz im Umgang mit kon­tro­ver­sen The­men im Schul­un­ter­richt. Er wur­de 1976 von einer Grup­pe von Päd­ago­gen und Leh­rern in Beu­tels­bach bei Stutt­gart ent­wi­ckelt und bezieht sich ins­be­son­de­re auf den Umgang mit poli­tisch umstrit­te­nen The­men im Unterricht.
    Der Kon­sens besagt, dass Leh­re­rin­nen und Leh­rer bei der Behand­lung poli­ti­scher The­men im Unter­richt drei Prin­zi­pi­en beach­ten sollten:
    • Kon­tro­ver­si­tät: Der Unter­richt soll die ver­schie­de­nen Stand­punk­te zu einem The­ma dar­stel­len und eine offe­ne Dis­kus­si­on ermöglichen.
    • Wahr­heit: Der Unter­richt soll sich auf objek­ti­ve Fak­ten und Sach­ver­hal­te stüt­zen und kei­ne fal­schen Infor­ma­tio­nen verbreiten.</li
    • Men­schen­wür­de: Der Unter­richt soll die Wür­de aller Men­schen respek­tie­ren und darf kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung oder Dif­fa­mie­rung von Grup­pen oder Ein­zel­per­so­nen beinhalten.

    Der Beu­tels­ba­cher Kon­sens ist ein wich­ti­ger Grund­satz für die poli­ti­sche Bil­dung und die Aus­ein­an­der­set­zung mit kon­tro­ver­sen The­men im Unterricht.

  • andreas.koerber: Das ist aber eine sehr fal­sche Dar­stel­lung des Beu­tels­ba­cher Kon­sen­ses. Wo haben Sie die her?Ent­schul­di­gung, falls mei­ne vor­he­ri­ge Ant­wort miss­ver­ständ­lich oder unklar war. Der Beu­tels­ba­cher Kon­sens ist ein päd­ago­gi­sches Kon­zept, das sich auf die Fra­ge bezieht, wie im Unter­richt kon­tro­ver­se und umstrit­te­ne The­men behan­delt wer­den sol­len. Der Kon­sens wur­de 1976 von einer Arbeits­grup­pe ent­wi­ckelt, die aus Ver­tre­tern ver­schie­de­ner poli­ti­scher und gesell­schaft­li­cher Grup­pen bestand. Der Kon­sens besteht aus vier Leitsätzen: 
    • In der Schu­le darf es kei­ne Indok­tri­na­ti­on geben.
    • In der Schu­le muss Kon­tro­ver­si­tät offen­ge­legt und ver­tre­ten werden.
    • In der Schu­le muss eine sach­li­che Aus­ein­an­der­set­zung stattfinden.
    • In der Schu­le muss ein Lern­pro­zess stattfinden.

    Der Kon­sens betont also die Bedeu­tung der kri­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zung mit kon­tro­ver­sen The­men und der Ent­wick­lung von Urteils­fä­hig­keit bei Schü­le­rin­nen und Schülern.

  • andreas.koerber: Das ist schon bes­ser, aber immer noch nicht rich­tig.Es tut mir leid, wenn mei­ne vor­he­ri­ge Ant­wort unge­nau war. Der Beu­tels­ba­cher Kon­sens bezieht sich tat­säch­lich auf den Umgang mit kon­tro­ver­sen poli­ti­schen The­men im Unter­richt. Es han­delt sich um einen Kon­sens, der 1976 von einer Arbeits­grup­pe von Leh­rern und Päd­ago­gen in Beu­tels­bach erar­bei­tet wur­de und bis heu­te in der poli­ti­schen Bil­dung in Deutsch­land eine wich­ti­ge Rol­le spielt.
    Der Beu­tels­ba­cher Kon­sens besagt, dass in der poli­ti­schen Bil­dung kon­tro­ver­se The­men behan­delt wer­den soll­ten, um Schü­le­rin­nen und Schü­ler zu befä­hi­gen, ihre eige­ne Mei­nung zu bil­den und zu ver­tre­ten. Gleich­zei­tig müs­sen Lehr­kräf­te aber auch dar­auf ach­ten, dass sie kei­ne pro­pa­gan­dis­ti­schen Inhal­te ver­brei­ten oder Schü­le­rin­nen und Schü­ler in eine bestimm­te Rich­tung beein­flus­sen. Lehr­kräf­te sol­len viel­mehr die ver­schie­de­nen Posi­tio­nen und Mei­nun­gen dar­stel­len und die Schü­le­rin­nen und Schü­ler dazu anre­gen, kri­tisch dar­über nach­zu­den­ken und eige­ne Schlüs­se zu ziehen.
    Ich hof­fe, dass ich Ihnen mit die­ser Ant­wort wei­ter­hel­fen konnte.
  • andreas.koerber: Etwas unge­nau, aber schon bes­ser. Erst ein­mal dan­ke!Ger­ne, ich bin jeder­zeit bemüht, best­mög­li­che Ant­wor­ten zu lie­fern. Wenn Sie wei­te­re Fra­gen haben oder wei­te­re Klar­stel­lun­gen benö­ti­gen, ste­he ich Ihnen ger­ne zur Verfügung.

Successful Perspective-Taking? On the Problem and Potential of “Empathy” (or simulative) Tasks in Historical Education (2nd, enhanced version)

18. Februar 2020 Andreas Körber Keine Kommentare

In text­books as well as in the class­room, the­re are always tasks that requi­re the lear­ners to put them­sel­ves in the shoes of a his­to­ri­cal per­so­na­li­ty and to per­form a cer­tain men­tal effort “from their per­spec­ti­ve” — for exam­p­le, to wri­te a let­ter or the like.

The aim of such tasks is usual­ly to deter­mi­ne the ext­ent to which stu­dents are able to take this step of “taking” or “adop­ting” a per­spec­ti­ve, i.e. to “put them­sel­ves in the shoes” (or posi­ti­on) of a tem­po­ral­ly and/​or cul­tu­ral­ly “for­eign” per­son and to judge past situa­tions not only from their pre­sent per­spec­ti­ve, with modern con­cepts and values etc. In the back­ground of such tasks the­re is thus a fun­da­men­tal con­cept of fun­da­men­tal (not only mar­gi­nal) chan­ge exten­ding over time, which requi­res us to judge each past epoch “from within”, in the hori­zon of con­tem­po­ra­ry thin­king. Accor­ding to Rüsen, this con­cept under­lies gene­tic his­to­ri­cal con­scious­ness. 1 In this respect it is (pro­ba­b­ly right­ly) con­side­red spe­ci­fi­cal­ly modern (wher­eby the sequence of the types of mea­ning as forms of thought in deal­ing with the past that have emer­ged in the cour­se of his­to­rio­gra­phi­cal histo­ry is in turn based on the gene­tic con­cept. The typo­lo­gy its­elf is thus spe­ci­fi­cal­ly modern). It is this way of thin­king that makes the uncon­di­tio­nal per­cep­ti­on, thin­king through and jud­ging of a situa­ti­on that is ali­en in time with the help of cate­go­ries that are not con­tem­po­ra­ry but pre­sent, suspect under the con­cept of “pre­sen­te­eism”. Accor­ding to Sam Wine­burg, this form of thin­king is the natu­ral, but un-his­to­ri­cal one, its over­co­ming in favour of a per­cep­ti­on and reco­gni­ti­on of the fun­da­men­tal other­ness of the past that is the labo­rious core of his­to­ri­cal lear­ning against the pre­sen­tist default. 2

Even if his­to­ri­cal thin­king and lear­ning is hard­ly absor­bed in this over­co­ming of a qua­si-natu­ral pre­sen­te­eism, but rather cap­tures much more com­plex set­ups and ope­ra­ti­ons, espe­ci­al­ly if one empha­si­zes the ori­en­ta­ti­on func­tion of histo­ry in the pre­sent (as Jörn Rüsen’s theo­ry does and with it most of the con­cepts of Ger­man histo­ry didac­tics), the aspect empha­si­zed by Wine­burg cer­tain­ly belongs to the core of the business.

But to what ext­ent are tasks of the type men­tio­ned sui­ta­ble for this? Some doubts are in order. But this does not mean that the­se tasks are fun­da­men­tal­ly use­l­ess. What is nee­ded, howe­ver, is an inten­si­ve reflec­tion on their logic, the per­for­man­ces and achie­ve­ments deman­ded by them of the lear­ners, as well as on the work requi­red of the cor­re­spon­ding tasks (vul­go: stu­dent achie­ve­ments — to what ext­ent they are real­ly “achie­ve­ments” remains to be reflec­ted) and their signi­fi­can­ce in the lear­ning process.

One aspect of this is that (like so many in histo­ry tea­ching) the­se tasks — at least in tra­di­tio­nal tea­ching con­texts — often mix up cha­rac­te­ristics of lear­ning and achie­ve­ment tasks. Stu­dents must — at least wit­hout fur­ther cla­ri­fi­ca­ti­on of the tea­ching func­tion — gain the impres­si­on that the requi­red adop­ti­on of per­spec­ti­ves is valid­ly pos­si­ble and can be asses­sed by the tea­cher. This makes the task a per­for­mance task. Even if it is not inten­ded to ques­ti­on and check some­thing that has alre­a­dy been prac­ti­sed befo­re, but to pre­sent the stu­dents with a new chall­enge, such tasks do not in any way indi­ca­te what is to hap­pen to the work done by the stu­dents other than that it is to be dis­c­lo­sed to the ple­num or the tea­cher and asses­sed by them — but on the basis of which criteria?
Which tea­cher, which rese­ar­cher of today could ever say when the adop­ti­on of a per­spec­ti­ve has “suc­cee­ded”? None of us can think or assess a situa­ti­on like a 10th cen­tu­ry monk or a Japa­ne­se samu­rai. No one will have a “ful­ly valid” ans­wer to a cor­re­spon­ding task — and no tea­cher can deci­de which achie­ve­ment is “right”.

Nevert­hel­ess, such tasks are not non­sen­si­cal. After all, they are not at all con­cer­ned with (unf­air­ly) deman­ding some­thing more or less spon­ta­neous­ly from the stu­dents (name­ly the tem­po­ra­ry under­stan­ding of past actions), which is still the sub­ject and task of exten­si­ve rese­arch today. Rather, such tasks actual­ly aim to make plau­si­ble the requi­re­ment of abs­trac­tion from the pre­sent per­spec­ti­ve and the other­ness of per­cep­ti­on, inter­pre­ta­ti­on and decis­i­on resul­ting from such attempts. The cri­ter­ion for the suc­cess of such tasks the­r­e­fo­re lies neither in actual­ly having come clo­se to the past per­son mime­ti­cal­ly, nor in strip­ping off one’s own pre­sent posi­tio­na­li­ty and per­spec­ti­ve as com­ple­te­ly as pos­si­ble, so that one sim­ply argues “as stran­ge­ly as pos­si­ble” and then pas­ses this off as pro­of of a suc­cessful adop­ti­on of perspective.
Rather, the aim of such tasks is that stu­dents should reco­gni­ze from the attempt to adopt such a per­spec­ti­ve that they have to aban­don pre­sent self-under­stan­dings in order to somehow “do jus­ti­ce” to a past per­spec­ti­ve. Thus, it is not the cohe­rence of the indi­vi­du­al result that is important, but rather the reco­gni­ti­on and signi­fi­can­ce of the cla­im of his­to­ri­cal thin­king: someone who jud­ges and eva­lua­tes the (suf­fi­ci­ent­ly com­plex) cogni­tively pre­sen­ted past situa­ti­on as he/​she would do from today’s pre­sent wit­hout any cir­cum­s­tances, shows just as litt­le his­to­ri­cal under­stan­ding as someone who pres­ents and eva­lua­tes ever­y­thing as dif­fer­ent­ly as pos­si­ble, but can­not say at all to what ext­ent this should be appro­pria­te to the con­cre­te situation.

Only when tal­king and dis­cus­sing about the respec­ti­ve (and pre­fer­a­b­ly dif­fe­rent) “solu­ti­ons” (bet­ter: tre­at­ments) it beco­mes clear what the indi­vi­du­al stu­dents have alre­a­dy unders­tood, but the poten­ti­al for the actu­al lear­ning pro­cess is actual­ly only there.
The ori­gi­nal pro­ces­sing of the task is the­r­e­fo­re wron­gly used as pro­of of the ful­film­ent of a requi­re­ment for a suc­cessful chan­ge of per­spec­ti­ve for theo­re­ti­cal and didac­tic reasons. Such tasks must not be unders­tood as achie­ve­ment tasks, but must be lear­ning tasks in so far as they gene­ra­te the mate­ri­al for the actu­al pro­cess of his­to­ri­cal thin­king and learning.

In this way, howe­ver, they achie­ve a lear­ning poten­ti­al that is only slight­ly chan­ged on the ter­mi­no­lo­gi­cal level, but cle­ar­ly chan­ged in theo­re­ti­cal terms. From the ulti­m­ate­ly unful­fillable and mea­sura­ble or iden­ti­fia­ble cla­im to a suc­cessful (or post fes­tum: suc­cessful chan­ge of per­spec­ti­ve), the pos­si­bi­li­ty of not aban­do­ning one’s own per­spec­ti­ve, but rather expan­ding it by means of the requi­red jus­ti­fied, i.e. cogni­ti­ve con­side­ra­ti­on of fac­tors that make up ano­ther per­spec­ti­ve, would beco­me pos­si­ble. Broa­de­ning and reflec­tion of per­spec­ti­ve ins­tead of a chan­ge of perspective.

In this respect, one could (also) bor­row metho­di­cal­ly from the for­eign lan­guage didac­tic prin­ci­ple of “task-based lear­ning” in that the pro­ces­sing of a task by stu­dents is sub­ject to reflec­tion in a focus on (here:) histo­ry pha­se, in which his­to­ri­cal thin­king (and lan­guage) is made expli­cit, and pre­cis­e­ly in this pro­cess new­ly acqui­red or dif­fe­ren­tia­ted con­cepts, terms, methods, etc., which are more abs­tract and pro­vi­ded with a refle­xi­ve index, are also made expli­cit. is the­ma­ti­zed and pro­gres­si­on is expli­cit­ly encouraged.

This in turn can be metho­do­lo­gi­cal­ly imple­men­ted by using coope­ra­ti­ve lear­ning methods 3, for exam­p­le by using the “Think-Pair-Share” (or “Think — Exch­an­ge — Dis­cuss”) sche­me is imple­men­ted in such a way that the results of such a task, which were initi­al­ly pre­pared in indi­vi­du­al work (“Think” pha­se), are neither direct­ly given to the tea­cher nor pre­sen­ted and dis­cus­sed in the ple­na­ry ses­si­on, but rather in part­ner work or also in small groups (“Pair” pha­se) of lear­ners them­sel­ves, who first compa­re and ana­ly­se seve­ral such workings of the task from other points of view than only how “good” or “suc­cessful” they are.
As usu­al, such “Pair”-pha­ses should not only be about pre­sen­ting the indi­vi­du­al results to the other stu­dents so that they all know them. Rather, such pha­ses need their own work assign­ments. In the pre­sent case, the­se can con­sist of com­pa­ring the indi­vi­du­al work assign­ments in a descrip­ti­ve way: What have the aut­hors done simi­lar­ly, what dif­fer­ent­ly? What effect do the­se decis­i­ons have on the pro­ces­sing of the task? Do insights and ques­ti­ons ari­se regar­ding the mea­ning and pur­po­se of the task — now that dif­fe­rent solu­ti­ons are known?
Such a com­pa­ra­ti­ve ana­ly­sis, which does not imme­dia­te­ly con­sider the pre­sent works from the point of view of suc­cess, and even puts them in a one-dimen­sio­nal series, but rather works out, on the basis of the­se adapt­a­ti­ons, what could some­ti­mes make ever­y­thing dif­fe­rent, con­tri­bu­tes to the fact that the thought pro­cess, the requi­re­ment of his­to­ri­cal thought, which the task addres­sed, comes into view as such. It may even be advi­sa­ble that the small group car­ry­ing out the com­pa­ra­ti­ve work only looks at other pupils’ texts, not at their own, and that they recei­ve the­se anony­mously (e.g. through com­pu­ter wri­ting). It may even be useful for the tea­cher hers­elf to include one or two dif­fe­rent works “anony­mously”, which are to be dis­co­ver­ed, com­pared with the others and asses­sed in terms of their poten­ti­al and limitations.
The “Share” pha­se of the dis­cus­sion in the ple­num then recei­ves its own task, name­ly the dis­cus­sion and nego­tia­ti­on of the insights gai­ned in the groups (was this the case in all small groups? Do the insights com­ple­ment each other or are they rather in ten­si­on with each other?) and ques­ti­ons not so much about indi­vi­du­al tre­at­ments, but about the con­trasts per­cei­ved bet­ween them.
It could be that…

  • … Stu­dents have used very dif­fe­rent words when wri­ting their indi­vi­du­al assign­ments and now rea­li­ze that they can­not sim­ply assu­me that their cur­rent terms can be used “in the situa­ti­on” wit­hout fur­ther ado.
  • … some pupils* dis­co­ver the ques­ti­on to what ext­ent it can be assu­med that the per­son they are sup­po­sed to put them­sel­ves in the shoes of is not neces­s­a­ri­ly able to wri­te. (Even a refu­sal of the task for such a reason can then be pro­duc­tively included as the result of a his­to­ri­cal thought process). 
  • … a com­pa­ri­son bet­ween two edits in the small group shows that the aut­hors quite natu­ral­ly (= wit­hout having given it much thought) star­ted out from very dif­fe­rent levels of infor­ma­ti­on about “their” per­son, so that the ques­ti­on ari­ses: what could one know about … back then?
  • the com­pa­ri­son shows that some stu­dents may have included hind­sight infor­ma­ti­on in the pro­cess, while others did not.”

The lat­ter case in par­ti­cu­lar shows that such an approach makes it pos­si­ble not to let such “errors” in his­to­ri­cal thin­king beco­me imme­dia­te­ly (or even at all) effec­ti­ve as “errors” (and demo­ti­vat­ing their the­ma­tiza­ti­on), but to use them (qua anony­mous com­pa­ri­son) pro­duc­tively to gain insight.

Such pro­ce­du­res of coope­ra­ti­ve lear­ning with its pos­si­bi­li­ties to let pupils think about their own pro­ducts in a form that does not imme­dia­te­ly hier­ar­chise and eva­lua­te them, can also be sup­port­ed by digi­tal instru­ments, name­ly tho­se that make it pos­si­ble to make the results of pupils’ work visi­ble (anony­mously) next to each other on a lar­ge smart board or simi­lar and to work on them in ple­na­ry, such as with “Ether­pads” (cf. https://​de​.wiki​pe​dia​.org/​w​i​k​i​/​E​t​h​e​r​pad). 4

Final­ly, such a pro­ces­sing and eva­lua­ti­on of such a task also enables non-sepa­ra­ting dif­fe­ren­tia­ti­ons by means of scaf­fol­ding. It is pos­si­ble, for exam­p­le, that in the indi­vi­du­al pro­ces­sing pha­se stu­dents with dif­fi­cul­ties in wri­ting and for­mu­la­ting, with abs­trac­tion etc. are not requi­red to wri­te their own texts, but that they are enab­led to deci­de on the basis of a series of pre­pared “text modu­les” what would be con­ceiva­ble and con­sis­tent in a solu­ti­on. The given text modu­les must then of cour­se in turn have quite dif­fe­rent solu­ti­ons and designs — up to and inclu­ding incom­pa­ti­ble and even con­tra­dic­to­ry parts. In this way, the con­s­truc­ti­ve task would be tur­ned into an assign­ment of given sym­bol buil­ding blocks to each other by “task rever­sal”. A task that is quite dif­fe­rent on the “sur­face” can thus — for the pur­po­se of dif­fe­ren­tia­ti­on and scaf­fol­ding — address and requi­re simi­lar and com­pa­ra­ble ope­ra­ti­ons of his­to­ri­cal thought and — in reflec­tion — pro­mo­te them. (Of cour­se, such dif­fe­ren­tia­ti­on and under­pin­ning by means of scaf­folds also means that the anony­mi­ty that may have been cho­sen for fur­ther eva­lua­tions can no lon­ger be ful­ly main­tai­ned. But this can also be dealt with productively).

Anmer­kun­gen /​ Refe­ren­ces
  1. Rüsen, Jörn (1983): His­to­ri­sche Ver­nunft. Grund­zü­ge einer His­to­rik I: Die Grund­la­gen der Geschichts­wis­sen­schaft. Göt­tin­gen: Van­den­hoeck & Ruprecht (Klei­ne Van­den­hoeck-Rei­he, 1489); Rüsen, Jörn (2013): His­to­rik. Theo­rie der Geschichts­wis­sen­schaft. Köln: Böhlau.[]
  2. See Wine­burg, Sam (1999): His­to­ri­cal Thin­king and Other Unna­tu­ral Acts. In: The Phi Del­ta Kap­pan 80 (7), S. 488 – 499; Wine­burg, Sam (2001): His­to­ri­cal Thin­king and Other Unna­tu­ral Acts. Char­ting the Future of Tea­ching the Past. Phil­adel­phia: Temp­le Uni­ver­si­ty Press (Cri­ti­cal per­spec­ti­ves on the past). []
  3. e.g. accor­ding to Green, Norm; Green, Kathy (2007): Koope­ra­ti­ves Ler­nen im Klas­sen­raum und im Kol­le­gi­um. Seel­ze-Vel­ber: Klett; Kall­mey­er.[]
  4. In con­trast to some other instru­ments prai­sed in the con­text of digi­tiza­ti­on, which ulti­m­ate­ly do not­hing else but imple­ment con­ven­tio­nal, small-step methods of a know­ledge check with imme­dia­te right-wrong feed­back elec­tro­ni­cal­ly and often even wor­sen in so far that due to the elec­tro­nic com­pa­ri­son of the stu­dents with a sam­ple solu­ti­on cor­rect, but dif­fer­ent­ly for­mu­la­ted ans­wers are repor­ted back as ‘wrong’, just as half cor­rect ans­wers can­not be app­re­cia­ted, ether­pads enable the orga­niza­ti­on of a com­mon con­side­ra­ti­on of a num­ber of indi­vi­du­al solu­ti­ons. Due to the often typed-in and the­r­e­fo­re given inde­pen­dence from hand­wri­ting, a cer­tain anony­miza­ti­on can be achie­ved, which allows the focus to be on the text, not the aut­hor. Regar­ding the available space, font size etc. the­re are still limits, howe­ver, which may make it advi­sa­ble to use “ana­log­ous” methods with cards, pos­ters etc. []
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Gelingender Perspektiven-Wechsel? Zur Problematik “simulativer” Perspektivenübernahme-Aufgaben im Historischen Lernen — und zu ihrem Potential für einen kompetenz‑, reflexions- und differenzierenden Geschichtsunterricht (2., erg. Fassung)

26. September 2019 Andreas Körber Ein Kommentar

In Schul­bü­chern wie im Unter­richt begeg­nen immer wie­der Auf­ga­ben, wel­che von den Ler­nen­den abver­lan­gen, sich in eine his­to­ri­sche Per­sön­lich­keit hin­ein­zu­ver­set­zen und “aus ihrer Per­spek­ti­ve” eine bestimm­te Denk­leis­tung zu erbrin­gen — etwa einen Brief o.ä. zu verfassen.

Ziel sol­cher Auf­ga­ben­stel­lun­gen ist es zumeist, zu ermit­teln, inwie­fern Schüler*innen in der Lage sind, die­sen Schritt der “Per­spek­ti­ven­über­nah­me” zu voll­zie­hen, sich also in die Schu­he (bzw. Posi­ti­on) einer zeit­lich und/​oder kul­tu­rell “frem­den” Per­son zu bege­ben und Situa­tio­nen der Ver­gan­gen­heit nicht nur aus ihrer gegen­wär­ti­gen Per­spek­ti­ve, mit moder­nen Kon­zep­ten und Wert­vor­stel­lun­gen etc. zu beur­tei­len. Im Hin­ter­grund sol­cher Auf­ga­ben steht also ein grund­le­gen­des Kon­zept sich über Zeit erstre­cken­der grund­sätz­li­cher (nicht nur mar­gi­na­ler) Ver­än­de­rung, die es erfor­de­re, jede ver­gan­ge­ne Epo­che “aus sich her­aus”, im Hori­zont des zeit­ge­nös­si­schen Den­kens, zu beur­tei­len. Die­ses Kon­zept liegt dem gene­ti­schen Geschichts­be­wusst­sein nach Rüsen zugrun­de. 1 Inso­fern gilt es (wohl zu Recht) als spe­zi­fisch modern, neu­zeit­lich (wobei der Rei­hung der Sinn­bil­dungs­ty­pen als im Lau­fe der His­to­rio­gra­phi­ge­schich­te ent­stan­de­ner Denk­for­men im Umgang mit Ver­gan­gen­heit ihrer­seits das gene­ti­sche Kon­zept zugrun­de liegt. Die Typo­lo­gie selbst ist somit spe­zi­fisch modern). Die­se Denk­form ist es, wel­che das umstands­lo­se Wahr­neh­men, Durch­den­ken und Beur­tei­len einer zeit­lich frem­den Situa­ti­on mit Hil­fe nicht zeit­ge­nös­si­scher, son­dern gegen­wär­ti­ger Kate­go­rien, unter dem Kon­zept “Prä­sen­tis­mus” ver­däch­tig macht. Sam Wine­burg zufol­ge ist die­se Denk­form die natür­lich, aber un-his­to­ri­sche, ihre Über­win­dung zuguns­ten einer Wahr­neh­mung und Aner­ken­nung der grund­le­gen­den Anders­ar­tig­keit der Ver­gan­gen­heit das gegen die prä­sen­tis­ti­sche Vor­ein­stel­lung der müh­sa­me Kern his­to­ri­schen Ler­nens. 2

Auch wenn his­to­ri­sches Den­ken und Ler­nen kaum in die­ser Über­win­dung eines qua­si-natür­li­chen Prä­sen­tis­mus auf­geht, son­dern deut­lich kom­ple­xe­re Einich­ten und Ope­ra­tio­nen erfasst, ins­be­son­de­re, wenn man die Ori­en­tie­rungs­funk­tiuon von Geschich­te in der Gegen­wart betont (wie es die Theo­rie Jörn Rüsens tut und mit ihr die meis­ten Kon­zep­te deut­scher Geschichts­di­dak­tik), gehört der von Wine­burg beton­te Aspekt durch­aus zum Kern des Geschäfts.

Inwie­fern aber sind Auf­ga­ben des genann­ten Typs dafür geeig­net? Eini­ge Zwei­fel dar­an sind ange­bracht. Das bedeu­tet aber nicht, dass die­se Auf­ga­ben grund­sätz­lich unbrauch­bar sind. Es bedarf jedoch einer inten­si­ven Refle­xi­on ihrer Logik, der mit ihnen den Ler­nen­den abver­lang­ten Leis­tun­gen und Anfor­de­run­gen (ihres Anfor­de­rungs­ge­halts) sowie der an die ent­spre­chen­den Bear­bei­tun­gen (vul­go: Schü­ler­leis­tun­gen — inwie­fern es wirk­lich “Leis­tun­gen” sind, bleibt zu reflek­tie­ren) und ihre Bedeu­tung im Lernprozess.

Ein Aspekt dar­in ist, dass (wie so vie­le im Geschichts­un­ter­richt) auch die­se Auf­ga­ben — zumin­dest in über­kom­me­nen unter­richt­li­chen Zusam­men­hän­gen — oft­mals Cha­rak­te­ris­ti­ka von Lern- und Leis­tungs­auf­ga­ben mit­ein­an­der ver­men­gen. Schüler*innen müs­sen — zumin­dest ohne wei­te­re Klar­stel­lung der unter­richt­li­chen Funk­ti­on — den Ein­druck gewin­nen, die gefor­der­te Per­spek­ti­ven­über­nah­me sei vali­de mög­lich und durch die Lehr­per­son beur­teil­bar. Dies macht die Auf­ga­be zu einer Leis­tungs­auf­ga­be. Selbst wenn mit ihr nicht etwas schon zuvor geüb­tes abge­fragt wird und über­prüft weden soll, son­dern die Schüler*innen vor eine neue Her­aus­for­de­rung gestellt wer­den sol­len, mar­kie­ren sol­che Auf­ga­ben in kei­ner Wei­se, was mit den Bear­bei­tun­gen der Ler­nen­den ande­res gesche­hen soll, als dass sie dem Ple­num oder der Lehr­per­son gegen­über offen­zu­le­gen und von die­ser zu beur­tei­len sind — aber auf­grund wel­cher Kriterien?
Wel­che Lehr­per­son, wel­cher heu­ti­ge For­scher könn­te denn über­haupt jemals sagen, wann eine Per­spek­ti­ven­über­nah­me “gelun­gen” ist? “Wie ein Mönch” des 10. Jahr­hun­dert oder ein japa­ni­scher Samu­rai kann kei­ner von uns den­ken und/​oder eine Situa­ti­on ein­schät­zen. Auf eine ent­spre­chen­de Auf­ga­be wird nie­mand eine “voll gül­ti­ge” Ant­wort haben – und kei­ne Lehr­per­son kann ent­schei­den, wel­che Leis­tung “rich­tig” ist. 

Gleich­wohl sind sol­che Auf­ga­ben nicht unsin­nig. Es geht ihnen ja auch gar nicht dar­um, den Schüler*innen (unfai­rer­wei­se) etwas mehr oder weni­ger spon­tan abzu­ver­lan­gen (das tem­po­ra­le Fremd­ver­ste­hen ver­gan­ge­nen Han­delns näm­lich), was noch heu­te Gegen­stand und Auf­ga­be umfang­rei­cher For­schung ist. Viel­mehr zie­len sol­che Auf­ga­ben doch eigent­lich dar­auf, die Anfor­de­rung des Abs­tra­hie­rens von der gegen­wär­ti­gen Per­spek­ti­ve und die aus sol­chen Ver­su­chen sich erge­ben­de Anders­ar­tig­keit von Wahr­neh­mung, Deu­tung und Ent­schei­dung plau­si­bel zu machen. Das Gelin­gens­kri­te­ri­um sol­cher Auf­ga­ben liegt also weder dar­in, tat­säch­lich der ver­gan­ge­nen Per­son tat­säch­lich mime­tisch nahe gekom­men zu sein, und eben­so wenig dar­in, mög­lichst voll­stän­dig die eige­ne gegen­wär­ti­ge Posi­tio­na­li­tät und Per­spek­ti­ve abzu­strei­fen, so dass man ein­fach “mög­lichst fremd­ar­tig” argu­men­tiert und das dann als Aus­weis für gelin­gen­de Per­spek­ti­ven­über­nah­me ausgibt.
Viel­mehr zie­len sol­che Auf­ga­ben doch dar­auf, dass Schüler*innen am Ver­such einer sol­chen Per­spek­ti­ven­über­nah­me erken­nen sol­len, dass und inwie­fern sie von gegen­wär­ti­gen Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten abse­hen müs­sen, um einer ver­gan­ge­nen Per­spek­ti­ve in irgend­ei­ner Wei­se “gerecht” zu wer­den. Es kommt also nicht auf die Stim­mig­keit des indi­vi­du­el­len Ergeb­nis­ses an, son­dern auf die Erkennt­nis und Bedeu­tung des Anspruchs his­to­ri­schen Den­kens: Wer die (hin­rei­chend kom­plex) kogni­tiv prä­sen­tier­te ver­gan­ge­ne Situa­ti­on umstands­los so beur­teilt und bewer­tet wie sie/​er aus der heu­ti­gen Gegen­wart tun wür­de, zeigt doch eben­so wenig his­to­ri­sches Ver­ste­hen wie jemand, die/​der alles mög­lichst anders­ar­tig dar­stellt und beur­teilt, aber über­haupt nicht sagen kann, inwie­fern das der kon­kre­ten Situa­ti­on ange­mes­sen sein soll. 

Erst im Reden und dis­ku­tie­ren über die jewei­li­gen (und mög­lichst unter­schied­li­chen) “Lösun­gen” (bes­ser: Bear­bei­tun­gen) also erweist sich was die ein­zel­nen Schüler*innen schon ver­stan­den haben, liegt aber auch recht eigent­lich erst das Poten­ti­al für den eigent­li­chen Lernprozess.
Die ursprüng­li­che Bear­bei­tung der Auf­ga­be ist also als Aus­weis der Erfül­lung einer Anfor­de­rung eines gelin­gen­den Per­spek­ti­ven-Wech­sels aus theo­re­ti­schen und didak­ti­schen Grün­den falsch ein­ge­setzt. Sol­che Auf­ga­ben dür­fen nicht als Leis­tungs­auf­ga­ben ver­stan­den wer­den, son­dern müs­sen Lern­auf­ga­ben inso­fern sein, als dass sie das Mate­ri­al für den eigent­li­chen Pro­zess des his­to­ri­schen Den­kens und Ler­nens erzeugen.

Damit aber errin­gen sie ein auf der ter­mi­no­lo­gi­schen Ebe­ne nur leicht, in theo­re­ti­scher Hin­sicht aber deut­lich ver­än­der­tes Lern­po­ten­ti­al. Aus dem letzt­lich nicht erfüll­ba­ren und mess- oder iden­ti­fi­zier­ba­ren Anspruch auf einen gelin­gen­den (oder post fes­tum: gelun­ge­nen Per­spek­ti­ven-Wech­sel) wür­de die Mög­lich­keit, die eige­ne Per­spek­ti­ve zwar nicht zu ver­las­sen, wohl aber mit­tels der gefor­der­ten begün­de­ten, also kogni­ti­ven Berück­sich­ti­gung von Fak­to­ren, die eine ande­re Per­spek­ti­ve aus­ma­chen, zu erwei­tern. Per­spek­ti­ver­wei­te­rung und ‑refle­xi­on statt Perspektivenwechsel.

Inso­fern könn­te man (auch) hier eine metho­di­sche Anlei­he beim fremd­sprach­di­dak­ti­schen Prin­zip des “Task Based Lear­ning” inso­fern machen, als dass die Bear­bei­tun­gen einer Auf­ga­be durch Schüler*innen einer Refle­xi­on in einer focus on (hier nun:) histo­ry-Pha­se unter­zo­gen wer­den, in wel­cher das his­to­ri­sche Den­ken (und die Spra­che) expli­zit gemacht wird, und gera­de dabei auch neu erwor­be­ne oder dif­fe­ren­zier­te, abs­trak­ter gefass­te sowie mit einem refle­xi­ven Index ver­se­he­ne Kon­zep­te, Begrif­fe, Metho­den etc. the­ma­tis­ert und Pro­gres­si­on aus­drück­lich geför­dert wird.

Dies wie­der­um kann metho­disch durch Nut­zung von Ver­fah­ren des koope­ra­ti­ven Ler­nens 3 umge­setzt wer­den, etwa indem das “Think-Pair-Share” (bzw. “Den­ken — Aus­tau­schen — Besprechen”)-Schema der­art umge­setzt wird, dass die zunächst in Ein­zel­ar­beit (“Think”-Pha­se) ange­fr­tig­ten Ergeb­nis­se einer der­ar­ti­gen Auf­ga­be weder direkt der Lehr­kraft ange­ge­ben noch unmit­tel­bar im Ple­num vor­ge­stellt und bespro­chen wer­den, son­dern viel­mehr in Part­ner­ar­beit oder auch Klein­grup­pen (“Pair”-Pha­se) an Ler­nen­den zunächst selbst jeweils meh­re­re sol­cher Bear­bei­tun­gen der Auf­ga­be unter ande­ren Gesichts­punk­ten ver­glei­chen und ana­ly­sie­ren als nur, inwie­fern sie “gut” oder “gelun­gen” sind.
Wie üblich soll­te es bei sol­chen “Pair”-Pha­sen nicht nur dar­um gehen, die Ein­zel­er­geb­nis­se den jeweils ande­ren Schüler*innen vor­zu­stel­len, so dass die­se alle ken­nen. Viel­mehr brau­chen sol­che Pha­sen eige­ne Arbeits­auf­trä­ge. Die­se kön­nen im vor­lie­gen­den Fall dar­in bestehen, die vor­lie­gen­den Ein­zel­be­ar­bei­tun­gen zunächst beschrei­bend zu ver­glei­chen: Was haben die Autor*innen ähn­lich, was unter­schied­lich gemacht? Was bewir­ken die­se Ent­schei­dun­gen jeweils für die Bear­bei­tung der Auf­ga­be? Erge­ben sich Ein­sich­ten und Fra­gen an den Sinn und Zweck der Auf­ga­be — nun, wo unter­schied­li­che Lösun­gen bekannt sind?
Eine sol­che ver­glei­chen­de Ana­ly­se, die die vor­lie­gen­den Arbei­ten nicht gleich unter dem Gesichts­punkt des Gelin­gens betrach­tet, und sie gar in eine ein­di­men­sio­na­le Rei­he bringt, son­dern viel­mehr anhand die­ser Bear­bei­tun­gen her­aus­ar­bei­tet, was mal alles unter­schied­lich machen konn­te, trägt dazu bei, dass der Denk­pro­zess, die Anfor­de­rung his­to­ri­schen Den­kens, den/​die die Auf­ga­be adres­sier­te, als sol­che in den Blick kommt. Es mag sich sogar emp­feh­len, dass die ver­glei­chend bear­bei­ten­de Klein­grup­pe jeweils nur Tex­te ande­rer Schüler*innen betrach­tet, kei­ne eige­nen, und dass die­se ihnen (u.a. durch Com­pu­ter-Schrift) anonym vor­lie­gen. Es kann sogar sinn­voll sein, dass die Lehr­kraft selbst eine oder auch zwi unter­schied­li­che Bear­bei­tun­gen “anonym” mit ein­streut, die es zu ent­de­cken, mit den ande­ren zu ver­glei­chen und ihrer­seits ein­zu­schät­zen gilt hin­sicht­lich ihres Poten­ti­als und ihrer Grenzen.
Die “Share”-Pha­se des Bespre­chens im Ple­num erhält dann wie­der­um einen eige­nen Auf­trag, näm­lich das Bespre­chen und Ver­han­deln der in den Grup­pen jeweils gewon­ne­nen Ein­sich­ten (ist das bei allen Klein­grup­pen so gewe­sen? Erge­ben sich ein­an­der ergän­zen­de oder eher in Span­nung zuein­an­der ste­hen­de Ein­sich­ten?) und Fra­gen nicht so sehr zu ein­zel­nen Bear­bei­tun­gen, son­dern zu zwi­schen ihnen wahr­ge­nom­me­nen Kontrasten.
Es könn­te etwa sein, dass …

  • … Schüler*innen beim Ver­fas­sen ihrer Ein­zel­be­ar­bei­tun­gen ganz unter­schied­li­che Wör­ter ver­wen­det haben und nun mer­ken, dass sie nicht ein­fach davon aus­ge­hen kön­nen, dass ihre heu­ti­gen Begriffe/​Termini ohne Wei­te­res auch “in der Situa­ti­on” nutz­bar sind.
  • … eini­ge Schüler*innen die Fra­ge ent­de­cken, inwie­weit eigent­lich davon aus­ge­gan­gen wer­den kann, dass die Per­son, in die sie sich hin­ein­ver­set­zen sol­len, gar nicht unbe­dingt schrei­ben kann. (Selbst eine so begrün­de­te Ver­wei­ge­rung der Auf­ga­be kann dann als Ergeb­nis eines his­to­ri­schen Denk­pro­zes­ses pro­duk­tiv ein­be­zo­gen werden).
  • … ein Ver­gleich zwi­schen zwei Bear­bei­tun­gen in der Klein­grup­pe zeigt, dass die Autori*innen ganz selbst­ver­ständ­lich (=noch ohne beson­ders dar­über nach­ge­dacht zu haben) von ganz unter­schied­li­chen Infor­ma­ti­ons­stän­den “ihrer” Per­son aus­ge­gan­gen sind, so dass die Fra­ge ent­steht: was konn­te man als … damals eigent­lich von … wissen?
  • … der Ver­gleich ergibt, dass viel­leicht man­che Schüler*innen bei der Bear­bei­tung Infor­ma­tio­nen über spä­te­re Ent­wick­lun­gen (engl.: “hind­sight”) ein­be­zo­gen haben, wäh­rend ande­re das nicht getan haben.”

Gera­de der letz­te­re Fall zeigt, dass eine sol­che Bear­bei­tung es ermög­licht, der­ar­ti­ge “Feh­ler” im his­to­ri­schen Den­ken nicht sofort (oder gar über­haupt) als “Feh­ler” wirk­sam (und ihre The­ma­ti­sie­rung demo­ti­vie­rend) wer­den zu las­sen, son­dern sie (qua anony­mem Ver­gleich) pro­duk­tiv zur Gewin­nung einer Erkennt­nis zu nutzen.

Sol­che Ver­fah­ren koope­ra­ti­ven Ler­nens mit ihren Mög­lich­kei­ten, Schüler*innen über ihre gegen­sei­tig-eige­nen Pro­duk­te in nicht sofort hier­ar­chi­sie­rend-bewer­ten­der Form nach­den­ken zu las­sen, kön­nen auch durch digi­ta­le Instru­men­te unter­stützt wer­den, näm­lich sol­chen, die es ermög­li­chen, Arbeits­er­geb­nis­se von Schüler*innen (anonym) neben­ein­an­der auf einem gro­ßen Smart­board o.ä. sicht- und im Ple­num bear­beit­bar zu machen, wie etwa bei “Ether­pads” (vgl. https://​de​.wiki​pe​dia​.org/​w​i​k​i​/​E​t​h​e​r​pad). 4

Schließ­lich ermög­licht eine sol­che Bear­bei­tung und Aus­wer­tung einer sol­chen Auf­ga­be auch nicht-sepa­rie­ren­de Dif­fe­ren­zie­run­gen durch scaf­fol­ding. Es ist so etwa mög­lich, dass in der Ein­zel­be­ar­bei­tungs­pha­se Schüler*innen mit Schwie­rig­kei­ten im Schrei­ben und For­mu­lie­ren, mit Abs­trak­ti­on etc. nicht abver­langt wird, eige­ne Tex­te zu ver­fas­sen, son­dern dass es ihnen ermög­licht wird, anhand einer Rei­he vor­be­rei­te­ter “Text­bau­stei­ne” zu ent­schei­den, was in einer Lösung denk­bar und kon­sis­tent wäre. Die gege­be­nen Text­bau­stei­ne müs­sen dann natür­lich ihrer­seits ganz unter­schied­li­che Lösun­gen und Gestal­tun­gen auf­wei­sen — bis hin zu mit­ein­an­der inkom­pa­ti­blen und sich gar wider­spre­chen­den Antei­len. Auf die­se Wei­se wür­de aus der kon­struk­ti­ven Auf­ga­be per “Auf­ga­ben­um­kehr” eine der Zuord­nung gege­be­ner Sinn­bil­dungs-Bau­stei­ne zuein­an­der. Eine auf der “Ober­flä­che” ganz unter­schied­li­che Auf­ga­be kann so — zum Zwe­cke der Dif­fe­ren­zie­rung und des scaf­fol­dings — ähn­li­che und ver­gleich­ba­re Ope­ra­tio­nen his­to­ri­schen Den­kens anspre­chen und erfor­dern sowie — in der Refle­xi­on — för­dern. (Natür­lich bedeu­tet eine sol­che Dif­fe­ren­zie­rung und Unter­füt­te­rung mit­tels scaf­folds auch, dass für die wei­te­ren Aus­wer­tun­gen die evtl. gewähl­te Anony­mi­tät nicht mehr voll durch­zu­hal­ten ist. Aber auch hier­mit kann pro­duk­tiv umge­gan­gen werden.)

Anmer­kun­gen /​ Refe­ren­ces
  1. Rüsen, Jörn (1983): His­to­ri­sche Ver­nunft. Grund­zü­ge einer His­to­rik I: Die Grund­la­gen der Geschichts­wis­sen­schaft. Göt­tin­gen: Van­den­hoeck & Ruprecht (Klei­ne Van­den­hoeck-Rei­he, 1489); Rüsen, Jörn (2013): His­to­rik. Theo­rie der Geschichts­wis­sen­schaft. Köln: Böhlau.[]
  2. Vgl. Wine­burg, Sam (1999): His­to­ri­cal Thin­king and Other Unna­tu­ral Acts. In: The Phi Del­ta Kap­pan 80 (7), S. 488 – 499; Wine­burg, Sam (2001): His­to­ri­cal Thin­king and Other Unna­tu­ral Acts. Char­ting the Future of Tea­ching the Past. Phil­adel­phia: Temp­le Uni­ver­si­ty Press (Cri­ti­cal per­spec­ti­ves on the past).[]
  3. Etwa nach Green, Norm; Green, Kathy (2007): Koope­ra­ti­ves Ler­nen im Klas­sen­raum und im Kol­le­gi­um. Seel­ze-Vel­ber: Klett; Kall­mey­er.[]
  4. Anders als man­che ande­ren im Rah­men der Digi­ta­li­sie­rung geprie­se­nen Instru­men­te, wel­che letzt­lich nichts ande­res tun als her­kömm­lich-klein­schrit­ti­ge Metho­den einer Wis­sens­über­prü­fung mit unmit­tel­ba­rer rich­tig-falsch-Rück­mel­dung elek­tro­nisch umzu­set­zen und dabei oft auch noch inso­fern zu ver­schlimm­bes­sern, dass auf­grund des elek­tro­ni­schen Abgleichs der Schüler*innen- mit einer Mus­ter­lö­sung rich­ti­ge, aber anders for­mu­lier­te Ant­wor­ten als ‘falsch’ zurück­ge­mel­det wer­den, eben­so wie halbrich­ti­ge Ant­wor­ten nicht gewür­digt wer­den kön­nen, ermög­li­chen Ether­pads die Orga­ni­sa­ti­on einer gemein­sa­men Betrach­tung einer Rei­he von Ein­zel­lö­sun­gen. Auf­grund oft­mals ein­zu­tip­pen­der und damit gege­be­ner Unab­hän­gig­keit von Hand­schrift kann dabei auch eine gewis­se Anony­mi­sie­rung erreicht wer­den, die es ermög­licht, dass der jewei­li­ge Text, nicht die/​der Autor*in im Fokus steht. Hin­sicht­lich des zur Ver­fü­gung ste­hen­den Plat­zes, Schrift­grö­ße etc. sind aber auch hier noch Gren­zen gege­ben, die es viel­leicht rat­sam erschei­nen las­sen, doch eher auf “ana­lo­ge” Metho­den mit Kar­ten, Pla­ka­ten etc zurück­zu­grei­fen. []
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01. Dezember 2008 Andreas Körber Keine Kommentare

Kör­ber, Andre­as (2008): “Das Deutsch-fran­zö­si­sche Schul­ge­schichts­buch aus fach­di­dak­ti­scher Per­spek­ti­ve.” In: Georg-Eckert-Insti­tut (Hg.; 2008): Eckert. Dos­sier. Euro­pa und die Welt. Historie/​Geschichte 2. Online: http://​www​.gei​.de/​p​u​b​l​i​k​a​t​i​o​n​e​n​/​e​c​k​e​r​t​-​d​o​s​s​i​e​r​s​/​e​u​r​o​p​a​-​u​n​d​-​d​i​e​-​w​e​l​t​/​f​a​c​h​d​i​d​a​k​t​i​k​.​h​tml.
Übersetzungen:

  1. Fran­cais: Kör­ber, Andre­as (2008): “Le manu­el d’Histoire fran­co-alle­mand dans une per­spec­ti­ve didac­tique.” In: Georg-Eckert-Insti­tut (2008; Ed.): Eckert. Dos­sier. Euro­pa und die Welt. Historie/​Geschichte 2. En ligne: http://​www​.gei​.de/​i​n​d​e​x​.​p​h​p​?​i​d​=​1​325 (vue 30.10.2008). (tra­duit de l’allemand par Isa­bel­le Quillévéré). 
  2. Eng­lish: Kör­ber, Andre­as (2008): The Fran­co-Ger­man Histo­ry Text­book from the Per­spec­ti­ve of Spe­cia­list Didac­tics. Online: http://​www​.gei​.de/​p​u​b​l​i​k​a​t​i​o​n​e​n​/​e​c​k​e​r​t​-​d​o​s​s​i​e​r​s​/​e​u​r​o​p​a​-​u​n​d​-​d​i​e​-​w​e​l​t​/​f​a​c​h​d​i​d​a​k​t​i​k​/​d​i​d​a​c​t​i​c​s​.​h​tml. (Trans­la­ted from Ger­man by Wen­dy Anne Kopisch).

Spanischsprachiger Beitrag zur Schulbuchnutzung

01. Dezember 2006 Andreas Körber Keine Kommentare

Bor­ries, Bodo v. ; Kör­ber, Andre­as; Johan­nes Mey­er-Ham­me (2006; Mit­arb.): “Uso refle­xi­vo de los manua­les esco­la­res de his­to­ria. resul­ta­dos de usa encues­ta rea­lizada a docen­tes, alum­nos y uni­ver­si­ta­ri­os.” In: Ensen­an­za de las Cien­ci­as Socia­les 2006, 5, S. 3 – 19.

13. November 2003 Andreas Körber Keine Kommentare

Bor­ries, Bodo v. (in Zusam­men­ar­beit mit Kör­ber, Andre­as und Johan­nes Mey­er-Ham­me; 2003): “Refle­xi­ver Umgang mit Geschichts-Schul­bü­chern? Befun­de einer Befra­gung von Leh­rern, Schü­lern und Stu­die­ren­den 2002.” In: Zeit­schrift für Geschichts­di­dak­tik 2, S. 114 – 136.

Körber (1994): Ost-West-Geschichte(n) im Schulbuch — eine Expertise

13. Mai 1994 Andreas Körber Keine Kommentare

Kör­ber, Andre­as (1994): “West-Ost/Ost-West-Geschichte[n] im Schul­buch”. Unver­öf­fent­lich­tes Gut­ach­ten über die Dar­stel­lung der inner­deut­schen Bezie­hun­gen zwi­schen 1949 und 1989 in Geschichts­schul­bü­chern der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land und der DDR. Ange­fer­tigt im Rah­men der Vor­be­rei­tung des Schü­ler­wett­be­werbs Deut­sche Geschich­te um den Preis des Bun­des­prä­si­den­ten der Kör­ber-Stif­tung 1994/​95; 47 S.